Montag, 23. Februar 2015

Krieg spielen.

Kriegsspiele machen vielen Buben Spass. So schlimm, wie man meinen könnte, ist das aber nicht.
aus nzz.ch, 23.2.2015, 05:30 Uhr

Kriegsspiele

Spielzeugwaffen sind weniger schlimm als ihr Ruf

von Christin Severin 

Spielzeugwaffen faszinieren Kinder. Bei Erwachsenen sind sie umstritten. Es gibt aber einen Trend zur Enttabuisierung. Dieser wird getrieben von psychologischen Erkenntnissen und der Beliebtheit einer neuen Generation von Spielzeugwaffen.

In einem Wohnquartier übt eine Gruppe von sechs- bis elfjährigen Buben den Strassenkampf. Sie schleichen um die Büsche, verstecken sich hinter Ecken und springen plötzlich aus dem Hinterhalt ins freie Gelände, ihre Spielzeugwaffen der Marke «Nerf» stets im Anschlag. Gefeuert wird mit der grossen «Demolisher» oder der «Elite Strike», aus den Läufen kommen Schaumstoff-Schüsse, die vorne mit einem kleinen Plastic-Kopf verstärkt sind und eine Reichweite von rund 25 Metern haben. Die Buben haben offensichtlich Spass, in ihren Bewegungen ahmen sie Guerillakämpfer nach, von denen sie Bilder im Fernsehen gesehen haben müssen. In einer der umliegenden Wohnungen werden die Gardinen zugezogen: Anscheinend ist das ein Spiel, das diese Familie nicht sehen will.

Spiel ist nicht Realität

Viele Eltern stehen Spielzeugwaffen sehr skeptisch gegenüber. Sie wollen diese weder im eigenen Haus haben noch ihre Kinder anderswo damit spielen lassen. Der Kampfruf «Ich schiess dich tot» widerspricht dem idealisierten Bild vom unschuldigen Nachwuchs. Er lässt die Frage aufkommen, ob Erziehende mit Verboten und Ablenkungsmanövern reagieren sollen – oder dem fröhlichen Kriegsspiel einfach gelassen zusehen können.


Der Psychologe Siegbert A. Warwitz, der sich intensiv mit spielpädagogischen Fragen auseinandersetzt, stellt in seinem Buch «Vom Sinn des Spielens» fest, dass eine unbefangene Auseinandersetzung mit der Thematik «Kriegsspiel» angesichts der schrecklichen Realität von Krieg und Terror immer noch schwierig sei. Zur Bildung eines sachlichen Urteils empfiehlt er, sich zunächst klarzuwerden, was unter dem Begriff genau zu verstehen sei. Ob es schon ein Kriegsspiel sei, fragt Warwitz, wenn sich Kinder als Indianer verkleideten, mit Kriegsfarben bemalten und an den Marterpfahl stellten. Oder ob es ein Kriegsspiel sei, wenn ein Kind im Gelände einen Stock aufhebe, ihn zum Gewehr erkläre, auf ein anderes Kind ziele und rufe: «Peng! Du bist tot.» Bei Sportspielen wie dem Fussball werden ebenfalls kämpferische Begriffe verwendet. Auf den «Gegner» zu «schiessen», hat hier allerdings nichts Anstössiges mehr. Eine solche Unterscheidung zeigt die Präsenz kämpferischer Ideen im Spiel, aber auch, wie fliessend die Übergänge zwischen akzeptierten und deutlich umstritteneren Spielformen sind.


Petra Moser, Entwicklungspsychologin und Bereichsleiterin an der Pädagogischen Hochschule Zürich, betont, dass das Wort Kriegsspiel bei Erwachsenen ganz andere Assoziationen auslöse als bei Kindern. Während Erstere sofort an den echten Krieg, an Gewalt und Verbrechen dächten, seien Spielzeugwaffen für Kinder nicht mit Tötungsabsichten verbunden, sondern fungierten einfach als Spielzeuge. Mit dem Argument, dass Verbote und Tabuisierungen in der Regel die Faszination für eine Sache eher verstärken, plädiert sie gegen ein Verbot. Die Waffen müssten aber klar als Spielzeugwaffen erkennbar sein. Das ist in der Schweiz übrigens auch rechtlich relevant. Imitations-, Schreckschuss- und Soft-Air-Waffen, die mit echten Feuerwaffen verwechselt werden können, sind gemäss dem schweizerischen Waffengesetz echten Waffen gleichgestellt. Sie wurden bei Delikten immer wieder als Drohmittel eingesetzt, wodurch gefährliche Situationen entstanden. In den USA sorgte unlängst der tragische Fall eines Jugendlichen für Aufsehen, der zwar nur eine Spielzeugwaffe trug, aber trotzdem von einem Polizisten erschossen wurde, weil sich dieser durch die vermeintlich echte Waffe bedroht sah.


Regeln und Grenzen

Nötig ist es bei kriegerischen Spielen zudem, den Kindern die Regeln und Grenzen des Spiels klarzumachen. Dazu gehört, weder Menschen noch Tiere zu verletzen, Aussenstehende in Ruhe und Kinder, die nicht mehr mitmachen wollen, sofort ziehen zu lassen. Problematisch wird es, so Moser, wenn Kinder mittels Waffen Machtphantasien ausleben und Freude daraus ziehen, bei anderen Angst zu erzeugen. In solchen Fällen muss das Gespräch mit dem Kind gesucht werden.


Zentral ist auch der Rahmen, in dem die Spiele stattfinden. So ist es etwas anderes, ob sich die Kinder im Wald hinter dem Haus bzw. in den Quartierstrassen treffen oder ob das Ganze auf dem Schulhof stattfindet. Im Kanton Zürich etwa ist es verboten, Waffenattrappen mit in die Schule zu nehmen. Der Schulhof als sozialer Ort sei nicht für Spiele geeignet, die auf andere Kinder bedrohlich wirken könnten, meint Moser.


Eine spezielle Gruppe innerhalb der Kriegsspiele sind die digitalen Spiele. Zwar bleiben alle Handlungen auf den virtuellen Raum beschränkt, dafür aber können die Spiele umso brutaler gestaltet werden. Umstritten sind vor allem die Ego-Shooter-Spiele, bei denen der Spieler in einer frei begehbaren, dreidimensionalen Spielwelt agiert und mit Schusswaffen andere Spieler oder computergesteuerte Gegner bekämpft. Die vom Spieler gelenkte Spielfigur ist menschlich oder menschenähnlich. Medienpsychologen sind der Ansicht, dass diese Spiele die Menschen tatsächlich aggressiver machen, empirisch klar erwiesen ist das jedoch nicht. Kritisch ist laut Moser vor allem die hohe Simulationsprofessionalität der Spiele, die die Unterscheidung zwischen Realität und Spiel offenbar schwierig machen kann. Auffällig ist, dass sich Buben deutlich stärker für kriegerische Spiele und Spielzeugwaffen interessieren als Mädchen. Laut einer einschlägigen Studie besitzen 76 Prozent aller Buben Kriegsspielzeug und möchten 45 Prozent mehr davon haben. Bei den Mädchen haben nur 29 Prozent Kriegsspielzeug, und fast keines möchte mehr. Zu erklären ist das wohl damit, dass Waffen als «männlich» gelten. Sie sind attraktiv für Buben, die ihre Rolle und Geschlechtsidentität suchen. Zu dieser Erklärung passt auch, dass vor allem Kinder im Alter von vier bis zwölf Jahren gern mit Waffen spielen. Die Faszination geht nachher zurück. Zum klassisch weiblichen Rollenbild gehören Kampf und Waffen hingegen nicht. Mädchen leben Aggressionen meist versteckter aus.


Toleranz durch Erfahrung

Im Zürcher Franz-Carl-Weber-Geschäft berichtet eine Verkäuferin, dass die anfängliche Ablehnung vieler Eltern speziell bei den populären «Nerfs», die in der Schweiz seit 2009 auf dem Markt sind, inzwischen geringer geworden sei. Je mehr Kinder die Spielzeugwaffen hätten, desto mehr schwinde auch die Opposition von Eltern. Aus Gesprächen lässt sich schliessen, dass Eltern Befürchtungen hegen, von anderen Erwachsenen als unverantwortliche Waffennarren wahrgenommen zu werden. Wenn aber deren Kinder ebenfalls ausgerüstet sind, fällt diese Angst weg. Weil die Verletzungsgefahr bei der neuen Generation von Spielzeugwaffen minimiert wird, spricht die Industrie gern von einem sicheren «Action-Spielzeug».


Zusammengenommen führt dies zu einer gewissen Enttabuisierung. Empfohlen sei kategorischen Kritikern und experimentellen Geistern übrigens ein Selbstversuch. Dabei mag erstaunen, wie viel Spass es macht, wenn man allfällige Hemmungen überwindet, sich auf das Spiel einlässt – und schiesst.


Die Frage auch für tolerante Eltern bleibt dennoch, wie weit sie gehen wollen. Kaufen sie die kritischen Spielzeuge lieber selbst und behalten die Kontrolle, oder überlassen sie die Anschaffung aus Gründen der Psychohygiene lieber dem Götti oder der Gotte? Begleitet man die Kinder zur Schlacht in den Wald, um für die Einhaltung der Spielregeln zu sorgen, oder wagt man es sogar, die lokale Turnhalle für eine kriegerische Geburtstagsparty zu mieten? Anekdotische Evidenz zeigt, dass die Toleranz steigt, sofern Eltern wahrnehmen, dass die befürchtete Verrohung ausbleibt und doch immer wieder auch das Playmobil, die Puzzles oder der Fussball aus dem Schrank geholt werden.



Nota. - Das ist die Rückseite der philiströsen Auffassung vom 'Spielen als Arbeit des Kindes': Verhaltens- weisen einüben und Kompetenzen fürs wirkliche Leben erwerben. Doch ist das Spielen vor allen Dingen Erproben der Einbildungskraft. Das ist die große kognitive - und damit kulturelle - Leistung des Spiels: den Unterschied von real und nur vorgestellt sicht- und fühlbar machen. 
JE          



Fährten in die Prärie    

Gedenke noch bisweilen
der Knabenphantasie:
Einst über Meer und Meilen
flogst du in die Prärie.

Sie hält nicht nur die Spuren
von Huf und Mokassin, -
all deine Träume fuhren
mit übers Grasland hin . . .

Der Rand der Lagerfeuer,
wenn sich die Dämmrung naht,
wölkt um die Abenteuer
am Indianerpfad.

Es stampft die Bisonherde
in das Savannenlicht,
du spürst die ferne Erde,-
dein Auge sah sie nicht.

Da noch die Träume währten,
zuweilen wußtest du’s:
Im welken Gras die Fährten
sind auch von deinem Fuß.  

Günter Eich



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