Wider die Ganztagsschule.


 

Der Ursprung des schulfreien Nachmittags in Deutschland


Nicht wahr, lieber Leser: Dass allein in Deutschland und im benachbarten Österreich die Kinder nur vormittags zur Schule gehen und am Nachmittag frei haben – das hielten auch Sie für einen Beweis teutonischer Hinterwäldlerei? Ein Relikt aus dem Mittelalter!

Tatsächlich aber war der schulfreie Nachmittag bei uns die allererste Errungenschaft deutscher Reformpädagogik, und zwar in… Preußen, wo die allgemeine Schulpflicht das Licht der Welt erblickt hat!

Hier ein unverdächtiger, ganz unbestechlicher Zeuge:

“In Berlin ist infolge der großen Hitze letzten Sommer in mehreren höherenSchulen der Nachmittagunterricht ganz aufgehoben und die Morgenschulstunden um eine verlängert worden. Die Folgen waren ganz unerwartet, die Jungen kamen enorm rasch voran, und die Sache soll jetzt auf größerem Maßstab versucht werden.”

Friedrich Engels an Karl Marx, Manchester, den 14. Oktober 1868
 


Ach, was ich noch sagen wollte: Deutschland hat bei PISA ja wirklich nicht so gut abgeschnitten. Aber das verfreundete  Österreich mit seinem gleichfalls freien Nachmittag schon viel besser!  

Und was für Schulen hat übrigens das Dutzend Länder, die beim PISA-Ranking noch hinter Deutschland liegen?

Ganztagsschulen.  

Na, wenn uns das keine Warnung ist!





aus FAZ.NET, 25. 4. 2018
 
Dogma Ganztagsschule

Woran liegt es eigentlich, dass beim Thema Ganztagsschule alle einer Meinung sind? Ja, es gibt graduelle Unterschiede. Der SPD und der Linken geht es natürlich nicht schnell genug, Schwarz-Grün betreibe den Ausbau im „Schneckentempo“ und außerdem böten die meisten Ganztagsschulen ja gar kein „echtes“, sprich verpflichtendes Nachmittagsprogramm. ... 

Beim Ganztag geht es zuvörderst nicht um Bildung und auch nicht um das Wohl der Kinder. Der Ausbau ist zum Dogma geworden, weil hinter ihm zwei starke, sonst oft gegensätzliche Motive stehen: ökonomische und etatistische. Auf der einen Seite verlangen die Unternehmen unter dem scheinheiligen Motto „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ nach uneingeschränkt verfügbarer Arbeitskraft beider Elternteile, auf der anderen Seite drängen linke Parteien unter dem Allzweckbegriff „Bildungsgerechtigkeit“ darauf, dass Vater Staat, wie es der heutige Vizekanzler einst ausdrückte, die „Lufthoheit über den Kinderbetten gewinnt“.



 

Schrumpft die Schule, nicht die Freizeit!

Die FAZ berichtete, dass entgegen dem Augenschein die Freizeit der Deutschen in den letzten fünf Jahren geschrumpft ist:

aus FAZ, 29. 8. 2013


"...Besonders stark geschrumpft, nämlich um mehr als eine dreiviertel Stunde, ist die Freizeit von Jugendlichen. 'Die Einführung des Abiturs nach zwölf Schuljahren und mehr Ganztagsschulen tragen sicherlich zu einem erheblichen Teil dazu bei, dass sich die Freizeit von Vierzehn- bis Siebzehnjährigen stark reduziert hat', sagt Reinhardt. 'Daneben führt aber auch die steigende Anzahl von (Pflicht-)Terminen, der Druck, online aktiv sein zu müssen, oder der Wunsch vieler Eltern nach sinnvollen Tätigkeiten des Nachwuchses zu weniger freier Zeit bei Kindern und Jugendlichen.'..."


   
Schrumpft die Schule!                                                                 in: Neues Deutschland vom 14. 4. 1994  

Gesellschaft heißt Arbeitsteilung und Kooperation. Wer in der Gesellschaft lebt, lebt von der Gesellschaft. Zivili- sationsmüdigkeit ist – Kunststück – ein Zivilisationsprodukt. „Zurück zur Natur“ ist die Luxusparole derer, die schon alles haben. Wer mit dem Ausstieg ernstmachen wollte, müßte zuerst der Gesellschaft zurückerstatten, was er bereits von ihr genommen hat. Dann mag er ziehen…

Der Mensch ist ein Kulturwesen; das Kulturwesen. Neben seiner ersten, physiologischen, hat er eine zweite, historische und selbstgemachte Natur. Oder richtiger: Da er Kulturwesen ist, hat er auch seine erste Natur nur als Kulturgeschöpf; er kann nicht mehr wählen. Daß er überhaupt wählen will, verdankt er seiner selbstgemachten Geschichte und zeigt, daß er schon gewählt hat: Nur als Kulturmensch kann er Naturwesen sein wollen.

Ob Kinder in die Gesellschaft und ihre Kultur hineinwachsen sollen oder nicht, steht nicht im Ermessen ihrer (zufälligen) Eltern. Jene sind selber Kulturprodukte und mögen, wenn sie die Bedingung erfüllen, die Kultur fliehen; aber andere ungefragt ins Exil schicken, das dürfen sie nicht. Die allgemeine Schulpflicht ist selbst ein kultureller Reichtum.

Denn Aufgabe der Schule ist es, das kulturelle Erbe der Menschheit an die nachwachsende Generation weiter zu reichen. Ihr Zweck ist Bildung.

Ausbildung für den Arbeitsmarkt ist ihr erst in neuerer Zeit als Pensum zugewachsen, mit der Industrialisierung und ihren verallgemeinerten Qualifikationsstandards. Die Schule hörte auf, privilegiertes Bildungsinstitut der herrschenden Klassen zu sein, und wurde allgemeine Dienstleistungsindustrie für den Arbeitsmarkt: vergesellschaftete Produktion des Arbeitsvermögens…

Die Realschule drängte das Gymnasium in die Defensive.

Heute ist das, was man in der Schule lernen kann, so unbrauchbar für das berufliche Fortkommen wie nie zuvor. Was du gestern gelernt hast, ist heute schon veraltet. Der technologische Fortschritt macht jeden Tag neue Fertigkeiten und, was fast dasselbe ist, neue Formen der Arbeitsteilung erforderlich. Wer sich am Arbeitsmarkt halten will, muß sich permanent „weiterbilden“. Die Idee, die Schule könne den Heranwachsenden „mit allem ausstatten, was er im Leben mal brauchen wird“, ist vorsintflutlich und findet einen (wackligen) Anhaltspunkt nur noch im beschäftigungspolitischen Standesinteresse der Lehrerschaft.

Max Scheler hat in seiner Wissenssoziologie unser Wissen in drei Klassen geschieden. ‚Herrschaftswissen’ bezeichnet all jene Kenntnis, die die Mächtigkeit der Menschen über ihre Lebensumstände erweitert: Wissen, das nützt. ‚Bildungswissen’ ist ein solches, das man „nur so“ besitzt: um seiner selbst willen; die Bekanntschaft mit Kunst und Philosophie etwa. „Heilswissen“ schließlich ist alles, was mit dem Sinn des Lebens zu tun hat.

Die propagierte Verwissenschaftlichung der Schule im letzten Vierteljahrhundert hat sich am Ende als die flachselbstverständliche Subsumtion aller möglichen Wissensgehalte unters Diktat der Nützlichkeit erwiesen. Deutschunterricht wird heute so erteilt, als ginge es lediglich um die Ausbildung neuer Deutschlehrer. Griechisch und Latein sind ganz entfallen; wer will denn heut auch schon noch Altphilologe werden?

Von Humanismus am Gymnasium keine Spur ; es ist selbst nur noch eine große (und nicht enden wollende) Realschule.

Der Pflasterstein, den die Finanzpolitiker dieser Tage in den Froschteich geworfen haben, kann zum Befreiungsschlag der Bildungspolitik werden. Der gesunde Menschenverstand hat vernehmlich das Wort ergriffen, und das laute Quaken der ‚Betroffenen’ läßt ahnen, daß er ins Schwarze getroffen hat.

Natürlich muß das dreizehnte Schuljahr gestrichen werden. Die jungen Leute werden viel zu lange vom allgemeinen gesellschaftlichen Verkehr ferngehalten, und der ist schließlich selber eine kulturierende Instanz.

Aber gewiß nicht, um den unnützen Ausbildungsplunder von dreizehn Jahren nun in deren zwölfe zu stopfen. Es muß die Chance beim Schopf ergriffen werden, die Lehrpläne gründlich auszumisten – nicht von Bildungswissen, sondern von unbrauchbaren Realien. Es ist völlig in der Ordnung, daß die Inhalte abendländischer Bildung zuerst einmal für die Schule gelernt werden und nicht „fürs Leben“: Nützen können sie sowieso nicht, und wertschätzen wird man sie erst aus gewonnenem Abstand. Aber daß Kenntnisse, die der persönlichen Karriere zugedacht waren, ausschließlich fr den Lehrer und die nächste Klassenarbeit gebüffelt, dann aber schleunigst vergessen werden, um neuem Dreitageschrott Platz zu machen, das ist ein Unrecht an den Schülern und eine Zumutung für den Steuerzahler.

Nur wenn die Schule wieder Stätte allgemeiner Bildung wird und die Ausbildung für den Arbeitsmarkt spezialisierten Instituten überläßt, die was davon verstehen, kann auf die Dauer die allgemeine Schulpflicht gegen die Ivan Illichs und andere luxurierende Kulturflüchter verteidigt -, und kann verhindert werden, daß Bildung schließlich wieder zum Privileg weniger Auserwählter wird.

Bildung aber braucht Muße.

Input und Output haben da nichts zu suchen. Schulstreß und Bildung schließen einander aus. Es ist also klar, in welche Richtung jede ernstgemeinte Diskussion um weitere Schulreform nunmehr zu gehen hat: Reduktion der Stundenpläne, Rückgewinnung von freier Zeit.

Und es gibt keinen Grund, damit bis zur gymnasialen Oberstufe zu warten. Indianerspiele, Kokeln hinterm Haus, Streunen durch Keller und Dachböden, zielloses Vagieren in Stadt und Land weiten den Blick und wecken den Wunsch, mehr zu wissen. Sie sind echte Bildungselemente, wie die elektronischen Medien übrigens auch.

Und alles braucht seine Zeit.

Lehrer, die der angeblich wachsenden Gewaltbereitschaft an den Schulen nicht mehr Herr werden, sollten sich zusammenschließen und dafür starkmachen, ihre Schüler nicht mehr länger, als zu Bildungszwecken unvermeidlich, zu klaustrieren, aus der Welt auszusperren und in ihrem natürlichen Unternehmungsgeist zu hemmen. Eine Menge Probleme erledigen sich dann von selbst, und die Kultur gewinnt.

Kampf dem Schulstreß! Arbeitszeitverkürzung auch für Kinder!
Nieder mit der Ganztagsschule! Rettet den schulfreien Nachmittag!

Kurz, schrumpft die Schule. 

Jochen Ebmeier 
Diaphora Gesellschaft für neue Erziehung mbH (gemeinnützig)



 

Endlich! Eine Stimme gegen den Ganztagsirrsinn.

uschi dreiucker; pixelio.de

Unter der Überschrift Die Kindheit wird verschult berichtet Union und SPD sind sich vor den Koalitionsverhandlungen einig, dass Deutschland mehr Ganztagsschulen brauche."  Unterschiede gäbe es aber bei der Frage, ob diese Schulform tatsächlich besser für Kinder sei als die Halbtagsschule. 

„Ganztagsschulen sind nicht an sich gut oder schlecht“, zitiert sie F.A.S. Bildungsministerin Johanna Wanka. „Entscheidend ist, dass die zusätzliche Zeit pädagogisch sinnvoll genutzt und gestaltet wird", fügt Wanke hinzu. Das klingt nicht wie der Beginn einer intelligenten Kritik, sondern wie ein Fügen ins Unvermeidliche. Und noch dazu aus ganz falschen Motiven; denn das ist gerade zu befürchten: dass die zusätzliche Zeit "pädagogisch genutzt und gestaltet" wird.

Durchdachter hört sich an, was der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, zu sagen hat. Er "warnt vor einer Verstaatlichung der Erziehung". Der Ausbau von Ganztagsschulen dürfe "nicht dazu führen, dass Eltern bei jeglichen Erziehungs- und Betreuungsaufgaben denken: Dafür haben wir ja den Staat“, sagte Kraus der F.A.S. Wer seine Kinder abends „ohne Konflikte, ohne Hausaufgaben nur noch zum Kuscheln“ abholen wolle, mache es sich zu bequem. Es sei auch nicht erwiesen, dass Ganztagsschulen Halbtagsschulen überlegen seien. „Dafür gibt es keinen einzigen Pisa-Beweis“, sagte Kraus. Kinderärzte warnen zudem vor zu viel Programm für Kinder: Unstrukturiertes „Nichtstun“ sei wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung.

Der Deutsche Kinderschutzbund, der schon seit Jahrzehnten kein Anwalt der Kinder mehr ist, sondern eine Interessenvertretung berufstätiger Mütter, hat davon freilich noch nichts gehört: „Gute Ganztagsschulen fördern die Entwicklung der Kinder“, sagte Geschäftsführerin Paula Honkanen-Schoberth der F.A.S.. Wo sie das herhat, welche empirische Studie das belegt, sagt sie nicht. „Die Lernfächer sollten dabei über den Tag verteilt sein, dazwischen sollte es Schwerpunkte wie Kunst, Kochen, Bewegung geben oder" - das darf nicht fehlen, halten Sie sich fest: "das Erlernen von sozialen Fähigkeiten“ - auf deutschen Schulhöfen, wer hätte das gedacht!

Außerdem müsse es genug Ruheräume geben. So hätten Schulen „die Chance, zum Lebensort zu werden“. Das hat sie wirklich gesagt: ein Lebensort! Das ist ein Bund, vor dem Kinder geschützt werden müssen. Da kann man gar nicht laut genug schreien: die Kinder wieder auf die Straße bringen!


Was Leviathan einmal hat, gibt er nicht wieder her.

Nico  / pixelio.de
aus NZZ, 25. 9. 2013                                                                                                                                             

 
Freie Nachmittage bestimmt die Schule
Ungültige Horgner Initiative


wbt. · In Horgen [Schweiz] fanden Eltern, die für ihre 7- bis 9-jährigen Kinder zwei statt einen schulfreien Nachmittag pro Woche forderten, kein Gehör. Die Schule gewichtete den Unterricht in Halbklassen als grösseren Beitrag zur Verhinderung von Stress. Die Eltern reagierten mit einer von 419 Personen unterzeichneten Initiative auf die Ablehnung ihres Anliegens, das in vielen andern Gemeinden eine Selbstverständlichkeit ist.
 
Nun hat der Gemeinderat Horgen laut einer Mitteilung die Initiative für ungültig erklärt. Das Anliegen der Initiantinnen und Initianten falle nicht in den Zuständigkeitsbereich der Gemeindeversammlung. Trotzdem beauftragt der Gemeinderat die Schulpflege, das Anliegen als Petition zu behandeln und innert sechs Monaten dazu öffentlich Stellung zu nehmen.

 

Ganztags-Hirnwäsche.

aus Die Presse, Wien, 21. 8. 2012

Die (un)beliebte Ganztagsschule
Österreichweit bieten lediglich 126 Schulen verschränkten Ganztagsunterricht an. Teilweise wird das Projekt von den Lehrern blockiert, teils auch von den Eltern.
Von Julia Neuhauser 

Wien. Sollen Kinder den ganzen Tag in der Schule verbringen? Oder sollen sie – zumindest an manchen Wochentagen – zu Mittag nach Hause zu den Eltern geschickt werden? An diesen Fragen scheiden sich die Geister – auch die der politischen Parteien.


Die SPÖ hält die Ganztagsschulen für „sozial gerechter“ und sieht diese am liebsten in verschränkter Form. Es sollten sich also Unterricht und Freizeit über den Tag hinweg abwechseln. Für die Kinder heißt das, dass sie täglich mindestens bis 16 Uhr in der Schule sein müssen. Die ÖVP kann dem Konzept der verschränkten Ganztagsschule nur wenig abgewinnen und bevorzugt den Ausbau der reinen Nachmittagsbetreuung. So könnten Schüler auch nur an einzelnen Tagen, wenn Bedarf besteht, in die Betreuung geschickt werden.

Der Ausbau der verschränkten Ganztagsschule geht jedenfalls nur schleppend voran. Das zeigen aktuelle Zahlen aus dem Unterrichtsministerium: Zwar ist die Zahl der Schulen, die – zumindest teilweise – verschränkte Klassen führen, in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Immer noch bieten nur 126 der mehr als 5000 Standorte eine solche Art des Unterrichts an (siehe Grafik). Lediglich 16.300 Schüler werden verschränkt betreut. Stellt sich die Frage, woran das (abgesehen von der politischen Uneinigkeit) liegt.

Eine entscheidende Rolle spielen da wohl die Lehrer. Denn zwei Drittel von ihnen müssen zustimmen, um eine Klasse in der verschränkten Form zu führen. Manche Pädagogen würden sich mit dem „Bruch von Gewohnheiten“ schwertun, sagt Klaus Tasch, Direktor der NMS Klusemannstraße in Graz, der gestern von Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) ins Ministerium geladen wurde. Er sollte seine Schule als Vorzeigemodell präsentieren. Die Veränderungen, die sich durch den verschränkten Unterricht ergeben, seien für viele Lehrer eine Herausforderung, sagt Tasch. An seiner Schule gebe es etwa keine 50-minütigen Einheiten mehr.

Auch geänderte Arbeitszeiten würden teilweise für Unmut sorgen, sagt Stefan Giegler, Direktor der Europaschule Linz. Durch die ganztägige Betreuung müssten die Lehrer bis 16 Uhr anwesend sein. In seinem Kollegium seien nicht alle bereit gewesen, diese Veränderungen mitzutragen, so Giegler.

Ein Kollege habe ihm etwa erklärt, dass er den Nachmittag lieber mit seinen eigenen Kindern verbringen wolle. „Er übersieht, dass nicht alle Österreicher einen Lehrerjob haben und ihrer Kinder am Nachmittag betreuen können“, so Giegler.

Manche Eltern können (und wollen) aber genau das: ihre Kinder zu Hause betreuen. So veröffentlichte die niederösterreichische ÖVP ausgerechnet ebenfalls gestern die Ergebnisse einer Umfrage unter niederösterreichischen Eltern: Demnach sprechen sich 52 Prozent der Eltern von Schulkindern und 78 Prozent der Eltern von Kindergartenkindern gegen die verschränkte Ganztagsschule aus. Damit eine Klasse verschränkt geführt wird, müssen aber auch die Eltern zu zwei Dritteln dafür sein.

„Der Wunsch der Eltern ist zu akzeptieren“, sagt Schmied. Sie fügt aber hinzu, dass „gesellschaftliche Überzeugungsarbeit“ geleistet werden müsse, um Eltern diese Schulform schmackhaft zu machen. Zudem sollen die Sprengelgrenzen abgeschafft werden, damit mehr Kinder eine Ganztagsschule besuchen können – auch wenn es eine solche nur im Nachbarort gibt.


aus Die Presse, Wien, 25.04.2014

... Fakt ist, dass die Länder bisher nie alle zur Verfügung stehenden Mittel für den Ausbau der Ganztagsschule abgeholt haben. Und klar ist auch, dass der Ausbau der Ganztagsschule für die SPÖ bislang eine Art bildungspolitisches Steckenpferd war. Das Credo der SPÖ war: zuerst das Angebot schaffen und so die Nachfrage beeinflussen. ...

 

Schule kann gar nicht lang genug dauern.


Pädagogen, Bildungsbehörden, Erziehungswissenschaftler, kurz: alle, die an Kindern ihren Lebensunterhalt verdienen, sind sich einig: Unsere Probleme löst die Ganztagsschule. Und sind die Eltern nicht willig, muss eben mehr behördliche Überzeugungsarbeit geleistet werden, bis alle Welt unisono stöhnt: Wir brauchen endlich die Ganztagsschule!

Dies schrieb ich am 4. August 2013:

"Es ist wie im Irrenhaus: Ob die Ganztagsschule zweckmäßig ist - und mäßig für welche Zwecke? -, wird schon gar nicht mehr diskutiert. Dass die Kinder dort "mehr lernen", wie nach PISA getönt wurde, behauptet heute kein Mensch mehr, und es widerspricht auch dem gesunden Menschenverstand, dass Kinder rund um die Uhr 'beschult' werden sollen, während jeder Büroleiter weiß, dass seine Mitarbeiter nach der sechsten Stunde nicht mehr viel bringen. Darum wird ja auch schon gar nicht mehr versprochen, die Zahl der Unterrichtsstunden zu erhöhen. 'Gebunden' soll nun die Ganztagsschule sein, die Kinder sollen auch ihre "Freizeit" dort verbringen - unter Aufsicht, unter pädagogischer Anleitung; "schöner spielen" in professioneller Qualität. Dass das den Kindern irgendwie persönlich zugute käme, wird auch schon nichtmehr behauptet. 'Soziales Lernen' auf deutschen Schulhöfen - ausgerechnet an dem Ort, wo jede Zeitung, jeder Sender Mobbing, Gewalt und die Diskriminierung der Minderheiten durch die Mehrheit blühen sieht? Absurder geht es nicht.

Ach so, ja - dem größten Schamteil der deutschen Bildungslandschaft, nämlich ihrer sozialen Ungerechtigkeit, soll endlich beigekommen werden. Ja wie denn das?! Die Schule, die einen halben Tag dauert, verstärkt erwiesenermaßen durch die Art ihrer Auslese die durch soziale Herkunft bedingten Ungleichheiten; aber wenn sie doppelt so lange dauert, schlägt der Effekt plötzlich in sein Gegenteil um? Das soll einer verstehen...

Und dann zum Schluss: In der Ganztagsschule lernen die Kinder von integrationsstörrischen Türken besser Deutsch! Das wird ja nicht wahr dadurch, dass man es ständig wiederholt. Man müsste es einmal untersuchen. Und siehe an: Offizielle Studien gibt es nicht, nicht eine. Und wenn ein Wissenschaftler - in diesem Fall eine Wissenschaftlerin - es auf eigne Faust untersucht, stellt sich heraus: Nichtmal dazu taugt die Ganztagsschule!

Man schüttelt den Kopf und reibt sich die Augen: Gegen allen gesunden pädagogischen Menschenverstand und sogar gegen alle erziehungswissenschaftlichen Befunde wiederholen Hinz und Kunz und Professor Müller wie Staatssekretär Meier "Ganztagsschule!" so bombensicher wie das Amen in der Kirche. Wie kommt denn das?

Das macht: So wünscht es die Industrie. Es sollen beide Eltern dem Arbeitsmarkt zu Verfügung stehen. Und die Lehrergewerkschaften finden das auch; und reden es den Eltern ein."


Noch nicht ganz erfolgreich. Aber das kommt noch.



 
7. 1. 14

Als ich mit dreizehn, vierzehn Jahren hörte, dass in einer Komödie von George Bernhard Shaw die Qualen der Hölle als Langeweile beschrieben werden, musste ich sehr lachen: "Der Mann ist mal zur Schule gegangen!"

Das kann man drehen und wenden wie man will: Ein Lehrer, der es mit zwanzig, dreißig Schülern zu tun hat, kann gar nicht anders, als sich am Durchschnitt orientieren. Und wenn er noch so sorgsam darauf achtet, sowohl den schwächeren als auch den besonders fähigen Schülern das ihnen zustehende Maß an Aufmerksamkeit zu widmen: Vor seinem geistigen Auge steht der Durchschnittsschüler im Vordergrund. Und solange jedesmal, wenn er das Wort Erziehung hört, die Schule im Hintergrund steht, ist das auch nicht zu ändern.

Es mag sein, dass die Schule ein notwendiges Übel ist. Aber das macht sie nicht weniger übel. Stundenlang stille sitzen und nichts tun - welche Sorte Kindesmissbrauch wäre perverser!

Ach, und da fällt mir ein, was ein neunjähriger Engländer mal antwortete auf die Frage, was ihm an der Schule denn missfalle: "Man verliert wo viel Zeit."
 

 

Ganztagsschule kann nix.

aus spiegel.de

Expertengutachten: Ganztagsschulen verfehlen Zielgruppe

Von Jan Friedmann


Der Ausbau der Ganztagsgrundschulen kommt voran, doch zu oft verfehlen die Einrichtungen ihre Ziele. Eine Expertengruppe kritisiert, dass die schulischen Leistungen nicht besser werden. Die Angebote erreichen bildungsferne Kinder nur schlecht. 

Ganztagsschulen sind seit einiger Zeit so etwas wie die Allzweckwaffe der deutschen Schulpolitik: Wenn die Kinder länger am Tag gemeinsam lernen, so die Hoffnung vieler Ministerialer, dann werden auch Jungen und Mädchen aus bildungsfernen Familien mitgezogen - die Chancen sollen gerechter verteilt werden. 

Vor zehn Jahren nahm die damalige Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) viel Geld in die Hand, damit die Schulen für den Nachmittagsbetrieb umrüsten konnten. Für insgesamt vier Milliarden Euro wurden überall im Land neue Mensen oder Bewegungsräume gebaut. Und auch in den derzeitigen Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD spielt der Ganztag eine wichtige Rolle: Er könnte ein Hebel sein, damit der Bund den Ländern doch Geld für Schulen zukommen lassen darf, was bislang durch das Kooperationsverbot verhindert wird. Die amtierende Bundesbildungsministerin Johanna Wanka setzt sich deshalb ebenso für Ganztagsschulen ein wie ihre Vorgängerinnen. Doch der Ausbau ist kein Selbstgänger, wie eine heute in München veröffentlichte Studie des "Aktionsrats Bildung" belegt. Unter dem Titel "Betreuung oder Rhythmisierung?" (hier als pdf) zieht das Gremium eine Zwischenbilanz der bisherigen Maßnahmen. Auf den über 100 Seiten finden sich viele Sätze, die die Freunde des Nachmittags in der Schule hellhörig machen müssen.

Zum Beispiel der, dass sich "bislang keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den Schülerleistungen in den Domänen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften an Halb- oder Ganztagsgrundschulen nachweisen" ließen. Will heißen: Obwohl die Kinder viele Stunden zusätzlich in der Schule verbringen, waren sie in Leistungsvergleichen genauso gut oder schlecht wie vorher.

Zielgruppe wird kaum erreicht
 
Ein andere zentrale Diagnose lautet, dass es nur teilweise gelinge, "diejenigen Schülerinnen und Schüler zu erreichen, die unter benachteiligenden und/oder belastenden Bedingungen aufwachsen" - genau diese Zielgruppe hatten die Schulplaner aber besonders im Visier.
 
Der Aktionsrat Bildung ist keine staatliche Institution, sondern bei der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft angesiedelt. Doch die Expertise hat Gewicht, gehören doch viele der namhaftesten deutschen Bildungswissenschaftler zu dem neunköpfigen Gremium. ..."

Glauben Sie nun aber nicht, die Experten würden 1 und 1 zusammenzählen und dem gesundern Menschenverstand die Ehre geben. Sie schlagen durchaus nicht die Rückkehr zum Freien Nachmittag vor, sondern ziehen ein weiteres Mal der erziehungswissenschaftlichen Weisheit allerletzten Schluss: mehr desselben! Die Ganztagsschule muss wasserdichter werden, ohne pädagogisch ungenutzte Luft- und womöglich Schlupflöcher; erfassen, durchgreifen und einwecken!


Der Spiegel schließt dagegen seinen Beitrag immerhin so:

"Mit dem neuen Gutachten lässt sich kaum ein Plan begründen, nun einfach schnell weitere Ganztagsschulen zu eröffnen - analog zum Kita-Ausbau, wo der im August eingeführte Rechtsanspruch für Einjährige zu einem Bauboom in den Kommunen und zu einem Run auf Erzieherinnen führte. 

Dem Aktionsrat Bildung geht es um die Qualität der Ganztagsschulen, die mehr sein sollen als bloße Verwahranstalten. Die Experten fordern einen "auf Forschungsergebnisse gestützten Handlungsplan im Sinne von länderübergreifenden pädagogischen Leitlinien" - umzusetzen durch die Kultusminister, innerhalb der kommenden fünf oder zehn Jahre."

Wenn Eltern wählen müssten zwischen Verwahranstalt und pausenloser Ganzkörpermassage, dann wäre die Verwahranstalt immer noch das kleinere Übel. Aber gottlob gibt es eine menschenfreundlichere Alternative:


Rettet den schulfreien Nachmittag!

 

 



Ein unerwarteter Einwand gegen die Ganztagsschule.

K.Schwarz  / pixelio.de

Das online-Magazin scinexx des wissenschaftlichen Springer-Verlags (Berlin-Heidelberg-New York) berichtet soeben über eine merkwürdige Studie der beiden amerikanischen Psychologen Maryam Kouchaki von der Harvard University und Isaac Smith von der University of Utah. Denen war aufge- fallen, dass bei vielen Testreihen, die sie an ihren Instituten durchgeführt hatten, die durchschnittlichen Ergebnisse danach unterschieden, ob sie am Vor- oder am Nachmittag durchgeführt worden waren: In den vormittäglichen Tests schienen sich die Probanden im Schnitt moralischer zu verhalten als am Nachmittag. Daraufhin führten sie Testreihen zu ebendieser Frage durch, und siehe da: Die Tests bestätigten ebendies! (Psychological Science, 2013; doi: 10.1177/0956797613498099)

"Sie kamen bei ihren Auswertungen außerdem noch zu einem weiteren interessanteren Ergebnis: Bei Menschen, die bei den Versuchen grundsätzlich mehr moralisches Verhalten an den Tag legten, war der Morgen-Nachmittag-Effekt stärker. Die Schlawiner sind eher immer ähnlich unehrlich, bei den grundsätzlich Aufrichtigen bröckelt hingegen die Moral am Nachmittag deutlich.


Vermutlich hat das Phänomen etwas mit schwindender Selbstkontrolle zu tun, erklären Kouchaki und Smith. Es ist bereits bekannt, dass die Selbstdisziplin im Laufe des Tages nachlässt. Offenbar spiegelt sich diese Tendenz also auch beim moralischen Verhalten wider. 'Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Tageszeit beeinflussen kann, ob eigentlich gute Menschen moralisch fragwürdig handeln', resümieren die Forscher. Ihnen zufolge könnte diese Information beispielsweise für Organisationen nützlich sein: Ist moralisches Verhalten etwa bei Veranstaltungen besonders gefragt, ist der Morgen die beste Zeit."

Es ist freilich nicht so, dass sich im Verlauf der Tages die moralischen Urteile der Menschen verschöben. Es ist nur eben so, dass sie nicht mehr so recht auf sich Acht geben.

Wie jeder Büroleiter bestätigen kann, bringen seine Mitarbeiter nach der sechsten Arbeitsstunde nicht mehr viel. Jetzt wissen wir: Es ist nicht nur die Dauer der Arbeit, die die Konzentration beeinträchtigt; es ist die Tageszeit selbst. 

Dass Erziehungswissenschaftler für den gesunden Menschverstand kein Ohr haben, wissen wir. 

Doch die Ergebnisse der empirischen Psychologie werden ihnen ja wohl zu denken geben: Schule am Nachmittag ist verlorene Zeit, für beide Seiten.

 

 


Ganztagsschule macht kurzsichtig.


Das war bekannt, dass Stubenhocken und Stillesitzen den Geist verdunkeln. Jetzt erfahren wir, dass es auch kurzsichtig macht:

aus Die Presse, Wien, 19. 3. 2015

Augenlicht braucht Licht: 
Kinder, hinaus! 
Die Kurzsichtigkeit greift um sich, vor allem in Ostasien grassiert sie. Das liegt nicht am vielen Lesen, sondern vermutlich daran, dass junge Menschen nicht mehr genug im Freien sind.

von Jürgen Langenbach

„Wenn die Kurzsichtigkeit sich festsetzt, sollte ein Ortswechsel verschrieben werden, am besten eine Seereise.“ Das empfahl 1904 Edward Juler, ein britischer Augenchirurg. Inzwischen setzt sich dieses Leiden epidemisch fest, es trifft etwa die Hälfte der Jungen in Europa und den USA, und in Ostasien grassiert es kaum glaublich: In China, wo vor 60 Jahren noch zehn bis 20Prozent kurzsichtig waren, sind es unter den Teenagern 90Prozent, und in Seoul in Korea sehen gerade noch 3,5Prozent der jungen Männer im Alter von 19 gut.
In diesem Alter ist alles entschieden. Kurzsichtigkeit (Myopie) kommt daher, dass der Augapfel zu sehr in die Länge wächst, das Licht ist dann nicht auf der Retina fokussiert, sondern vor ihr. Das entwickelt sich im Schulalter, dann wächst das Auge noch. Aber warum zu sehr? Die Gene spielen mit, man weiß es von Zwillingsstudien, aber die Gene sind nicht alles: 1969 bemerkte man an Inuit in Alaska, dass von 131 untersuchten Erwachsenen zwei kurzsichtig waren. Aber von ihren Kindern und Enkeln war es mehr als die Hälfte, so rasch mutieren Gene nicht, es musste an der Umwelt liegen.
Den üblichen Verdacht formulierte als Erster Johannes Kepler, er führte sein schwaches Augenlicht, mit dem er kaum Sterne beobachten konnte, darauf zurück, dass er sich für seine mathematischen Studien zu intensiv in Bücher vertieft hatte. Das hält sich bis heute, es hat sich auch bestätigt, etwa in Israel, wo strengreligiöse Kinder, die sich ausgiebig in heilige Texte vertiefen, häufiger unter Myopathie leiden. Inzwischen sind zu den Büchern die elektronischen Zauberkästen hinzugekommen, und vor allem in Ostasien ist der Druck auf Kinder enorm, sie lernen auch zu Hause stundenlang.

Lesen? Ja, aber nicht drinnen!

Aber 2007 weckte eine Studie erstmals einen anderen Verdacht: US-Augenärzte begleiteten eingangs acht- bis neunjährige Kinder mehrere Jahre lang, sie fragten zufällig am Rande auch, wo die Kinder ihre freie Zeit verbringen. Die Antwort darauf wies auf einen einzigen Faktor, der darüber entschied, ob Kurzsichtigkeit kam oder nicht: Bei Kindern, die viel im Freien waren, war das Risiko viel geringer. Das bestätigte sich in Australien: Es geht nicht um das Lesen, es geht um das Licht, auch bei Kindern, die ihre Bücher im Freien schmökerten, war das Risiko geringer. Später zeigten Tierversuche – an Hühnern – das Gleiche.

Wie das? Wieder halfen die Hühner im Experiment: Vermutlich läuft es über den Neurotransmitter Dopamin, der wird im Auge produziert, er blockiert die Verlängerung des Augapfels. Aber er wird nur im hellen Licht produziert: Myopieforscher Ian Morgan (University of Canberra) schätzt, dass Kinder mindestens drei Stunden am Tag 10.000 Lux brauchen, die herrschen an einem Sonnentag unter einem schattigen Baum; im Hausinneren, auch in Schulzimmern, sind es kaum mehr als 500 (Nature 519, S.276). 

So weitsichtig war Juler vor über 110 Jahren, und in Taiwan hilft es heute, dass an manchen Schulen die Kinder 80 Minuten ins Freie geschickt werden. Aber nicht überall können sie so hinaus. Deshalb experimentieren manche Städte in China schon mit Klassenzimmern, die rundum verglast sind. 


Nota. -  Wer schon jubiliert hat, mit dieser Meldung sei der Freiheit ein Lanze gebrochen, der hat nicht mit der chinesischen Volksrepublik gerechnet; dort werden sie die Kinder in gläserne Treibhäuser stecken, und wetten, dass hiesige fortschrittsorientierte Bildungsreformer auch dafür noch ein erziehungswissenschaftli- ches Argument finden werden?
JE

 

Die ideale Schule gibt es nicht, weil die Schule selbst kein Ideal ist.

Holger, pixelio.de

Der Streit um die Gliederung des Schulsystems und um den richtigen Zeitpunkt für eine allfällige Scheidung in Leistungszweige ist dogmatisch und wird es immer bleiben; das heißt, er kann nur als Glaubenskrieg geführt werden und nie als wissenschaftliche Diskussion. 

Warum? Weil sein Ausgangspunkt nicht kritisch ist, sondern dogmatisch. Er geht von der historischen  Gegebenheit der Schule aus - und behandelt sie wie eine Naturtatsache. “Schule muss sein.” Alle zu erwägenden Gesichtspunkte werden von da an ausschließlich innerhalb dieses gedanklichen Rahmens geschöpft; und stehen einander im Weg und können sich von einander nicht lösen. 

Der “positive” Zugang wäre bei diesem Thema aber ein kritischer: Die Schule ist nur ein Notbehelf.
 
Am besten lernen Kinder, wenn sie allein oder in einer kleinen Gruppe von drei, vier Geschwistern oder Freunden in allen oder fast allen Fächern von stets derselben Person unterrichtet werden. Das ist der Wissen- schaftlichen Pädagogik bekannt, seit es sie gibt, nämlich seit Johann Friedrich Herbart. Alle empirischen Untersuchungen werden das bestätigen, aber das ist gar nicht notwendig; denn das goetheschule_ilmenauProblem liegt nicht bei der theoretischen Glaubwürdigkeit, sondern bei der praktischen Machbarkeit: “Es geht nicht.” 

Die modernen hoch arbeitsteiligen Gesellschaften beruhen auf der weitest möglichen Anwendung von Wissenschaft. Um sich in ihnen zurecht zu finden, reicht nicht mehr bloß erfahrungsmäßiges Learning by doing, sondern ist eine lange Einführungsphase von fachlich differenzierter Unterweisung nötig. Nicht etwa, dass nun jeder wissenschaftlich denken können müsste; aber jeder muss den täglichen Umgang mit den Erzeugnissen der Wissenschaft beherrschen. Das liegt im öffentlichen Interesse und muss öffentlich gewährleistet werden; d. h. finanziert. Und die Öffentlichkeit kann ein  Hauslehrer-System schlechterdings nicht bezahlen. 

Nur darum “müssen” Schulen sein.

Denn in allen erdenklichen pädagogischen Hinsichten sind die dem Hauslehrer-Prinzip klaftertief unterlegen.* 

Daraus folgt: Maßstab für die pädagogischen Erwägungen über die Schulen dürfen nicht diese selbst sein, denn sie sind ja nur ein unvermeidliches Übel; sondern muss als Orientierungspunkt das sein, was durch Hauslehrer erbracht werden könnte. Wenn sich dann findet, dass man es so nicht machen kann, weil es zu teuer würde, dann muss man es auch so sagen. Und nicht die beste Lösung suchen, die unter schulischer Prämisse möglich ist, sondern die zweitbeste Lösung unter Hauslehrer-Prämissen: Die wäre pädagogisch immer noch sinnvoller – und vielleicht eben noch bezahlbar. 

Es geht also nicht um diese oder jene institutionelle Maßnahme, es geht um die gesamte Perspektive.

Und von diesem Standpunkt aus ist es eben nicht wahr, dass ‘Kinder am besten lernen, wenn sie möglichst lange gemeinsam unterrichtet werden’. Wahr ist: Am besten hätte jedes Kind seine Schule ganz für sich allein – vielleicht mit den Geschwistern dabei oder den besten Freunden. Von diesem Standpunkt aus ist es wahr, dass die Schulen gar nicht differenziert genug sein können – und gar nicht früh genug mit dem Differenzieren beginnen! 

aiguillageBleibt freilich die Frage: Wer differenziert? Auf Grund welcher Kriterien?
 
Das ist aber ausschließlich ein Problem der Lehrer. Sie sind es, die keine verlässlichen Kriterien haben (und es wissen), sie sind es, die ihrer Urteilskraft nicht vertrauen. Das liegt nicht an den Kindern und sagt gar nichts über den Sinn früher Differenzierung. 

Und dass die Differenzierung für alle auf einmal zum selben Zeitpunkt geschehen muss, ist ein rein administratives Problem der Schulen als Verwaltungsapparat, und hat mit Kindern und Pädagogik wiederum nichts zu tun. 

Kurz und gut, das Problem ist nicht, dass diffenziert wird, sondern dass nicht genügend differenziert wird; und dass für alle derselbe Zeitpunkt festgesetzt ist. 

Und dass nicht genügend differenziert wird, bedeutet zugleich: dass Differenzierungen praktisch immer nur in die eine Richtung möglich sind. Eine echte Differenzierung wäre jederzeit umkehrbar. 

Der Klamauk um unser dreigliedriges Schulsystem ist eine Mummenschanz. Dahinter verstecken die kriegführenden Parteien ihre besondern Interessen, deren Originalanblick sie dem Publikum nicht zumuten wollen.


 




www.scherning.de


*) Und man komme mir nicht mit dem “sozialen Lernen”! Das erledigen Kinder auf die bestmögliche Weise in den selbstgefundenen Formen der Kindergesellschaft - so weit weg von der Schule wie möglich. Die Zwangs- promiskuität der Pausenhöfe und Klassenräume fördert die spontan dissozialen Neigungen der Kinder: Die haben sie nämlich ebenso wie die Erwachsenen. Beweis: Die Rütli-Schule in Neukölln und das jüngste Manifest der Schulleiter aus Berlin-Mitte.

23. 1. 2009





Die Verinselung der Seligen.

 
in: Der Tagesspiegel, 3. 11. 09 

Erwachsene wollen sich selbst verwirklichen
– ihr Nachwuchs stört da nur. 

Von Georg Lutz 

Freitag, 12.30 Uhr. Das Ende einer Klassenfahrt. Nicht alle Schüler können nach Hause. Einige müssen bis 18 Uhr in den Hort, denn die Eltern sind beschäftigt. Das Kind muss warten.Vor fünf Jahren wurden die Berliner Grundschulen VHGs, sogenannte verlässliche Halbtagsgrundschulen. Das heißt: Alle Kinder werden bis 14 Uhr betreut. Unsere Schule hat die Hortzeiten ein Jahr später, auf Wunsch der Eltern, bis 16 Uhr verlängert. Damit reagiere man auf die veränderten wirtschaftlichen Bedingungen der Gesellschaft und auf die individuellen Bedürfnissen der Eltern, hieß es zur Begründung.


Heute kann ein Kind von morgens 7.30 Uhr bis abends 18 Uhr in der Schule bleiben. Es gibt Kinder, die fast elf Stunden betreut werden. Sie sind ständig umgeben von anderen, um sich mit Streit, Freud und reichlich Action die Zeit bis zum Abholen zu vertreiben. Diese Kinder haben einen Elf-Stunden-Tag, sind abends kaputt und gehen, sollten sie keine Hausaufgaben mehr haben, zeitig schlafen. Die Eltern haben Zeit, sich ihrer Arbeit und ihren Interessen zu widmen.



Der Trend geht zur Ganztagsschule. Politisch ist das quer durch alle Parteien gewollt. Denn die Ganztagsschule hat zwei Vorteile: Sie schafft die Voraussetzungen, damit Eltern flexibel genug sind, die Anforderungen einer durchökonomisierten Gesellschaft zu erfüllen. Andererseits will die Politik mit Sekundar- und Gemeinschafts- schulen und ihrem Ganztagsbetrieb den gesellschaftlichen Versäumnissen und Defiziten der letzten Jahrzehnte begegnen, Stichwort Pisa. Kostenneutral, versteht sich. Geld wird ja nur für systemrelevante Einrichtungen ausgegeben.



Was für die äußere Form gilt, gilt auch für den Inhalt. War Bildung lange Zeit ein hohes Gut, und als solches erstrebenswert, ist schulische und universitäre Bildung heute nur noch Mittel zum Zweck. Abitur nach zwölf Jahren, Schnellläuferklassen, Bologna-Prozess – Inhalte und Abschlüsse werden mit dem Ziel vereinheit- licht, die Menschen so früh wie möglich dem Wirtschaftsleben zur Verfügung zu stellen. Wettbewerb ist der einzige Bildungsansporn. Große Ideen sollen entstehen, weil unter Studenten, Professoren und Universitäten Wettbewerb herrscht. Wettbewerb ab Klasse eins hat weder eine gesunde Entwicklung des Kindes noch solide Bildung zum Ziel, sondern soll Kinder möglichst schnell und optimal auf die Bedingungen im liberalen, globalisierten Wirtschaftssystem vorbereiten. Unter solchen Umständen haben Kinder keine Möglichkeit, sich ohne äußeren und inneren Leistungsdruck zu entwickeln.
 
Gleichzeitig ziehen sich die Erwach- senen immer mehr aus der Welt der Kinder zurück. Bemerkenswerter- weise ist trotz all dem das traditionelle Familienbild vordergründig noch immer existent. Unterbewusst haben wir uns aber längst davon verabschiedet. Zwar ist Kinder zu haben, nicht zuletzt dank Frau von der Leyen, in Mittelstands- familien wieder en vogue. Um Kinder kümmern sollen sich allerdings viele andere.

Die Praxis zeigt, dass Kinder, die zu wenig Aufmerksamkeit und Zuneigung bekommen, dazu neigen, sich durch Regelverletzungen, Aggression und anderes Fehlverhalten die Menge an Aufmerksamkeit und Zuwendung zu holen, die sie in positiver Form vorher gebraucht hätten. Ungeliebte Kinder sind schwierige Kinder.

Wir sollten uns nicht darüber wundern, dass die jugendlichen Amokläufer aus gutbürgerlichem und eben nicht bildungsfernem Milieu stammen. Wenn eine Gesellschaft Kindheit und Verantwortung outsourct, muss sie sich nicht wundern, dass der Widerstand der Kinder und Jugendlichen zunimmt. Und je älter Kinder werden, umso geplanter, gewalttätiger und folgenreicher werden die Taten.

Eine Kehrseite des Outsourcing ist das Besinnen auf die eigentlichen Kernkompetenzen. Was waren noch die Kernkompetenzen von Eltern? 


Der Autor ist Grundschullehrer an der Königin-Luise-Stiftung in Berlin.


Nota.

Eins hat der Autor zu erwähnen vergessen: die führende Rolle seines Berufsstands bei der – inzwischen wieder – galoppierenden Verinselung der Kindheit! Es sind die berufsmäßigen Pädagogen, die den Eltern ein ruhiges Gewissen schaffen, wenn sie ihre Kinder (von anderen) “betreuen” lassen – weil die es besser zu können behaupten. Denn dass es nicht recht ist, wissen die meisten; und ungern tun es fast alle.  
J. E.





Die Ganztagsschule ist ein totalitäres Element.

15. 6. 2015

...Sagt es nur frei heraus: Im Westen Deutschlands galt die Ganztagsschule als ein totalitäres Element - weil sie ein totalitäres Element ist. Dass sie in den meistens andern Ländern des Westens ebenfalls vorherrscht, beweist nicht das Gegenteil, sondern - im Gegenteil -, dass Leviathan in der ganzen Welt weiß, wo er fette Beute findet. 


Das ist eine ausgesuchte Perfidie: unsern freien Nachmittag verunglimpfen als Relikt der Kalten Krieges. Wissen Sie, dass das Deutsche Institut für internationale pädagogische Forschung in Ostberlin angesiedelt ist? Ich meine: nicht nur geographisch, sondern auch mental? "Es war nicht alles schlecht" - als ich das im Januar 1990 zum erstenmal gehört habe, kam es aus dem Mund einer ostberliner Lehrerin. 'Ein bisschen wollen wir uns unsere DDR-Identität doch erhalten!' - Oh, das ist euch gelungen: Wenn sie vom freien Nachmittag redet, fallen ihr selbstständlich bloß die Lehrer ein. (Dabei waren deren Nachmittage nie frei:Die meisten arbeiten wirklich nachmittags, und zwar selbstständig, das wäre Frau Honecker nicht recht gewesen).

Der Nachmittag ist frei für die Kinder, und soll es bleiben, denn was die Freiheit wert ist, lernt man nicht unter Aufsicht. Das ist es, was die DDR-Pädagogen uns als Erfahrung mitbringen konnten - und auch mitgebracht haben; den ganzen Monat November 1989 lang. Im Januar fiel ihnen, wie gesagt, ein, dass doch nicht alles schlecht war. 

O, es war alles schlecht, und am schlechtesten Eure Ganztagsschule. Was hatte man zuvor acht Wochen lang auf jedem Meeting gehört? "Das Schlimmste an der DDR war, dass sie die Kinder zur Lüge erzogen hat." Und das wirkt nach, bis heute.

Kommentar zu einer Pressemeldung des Deutschen Intituts für Pädagogische Forschung






29. April 2016

"Ganztag ist nicht das Beste für die Schüler."

Ganztagsschule
Nachdem ich gestern erst über die Leisetreterei der Süddeutschen in Sachen Ganztagsschule gespottet habe, schiebt sie heute ganz verschämt das halbherzige Plädoyer eines Experten gegen die Ganztagsschule:

aus Süddeutsche.de, 29. 4. 2016

"Ganztag ist nicht das Beste für die Schüler"
Seit Jahren wird die Ganztagsschule propagiert. Schulpädagogik-Professor Klaus Zierer erklärt, warum er den Hype nicht verstehen kann - und was ein Heizkörperlehrer ist.

Interview von Matthias Kohlmaier

Die Bertelsmann-Stiftung stellt in einer aktuellen Studie zu Ganztagsschulen in Deutschland fest, dass die Bildungsstätten finanziell und personell sehr unterschiedlich ausgestattet sind. Klaus Zierer, Leiter des Lehrstuhls für Schulpädagogik an der Universität Augsburg, wundert sich nicht über die Ergebnisse.

SZ.de: Herr Zierer, die Studie der Bertelsmann-Stiftung sieht Deutschlands Ganztagsschulen nicht auf dem besten Weg. Was sagen Sie dazu?

Klaus Zierer: Das Ergebnis überrascht nicht, schon eher der immer wiederkehrende Glaube, dass allein mehr Zeit und mehr Personal zu einer besseren Bildung führen würden. Aber zum Glück funktionieren Schule und Unterricht nicht so einfach! Nur an einem Rädchen zu drehen, wird die Probleme nicht lösen. Die mangelnden Ressourcen sind nicht die einzige und mit Sicherheit nicht die entscheidende Herausforderung.

In der Politik wird der Ausbau der Ganztagsschulen seit Jahren propagiert. Wo müsste man ansetzen, um den Ganztag besser zu machen?

Zuerst müsste man fragen: Wollen und brauchen wir den Ganztagsausbau in der aktuellen Form überhaupt? Als Erziehungswissenschaftler schaue ich darauf, was das Beste für die Lernenden ist. Da muss man klar sagen: Es ist nicht der Ganztag! Wir sollten in erster Linie Familien stärken, damit sie den großen Einfluss, den sie nachweislich auf ihre Kinder haben, bestmöglich nutzen. Wenn Eltern - zum Beispiel Alleinerziehende oder auch einkommensschwachen Familien - das nicht möglich ist, kann der Ganztag ein wichtiges Angebot in der Bildung sein. Aber eben nur eines unter vielen Angeboten in einer vielfältigen Schullandschaft und sicher nicht der ideale Weg für alle Kinder.

"Die Ganztagsschule hat das Potenzial, Nachteile, die Kinder im Elternhaus haben, abzufedern und so die Chancengleichheit zu verbessern", sagt Klaus Klemm, der an der Bertelsmann-Studie mitgearbeitet hat. Sehen Sie das auch so?

Nein, weil es aus meiner Sicht wissenschaftlich nicht haltbar ist. Die StEG-Studie des Bundesbildungsministeriums zeigt beispielsweise, dass der Ganztag das nicht leisten kann: Kinder aus einem bildungsnahen Milieu können die Angebote des Ganztags besser nutzen als Kinder aus bildungsfernen Milieus. Die Unterschiede, die nun mal da sind, kann man nicht durch Herumschrauben an den Strukturen beseitigen. Das kann nur gelingen, wenn man die Personen in diesen Strukturen stärkt, die Kinder, ihre Eltern und die Lehrer. Individuelle Förderung und Qualifizierung sind entscheidend für den Bildungserfolg und Bildungsgerechtigkeit.

Man müsste also auch in der Lehrerbildung ansetzen, damit der Ganztag gelingt?

Unbedingt. Der Ort der Bildung ist nicht die Struktur oder der Ganztag. Der Ort der Bildung ist die Interaktion zwischen Menschen - die muss man stärken. Schon im Lehramtsstudium müssen angehende Lehrer mit dem Ganztag und seinen Problemen und Chancen konfrontiert werden. Denn erfolgreicher Ganztag heißt nicht nur, mehr Zeit in der Schule zu verbringen. Er führt automatisch auch zu einer engeren Beziehung zwischen Schüler und Lehrer und erfordert ein anderes Unterrichten und Zusammenleben in der Schule. ...

*

Nota. - Dass "der Ganztag gelingt" wird vom Interviewer zwar noch als selbstverständliches Ziel vorgegeben; aber in deutlich gedämpften Ton, denn der interviewte Experte hatte es gerade eben erst in Frage gestellt. Die SZ geht in Wartestellung. Machen sich die Enten bereit, das lecke Schiff zu verlassen? 

Better late than never.
JE



Donnerstag, 28. April 2016

Die Ganztagsschule ist ein Rohrkrepierer.



17. April 2016:

Ganztagshumbug zum Zweiten.

aus Tagesspiegel.de, 17. 4. 2016

Ganztags ist noch viel Luft nach oben
Neue Studie: Ganztagsschulen können die Motivation und das Selbstbild von Schülern verbessern. Aber auf die fachlichen Leistungen zeigen sich keine Effekte.

von Anja Kühne

Wie kommt es, dass Schülerinnen und Schüler, die in der Ganztagsschule an zusätzlichen Angeboten zum Lesen oder in den Naturwissenschaften teilgenommen haben, in anderthalb Jahre keine größeren Lernfortschritte machen als ihre Mitschüler, die nicht an solchen Angeboten teilnehmen – selbst wenn die Qualität dieser Angebote als hoch eingeschätzt wurde? Darüber rätseln die Forscherinnen und Forscher, die dieses Ergebnis mit ihrer „Studie zur Entwicklung der Ganztagsschule (StEG) zutage gefördert werden, selbst. Vier pädagogische Institute sind beteiligt, darunter das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) und das Deutsche Jugendinstitut (DJI).

Beim getesteten Leseverständnis könne sich niederschlagen, dass zusätzliche Leseangebote „signifikant“ stärker von Schülern wahrgenommen werden, die ohnehin starke Leser sind, so dass nur begrenzte Zuwächse zu erwarten sind. Vor allem gehen die Forscher aber davon aus, dass die mangelnden Leistungsfortschritte eben doch auf „Schwächen im didaktischen Konzept“ der Lehrkräfte zurückzuführen sind und/oder darauf, dass die Lehrkräfte ihre Angebote nicht gut genug mit dem Vormittagsunterricht verbinden. Und weil sich an den Angeboten am Nachmittag oft nur wenige Schüler beteiligten, könnten die Schulen wohl auch nur schwer „differenzierte Einzelangebote zur individuellen Förderung“ machen. Die von den Befragten als hochwertig eingestuften Nachmittagsangebote wären dann qualitativ doch noch deutlich zu verbessern.

"Schulen und Politik müssen verbindliche Standards aufstellen"

Die vom Bundesbildungsministerium geförderte StEG-Studie verfolgt die Entwicklung der Ganztagsschule in Deutschland seit dem Jahr 2005. Für die neuen Befunde wurden Schüler von 67 Grundschulen in zehn Bundesländern sowie Schüler von 66 Oberschulen getestet. Zusätzlich wurden die Schüler in Fragebögen und Interviews zu ihrer Wahrnehmung des Ganztagsangebots ihrer Schule befragt, ebenso ihre Lehrkräfte und Eltern. Auch besuchten die Forscher Nachmittagsangebote. 

„Schulen und Politik müssen eindeutige Qualitätsstandards aufstellen und verbindlich machen“, sagte Heinz Günter Holtappels vom Institut für Schülerentwicklungsforschung (IfS) bei der Präsentation der Ergebnisse am Donnerstag in Berlin. Bislang existierten für Ganztagsangebote weder Rahmencurricula noch Gestaltungsvorgaben. Jede Schule konzipiere Inhalte, Methoden und Gestaltungsmerkmale individuell. So gebe die Hälfte der Grundschulen es nicht einmal als ihr Ziel an, am Nachmittag zusätzliche fachliche Kompetenzen vermitteln zu wollen, sagte Holtappels. „Eine schlecht gemachte Ganztagsschule spricht aber nicht gegen das Konzept der Ganztagsschule.“

Noten spiegeln nicht nur die reine Leistung wieder, sagen die Forscher

Ein schon früher publizierter Befund der „StEG“-Studie, wonach Schüler im Schnitt nach mehreren Jahren an der Ganztagsschule etwas bessere Noten bekommen, ist mit dem aktuellen Befund nicht hinfällig, erklärten die Wissenschaftler. Noten würden eben nicht allein den bloßen fachlichen Leistungszuwachs abbilden, sondern „auch die Motivation der das Engagement der Schülerinnen und Schüler spiegeln“.

Die Qualität des Angebots entscheidet – und nicht die bloße Teilnahme der Schüler am Nachmittagsprogramm, das betonten die Forscher immer wieder. Selbst wenn fachliche Zuwächse am Nachmittag in den untersuchten Schulen noch nicht zu erkennen sind, können die Forscher aber mancherlei pädagogische Gewinne erkennen. „Die Kinder und Jugendlichen schätzen die Ganztagsangebote. Das trägt zu ihrem Schulerfolg bei“, sagte Christine Steiner vom Deutschen Jugendinstitut (DJI). So würden gerade Schüler mit Migrationshintergrund von einer kontinuierlichen Teilnahme an Angeboten, die auf das Sozialverhalten ausgerichtet sind, oder von Teamsportarten profitieren: Sie zeigten eine Entwicklung ihres „prosozialen Verhaltens“ – wenn die Qualität der von ihnen besuchten Angebote hoch war. Besonders Schüler mit Migrationshintergrund würden auch von hochwertigen Leseangeboten angeboten profitieren.

"Stabilisierung der schulischen Leistungen"

Schüler im Realschulbildungsgang und wiederum besonders solche mit Migrationshintergrund, die in er Oberschule an fachlichen Zusatzkursen teilnahmen, würden sich häufiger dafür entscheiden, das Abitur zu machen als Schüler, die nicht an Zusatzangeboten teilgenommen hatten. In den Hauptschulbildungsgängen führten die Angebote dagegen nicht höheren Bildungsaspirationen, sondern zur „Stabilisierung der schulischen Leistungen zum Erreichen des Schulabschlusses“.

Qualitätsmängel sehen die Forscher nicht nur in der didaktischen Umsetzung, sondern bereits in der Quantität der Nachmittagsangebote. Zwar sei der Ausbau der Ganztagsschulen in den vergangenen zehn Jahren weit vorangeschritten, stellen sie fest. Gemäß der amtlichen Statistik sei schon jede zweite Schule in Deutschland eine Ganztagsschule, und an diesen Schulen nehme im Schnitt die Hälfte der Schüler am Ganztagsbetrieb teil. Aber die Vorstellungen davon, was eine Ganztagsschule ausmacht, hätten sich in den Bundesländern weit auseinander entwickelt.

"Die Möglichkeiten werden nicht ausgeschöpft"

Dabei scheint das Label „Ganztagsschule“ auf viele Angebote kaum zu passen. So sind zehn Prozent der Ganztagsschulen an weniger als an drei Tagen nachmittags geöffnet. Nur jede zweite Schule hat die Nachmittagsphase konzeptionell mit dem Unterricht verbunden. Die Möglichkeiten von Ganztagsschulen würden nicht ausgeschöpft, erklären die Forscher: „Es wäre tendenziell denkbar, dass Ganztagsschulen irgendwann auf ihre zusätzlichen Betreuungszeiten und die Lösung schulformspezifischer Probleme reduziert werden, so dass pädagogisch motivierte Ziel aus dem Blick geraten." Für Eltern würde es dann immer schwieriger zu erkennen, ob die Schule ihre Anforderungen erfüllt. Die Kultusminister sollten ihre einstigen Ziele überdenken und die Ganztagsschule präziser von „Halbtagsschulen mit erweiterter Betreuungsfunktion“ abgrenzen.  


Nota. - Der heutige Beitrag von Frau Kühne wiederholt z. T. den von gestern, aber ich bringe ihn ganz, weil er so schön ist. (Meinen gestrigen Kommentar dürfen Sie ruhig auch noch einmal lesen.) Diese Untersuchung muss ja ein haarsträubendes Desaster gewesen sein! Die Experten finden selber kein einziges lobendes Wort über die Realität des Ganztagsschwachsinns; dabei fehlt es kein Bisschen am Willen zu Lüge und Schönfärberei: "Eine schlecht gemachte Ganztagsschule spricht aber nicht gegen das Konzept der Ganztagsschule." Doch wenn so viele Ganztagsschule "schlecht gemacht" werden, spricht das allerdings für die Annahme, dass die Idee selber schon schlecht war und man nichts Gutes daraus "machen" kann!

Die Hälfte der deutschen Schulen sind Ganztagsschulen. Schlimm. Aber nur die Hälfte der Schüler nimmt am "Nachmittagsangebot" teil. Macht immerhin noch ein Viertel. Wenn man die fragt, warum sie sich diesen Stress aufladen, werden sie den Forschern wohl antworten müssen, das täten sie gern; denn was Materiales können sie nicht anführen. Sollen sie villeicht sagen: "Damit Mama vollzeit arbeiten kann"?

Bleiben wir bei den Hälften: "Nur jede zweite Schule hat die Nachmittagsphase konzeptionell mit dem Unterricht verbunden." Folge: "Fachliche Zuwächse" seien an den Nachmittagen "noch nicht zu erkennen". Denn die Hälfte der Grundschulen gebe "es nicht einmal als ihr Ziel an, am Nachmittag zusätzliche fachliche Kompetenzen vermitteln zu wollen". Lassen Sie mich raten: Ist es vielleicht beidemal dieselbe Hälfte? Könnte es daran liegen, dass ihnen aus Erfahtung, gesundem Menschenverstand und Verständnis für die Kinder klargeworden ist, dass Kinderköpfe keine Gummischläuche sind, die man nach Belieben vollstopfen kann? Dass das Vollstopfen nicht einmal ein wünschenswertes pädagogisches Ziel wäre? Dass das vormittags Gelernte im Kopf tiefere Wurzeln fasst, wenn Körper und Seele sich am Nachmittag austoben können?

*

Ach doch, Kinder "mit Migrationshintergrund" profitieren von der Ganztagsschule (da ist es ja, das Viertel!). Nicht fachlich-didaktisch, sondern sozialisatorisch. Mit andern Worten: Die Assinilation an die deutsche Kultur kommt voran. Oder auf gut Deutsch: Wenn man diese Kinder nachmittags von ihrem Migrationshintergrund fernhält und Deutsch reden lässt, fördert das die Integration! Und da man schlecht ein Gesetz machen kann, das Türkenkinder nachmittags zur Schule verdonnert, tut man so, als sei die Ganztagsschule ein "Angebot an alle"! Sie glauben nicht, dass die Bande so zynisch und verlogen ist? Tun Sie's, das erspart Ihnen spätere Ernüchterung.

Und zum Schluss: Realschüler, die am "Nachmittagsangebot" teilnehmen, entschließen sich hinterher eher dafür, doch noch das Abitur anzustreben. Oder vielleicht so: Wer die Empfehlung fürs Gymnasium verpasst hat und auf der Realschule gelandet ist, aber immernoch mit dem Abitur liebäugelt, nimmt am Nachmittagsunterricht wie an einem kostenlosen Förderkurs teil? Wahrlich, das Ergebnis ihrer Untersuchung muss fürchterlich gewesen sein, wenn sie nach so einem dünnen Hälmchen greifen.

*

Und die Konsequennz? Haben die Kollegen besagter Experten gestern bei passender Gelegenheit noch von "Schule in erweiterter Verantwortung" geschwärmt, sind jetzt wieder eindeutige Qualitätsstandards, Rahmencurricula und Gestaltungsvorgaben gefragt - von oben verordnet. Wer es noch nicht glauben wollte, hat es hier schwarz auf weiß: Die Ganztagsideologie ist reaktionär bis ins Mark.
JE


Donnerstag, 14. April 2016:

Ganztagshumbug.

aus Tagesspiegel.de, 14. 4. 2016

Ganztags lernen
Vielen Ganztagsschulen mangelt es an Qualität
Umfrage unter 1500 Schulleitern von Ganztagsschulen: Beim zeitlichen Umfang und bei der pädagogischen Qualität ist noch Luft nach oben.

von Anja Kühne

Deutsche Ganztagsschulen bleiben oft deutlich hinter ihren Möglichkeiten [?!] zurück. Viele Ganztagsschulen unterlaufen die im Jahr 2003 von den Kultusministern aufgestellten Kriterien: beim zeitlichen Umfang und bei der Qualität. Das geht aus einer Online-Umfrage unter 1500 Schulleitungen von Ganztagsschulen hervor. Die Umfrage ist Teil der großen „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG)“, deren übrige Ergebnisse am heutigen Donnerstag in Berlin vorgestellt werden. Zu den beteiligten Instituten gehört das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) und das Deutsche Jugendinstitut (DJI). 

  
Zwar sei der Ausbau der Ganztagsschulen in den vergangenen zehn Jahren weit vorangeschritten, stellen die Bildungsforscherinnen und –forscher fest. Gemäß der amtlichen Statistik sei schon jede zweite Schule in Deutschland eine Ganztagsschule, und an diesen Schulen nehme im Schnitt die Hälfte der Schüler am Ganztagsbetrieb teil Aber die Vorstellungen davon, was eine Ganztagsschule ausmacht, hätten sich in den vergangenen Jahren in den einzelnen Bundesländern weit auseinander entwickelt. Die Bildungsforscher sprechen von „einer kaum überschaubaren Vielfalt.“

Zehn Prozent sind weniger als an drei Tagen geöffnet

Dabei scheint das Label „Ganztagsschule“ auf viele Angebote kaum zu passen. So sind zehn Prozent der Ganztagsschulen an weniger als an drei Tagen nachmittags geöffnet. Nur jede zweite Schule hat die Nachmittagsphase konzeptionell mit dem Unterricht verbunden.

Die Möglichkeiten von Ganztagsschulen würden nicht ausgeschöpft, monieren die Wissenschaftler, nämlich die, den Unterricht und darüber hinausweisende Angebote über den ganzen Tag hinweg aufeinander abzustimmen (Rhythmisierung), das Setzen thematischer Schwerpunkte oder kompetenzorientierte Lernangebote. Die Ziele der Ganztagsschule könnten nicht einfach durch bloße Teilnahme der Schüler am Ganztagsschulbetrieb erreicht werden, sondern setzten „eine ausreichende pädagogische Qualität“ voraus.

Vor allem Grundschulen seien überwiegend als offene Ganztagsschulen organisiert – das heißt, den Schülern bleibt überlassen, ob sie das Angebot wahrnehmen. Trotzdem haben gerade die Grundschulen mit 8,5 Stunden täglich die längsten Öffnungszeiten. An Gymnasien würden meist fachbezogene Lerngelegenheiten angeboten, an anderen Oberschulen, die ihre Schüler oft zur Teilnahme am Nachmittag verpflichten, dominierten hingegen „sozial-erzieherische und alltagspraktische Angebote“.

Geraten die pädagogischen Ziele aus dem Blick?

Mit Blick auf die Umfrageergebnisse fürchten die Forscher um größere pädagogische Ziele, die eigentlich mit der Ganztagsschule verbunden sein sollten: „Es wäre tendenziell denkbar, dass Ganztagsschulen irgendwann auf ihre zusätzlichen Betreuungszeiten und die Lösung schulformspezifischer Probleme reduziert werden, so dass pädagogisch motivierte Ziel aus dem Blick geraten.“ Für Eltern würde es dann immer schwieriger zu erkennen, ob die Schule ihre Anforderungen erfüllt.

Hier müsse die Bildungspolitik handeln. Die Forscher rufen die Kriterien der Kultusminister von 2003 für Ganztagsschulen in Erinnerung: Ganztagsschulen sollten danach an mindestens drei Tagen in der Woche Angebote im Umfang von mindestens sieben Zeitstunden machen und sie konzeptionell mit dem Unterricht verbinden. Die Forscher schlagen vor, die Kultusminister sollten ihre einstigen Ziele überdenken und die Ganztagsschule präziser von „Halbtagsschulen mit erweiterter Betreuungsfunktion“ abgrenzen.


Nota. - Die Katze ist aus dem Sack; aber das hätte ich euch vorher sagen können: Der Ganztagseifer verdankt sich allen möglichen Motiven - doch am allerletzten einem pädagogischen, das ist bloß Marketinglyrik.

Dass man mehr lernt, wenn man auch nachmittags noch lernt, statt das vormittags Gelernte sich setzen zu lassen, ist nicht nur nicht erwiesen, sondern offenkundig falsch, und darum wird ja seit Jahren die Ganztagsschule nicht mehr didaktisch begründet, sondern "pädagogisch", nämlich in Wahrheit sozialpädagogisch: "Soziales Lernen" solle dem Nachwuchs der Ein-Kind-Patchwork-Familien auf den dafür bekanntlich am besten geeigneten Pausenhöfen erleichtert werden, und wenn's einer nicht glaubt, dann heißt es, na ja, aber der Gleichstellung der Frauen ist es förderlich, wenn sie auch nachmittags arbeiten gehen können... 

Hat in der Ganztagshype klammheimlich schon immer Regretting Motherhood gesteckt? Es war umgekehrt. Seit die staatliche Rundumverwaltung der Kindheit als erlaubter Gedanke öffentlich sanktioniert wurde, darf auch Regretting Motherhood sich legitim vorkommen und ihr Gesicht zeigen.

Welches 'begründete Interesse' steckt dann aber im dröhnenden Marschtritt der finsteren Kolonne? 

Da ist einerseits die Industrie, der schon jetzt vor kommendem Fachkräftemangel bangt, und sind zugleich die Gewerkschaften, die ganz dringend neue Mitglieder bräuchten, und für einmal wäscht eine Hand die andere..

Und da ist andererseits der wortreiche Haufen der Erwerbspädagogen, der sich seinem Vater Staat gern als Erfüllungsgehilfe andient, wenn er ihm helfen kann, sein Monopol übere die Kindheit hieb- und stichfest zu machen. Denn sein Monopol wäre auch ihres, auch da wäüscht eine Hand die andere.
JE



Mobbing in der Schule (ganztags?).



Bereits am 4. 5. 2014 hat in der Frankfurter Sonntagszeitung über eine überra- schende Studie zweier amerikanischer Soziologen über Mobbing an den Schulen berichtet. Die allgemeine Erwartung ist, hauptsächlich schwache, unbeliebte und isolierte Schüler würden zu Opfern.

Zwei amerikanische Soziologen haben jetzt in einer aufwendigen Studie zu Aggressionen in Schulen das Gegenteil festgestellt. Oder um es genauer zu sagen, sie haben festgestellt, dass es zwei ganz unterschied- liche Opfergruppen von schulischer Gewalt gibt: die Schwachen und die Starken.

Zunächst zu den Tätern. Dass es unter Jugendlichen nicht die Marginalisierten sind, nicht die sozial Benachteiligten, die gewalttätig gegen andere vorgehen, ist in der Forschung seit langem bekannt. Die Aggression kommt, was die Herkunft und den Status der Angreifer angeht, nicht vom gesellschaftlichen Rand.

Motivation Statuszugewinn

Angriffe auf Mitschüler erfolgen also typischerweise nicht, um häusliche Nachteile zu kompensieren. Ihr Ziel ist vielmehr in der Regel ein weiterer Statuszugewinn. Es geht um Führerschaft in Kleingruppen. Wenn die Angreifer in der Klassenhierarchie aufsteigen, nimmt ihre Gewalttätigkeit nicht ab, sondern so lange zu, bis sie unumstritten die Chefs sind.

Darin liegt bereits ein Hinweis, dass es nicht nur Schwache sein können, die im Verlauf solcher Mobbing-Karrieren attackiert werden. Die Autoren unterscheiden zwischen Opfern, die aus normativen Gründen gewählt werden, und solchen, die aus instrumentellen Gründen in den Blick der Angreifer kommen. Wehrlose, so lautet ihr Argument, werden nicht nur deshalb zum Ziel von Angriffen, weil bei ihnen der Ausgang des Konflikts sicher ist.

Die Starken stürzen sich auf die Schwachen auch, um ohne großes Risiko Standards dafür zu etablieren, was an Gewalt möglich ist. Dieses „normative targeting“ ist eine Opferwahl, die ausprobiert, wobei man als Starker auf Unterstützung durch die Gruppe rechnen kann.

Beliebte Schüler werden häufig Mobbing-Opfer

Doch wenn ein Fünftel aller amerikanischen Schüler berichtet, im Verlauf der Schulkarriere schon einmal einer gewalttätigen Attacke ausgesetzt gewesen zu sein, kann es sich bei den Opfern nicht nur um Stigmatisierte handeln. Hier setzt das Konzept der „instrumentellen Opferwahl“ an. Danach exponiert nicht nur Schwäche, sondern auch hoher Status für Angriffe. Auf Schulhöfen kommt es leicht zu einem enthemmten Kampf um Anerkennung. Kleine Beleidigungen oder Streitereien um unbeträchtliche Ressourcen genügen oft, um eine Gewaltspirale in Gang zu setzen.

Wenn ein solcher Streit strategisch eingesetzt wird, werden die Opfer eher unter den beliebten Schülern gewählt. Denn es geht dann darum, den Status von jemand anderem zu attackieren. Das kann durchaus wechselseitig erfolgen, so dass die Opfer zugleich Täter sind. Das kann sich aber auch auf konkurrierende Statusnormen beziehen, wenn Personen, deren Beliebtheit auf freundlichem Umgang beruht, von solchen attackiert werden, die demonstrieren wollen, dass das im Konfliktfall gar nicht zählt.

Mehr Attacken auf Mädchen

So haben die Forscher in ihrer Untersuchung sozialer Netzwerke von achttausend Schülern an neunzehn Schulen festgestellt, dass beispielsweise die Opfer von Denunziationen auf Facebook oft Schülerinnen sind, die sich großer Beliebtheit erfreuen. Sie bloßzustellen oder zu verleumden bringt für die Täter persönlich gar keinen besonders großen Nutzen.

Entscheidend ist vielmehr der große Schaden, der bei den Mitkonkurrenten ums Ansehen entsteht. Bemerkenswert ist dabei, dass an Schulen, in denen die Freundschaftsnetzwerke jeweils stark homogen männlich und weiblich sind, jene Schüler, die Freundschaften zu beiden Gruppen unterhalten, weniger Attacken ausgesetzt sind. Das Mobbing hat also neben der Status- auch eine Geschlechtsqualität.

Mädchen sind physischen Attacken [durch Mädchen, versteht sich!] insgesamt stärker ausgesetzt als Jungen. Das gilt besonders für Mädchen, die wechselnde Intimbeziehungen eingehen. Hier kommt ebenfalls jene Rivalität ins Spiel, die sich, wie Neid, auf „sozial zentrale“ Personen bezieht, nicht auf Außenseiter. Wer dagegen angehen will, so die Forscher, muss vor allem dafür sorgen, dass das Publikum solcher Statuskämpfe nicht dem Sieger applaudiert.

Robert Faris und Diane Felmlee: „Casualties of Social Combat: School Networks of Peer Victimization“, American Journals of Sociology, 79 (2), 2014.


Nota. - Die Schule ist ein Ort, der Kinder in einer so großen Anzahl zusammenballt und vom Rest der Welt isoliert, wie sich von alleine niemals zusammentun würden. Der Pausenhof ist ein Ort, wo man einander nicht aus dem Weg gehen kann - es sei denn, man sucht sich ein Versteck. Dort entstehen soziale Regeln, die in jeder Hinsicht künstlich sind und die sie später in keiner Weise nutzen können - es sei denn in schädlicher. Er ist ein Ort - man muss es mal aussprechen - der Desozialisierung.

Wenn die Schule ein einstweilig unvermeidliches Übel ist, dann der Pausenhof erst recht. Je länger der Schultag, umso mehr Pausenhof. Die Schlussfolgerung ergibt sich von selbst: Im Interesse der "Einübung sozialer Verhaltensweisen" sollte der Schultag so kurz gehalten werden, wie didaktisch irgend vertretbar.

JE

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