Donnerstag, 27. Oktober 2016

Wenn lügen zur Gewohnheit wird.


aus scinexx

Warum Lügen auf die "schiefe Bahn" führen
Wiederholte Unehrlichkeit führt zu einer Art Abstumpfungs-Effekt


Abstumpfungs-Effekt: Flunkern und Lügen kann tatsächlich auf die sprichwörtlich schiefe Bahn führen, wie ein Experiment enthüllt. Denn bei wiederholtem eigennützigem Lügen schwächt sich die Reaktion unseres Gefühlszentrums ab – wir stumpfen sozusagen ab. Bei den Probanden führte dies dazu, dass sie im Laufe des Versuchs immer stärker schummelten, wie die Forscher im Fachmagazin "Nature Neuroscience" berichten.

Lügen gilt als unmoralisch – eigentlich. Trotzdem hat fast jeder von uns in bestimmten Situationen schon einmal gelogen. Interessanterweise gibt es dabei durchaus Unterschiede zwischen den
Geschlechtern und auch bestimmte Berufe und Tageszeiten scheinen die Unehrlichkeit zu fördern. 


Die Sache mit der "schiefen Bahn"


 Und noch ein Phänomen zeigt sich: Wer Finanzbetrug und andere schwerwiegende Unehrlichkeiten begeht, der hat oft klein angefangen. "Die Täter beschreiben hinterher oft, wie sich kleinere Unehrlichkeiten mit der Zeit lawinenartig zu beträchtlich schwerwiegenderen Lügen aufschaukeln", berichten Neil Garrett vom University College London und seine Kollegen.
 

Aber warum? Das haben die Forscher nun in einem Experiment untersucht. Ihre Vermutung: Häufiges Lügen führt dazu, dass eine gefühlsmäßige Hemmschwelle abgebaut wird. "Wenn wir zum eigenen Vorteil lügen, erzeugt unsere Amygdala ein negatives Gefühl", erklären die Wissenschaftler. "Dieses Unwohlsein schränkt ein, wie weit wir mit unserer Unehrlichkeit gehen." Wiederholt sich das Lügen aber sehr oft, dann könnte diese Reaktion abstumpfen.
 
Schummeln im Hirnscanner

Um diese Hypothese zu testen, verführten Garrett und seine Kollegen ihre 80 Probanden zu ungestraftem Schummeln, während diese in einem Hirnscanner lagen. Die Testpersonen wurden gebeten, die Mengen an Münzen in einem Gefäß möglichst genau zu schätzen und diese Zahl per Computer an einen ihnen unbekannten Spielpartner zu senden.


 
Die Amygdala ist ein Zentrum für die Gefühlsverarbeitung im Gehirn

In der Basisvariante des Versuchs profitierten beide Partner, wenn die Schätzung möglichst genau ausfiel. Bei einer weiteren Variante jedoch erhielt der erste Teilnehmer mehr Belohnung, wenn er seinem Partner einen zu hohen Schätzwert übermittelte – er also die Menge der Münzen überschätzte. Was sich dabei jeweils in der Amygdala abspielte, dem Emotionszentrum des Gehirns, beobachteten die Wissenschaftler mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT).
 
Die Lügen werden größer 

Dabei zeigte sich: Immer dann, wenn die Probanden zum eigenen Vorteil logen, wurde ihre Amygdala besonders aktiv. Diese unwillkürliche Reaktion fiel am Anfang des Experiments besonders stark aus – und schlug sich im Verhalten der Teilnehmer nieder. Sie schummelten bei ihren ersten Durchgängen nur wenig, indem sie ihre Schätzwerte leicht höher ansetzten. 

Im Laufe des Experiments jedoch änderte sich dies, wie die Forscher feststellten: Die Unehrlichkeit der Testpersonen nahm im Laufe der Zeit zu. Sie schummelten bei den Schätzwerten immer stärker, wenn ihnen dies Vorteile bei der Belohnung brachte. Gleichzeitig veränderte sich die Reaktion ihres Gefühlszentrums: Die Amygdala reagierte zunehmend schwächer auf eine eigennützige Lüge.

Eskalation durch Abstumpfung  

Nach Ansicht der Forscher spricht dies dafür, dass fortgesetztes Lügen unser Gefühlszentrum sozusagen abstumpfen lässt. Das instinktive Unwohlsein, das wir bei einer eigennützigen Lüge empfinden, nimmt im Laufe der Zeit ab. Das wiederum führt dazu, dass die Hemmungen selbst gegenüber größeren Schummeleien immer weiter schwinden.

"Je sich mehr diese Reaktion abschwächt, desto größer werden dann unsere Lügen", erklärt Seniorautor Tari Sharot vom University College London. "Das führt dann zur schiefen Bahn, wo anfangs kleine Akte der Unehrlichkeit zu immer schwerwiegenderen Lügen eskalieren." Allerdings: Dieser Effekt scheint nur dann zu greifen, wenn Eigennutz im Spiel ist. Hatten die Probanden keinen Vorteil vom Lügen, eskalierten ihre Schummeleien auch nicht.  

Diese Ergebnisse werfen die spannende Frage auf, ob diese moralisch-emotionale Abstumpfung auch in anderen Bereichen auftritt. "Wir haben in unserem Experiment nur die Unehrlichkeit getestet", sagt Garrett. "Aber das gleiche Prinzip könnte auch bei anderen Handlungen wie gewalttätigem oder riskantem Verhalten zu Eskalationen führen." (Nature Neuroscience, 2016; doi: 10.1038/nn.4426)
 

(University College London, 25.10.2016 - NPO) 


Nota. -
"Das Schlimmste an der DDR war, dass sie die Kinder zur Lüge erzogen hat." Im November, De- zember 1989 gab es in Ostdeutschland kaum eine Diskussionsrunde oder Kundgebung , in der nicht früher oder später dieser Satz gefallen ist. Im Januar 1990 hörte ich dann zum ersten Mal im Fernsehen: "Es war nicht alles schlecht - bei weitem nicht!" Ausgesprochen offenbar von einer Lehrerin...

Man muss sich nicht wundern, dass die innere Wiedervereingung noch immer auf sich warten lässt. Da muss nicht erst eine Generation aussterben, sondern die von ihren Kindern auch. 

JE

Dienstag, 25. Oktober 2016

Das moralische Defizit der pädagogischen Erwerbsweise.


Geld hat er nicht genommen.
 
Wer mit Kindern sein Geld verdient, ist kein besserer Mensch, als wer Gemüse oder Versicherungspolicen ver- kauft. 

Er steht im Gegenteil moralisch fragwürdiger da. Gemüse wird angebaut, Versicherungspolicen werden ausge- stellt, damit Leute Geld damit verdienen. Kinder kommen nicht auf die Welt, damit irgendwer mit ihnen Geld verdient. Wer es trotzdem tut, muss schon sehr gewichtige Gründe ins Feld führen, die ihn persönlich entschul- digen können. Gründe, die so schwer wiegen, dass man sie ihm abnimmt.

Freitag, 21. Oktober 2016

Späte Reue der frühen Förderfetischistin.







aus nzz.ch, 19.10.2016, 15:38 Uhr

«Kinder sollen sich auch langweilen»
Die meisten Kinderzimmer seien übersät mit Spielsachen, sagt Erziehungswissenschafterin Margrit Stamm. Diese Reizüberflutung behindere Kreativität und Spiellust.

Interview von René Donzé
 
Die NZZ hat mir rückwirkend die Verbreitung ihrer Inhalte untersagt. Ich werde sie nach und nach von meinen Blogs löschen 
Jochen Ebmeier
doch nehmen sie ihm etwas Wichtiges weg: frei verfügbare Zeit.
Nota. - Au weia. das lässt ja nichts Gutes ahnen: "Kinder erwerben im Spiel alle Kompetenzen, die sie brauchen, um im schulischen und ausserschulischen Leben zu bestehen. ... Wer als Kind nicht spielen kann, hat später Probleme beim Lernen." Sie sagt es am Schluss ja selber: Sie war früher selber eine Fetischistin der Frühförderung, ganz verhehlen kann sie das noch heute nicht. 

Nicht dass das in der Sache falsch ist. Aber es ist nicht, worauf es ankommt. Man kann es beiläufig gelegentlich auch einmal erwähnen, wenn man dasEntwcheidende bereits gesagt hat. Das Entscheidende ist der genetische Zusammenhang zwischen Spiel und Neugier. Spielen ist Experimentieren mit dem Zufall, sagt Novalis. Und das, Frau Stamm, ist nicht nur Menschenkindern, sondern allen Kindern "angeboren". 


Für Tierkinder mag darum der Erwerb von Kompetenzen wirklich das Wichtigste am Spiel sein. Doch wir Menschen zeichnen uns vor den Tieren unter anderm dadurch aus, dass Neugier und Spieltrieb das ganze Leben lang erhalten bleiben. Nach 12 000 Jahren Arbeitsgesellschaft, in denen Erwachsenheit eben Nicht-Spielen (und Nicht-mehr-neugierig-Sein) bedeutete, ist diese unsere Besonderheit einigermaßen verblasst, und Frau Stamm wird mir heute sicher zustimmen: Das war ein Pech.

Doch die Arbeitsgesellschaft neigt sich ihrem Ende zu, die mühseligen ausführenden, repetitiven und anstumpfenden Arbeiten erledigen demnächst die Maschinen, und wenn wir Erwachsenen nicht in Katatonie verbleichen wollen, werden wir uns unsere küntigen Beschäftigungen in Neugier und Spiel suchen müssen.
JE 


 

Mittwoch, 19. Oktober 2016

Rettet die bildschirmfreien Klassenzimmer!

pixabay
aus Tagesspiegel.de, 

Digitalpakt für Schulen 
Rettet die bildschirmfreien Klassenzimmer!
Schulen brauchen keine Computer, sie brauchen konzentrationsfähige Schüler. Da stören Computer nur. Ein Kommentar.
 
von

Überall ist Digitalisierung. In der Arbeitswelt, in der Kommunikation, der Gesundheitsvorsorge, im Alltag, also auch in der Schule?
 

Ja, verkündete vergangene Woche Bundesbildungsministerin Johanna Wanka und will ab 2017 fünf Milliarden Euro für Computer in Schulen locker machen.
 

Die Grundannahme hinter diesem Plan lautet in etwa so: Digitalisierung ist die Zukunft, und die Kinder von heute werden in dieser Zukunft leben, also müssen sie auch in Schulen mit Computern vertraut und dadurch zukunftsfest gemacht werden.
 

Dazu kommt die Überlegung, dass die Kinder von heute ohnehin dauernd mit ihren Digitalgeräten herumhantierten. Dann könnten sie die auch mal für etwas Sinnvolles wie Lernen nutzen. Wankas Pläne stießen allgemein auf Wohlwollen. Dabei sind sie gar nicht gut.
 

Die Schule sollte den Kindern, statt digital aufzurüsten, das geben, was sie außerhalb kaum noch finden: eine bildschirmfreie Zone. Weg mit den Computern aus den Klassenräumen.
 

Was nicht heißt, dass Kinder nichts über Computer und Digitalisierung lernen sollen. Denn ja, das wird immer wichtiger. Aber warum nicht das Schulfach Informatik erweitern und verbindlich machen und dort lehren, was es mit Suchmaschinen, Algorithmen, Computerfirmen, mit Internet und Darknet auf sich hat, wie man programmiert oder eine App konzipiert? Das kann und soll man gern alles lernen, auch in schulischen Computerkabinetten – in zwei Mal 45 Minuten pro Woche.

Die Durchseuchung aller Fächer mit Lernprogrammen ist unnötig

Was man für diese Art Wissenstransfer aber nicht braucht, ist die Durchseuchung aller Schulfächer mit digitalen Lernprogrammen. Eine Aufgabe in Physik ist eine Aufgabe in Physik. Ob die Schüler sie aus einem Buch abschreiben und in ihrem Heft lösen, oder ob sie die von einem Lehrstoffportal herunterladen und per Tastenklick lösen. Dasselbe gilt für Vokabelnlernen und Aufsätze.
 

Was Buch und Heft vor allem vom Computer unterscheidet, ist die schlichtere Darstellung. Das unanimierte. Da bewegt sich nichts im Buch. Da hüpft keine Figur am Seitenrand und winkt mit „Gut gemacht“-Fähnchen, wenn die Lösung richtig ist. Und genau deshalb ist das Buch um ein Vielfaches besser als der Computer. Weil es eben nicht aufwartet mit solchen Features, mit digitalem Schnickschnack, der nur ablenkt – und der damit das zerstört, was die eigentliche Kernkompetenz für die Zukunft sein dürfte: die Konzentrationsfähigkeit.
 

Die Zukunftschancen der heutigen Schülerinnen und Schüler hängen wahrscheinlich viel weniger davon ab, ob sie in der Schule an Computern lernen können oder nicht, als davon, ob sie ohne Blick auf die ewig sendenden und empfangenden Geräte überhaupt noch etwas zustande bekommen. Ob sie ein Ziel haben und das verfolgen können. Oder werden sie zu abgelenkt sein, nur noch von Miniaturgedanken zu Miniaturgedanken hüpfen, und während sie noch reden schon wieder etwas lesen und am Ende nicht wissen, was gesprochen, was geschrieben wurde.

Schüler ohne Smartphones lernen besser - und dann gibt man ihnen Tablets?

Und am Rande: Was ist mit den Sinneseindrücken? Was werden bei Schülern von damals für Erinnerungen wach, wenn sie heute im Keller einen alten Diercke-Weltatlas finden. Wie der riecht, wie der sich anfasst. Was für Erinnerungen sollen die Kinder an ihre Schulzeit, an ihr ganzes Leben haben, wenn sich das meiste davon auf portablen Bildschirmchen abspielt? Macht man so wirklich fit für die Zukunft?

Zu den Auswirkungen von Smartphones auf Schüler und ihre Leistungen gibt es inzwischen viele Studien, die laut dem Hirnforscher Manfred Spitzer nach unterschiedlichen Methoden immer zum selben Ergebnis kommen: Schüler, die keine Smartphones in die Schule mitbringen dürfen, lernen besser und fühlen sich wohler. Und dann stellt man ihnen Laptops vor die Nase? Das ist ja fast schon Sabotage.
 

Das gute Geld, das die Bundesbildungsministerin versprochen hat, wäre mit Sicherheit besser angelegt in Lehrerschulungen, denn bei guten Lehrern lernt man gut, oder in Ausflügen dahin, wo wirkliches Leben ist. Leben, das auch weiter existiert, wenn der Computer aus ist. Wo Tierchen kriechen und Pflanzen wachsen, faulen oder im Sturm umknicken. Wo Biologie, Chemie, Physik und Mathematik stattfinden und nicht akademisches Thema sind. Wo man Wissen im Wortsinn begreifen kann. Was man so lernen kann, hat Substanz. Die Computer dagegen, die 2017 als topmoderne Anschaffung gelten, werden ein paar Jahre später schon veraltet sein. Und dann?


Nota. - Ich habe mich vor Jahr und Tag für den Computer in der Bildung sehr stark gemacht: nämlich als eine ästhetische Kinderüberraschung, die die Einbildungskraft freisetzt und das geisttötende Repetieren überflüssig macht.

Da war das Internet noch jung und ich noch naiv. Ich habe nicht mental die Seiten gewechselt: Dass Trauben von Kindern mit ihren Smartphones in der Hand durch die ganze Welt ziehen und Pokémons jagen, ist ein Kulturereignis, das einem die Sprache verschlägt, und ich glaube, dass da noch Vieles kommen kann.

Aber gerade in diese Richtung zielt Frau Wankas "Digitalpakt für Schulen" ja nicht. Da geht es, worum auch sonst, um Ersparnis, aber wenn die Computer die Klassenzimmer vollstopfen, wird wohl eben das eingespart werden, was Bildung ausmacht und gerade nicht erspart werden darf: Einbildungsvermögen und Urteilskraft. Das "Umgehen" mit dem Computer wird zu einer inhaltsleeren, formalen Kompetenz, die "ein- geübt" wird, und am Ende stehen wir blöder da als zuvor. Ich halte den Computer noch immer für ei ne ästhetische Wundertüte. Nur, dass sie ihre Wunder auch im Klassenraum wirken kann, ist mir inzwischen fraglich geworden.

Der obige Beitrag ist zunächst einmal eine Verfremdung, als solche hat sie mein Gemüt erfrischt und als solche gebe ich sie hier wieder. Jedeenfalls ist es eine Spur, die man weiter verfolgen sollte,

JE

Montag, 17. Oktober 2016

Früher lügen!

pinterest
aus Die Presse, Wien,

Kinder lernen erst mit der Zeit zu lügen   
Kinder und ältere Erwachsene lügen seltener als der Durchschnitt. Am häufigsten sagen Teenager zwischen 13 und 17 Jahren die Unwahrheit.
 
"Antworten Sie ehrlich, wie oft Sie in den letzten 24 Stunden gelogen haben." Das fragten Kristina Suchotzki und vier weitere Forscher aus Belgien, den USA und den Niederlanden 1005 Menschen vor einem Museum in Amsterdam. "Das klingt ein bisschen witzig, das stimmt schon", sagt die 35-jährige Psychologin an der Uni Würzburg. "Es war aber durchaus ernst gemeint."
 
Eben deshalb, weil es zuerst witzig klingt, aber sehr wohl ernst gemeint ist, erhielt das Team um Suchotzki dieses Jahr den Ig-Nobelpreis für Psychologie. Das "Ig" steht für "ignoble" - englisch für "unwürdig". Das klingt negativer, als es gemeint ist. Denn der Preis "ehrt Errungenschaften, die Menschen zum Lachen und dann zum Denken bringen", heißt es auf der Website der Organisatoren.
 
Die "Igs" werden ein Mal im Jahr an der renommierten Harvard-Universität im Nordosten der USA vergeben. Die Preise werden oft von Trägern des "echten" Nobelpreises übergeben. Suchotzki und ihre Kollegen erhielten ihren Preis dafür, "1000 Lügner zu fragen, wie oft sie lügen - und zu entscheiden, ob sie diese Antworten glauben können", so die Jury.

Wie verändert sich Fähigkeit zu lügen?

So witzig die Preisverleihung war, so interessant sind hingegen die Ergebnisse der Studie "Vom Junior- zum Senior-Pinocchio". Ziel war es, herauszufinden, wie sich die Fähigkeit zu lügen beim Menschen über seine Lebensspanne hinweg verändert, sagt Suchotzki. "Unser Ergebnis war, dass Kinder und ältere Erwachsene seltener lügen und auch mehr Mühe haben beim Lügen als junge Erwachsene."

Das passe zu psychologischen Theorien: "Wenn mich jemand etwas fragt, ist mein automatischer Impuls, mit der Wahrheit zu antworten", erklärt Suchotzki. "Um zu lügen, muss ich das aktiv zurückhalten. Und das können Kinder noch nicht so gut."

Gleichzeitig sei das Lügen für den Lügner kognitiv anstrengend. Das könne man etwa durch Reaktionszeiten nachweisen, zumindest im Millisekundenbereich. Damit könne man wiederum erklären, warum ältere Menschen wieder weniger lügen - sie haben geringere kognitive Kapazitäten.
Die Antwort auf die Frage "Wie oft lügen Menschen?" - ob glaubwürdig oder nicht - war übrigens: Durchschnittlich etwas über zwei Mal am Tag. Am häufigsten lügen Teenager zwischen 13 und 17 Jahren.

In früheren Studien zeigte sich übrigens auch, dass Kinder die Fähigkeit zu lügen im Alter zwischen drei und fünf Jahren ausbilden und frühes Lügen Zeichen eines sich schnell entwickelnden Gehirns ist.

(APA/dpa/Red.)

Nota. - Der Witz der Sache ist der letzte Satz: Wenn schon gsnz kleine Kinder lügen, muss der Erwachsene nicht mehr wie bisher entsetzt die Hände überm kopf zusammenschlagen, sondern glücklich lächeln: "Schau an, wie g'scheit!"

Im Ernst: Manchmal hat man bei Kindern den Eindruck, sie schwindeln nur zum Sport. (Das muss man ihnen natürlich verweisen, denn so ist es wirklich: Normal ist es, zu sagen, was man als richtig erkannt hat. Um die Unwahrheit zu sagen, braucht man schon einen ganz gewichtigen Grund. Und selbst dann ist es nicht völlig in Ordnung...)
JE

Donnerstag, 6. Oktober 2016

Fetisch Offener Unterricht.


aus DiePresse.com, 05.10.2016 | 11:44 |

Forscherin: "Guter Frontalunterricht ist super"
Wenn offener Unterricht gut gemacht ist, kann er soziale Unterschiede ausgleichen. Schlechter kann sie dagegen sogar verstärken.

Offener Unterricht liegt in Österreich im Trend. Soll er allerdings gut gemacht werden, bräuchte es zusätzliche Ressourcen und mehr Vorbereitung der Lehrer - und beides fehlt derzeit, sagt die Grazer Bildungswissenschafterin Agnieszka Czejkowska. Die Folge: "Derzeit wird vieles Offener Unterricht genannt, was gar keiner ist."

Beim Offenen Unterricht geht man beim Lernen von den Alltagserfahrungen der Schüler aus. Sie lösen dann in Einzelarbeit, zu zweit oder in der Gruppe Aufgaben, die ihnen per Tages- oder Wochenplan vorgegeben werden. Wo, wann und in welcher Reihenfolge sie das tun, entscheiden die Kinder selbst. Bei differenzierten Formen wird zusätzlich unterschieden zwischen Pflicht- und freiwilligen Zusatzübungen, beim sogenannten offenen Plan stellen die Schüler - unter Kontrolle des Lehrers - ihre Aufgaben überhaupt komplett selbst zusammen.

Leistungsunterschiede verringert

In dem dreijährigen Projekt "Kindorientiertes Lehren und Lernen" hat Czejkowska, die Leiterin des Instituts für Pädagogische Professionalisierung der Uni Graz, mit Kollegen an zwei steirischen Volksschulen untersucht, was für guten Offenen Unterricht notwendig ist. Stimmen die Voraussetzungen, lernen die Kinder nicht nur selbstständig neues Wissen zu erwerben. Es können laut Czejkowska sogar jene Leistungsunterschiede verringert werden, die die Kinder zu Beginn der Volksschule wegen ihrer unterschiedlichen sozialen Herkunft mitbringen.


Das Problem: Derzeit würden zwar Politik und nicht selten Eltern auf den als "neu" etikettierten Offenen Unterricht drängen, Schulen und Lehrer würden allerdings bei der Umsetzung alleine gelassen. Die Forderungen der Forscherin: Lehrer müssten künftig im Rahmen der Aus-, Fort- und Weiterbildung darin unterstützt werden, wie sie die Schüler sinnvoll auf selbstständiges Lernen vorbereiten können. "Werden die Kinder nicht rechtzeitig eingeführt, dann scheitern sie am Offenen Lernen, weil sie nicht wissen, wie es geht."

Mindestens zwei Lehrer

Unterstützung bräuchten Lehrer außerdem bei objektiver und kindgerechter Leistungsrückmeldung und dem Erstellen von Lernunterlagen, die auch tatsächlich Kompetenzen abfragen. Eigentlich müssten ihrer Meinung nach für diese Art des Unterrichts im Idealfall sogar mindestens zwei Lehrer in jeder Klasse stehen.

Czejkowska wehrt sich deshalb auch gegen ein Bild vom Offenen Unterricht, in dem der Lehrer nur noch "Lernbegleiter" sein muss und einfach die leistungsschwächeren Schüler von den leistungsstärkeren lernen. Eine gute Umsetzung des Konzepts bedeute für den Lehrer nämlich mehr und nicht weniger Aufwand als klassischer Frontalunterricht.

Soziale Unterschiede verstärkt

Und er birgt zusätzliche Gefahren: "Wird Offener Unterricht nicht gut vorbereitet, indem alle Kinder wissen, wie sie ihr Lernen organisieren müssen, werden soziale Unterschiede sogar noch verstärkt." Denn während Kinder aus bildungsnahen Familien in der Regel schon Vorkenntnisse haben, wie man selbstständig lernt und mit den im Offenen Unterricht verwendeten Formaten umgeht, fehlen diese den anderen. Schwächere würden dann, wie von Kritikern des Offenen Unterrichts vorgeworfen, tatsächlich allein gelassen.

"Provokant gesagt: Schlechter Frontalunterricht ist mir immer noch lieber als schlechter Offener Unterricht", sagt die Wissenschafterin deshalb. Denn bei Frontalunterricht hätten wenigstens alle Kinder den gleichen Zugang zu neuem Wissen. Überhaupt verwehrt Czejkowska sich dagegen, Frontalunterricht als autoritär oder Motivationsbremse zu verurteilen. "Guter Frontalunterricht ist eine super Unterrichtsform. Es geht nur darum zu hinterfragen, wann welches Format und welche Materialien am sinnvollsten eingesetzt werden können. Auf eine gute Mischung kommt es an."
(APA)


Nota. - Dass der Offene Unterricht besser für die Kinder sei als der Frontalunterricht, haben sich Lehrer ausgedacht. Dass die Schüler im Offenen Unterricht entspannter sind, mag für einige zutreffen; aber andere entspannen sich so weit, dass sie gar nicht mehr mitmachen...

Auf jeden Fall ist es aber für den Lehrer entspannter. Im Frontalunterricht gibt er jeweils 45 Minuten lang eine Soloshow, bei der er das Gefühl hat, sich keinen Fehler leisten zu können und sein  Publikum ununter- brochen in Atem halten zu müssen. Das kann er auf die Dauer gar nicht durchhalten, und er wird sich schließlich den Schlendrian durchgehen lassen, sofern die Schüler ihn ihm auch durchgehen lassen - zu dem Preis, dass er den ihren durchgehen lässt. - Aber das wird die meisten auf die Dauer noch mehr stra- pazieren.

Im Offenen Unterricht steht der Lehrer nicht dauernd auf dem Drahtseil, er kann sich mal zurücklehnen und beobachten, und wenn ein Schüler selber die Initiative ergreift, freut er sich wirklich, weil es ihn entlastet. Aber statt einer hat er nun ein halbes Dutzend Baustellen, er muss ständig rauf- und runterschalten, und außer zwei Dutzend persönlicher Identitäten muss er nun noch ein halbes Dutzend Gruppenidentitäten unterscheiden. Viele werden finden, dass sie vom Regen in die Traufe gekommen sind, und es ist kein Wunder, dass einer auf die Idee kam, irgendwie ein Zwischending zu erfinden.

Des Dilemmas Lösung gibt es nicht. Eine ideale Schule kann nicht sein, weil die Schule kein Ideal ist, sondern ein Notbehelf. Ein "idealer Notbehelf" - Erziehungswissenschaftlern traue ich zu, so etwas auszu- hecken. -  Bis aber die Schule abgeschafft wird, wird noch manche Generation säckeweise in saure Äpfel beißen müssen. 

Und inzwischen wäre es schon ein kleiner Fortschritt, wenn zwei Lehrer statt nur eines einzigen in der Klasse wären. Wenn nur nicht immer einer die erste Geige spielen wollte...
JE