Nicht mehr Kind, noch nicht Mann
Mit der Choreografie "Pour Ethan" ging die Freiburger Tanzreihe "Rip it!" zu Ende.
Ethan Cabon ist fünfzehn – und wer weiß, vielleicht wird er später mal Tänzer. Das Zeug hat er jetzt schon dazu: zumindest seit ihn der Choreograf Mickaël Phelippeau entdeckt und für ihn ein Bewegungsstück komponiert hat. Am zweiten und letzten Wochenende der Tanzreihe "Rip it!", eine Kooperation des Freiburger Theaters mit dem Museum für Neue Kunst, war "Pour Ethan" zu sehen – an einem Ort, der bisher nicht für öffentliche Veranstaltungen genutzt wurde: im wunderbaren Tanzsaal des Theaters, der zu den schönsten Räumen der Stadt gehört.
Ein schlaksiger Kerl in gelbem Muskelshirt und schwarzen Tricotbermudas betritt das Parkett: Erst einmal hat er damit zu tun, seine Spielfläche mit Klebeband zu markieren. Er macht das in aller Ruhe – dass man ihm dabei zuschaut, scheint ihn nicht weiter zu tangieren. Ein seltsames Gefühl stellt sich ein: Schaut man hier einem "richtigen" Tanzstück oder doch eher einer Übung zu – einem Herantasten an die Artikulationen, die den zeitgenössischen Tanz ausmachen?
"Pour Ethan" bewegt sich an der Grenze: zwischen Amateur- und Profitum, Kindheit und Erwachsensein. Es hält den Augenblick des Übergangs fest, den man in der Biologie Pubertät nennt: nicht mehr Junge, noch nicht Mann. Mit seinen noch ungelenken, noch nicht geschmeidigen Bewegungen beschreibt Ethan Cabon diesen irritierenden Zustand im Nirgendwo: Der Ball, den er kunstvoll auf den Boden tippen und an die großflächigen Scheiben des Tanzstudios donnern lässt, ist noch Spielzeug und reicht doch auch schon als Teil der Choreographie ins artistisch Ästhetische hinein. Und wie sich Ethan bewegt in dem von ihm selbst markierten Rechteck: Das ist ein unbeschwertes wildes Laufen, das sich selbst in der Rückwärtsbewegung ausbremst.
Angefangen hat die Kunst für Ethan mit Gesang. Er erinnert sich daran, es ist einige Jahre her, da hatte er einen Auftritt auf einem Fest: Die Stimme, die er dann aus sich herausholt, eine hohe, zarte, glockenhelle Stimme, ist jetzt nicht mehr die seine. Und so wird seine Intonation von Strophe zu Strophe tiefer, bis sie dort angekommen ist, wo und wer Ethan heute ist: ein Heranwachsender im Stimmbruch, der Pläne für die Zukunft schmiedet. Wen sieht der Zuschauer? Die Option auf die Zukunft oder die Reminiszenz an die Kindheit? Es ist diese Irritation, die Mickaël Phelippeau reizt und ausreizt: Wenn Ethan an eine Wand springt, die unter der Wucht des Stoßes umfällt und auf dem Boden einen Konfettisturm auslöst, verbindet diese Szene ungestüme männliche Kraft und kindliche Poesie. Man wünscht sich in diesem Augenblick, dass Ethan das Kind in sich nicht verlieren möge. Es sind auf sehr besondere Weise berührende fünfzig Minuten im Übungs- und Probenraum für Tänzer. Wo auch sonst.
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