Dienstag, 24. Februar 2015

Frieden spielt man nicht.

Lothar Sauer
aus nzz.ch, 23.2.2015, 05:30 Uhr

Interview
Warum Friedensspiele umstritten sind
Prof. Siegbert A. Warwitz: «Kriegsspiele gehören überall auf der Welt zum Spielrepertoire.

Interview: Christin Severin 

Herr Prof. Warwitz, warum sind Spielzeugwaffen und Kriegsspiele für viele Kinder so faszinierend?

Der Besitz von Spielzeugwaffen verleiht Macht, Kraft und Autorität. Jedes Kind freut sich, ein Held, Soldat oder Ritter zu sein. In dieser Rolle hat es die Möglichkeit, in seiner Phantasie über sich selbst hinauszuwachsen. Es kann an der Welt der Erwachsenen teilhaben, zu der es sonst keinen Zugang hat. Dann gibt es auch noch das magische Element: Waffen stehen für übernatürliche Kräfte. Das ist vor allem wichtig für Kinder, die sich im wirklichen Leben nicht richtig wahrgenommen fühlen.

«Darf» man Spielzeugwaffen kaufen?

In Familien, in denen Werte wie der Respekt vor Menschenleben vermittelt werden, sind Spielzeugwaffen problemlos. Sie sollten allerdings altersgerecht sein, und man sollte sie den Kindern nicht aufdrängen.

Ist es umgekehrt schlecht, wenn man Kindern Spielzeugwaffen verweigert? 

Ohne die kämpferische Auseinandersetzung können Kinder gewisse Bedürfnisse nicht ausleben. Kriegsspiele können helfen, Ängste und Aggressionen abzubauen. Kinder fühlen sich ausgeschlossen, wenn sie bei ihren Freunden nicht mithalten können. Kriegsspiele gehören überall auf der Welt zum Spielrepertoire. Sie wurden nicht von Erwachsenen erfunden, sondern entstanden aus der Wahrnehmung der Kinder.

Sind Eltern heute toleranter als früher?

Die Einstellung der Erziehungspersonen ist Schwankungen unterworfen und in verschiedenen Ländern unterschiedlich. Spielzeugwaffen kamen eigentlich erst mit der Friedensbewegung in Verruf, vorher gab es kaum Bedenken. Die Friedensbewegung wollte über das Spiel eine neue Wirklichkeit schaffen, in der es statt um Konkurrenz um Kooperation und statt um Feinde um Partner geht. Diese Einstellung hat sich in bestimmten Kreisen erhalten. Sie bestimmt das Kaufverhalten.

Haben Erwachsene also Vorurteile?

Grundsätzlich kann man sagen: Je weniger Wissen über das Wesen des Spiels vorhanden ist, desto mehr sind Erwachsene gegen das Kriegsspiel eingestellt. Häufig übertragen sie ihre eigenen Ängste vor dem wirklichen Krieg auf das Spiel. Untersuchungen haben aber ergeben, dass Kinder, die Krieg spielen, später nicht aggressiver sind als andere. Hingegen wird in Kriegsgebieten mehr Krieg gespielt als anderswo. Das Spiel folgt der Realität – nicht umgekehrt.

Helfen die Spiele beim Verarbeiten der Wirklichkeit?

Kinder spielen Krieg nach, wie sie einen Arztbesuch spielen. Das hilft ihnen beim Hineinwachsen in die Welt, und sie können unterschiedliche Arten des Verhaltens ausprobieren und dabei für sich eine Alternative finden. Kriegsspiele bieten Spannung und Abenteuer. Diese Erfahrung darf man den Kindern nicht nehmen.

Sie haben sich auch mit Friedensspielen beschäftigt. Worum geht es dabei?

Die Friedensspiele sind wie die Kritik an den Kriegsspielen aus der Friedensbewegung der 1980er Jahre entstanden. Sie wurden von Pädagogen erfunden. Damit sollte auch der Arbeitswelt, bei der Konkurrenzverhalten und Leistungsdruck als negativ empfunden wurden, eine neue und kooperative Gesellschaft entgegengestellt werden.

Was halten Sie davon?

Im Gegensatz zu den Kriegsspielen sind die Friedensspiele meist von Erwachsenen kreiert. Das Spielen wird hier zu pädagogischen Zwecken instrumentalisiert. Es kommt im freien Kinderspiel kaum vor. Mit den Friedensspielen werden zudem eher die schwächeren Kinder angesprochen, die dynamischeren bevorzugen den Wettstreit. Anders als die Sportspiele wie Fuss- oder Basketball stellen die Friedensspiele wie das Erdballspiel taktisch und bewegungstechnisch meist nur geringe Ansprüche. Das Fehlen des Kämpferischen verringert die Spannung und macht die Spiele schnell langweilig.

Widersprechen Friedensspiele der menschlichen Natur?

Nein! Zum vollgültigen Spielen gehören allerdings Konkurrenz und Kooperation. Damit sind die klassischen Sportspiele mit einer Partner- und einer Gegnermannschaft vielseitiger, Friedensspiele hingegen einseitiger. Die Vertreter von Friedensspielen glauben, über das Spiel eine friedvollere Einstellung und bessere Welt erschaffen zu können. Diese Transferannahme täuscht. Sie ist statistisch ebenso wenig belegt wie die umgekehrte Wirkungsvorstellung der Kriegsspiele. Dennoch: Solange das Spielen auf der spielcharakteristischen Symbolebene verbleibt, tragen Kriegs- wie Friedensspiele zur Vielfalt des Spielens bei.

Prof. Siegbert A. Warwitz ist Experimentalpsychologe und Spielwissenschafter.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen