Freitag, 30. September 2016

Wahre Gewaltprävention.

Das Opfer der Euskirchener Schulhofprügelei ist außer Lebensgefahr; der gegebene Zeitpunkt für eine sachliche Erörterung:


Was früher überschüssige Kräfte hieß und Rauflust, ist heute Gewaltbereitschaft und Aggression. Was früher als eine ärgerliche und unvermeidliche Begleiterscheinung des Heranwachsens galt, ist heute Anzeichen des Werteverfalls und Indiz des kulturellen Niedergangs. Nichts, was sich auswächst, sondern etwas, das es sozialhygienisch zu therapieren gilt.
 
Sicher gab es früher nicht weniger Handgreiflichkeit als heute. Aber eines ist wahr: Die heute zu beobachtende Verrohung war in den fünfziger, sechziger Jahren unvorstellbar. Was hat sich geändert?
 
Der oftbeschworene Werteverfall hat bereits stattgefunden; damals.
 
In meiner Kindheit und Jugend standen Ehre und Anstand in Ansehen. Nicht etwa, dass wir diese Wörter in den Mund genommen hätten, das taten nur Streber, die sich den Erwachsenen anbiederten. Bei uns andern waren es Selbstverständlichkeiten, die erst dann benennbar werden, wenn sie fehlen. Die Selbstverständlichkeit, die nur per negationem aussprechbar war, hieß Ich bin doch nicht feige. Zu zweit, dritt oder noch mehren über einen einzelnen herfallen; auf einen einschlagen, der am Boden liegt; mit den Füßen treten, ja, einen schlagen der schon heulte und selbst obszöne Schimpfwörter grölen: das war feige. Was sich seither als Verrohung breit macht, ist nichts als zunehmende Feigheit.
 
Was hat die Zeitenwende im Übergang von den sechziger zu den siebziger Jahren damit zu tun? 

Damals setzte sich die Auffassung durch, Ehre und Anstand seien ein spezifischer Männerwahn und ein Mythos, der nur der Verklärung des Jahrtausende alten Patriarchats diente. Das volle Menschsein emanzipieren hieß: lernen, wie wir mit unseren Bedürfnissen umgehen: „Was bringt mir das?“ Wo das Bedürfnis erheischte, dem Kampfe auszuweichen, war es jetzt mutig, dem Hohn der andern zum Trotz  das Hasenpanier zu ergreifen. Feige sein konnte nun auch ein Gebot der Klugheit sein, o ja. Eine Schande ist es seither jedenfalls nicht mehr: Über die Folgen berichten Fernsehen und Zeitungen jeden Tag. Die einen prügeln feige, die andern sehen feige weg.
 
Die einzig ‚nachhaltige’ Gewaltprävention wäre unserer Tage: Ehre und Anstand wieder zur Geltung bringen und Feigheit wieder zu einer Schande machen. Oder allgemeiner gesagt: unsere gesamte Kultur vermännlichen.

•April 14, 2010

Donnerstag, 29. September 2016

Sind die Pädagogen besser als ihre Standesvertreter?

aus Der Standard, Wien, 21. September 2016, 16:46


Lehrergewerkschaft wehrt sich
Das IHS schlägt vor, dass die Lehrergewerkschaft nicht mehr die Bildungsreform verhandelt. Gewerkschafter stufen das als Blödsinn ein

 
Wien – Paul Kimberger, Lehrergewerkschafter für Pflichtschulen sagt, dass er "nicht jeden Blödsinn" kommentieren wolle. Sein Kollege, AHS-Gewerkschafter Eckehard Quin, sieht das ähnlich: "Ich muss nicht zu jedem Schwachsinn etwas sagen."

In einem Positionspapier zur Bildungsreform hat der Politologe und Pädagoge Lorenz Lassnigg vom Institut für Höhere Studien (IHS) vorgeschlagen, dass sich die Personalvertretung der Lehrer künftig nur mehr um Besoldungsrecht und Arbeitszeiten kümmern solle.

Innovative Konzepte für die Schule, schlägt Lassnig vor, sollen die Lehrer an den Schulstandorten gemeinsam mit Bildungsforschern ausarbeiten. Die Begründung: Die Lehrergewerkschaft bremse Innovationen, während die Lehrer an den Schulen oft sehr engagiert seien und genau wüssten, wo die Probleme liegen.

Lehrergewerkschafter Kimberger verweist im Gespräch mit dem STANDARD lediglich darauf, dass die Personalvertretung vom Gesetzgeber festgelegt ist. "Wir werden uns das Recht zur Vertretung nicht nehmen lassen", sagt der Christgewerkschafter und fügt hinzu: "Wir lassen uns sicher nicht von außen sagen, wozu wir uns äußern und wozu nicht." Mehr habe er dazu nicht zu sagen.

Hohe Wahlbeteiligung

Quin verweist auf die hohe Wahlbeteiligung von rund achtzig Prozent bei den Personalvertretungswahlen im öffentlichen Dienst. Die Interessen nicht zu vertreten, könne man vielleicht der Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH), der Arbeiterkammer oder Wirtschaftskammer vorwerfen, aber nicht der Lehrergewerkschaft: "Keine andere Vertretung ist mit einer so hohen Legitimität ausgestattet." Lassnigg sei wohl entweder unwissend, oder seine Aussagen seien eine "böswillige Unterstellung", sagt Quin gegenüber dem STANDARD.

Auch den Vorwurf der Innovationsfeindlichkeit will Quin nicht auf sich sitzen lassen. Die Gewerkschaft habe sich schon vor der Einführung der Zentralmatura für eine teilweise Standardisierung der Reifeprüfung ausgesprochen. Auch für mehr Autonomie beim Lehrplan habe man sich eingesetzt. Natürlich lehne die Gewerkschaft auch neue Vorschläge ab, dies dürfe man ihr aber nicht absprechen, denn: "Nicht jede Neuerung ist eine Verbesserung."
 
Auch Schüler skeptisch

Unterstützung bekommen die Gewerkschafter von Schülerseite. Bundesschulsprecher Maximilian Gnesda sieht Lassniggs Vorschlag kritisch. "Schon jetzt sind die direkt von den Reformen Betroffenen kaum in die Verhandlungen eingebunden." Auch von der Idee, statt der Gewerkschafter die Lehrer an den Schulen einzubinden, hält er nicht viel. "Unsere Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft war immer sehr gut."  


Nota. - Haben Sie das gelesen?! Da sagt einer - Erziehungswissenschaftler; das ist ein Problem für sich -, die Personalvertretungen der Lehrer sollten sich künftig nur noch um Arbeitszeit und Besoldung kümmern; über pädagogische Sachfragen solle man mit den Lehrern selber reden. Und was antwortet der Gewerk- schaftsfunktionär? Für Interessenvertretung sei nur er zuständig, er könne es auch am besten. Dass es sich bei pädagogischen Sachfragen nicht um die Vertretung der Standesinteressen von Lehrern handelt, sonderen - unmittelbar - um die Vertretung der Interessen der Schüler und - auf weite Sicht - die Vertretung der Interessen des Gemeinwesens, das fällt ihm so ganz und gar nicht auf, dass er nicht einmal eine rhetorische Floskel dafür übrig hat. Als hätte er unterstreichen wollen, wie sehr der Wissenschaftler doch Recht hat!

Ob aber von den Lehrern selber mehr zu erwarten ist, steht leider in den Sternen. Auf Versammlungen und in Plauderrunden bekommt man die klügsten Dinge zu hören. Doch wenn Sie dann Nägel mit Köpfen machen wollen, finden sich immer tausend Gründe, die Sache doch diesmal noch aufzuschieben; zum Beispiel weil man erst einen älteren Kollegen noch 'mitnehmen' müsse...

Den Atem vollends verschlägt aber der Bundesschulsprecher. Der ist schon so gründlich Gremienfuzzi, dass er sich im Geist längst auf die andere Seite hinübergewachsen fühlt - als Lehrergewerkschafter in spe. Versprecht Euch bloß nix von der nächsten Generation!
JE

Mittwoch, 28. September 2016

Die Schulhöfe sind sicherer geworden.


 

Die Süddeutsche bringt anlässlich des Vorfalls in Euskirchen heute einen Beitrag zur Gewalt auf Schulhöfen. Entgegen dem Augenschein sei sie im Rückgang:
 

"Insgesamt hat die Gewalt auf Schulhöfen in den vergangen Jahren deutlich abgenommen, zeigt die Statistik der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV): 2000 gab es noch mehr als 135 000 gewaltbedingte Schulunfälle, 2014 hingegen waren es nur noch etwas über 80 000. Das entspricht einem Rückgang von fast 40 Prozent."
 

Allerdings sagen die Gesamtzahlen nicht alles über den Grad der Gewalttätigkeit. In der Statistik fällt ein blaues Auge und eine blutende Nase nicht minder ins Gewicht als ein halb totgeprügeltes Kind. Und wenn es auch fad klingt: Daran, dass ein Kind nach einer Schulhofprügelei einmal in Lebensgefahr schwebte, kann ich mich nach einem inzwischen langen Leben wirklich nicht erinnern. 

Montag, 19. September 2016

Freitag, 16. September 2016

Ja, unterrichten ist eine Kunst.


aus derStandard.at,14. September 2016, 10:39

Studie: Druck auf Lehrer zeigt sich in Körpersprache
Bildungswissenschafter analysierten die Körpersprache österreichischer Lehrer: Diese setzen auf "opportunistische Strategien" und immer mehr "Entertainment-Elemente"

Wien/Graz – Unter den aktuellen Rahmenbedingungen im Schulsystem falle es Pädagogen oft schwer, ihren Unterricht authentisch als wichtig und spannend in Szene zu setzen. Denn der Druck auf die Lehrer ist in ihrer Körpersprache erkennbar, zeigten Bildungswissenschafter mit Video-Analysen heimischer Lehrer.

Wie die Körpersprache den Unterricht beeinflusst, werde überraschend selten wissenschaftlich untersucht, so der Leiter des Instituts für Schulpädagogik der Universität Graz, Bernd Hackl, zur APA. Vermutlich liege das daran, "dass wir in einer Kultur leben, die den Körper und seine Ausdrucksformen in manchen Zusammenhängen nicht ernst nimmt". Kinder und Jugendliche könnten diese Signale jedoch tendenziell noch besser deuten.

Rechtfertigung des Unterrichts

"Der Schwerpunkt 'Körpersprache' hat sich erst mit der Zeit ergeben, weil wir bemerkt haben, dass das wichtig ist", sagte der Schulforscher. Mittels umfangreicher Videoanalysen unterschiedlicher Lehrer aus verschiedenen Schulformen haben sich Hackl und sein Team diesem Thema im Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekts angenommen.

"Etwas überraschend war für uns, dass die Hauptfunktion des körperlichen Ausdrucks darin besteht, zu rechtfertigen, was pädagogisch geschieht – also, den Schülern gegenüber glaubhaft zu machen, dass was hier passiert für sie sinnvoll ist." Um das zu leisten, müsse man den Heranwachsenden vermitteln, dass sie im Unterricht gebraucht, anerkannt und einbezogen werden, sie nicht unter Druck gesetzt werden, dass ihnen der Unterricht neue Erkenntnisse bringt und sie der Lehrer an seinen Fähigkeiten zur Problemlösung aktiv teilhaben lässt. Bei alldem spiele die nonverbale Kommunikation eine entscheidende Rolle, so der Forscher. Druck "lesbar" 


Besonders wichtig sei, dass Lehrer ihre Botschaften "authentisch inszenieren" und etwa die Schüler mit echter, sichtbar gezeigter Begeisterung einbeziehen. Hackl: "Trägt das jemand gut vor, kann man das fast körperlich spüren und es ist schwer, sich dem als Schüler zu entziehen." Das sei teilweise vergleichbar mit dem Theaterspielen, wo es ebenfalls darum geht, den Inhalt bestmöglich mit dem Körper zu transportieren.

In den analysierten Unterrichtseinheiten gelang das jedoch eher selten. Das liege oft nicht daran, dass ein Pädagoge weniger gut für den Job geeignet ist, wie Hackl betonte. Häufig lasse sich am körperlichen Ausdruck nämlich eher ablesen, unter welchem Druck ein Lehrer steht. Selten hätten Pädagogen das Gefühl, auch Fehler machen zu können, ohne dass ihnen das bei Pisa-Test, Zentralmatura und Co später auf den Kopf fiele.

Darunter, dass einerseits die Schule bei der Selbstentfaltung helfen und andererseits eng umschriebene Kompetenzen nachweisbar vermitteln soll, leide die Performance: "Die Lehrer arbeiten in einer Situation, die widersprüchlich ist und aus der sie nicht hinaus können", so die Interpretation des Forschers.

Schauspielunterricht kein Gegenmittel

Schüler würden wiederum sehr sensibel auf dieses Auseinanderdriften zwischen dem Gesagten und der Körpersprache reagieren und sich vom Unterricht abwenden. Das führe dazu, dass Lehrer auf "opportunistische Strategien" setzen, indem sie immer mehr "Entertainment-Elemente" einbauen. Mit der Aussicht auf Spiel- und Unterhaltungsangebote versuchen viele Aufmerksamkeit für die Sache zu erzielen. Hackl: "Das ist aber eine Strategie, die sehr schlecht aufgeht. Wenn ich in der Mathematikstunde auch spielen darf, bekomme ich nicht mehr Motivation für die Mathematik, sondern eher noch mehr Motivation zu spielen."

Pädagogen einfach mit Schauspielunterricht unter die Arme zu greifen, sei jedenfalls kein Gegenmittel, denn einen authentischen körperlichen Ausdruck könne man nicht "technisch herbeiführen. Ob er authentisch ist oder nicht, kommt nur durch die wirkliche Haltung des Lehrers zu seiner Tätigkeit zustande". Die politischen Rahmenbedingungen sollten wiederum dahin gehend verändert werden, dass Pädagogen und Schülern wieder mehr Spielräume eingeräumt werden, resümierte Hackl. (APA, 14.9.2016


Nota. - Wer kein Talent zum Showkünstler hat, dem hilft auch kein Unterricht, da wirkt alles gezwungen, und das macht die Sache nur schlimmer. Erziehen und seine Stieftochter, das Unterrichten, sind eine Kunst, für die man begabt sein muss, und keine Technik, die man einüben kann. Merke: Dem Showkünstler muss an seinem Publikum was gelegen sein, sonst strampelt er umsonst.
JE


Mittwoch, 7. September 2016

Gibt es ein Jungenproblem?

aus Süddeutsche.de, 7. September 2016, 08:45 Uhr

Zwölfjähriger beginnt Physikstudium an kanadischer Uni 

Der zwölfjährige Indonesier Cendikiawan Suryaatmadja (genannt "Diki") hat es eilig mit seiner Aus-bildung: Am Donnerstag wird er ein Physikstudium an der renommierten kanadischen University of Waterloo beginnen. Suryaatmadja ist der jüngste Bewerber, der jemals an der Hochschule zugelassen wurde. Neben Physik will er auch noch Kurse in Chemie und Mathematik belegen.



Der Junge sei einer des besten Studienplatzbewerber in diesem Semester gewesen, sagte ein Vertreter der Uni westlich von Toronto dem Sender CTV. "Akademisch ist er voll und ganz vorbereitet", sagte er. "Wir müssen allerdings berücksichtigen, dass es sich um einen zwölfjährigen Jungen handelt."

Den Angaben zufolge wird der junge Student mit seinem Vater in einer Wohnung in der Nähe des Campus leben. Er freue sich sehr auf das Studium und auf die Möglichkeit, an der Uni neue Leute kennenzulernen, sagte der Junge dem Sender CTV.

Ganz fremd ist Diki die nordamerikanische Kultur nicht: Englisch lernte er mithilfe amerikanischer Komödien, die er sich mit indonesischen Untertiteln anschaute. Nur der kanadische Winter könnte für ihn noch etwas gewöhnungsbedürftig sein. Denn Kälte kenne er bislang nur, wenn er seinen Kopf in den Kühlschrank stecke, sagte er.


Nota. - Jungen sind nicht nur die große Mehrheit bei den Schulversagern. Sie sind auch die große Mehrheit unter der Wunderkindern. Wie das? Die Begabungen sind auf der männlichen Seite breiter verteilt als auf der weiblichen. Bei denen ballt sich die große Mehrheit um das mittlere Maß. Ausreißer nach oben und unten sind da seltener. Die einen sind mehr die Regel, die andern sind mehr die Ausnahme.
JE