Donnerstag, 26. Februar 2015

Das Kind im Mann und in der Frau.

aus scinexx

Partnerwahl: 

Kindsköpfe erwünscht
Männer und Frauen sehen Verspieltheit als bevorzugte Charaktereigenschaft beim Partner

Männer und Frauen mögen ihre Partner gerne verspielt, wie Forscher nun herausgefunden haben. Freundlichkeit, Intelligenz, Humor gelten zwar als die wichtigsten Eigenschaften bei einem möglichen Partner - dicht gefolgt jedoch von Verspieltheit, darin waren sich Männer und Frauen einig. Gerade Menschen in Beziehungen gaben dabei an, dass sie sich selbst auch für verspielt hielten, wie Schweizer Forscher berichten.

Verspielte Menschen mögen Wortspiele, improvisieren gern und gehen leichtherzig an eine Herausforderung heran, erfreuen sich an ungewöhnlichen Dingen, setzen sich spielerisch mit anderen auseinander, necken gerne – und gestalten eine Situation so, dass sie selber und andere dabei unterhalten werden: Verspieltheit zeigt sich auch bei Erwachsenen in vielen Facetten, sie ist aber in der Psychologie noch vergleichsweise wenig erforscht


Verspieltheit als Eigenschaft untersucht


Erst kürzlich hat der Anthropologe Garry Chick von der Pennsylvania State University eine Theorie der Verspieltheit bei Erwachsenen entwickelt. Diese geht davon aus, dass es ein erwünschtes Merkmal in der sexuellen Selektion ist: Sie zeigt den Frauen bei Männern geringe Aggressivität und den Männern bei Frauen Vitalität an. Eine erste US-Studie stützte diese These.


René Proyer und seine Kollegen der Universität Zürich haben nun in einer Studie untersucht, ob die Verspieltheit auch in der europäischen Kultur eine bedeutsame Rolle bei der Partnerwahl spielt. Sie testeten dies mit 327 jungen Erwachsenen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich. Aufgabe der Probandinnen und Probanden war es, in einer Liste mit 16 Eigenschaften jeweils anzugeben, ob sie diese an einer künftigen Partnerin oder an einem möglichen Partner wünschenswert finden oder nicht.


Kind im Partner gewünscht


Wie sich zeigte, stellt Verspieltheit sehr wohl ein wichtiges Kriterium bei der Partnerwahl dar. An vorderster Stelle rangierten bei beiden Geschlechtern zwar Freundlichkeit, Intelligenz, Humor und Spaßorientierung – Verspieltheit fand sich aber immerhin im Mittelfeld wieder, mit vergleichsweise wenig Abstand zu den Favoriten. Zudem lag sie deutlich vor Merkmalen wie einem Hochschulabschluss, guten Erbanlagen oder der Religion, wie Proyer und seine Kollegen berichten.


Vergebene verspielter als Singles

Die Auswertungen ergaben außerdem, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sich selbst als verspielt beschrieben hatten, Verspieltheit, Humor, Gelassenheit, Spaßorientierung und Kreativität auch unter ihren potenziellen Partnerinnen und Partnern bevorzugten.


Darüber hinaus schätzten sich auch jene Teilnehmenden häufiger als verspielt ein, die sich aktuell in einer Partnerschaft befanden, als jene, die gerade Single waren. "Bei aller Vorsicht bei der Interpretation der Daten könnte dies ein Hinweis sein, dass Verspielte tatsächlich als attraktivere Partner wahrgenommen werden oder dass sich Verspieltheit in der Partnerschaft verstärkt entfaltet", so Proyer. ( American Journal of Play, 2015)

(Universität Zürich, 25.02.2015 - MAH)



Nota. - Ach, das ist schade, dass es dafür keine Vergleichszahlen von vor, sagen wir, vierzig oder fünfzig Jahren gibt. Ich vermute nämlich, dass es sich dabei um ein recht neues Phänomen handelt, das ich anderswo als das Veralten der Erwachsenheit beschrieben habe - für das auf der gegenüberliegenden Seite der kommerzielle Aufschwung von Kiddie Kulture zeugt, für den die Weltkarrieren von - sukzessive - Michael Jackson, Harry Potter, Tokio Hotel und Justin Bieber stehen. Mit dem Vergehen der Arbeitsgesell- schaft verblasst der Unterschied zwischen Spiel als dem spezifisch Kindlichen und Arbeit als dem spezi- fisch Erwachsenen. (Wobei, was nicht übersehen werden soll, das Spielen und das Kindliche gewerbsmä- ßig entkeimt, indem sie verwertet werden.)
JE



Betragen mangelhaft.

So lustig wie in dieser Szene aus «Conducta» geht es im kubanischen Schulalltag mitnichten immer zu.
aus nzz.ch, 26. 2. 2015


«Conducta»
Kummerbub mit engagierter Pädagogin

von Geri Krebs 

Der kubanische Schulalltag beginnt in jeder Schule des Landes morgens mit einem ewiggleichen Ritual, das sich so oder ähnlich auch in manch anderem Land Lateinamerikas abspielt: dem gemeinsamen Absingen der Nationalhymne. Doch dann folgt mit dem Ruf: «Pioniere für den Kommunismus, wir werden sein wie der Che», des Rituals zweiter Teil, der eine Exklusivität der sozialistischen Karibikinsel darstellt. «Aha, dann werden sie uns ja wohl bald einen argentinischen Pass geben», feixt daraufhin einer der kindlichen Protagonisten gegenüber seinem Klassenkameraden, darauf anspielend, dass der kubanische Revolutionsheld Ernesto «Che» Guevara Argentinier war und dass heute der Besitz eines ausländischen Passes in Kuba mit Privilegien verbunden ist, die dem normalsterblichen Kubaner verwehrt sind.

Abwesenheit der Ideologie

Die geschilderte Szene in «Conducta» ist der einzige Moment in diesem zweiten langen Kinospielfilm des 1961 in Havanna geborenen Ernesto Daranas, der eine direkte Anspielung auf die offizielle Ikonografie eines politischen Systems darstellt, dessen Gegenwart mit Wandbildern, Slogans oder Propagandaplakaten unverändert den Alltag von elf Millionen Kubanern dominiert. Man kann diese konsequente Abwesenheit der offiziellen Ideologie in «Conducta» als starkes Signal lesen für die Abrechnung mit den Zuständen in einem einst als Modell gepriesenen Land, dessen Zustand nach über einem Vierteljahrhundert des Sich-Durchwurstelns dem des Zusammenbruchs gleicht.

Im Zentrum von «Conducta» steht der elfjährige Chala (stark: Armando Valdés Freire), der als Kind seiner alkoholkranken und medikamentenabhängigen Mutter Sonia (Yuliet Cruz) in einer elenden Behausung im Zentrum Havannas lebt, die sechste Klasse der Primarschule absolviert und dort von der etwa sechzigjährigen Carmela (Alina Rodriguez) unterrichtet wird. Diese ist eine Pädagogin mit Herz und Seele, die nicht auf den Mund gefallen ist und mit ihrer Aufopferungsbereitschaft eigentlich in die offiziell herrschende Ideologie passen würde. Seinen Vater hat Chala nie gekannt, doch möglicherweise ist Ignacio (Armando Miguel Gomez) sein Erzeuger, ein Überlebenskünstler aus der Nachbarschaft, der sich mit dem Organisieren illegaler Hundekämpfe durchschlägt und auf dessen Hunde Chala in seiner Freizeit aufpasst – wenn er sich nicht seiner Lieblingsbeschäftigung widmet, der Zucht von Tauben in einem Verschlag auf dem Dach. Mit dem Flattern von Tauben in Grossaufnahmen eröffnet «Conducta» visuell und rhythmisch kraftvoll, und auch das kubanische Originalplakat zum Film zeigt den Knaben mit einem dieser Vögel, die international als Friedenssymbol verstanden werden und die ausserdem in den afrokubanischen Religionen eine wichtige Rolle spielen.

Der Schweizer Verleih übersetzt «Conducta» mit «Das Verhalten» – was insofern zutrifft, als im Film dem Protagonisten die Versetzung in eine sogenannte «escuela de conducta» droht, eine geschlossene Internatsschule für Kinder, die man bei uns mit dem Etikett «verhaltensauffällig» versehen würde. Andererseits aber wäre die Übersetzung «Betragen» wohl zutreffender, ein Terminus, der auch bei uns früher in den Schulzeugnissen mit einer Note versehen wurde und der im kubanischen Schulsystem immer noch existiert – und so kann eine ungenügende Note in Betragen einen Schüler in die berüchtigte «escuela de conducta» bringen.

Es gab sie immer schon in Kuba, diese Zustände der Marginalität, in denen sich «Conducta» bewegt, und das kubanische Kino hat auch wiederholt davon erzählt. Anders ist an «Conducta» in dieser Hinsicht die Offenheit und die totale Illusionslosigkeit, mit der hier das Leben einer Handvoll von Bewohnern Havannas gezeigt wird, die versuchen, in einer aufs reine Überleben sich konzentrierenden Gesellschaft irgendwie ein Auskommen zu finden. Und es ist erstaunlich, wie viele systembedingte Kalamitäten in diesem Plot versammelt werden: Da ist etwa das Mädchen Yeni, das – spiegelbildlich zu Chala – nur seinen Vater hat und mit diesem als «illegale Einwanderin aus den Ostprovinzen» in einer Bretterhütte direkt an den Bahngleisen lebt und das mit dem Vater zusammen gegen Ende des Films so erbarmungslos in seine Heimatprovinz deportiert wird, wie auch Carmela aus dem Schuldienst gedrängt wird, weil sie sich zu sehr mit den Bürokraten angelegt hat, die hier das Sagen haben.



Wider die offizielle Propaganda

Doch nicht nur in den Hauptsträngen der Handlung geschehen Dinge, die in Kuba eigentlich gar nicht geschehen dürften, so man der offiziellen Propaganda Glauben schenken würde. So ist «Conducta» beispielsweise der erste kubanische Film, in dem die Rede davon ist, dass es in dem Land politische Gefangene gibt – einer von Chalas Klassenkameraden erwähnt, dass sein Vater als solcher im Gefängnis sitze, und einige Szenen später sieht man, wie der Knabe den Vater eines Tages unverhofft in die Arme schliessen kann, als dieser überraschend aus der Haft entlassen wurde.

Begeisterungsstürme in Kuba

In Kuba haben im Laufe des letzten Jahrzehnts schon mehrfach populäre Spielfilme, in denen kindliche Hauptdarsteller ihr beachtliches Können unter Beweis stellten, beim einheimischen Publikum Furore gemacht. So etwa «Viva Cuba!» von Juan Carlos Cremata (2005) oder «Habanastation» von Ian Padrón (2011), zwei Filme, die zwar eine beachtliche internationale Festivalkarriere erreichten, es jedoch nie ins hiesige Kino schafften. Der starke sozialkritische Unterton dieser Filme, die ebenfalls von in marginalen Verhältnissen lebenden Kindern handelten, geht in «Conducta» allerdings weit über das hinaus, was man bisher kannte. Das dürfte auch der Grund sein dafür, dass der Film – der in den kubanischen Kinos bereits vor Jahresfrist Furore machte und im vergangenen Dezember am Filmfestival Havanna von der internationalen Jury mit dem Hauptpreis ausgezeichnet wurde – in Kuba für ähnliche Begeisterungsstürme sorgte wie zwei Jahrzehnte zuvor Tomás Gutiérrez Aleas und Juan Carlos Tabíos «Fresa y Chocolate». Kino als Ventil für aufgestauten Unmut in einem Land, dessen Medien unverändert unter einer eisernen Zensur leiden, funktioniert immer noch gut.

Dienstag, 24. Februar 2015

Frieden spielt man nicht.

Lothar Sauer
aus nzz.ch, 23.2.2015, 05:30 Uhr

Interview
Warum Friedensspiele umstritten sind
Prof. Siegbert A. Warwitz: «Kriegsspiele gehören überall auf der Welt zum Spielrepertoire.

Interview: Christin Severin 

Herr Prof. Warwitz, warum sind Spielzeugwaffen und Kriegsspiele für viele Kinder so faszinierend?

Der Besitz von Spielzeugwaffen verleiht Macht, Kraft und Autorität. Jedes Kind freut sich, ein Held, Soldat oder Ritter zu sein. In dieser Rolle hat es die Möglichkeit, in seiner Phantasie über sich selbst hinauszuwachsen. Es kann an der Welt der Erwachsenen teilhaben, zu der es sonst keinen Zugang hat. Dann gibt es auch noch das magische Element: Waffen stehen für übernatürliche Kräfte. Das ist vor allem wichtig für Kinder, die sich im wirklichen Leben nicht richtig wahrgenommen fühlen.

«Darf» man Spielzeugwaffen kaufen?

In Familien, in denen Werte wie der Respekt vor Menschenleben vermittelt werden, sind Spielzeugwaffen problemlos. Sie sollten allerdings altersgerecht sein, und man sollte sie den Kindern nicht aufdrängen.

Ist es umgekehrt schlecht, wenn man Kindern Spielzeugwaffen verweigert? 

Ohne die kämpferische Auseinandersetzung können Kinder gewisse Bedürfnisse nicht ausleben. Kriegsspiele können helfen, Ängste und Aggressionen abzubauen. Kinder fühlen sich ausgeschlossen, wenn sie bei ihren Freunden nicht mithalten können. Kriegsspiele gehören überall auf der Welt zum Spielrepertoire. Sie wurden nicht von Erwachsenen erfunden, sondern entstanden aus der Wahrnehmung der Kinder.

Sind Eltern heute toleranter als früher?

Die Einstellung der Erziehungspersonen ist Schwankungen unterworfen und in verschiedenen Ländern unterschiedlich. Spielzeugwaffen kamen eigentlich erst mit der Friedensbewegung in Verruf, vorher gab es kaum Bedenken. Die Friedensbewegung wollte über das Spiel eine neue Wirklichkeit schaffen, in der es statt um Konkurrenz um Kooperation und statt um Feinde um Partner geht. Diese Einstellung hat sich in bestimmten Kreisen erhalten. Sie bestimmt das Kaufverhalten.

Haben Erwachsene also Vorurteile?

Grundsätzlich kann man sagen: Je weniger Wissen über das Wesen des Spiels vorhanden ist, desto mehr sind Erwachsene gegen das Kriegsspiel eingestellt. Häufig übertragen sie ihre eigenen Ängste vor dem wirklichen Krieg auf das Spiel. Untersuchungen haben aber ergeben, dass Kinder, die Krieg spielen, später nicht aggressiver sind als andere. Hingegen wird in Kriegsgebieten mehr Krieg gespielt als anderswo. Das Spiel folgt der Realität – nicht umgekehrt.

Helfen die Spiele beim Verarbeiten der Wirklichkeit?

Kinder spielen Krieg nach, wie sie einen Arztbesuch spielen. Das hilft ihnen beim Hineinwachsen in die Welt, und sie können unterschiedliche Arten des Verhaltens ausprobieren und dabei für sich eine Alternative finden. Kriegsspiele bieten Spannung und Abenteuer. Diese Erfahrung darf man den Kindern nicht nehmen.

Sie haben sich auch mit Friedensspielen beschäftigt. Worum geht es dabei?

Die Friedensspiele sind wie die Kritik an den Kriegsspielen aus der Friedensbewegung der 1980er Jahre entstanden. Sie wurden von Pädagogen erfunden. Damit sollte auch der Arbeitswelt, bei der Konkurrenzverhalten und Leistungsdruck als negativ empfunden wurden, eine neue und kooperative Gesellschaft entgegengestellt werden.

Was halten Sie davon?

Im Gegensatz zu den Kriegsspielen sind die Friedensspiele meist von Erwachsenen kreiert. Das Spielen wird hier zu pädagogischen Zwecken instrumentalisiert. Es kommt im freien Kinderspiel kaum vor. Mit den Friedensspielen werden zudem eher die schwächeren Kinder angesprochen, die dynamischeren bevorzugen den Wettstreit. Anders als die Sportspiele wie Fuss- oder Basketball stellen die Friedensspiele wie das Erdballspiel taktisch und bewegungstechnisch meist nur geringe Ansprüche. Das Fehlen des Kämpferischen verringert die Spannung und macht die Spiele schnell langweilig.

Widersprechen Friedensspiele der menschlichen Natur?

Nein! Zum vollgültigen Spielen gehören allerdings Konkurrenz und Kooperation. Damit sind die klassischen Sportspiele mit einer Partner- und einer Gegnermannschaft vielseitiger, Friedensspiele hingegen einseitiger. Die Vertreter von Friedensspielen glauben, über das Spiel eine friedvollere Einstellung und bessere Welt erschaffen zu können. Diese Transferannahme täuscht. Sie ist statistisch ebenso wenig belegt wie die umgekehrte Wirkungsvorstellung der Kriegsspiele. Dennoch: Solange das Spielen auf der spielcharakteristischen Symbolebene verbleibt, tragen Kriegs- wie Friedensspiele zur Vielfalt des Spielens bei.

Prof. Siegbert A. Warwitz ist Experimentalpsychologe und Spielwissenschafter.

Montag, 23. Februar 2015

Krieg spielen.

Kriegsspiele machen vielen Buben Spass. So schlimm, wie man meinen könnte, ist das aber nicht.
aus nzz.ch, 23.2.2015, 05:30 Uhr

Kriegsspiele

Spielzeugwaffen sind weniger schlimm als ihr Ruf

von Christin Severin 

Spielzeugwaffen faszinieren Kinder. Bei Erwachsenen sind sie umstritten. Es gibt aber einen Trend zur Enttabuisierung. Dieser wird getrieben von psychologischen Erkenntnissen und der Beliebtheit einer neuen Generation von Spielzeugwaffen.

In einem Wohnquartier übt eine Gruppe von sechs- bis elfjährigen Buben den Strassenkampf. Sie schleichen um die Büsche, verstecken sich hinter Ecken und springen plötzlich aus dem Hinterhalt ins freie Gelände, ihre Spielzeugwaffen der Marke «Nerf» stets im Anschlag. Gefeuert wird mit der grossen «Demolisher» oder der «Elite Strike», aus den Läufen kommen Schaumstoff-Schüsse, die vorne mit einem kleinen Plastic-Kopf verstärkt sind und eine Reichweite von rund 25 Metern haben. Die Buben haben offensichtlich Spass, in ihren Bewegungen ahmen sie Guerillakämpfer nach, von denen sie Bilder im Fernsehen gesehen haben müssen. In einer der umliegenden Wohnungen werden die Gardinen zugezogen: Anscheinend ist das ein Spiel, das diese Familie nicht sehen will.

Spiel ist nicht Realität

Viele Eltern stehen Spielzeugwaffen sehr skeptisch gegenüber. Sie wollen diese weder im eigenen Haus haben noch ihre Kinder anderswo damit spielen lassen. Der Kampfruf «Ich schiess dich tot» widerspricht dem idealisierten Bild vom unschuldigen Nachwuchs. Er lässt die Frage aufkommen, ob Erziehende mit Verboten und Ablenkungsmanövern reagieren sollen – oder dem fröhlichen Kriegsspiel einfach gelassen zusehen können.


Der Psychologe Siegbert A. Warwitz, der sich intensiv mit spielpädagogischen Fragen auseinandersetzt, stellt in seinem Buch «Vom Sinn des Spielens» fest, dass eine unbefangene Auseinandersetzung mit der Thematik «Kriegsspiel» angesichts der schrecklichen Realität von Krieg und Terror immer noch schwierig sei. Zur Bildung eines sachlichen Urteils empfiehlt er, sich zunächst klarzuwerden, was unter dem Begriff genau zu verstehen sei. Ob es schon ein Kriegsspiel sei, fragt Warwitz, wenn sich Kinder als Indianer verkleideten, mit Kriegsfarben bemalten und an den Marterpfahl stellten. Oder ob es ein Kriegsspiel sei, wenn ein Kind im Gelände einen Stock aufhebe, ihn zum Gewehr erkläre, auf ein anderes Kind ziele und rufe: «Peng! Du bist tot.» Bei Sportspielen wie dem Fussball werden ebenfalls kämpferische Begriffe verwendet. Auf den «Gegner» zu «schiessen», hat hier allerdings nichts Anstössiges mehr. Eine solche Unterscheidung zeigt die Präsenz kämpferischer Ideen im Spiel, aber auch, wie fliessend die Übergänge zwischen akzeptierten und deutlich umstritteneren Spielformen sind.


Petra Moser, Entwicklungspsychologin und Bereichsleiterin an der Pädagogischen Hochschule Zürich, betont, dass das Wort Kriegsspiel bei Erwachsenen ganz andere Assoziationen auslöse als bei Kindern. Während Erstere sofort an den echten Krieg, an Gewalt und Verbrechen dächten, seien Spielzeugwaffen für Kinder nicht mit Tötungsabsichten verbunden, sondern fungierten einfach als Spielzeuge. Mit dem Argument, dass Verbote und Tabuisierungen in der Regel die Faszination für eine Sache eher verstärken, plädiert sie gegen ein Verbot. Die Waffen müssten aber klar als Spielzeugwaffen erkennbar sein. Das ist in der Schweiz übrigens auch rechtlich relevant. Imitations-, Schreckschuss- und Soft-Air-Waffen, die mit echten Feuerwaffen verwechselt werden können, sind gemäss dem schweizerischen Waffengesetz echten Waffen gleichgestellt. Sie wurden bei Delikten immer wieder als Drohmittel eingesetzt, wodurch gefährliche Situationen entstanden. In den USA sorgte unlängst der tragische Fall eines Jugendlichen für Aufsehen, der zwar nur eine Spielzeugwaffe trug, aber trotzdem von einem Polizisten erschossen wurde, weil sich dieser durch die vermeintlich echte Waffe bedroht sah.


Regeln und Grenzen

Nötig ist es bei kriegerischen Spielen zudem, den Kindern die Regeln und Grenzen des Spiels klarzumachen. Dazu gehört, weder Menschen noch Tiere zu verletzen, Aussenstehende in Ruhe und Kinder, die nicht mehr mitmachen wollen, sofort ziehen zu lassen. Problematisch wird es, so Moser, wenn Kinder mittels Waffen Machtphantasien ausleben und Freude daraus ziehen, bei anderen Angst zu erzeugen. In solchen Fällen muss das Gespräch mit dem Kind gesucht werden.


Zentral ist auch der Rahmen, in dem die Spiele stattfinden. So ist es etwas anderes, ob sich die Kinder im Wald hinter dem Haus bzw. in den Quartierstrassen treffen oder ob das Ganze auf dem Schulhof stattfindet. Im Kanton Zürich etwa ist es verboten, Waffenattrappen mit in die Schule zu nehmen. Der Schulhof als sozialer Ort sei nicht für Spiele geeignet, die auf andere Kinder bedrohlich wirken könnten, meint Moser.


Eine spezielle Gruppe innerhalb der Kriegsspiele sind die digitalen Spiele. Zwar bleiben alle Handlungen auf den virtuellen Raum beschränkt, dafür aber können die Spiele umso brutaler gestaltet werden. Umstritten sind vor allem die Ego-Shooter-Spiele, bei denen der Spieler in einer frei begehbaren, dreidimensionalen Spielwelt agiert und mit Schusswaffen andere Spieler oder computergesteuerte Gegner bekämpft. Die vom Spieler gelenkte Spielfigur ist menschlich oder menschenähnlich. Medienpsychologen sind der Ansicht, dass diese Spiele die Menschen tatsächlich aggressiver machen, empirisch klar erwiesen ist das jedoch nicht. Kritisch ist laut Moser vor allem die hohe Simulationsprofessionalität der Spiele, die die Unterscheidung zwischen Realität und Spiel offenbar schwierig machen kann. Auffällig ist, dass sich Buben deutlich stärker für kriegerische Spiele und Spielzeugwaffen interessieren als Mädchen. Laut einer einschlägigen Studie besitzen 76 Prozent aller Buben Kriegsspielzeug und möchten 45 Prozent mehr davon haben. Bei den Mädchen haben nur 29 Prozent Kriegsspielzeug, und fast keines möchte mehr. Zu erklären ist das wohl damit, dass Waffen als «männlich» gelten. Sie sind attraktiv für Buben, die ihre Rolle und Geschlechtsidentität suchen. Zu dieser Erklärung passt auch, dass vor allem Kinder im Alter von vier bis zwölf Jahren gern mit Waffen spielen. Die Faszination geht nachher zurück. Zum klassisch weiblichen Rollenbild gehören Kampf und Waffen hingegen nicht. Mädchen leben Aggressionen meist versteckter aus.


Toleranz durch Erfahrung

Im Zürcher Franz-Carl-Weber-Geschäft berichtet eine Verkäuferin, dass die anfängliche Ablehnung vieler Eltern speziell bei den populären «Nerfs», die in der Schweiz seit 2009 auf dem Markt sind, inzwischen geringer geworden sei. Je mehr Kinder die Spielzeugwaffen hätten, desto mehr schwinde auch die Opposition von Eltern. Aus Gesprächen lässt sich schliessen, dass Eltern Befürchtungen hegen, von anderen Erwachsenen als unverantwortliche Waffennarren wahrgenommen zu werden. Wenn aber deren Kinder ebenfalls ausgerüstet sind, fällt diese Angst weg. Weil die Verletzungsgefahr bei der neuen Generation von Spielzeugwaffen minimiert wird, spricht die Industrie gern von einem sicheren «Action-Spielzeug».


Zusammengenommen führt dies zu einer gewissen Enttabuisierung. Empfohlen sei kategorischen Kritikern und experimentellen Geistern übrigens ein Selbstversuch. Dabei mag erstaunen, wie viel Spass es macht, wenn man allfällige Hemmungen überwindet, sich auf das Spiel einlässt – und schiesst.


Die Frage auch für tolerante Eltern bleibt dennoch, wie weit sie gehen wollen. Kaufen sie die kritischen Spielzeuge lieber selbst und behalten die Kontrolle, oder überlassen sie die Anschaffung aus Gründen der Psychohygiene lieber dem Götti oder der Gotte? Begleitet man die Kinder zur Schlacht in den Wald, um für die Einhaltung der Spielregeln zu sorgen, oder wagt man es sogar, die lokale Turnhalle für eine kriegerische Geburtstagsparty zu mieten? Anekdotische Evidenz zeigt, dass die Toleranz steigt, sofern Eltern wahrnehmen, dass die befürchtete Verrohung ausbleibt und doch immer wieder auch das Playmobil, die Puzzles oder der Fussball aus dem Schrank geholt werden.



Nota. - Das ist die Rückseite der philiströsen Auffassung vom 'Spielen als Arbeit des Kindes': Verhaltens- weisen einüben und Kompetenzen fürs wirkliche Leben erwerben. Doch ist das Spielen vor allen Dingen Erproben der Einbildungskraft. Das ist die große kognitive - und damit kulturelle - Leistung des Spiels: den Unterschied von real und nur vorgestellt sicht- und fühlbar machen. 
JE          



Fährten in die Prärie    

Gedenke noch bisweilen
der Knabenphantasie:
Einst über Meer und Meilen
flogst du in die Prärie.

Sie hält nicht nur die Spuren
von Huf und Mokassin, -
all deine Träume fuhren
mit übers Grasland hin . . .

Der Rand der Lagerfeuer,
wenn sich die Dämmrung naht,
wölkt um die Abenteuer
am Indianerpfad.

Es stampft die Bisonherde
in das Savannenlicht,
du spürst die ferne Erde,-
dein Auge sah sie nicht.

Da noch die Träume währten,
zuweilen wußtest du’s:
Im welken Gras die Fährten
sind auch von deinem Fuß.  

Günter Eich



Dienstag, 17. Februar 2015

Man verliert so viel Zeit.



Robert Doisneau

Britische Sozialwissenschaftler haben - schon vor Jahren - unter  Kindern ein Umfrage durchgeführt, was sie am meisten an der Schule stört.

Ein Neunjähriger gab zur Antwort: "Man verliert so viel Zeit."




Nicht mehr Kind, noch nicht Mann.

aus Badische Zeitung, 17. 2. 2015

Nicht mehr Kind, noch nicht Mann
Mit der Choreografie "Pour Ethan" ging die Freiburger Tanzreihe "Rip it!" zu Ende.

Ethan Cabon ist fünfzehn – und wer weiß, vielleicht wird er später mal Tänzer. Das Zeug hat er jetzt schon dazu: zumindest seit ihn der Choreograf Mickaël Phelippeau entdeckt und für ihn ein Bewegungsstück komponiert hat. Am zweiten und letzten Wochenende der Tanzreihe "Rip it!", eine Kooperation des Freiburger Theaters mit dem Museum für Neue Kunst, war "Pour Ethan" zu sehen – an einem Ort, der bisher nicht für öffentliche Veranstaltungen genutzt wurde: im wunderbaren Tanzsaal des Theaters, der zu den schönsten Räumen der Stadt gehört. 

Ein schlaksiger Kerl in gelbem Muskelshirt und schwarzen Tricotbermudas betritt das Parkett: Erst einmal hat er damit zu tun, seine Spielfläche mit Klebeband zu markieren. Er macht das in aller Ruhe – dass man ihm dabei zuschaut, scheint ihn nicht weiter zu tangieren. Ein seltsames Gefühl stellt sich ein: Schaut man hier einem "richtigen" Tanzstück oder doch eher einer Übung zu – einem Herantasten an die Artikulationen, die den zeitgenössischen Tanz ausmachen?




"Pour Ethan" bewegt sich an der Grenze: zwischen Amateur- und Profitum, Kindheit und Erwachsensein. Es hält den Augenblick des Übergangs fest, den man in der Biologie Pubertät nennt: nicht mehr Junge, noch nicht Mann. Mit seinen noch ungelenken, noch nicht geschmeidigen Bewegungen beschreibt Ethan Cabon diesen irritierenden Zustand im Nirgendwo: Der Ball, den er kunstvoll auf den Boden tippen und an die großflächigen Scheiben des Tanzstudios donnern lässt, ist noch Spielzeug und reicht doch auch schon als Teil der Choreographie ins artistisch Ästhetische hinein. Und wie sich Ethan bewegt in dem von ihm selbst markierten Rechteck: Das ist ein unbeschwertes wildes Laufen, das sich selbst in der Rückwärtsbewegung ausbremst.


Angefangen hat die Kunst für Ethan mit Gesang. Er erinnert sich daran, es ist einige Jahre her, da hatte er einen Auftritt auf einem Fest: Die Stimme, die er dann aus sich herausholt, eine hohe, zarte, glockenhelle Stimme, ist jetzt nicht mehr die seine. Und so wird seine Intonation von Strophe zu Strophe tiefer, bis sie dort angekommen ist, wo und wer Ethan heute ist: ein Heranwachsender im Stimmbruch, der Pläne für die Zukunft schmiedet. Wen sieht der Zuschauer? Die Option auf die Zukunft oder die Reminiszenz an die Kindheit? Es ist diese Irritation, die Mickaël Phelippeau reizt und ausreizt: Wenn Ethan an eine Wand springt, die unter der Wucht des Stoßes umfällt und auf dem Boden einen Konfettisturm auslöst, verbindet diese Szene ungestüme männliche Kraft und kindliche Poesie. Man wünscht sich in diesem Augenblick, dass Ethan das Kind in sich nicht verlieren möge. Es sind auf sehr besondere Weise berührende fünfzig Minuten im Übungs- und Probenraum für Tänzer. Wo auch sonst.

Sonntag, 15. Februar 2015

Der Spielzeugtester von YouTube.

aus Der Standard, Wien, 15. Februar 2015, 10:36

Neunjähriger YouTube-Star verdient Millionen mit Spielzeug-Auspacken
EvanTubes Videos wurden über eine Milliarde Mal gesehen, in ihnen testet er Spielzeug

Als Neunjähriger mit Spielzeug überschüttet zu werden, ist an sich schon eine feine Sache: Dafür aber auch noch mit Millionen Dollar belohnt zu werden kann getrost als Glück bezeichnet werden. Erleben darf dies ein junger US-Amerikaner namens Evan, der auf YouTube Karriere gemacht hat und mittlerweile auf drei Kanälen über eine Million Abonnenten aufweist. Die Videos in seinem populärsten Channel, EvanTubeHD, laufen dabei meist nach dem gleichen Muster ab: Evan bekommt Spielzeug in der Verpackung, reißt diese auf, lässt einen Freudenschrei los und macht sich dann ans Spielen. Später erklärt er, wie es ihm gefallen hat.

Wie euphorisch Evan auf einzelne Spielsachen reagiert, ist für den Hersteller dabei durchaus wichtig – denn Kinder lassen sich laut einer Newsweek-Reportage über Evan durchaus von dessen Meinung beeinflussen. Deshalb sind die Hersteller auch so darauf erpicht, ihm die neuesten Modelle zukommen zu lassen –und durchaus auch bereit, für eine Besprechung zu zahlen. So verdient Evan beziehungsweise dessen Vater, der die Videos auch filmt und schneidet, mittlerweile Millionen Dollar. Einnahmen kommen auch über Entgelt für Werbevideos, die vor und nach Evans Videos laufen; auch wenn diese Beträge mit YouTube geteilt werden müssen.

Immer populärer

Angefangen hat Evans Karriere schon 2011. Er war damals ein riesiger "Angry Bird"-Fan und begann mit seinem Vater, Stop-Motion-Videos zu drehen. Nach kurzer Zeit erreichte eines der Videos über eine Million Zuseher, wobei viele Evan baten, doch auch andere Themen wie Spielzeug zu behandeln. So kam es, dass Evan zum Spielzeugtester wurde – und immer mehr Zuseher gewann.

Eltern wollen Ball flach halten

Evans Eltern versuchen dabei laut Business Insider, die Berühmtheit ihres Sprösslings relativ gut vor ihm selbst zu verbergen. Sie halten Evans Nachnamen geheim, auch seine Adresse wird nicht verraten. Sie glauben, dass Evan nicht realisiert hat, wie populär er mittlerweile ist – auch wenn er immer wieder auf der Straße erkannt wird. Auch Evans Schwester wird zusehends bekannt, da sie immer öfter Cameo-Auftritte hinlegt.

Millionenbeträge

Insgesamt zeigt das Beispiel EvanTubeHD einmal mehr, welche Summen durch Videoblogging mittlerweile lukriert werden können. Auch wenn YouTube und Co im Vergleich nur einen Bruchteil der Werbebudgets für TV-Werbung ausmachen, können beliebte Tester Millionenbeträge einheimsen. Sogar mit nur sechs Sekunden langen Clips: Denn auch auf Twitters Vine-Videodienst sind Werbepartner begehrt. (fsc, deRStandard.at, 15.2.2015)