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Die Institution Schule wucherte, in der Lehrerschaft wuchs ein Heer von interessierten Befugten heran, die die Rede über Kinder und ihre Erziehung unter sich monopolisierte: Kein Philosoph ließ sich seither noch maßgeblich zu pädagogischen Themen vernehmen, als wäre das Schmuddelkram, den ein anständiger Mann jenen überlässt, die damit ihren Lebensunterhalt erwerben. Allenfalls Nietzsches Hohn auf den “Bildungsphilister” hat – mittelbar – noch in die Pädagogik hineingewirkt:
1898 trat in Berlin-Steglitz mit dem “Wandervogel” die deutsche Jugendbewegung ins Leben, und im selben Jahr unternahm Hermann Lietz im thüringischen Haubinda mit den Vorbereitungen zum seinem ersten Landschulheim – unter ausdrücklichem Rückgriff auf J. G. Fichtes “Reden an die
deutsche Nation” – die erste praktische Realisierung der deutschen Reformpädagogik.
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Der Lehrer und Kunsthistoriker Alfred Lichtwark,
1852-1914, war ein bedeutender Museumsmann, der als erster die Moderne
nach Deutschland holte (Cl. Monet in der Hamburger Kunsthalle), und war
theoretisch und praktisch (Liebermann-Villa) der maßgebliche Erneuerer
der Gartenbaukunst: Die Stadt- und Volksparks des 20. Jahrhunderts
verdanken ihm ihr Gesicht. Vor allem wurde er aber zu einem Pionier der
Reformpädagogik. 1896 gründete er in Hamburg die Lehrervereinigung zur Pflege der künstlerischen Bildung und wurde zum Wortführer der “Kunsterziehungsbewegung”: Erziehung zur Kunst, Erziehung als Kunst!
Die nachstehenden Auszüge aus seiner Rede auf dem 2. Kunsterziehungstag in Weimar 1903 klingen nach hundert Jahren noch – nein: wieder ganz frisch.*
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Selbstzweck Es ist ein Verhängnis, daß alle dauernden Einrichtungen, die das Menschengeschlecht in den Dienst des Lebens stellt, die Neigung haben, im Laufe der Zeit sich selber
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“Fächer”
Die Schule überläßt man den reglementierenden Behörden und den Lehrern. Die Behörden arbeiten für sich. Die Lehrer stehen allein und oft im Gegensatz zu den
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Es geht ums Ganze
Da sich jede Tagung nur mit einem Ausschnitt beschäftigen kann, erscheint es geboten, immer wieder darauf hinzuweisen, daß wir das Ganze der Schule im Auge haben. Es handelt sich nicht darum, die Schule mit neuen Stoffen zu belasten, wo sie unter der Last des Stoffes schon zusammenbricht, sondern ein neues Unterrichtsprinzip zu beraten, das nicht für diesen oder jenen Unterrichtsgegenstand, sondern für die ganze Erziehung gilt. Da aber an einem einzelnen Punkte angesetzt wurde, ist der Hinwies auf das Ganze hier und da überhört worden, und es darf nicht wundernehmen, daß die Absichten des Kunsterziehungstages gelegentlich verkannt wurden. Wer eine Zeitlang an irgendeiner Stätte mitgewirkt hat, weiß aus Erfahrung, daß nichts so schwer verstanden wird wie ganz einfache Gedanken.
Es
gibt aber Einwürfe, die an den Kern rühren und die wir deshalb sehr
ernst nehmen müssen. Mit den Erinnerungen an die Schulzeit hängen alle
die Bedenken
zusammen,
die sich gegen den Lehrer als den Vermittler künstlerischer Bildung
richten. Ruhige, bedeutende und an sich wohlwollende Männer von reifem
Verständnis denken mit Beklemmung daran, dass der Schule das letzte
Gebiet, an das ihre Hand noch nicht gerührt hatte, das der Kunst, nun
ausgeliefert werden solle. Habe nicht die schulmäßige Behandlung der
Religion, der Religionsunterricht, wesentlich mitgewirkt, die religiöse
Empfindung und Sehnsucht zu töten? Trifft nicht die schulmäßige
Behandlung unserer Dichter die Hauptschuld, daß unser Volk sich von
ihnen abgewandt habe? Sei es nicht auffallend, daß das deutsche Volk
seine alten Volkslieder nicht mehr singe, seit sie in der Schule gelernt
werden?
Qualitäten statt Richtigkeit
Zugegeben, daß die Vorwürfe nicht ganz ohne Grund erhoben werden – folgt denn daraus, daß wir uns in die Unzuträglichkeiten ergeben sollen wie in schlechtes Wetter? Daß die Mängel zu beseitigen sind, beweist innerhalb der herrschenden Zustände die Wirksamkeit einzelner hervorragender Lehrer. Wer von uns hat nicht die Erinnerung an eine Lehrerpersönlichkeit, deren Macht selbst dem gering Begabten ein Lehrer wirken nicht durch methodische Kniffe und sind nicht etwa nur besonders geeignete Vehikel für den Unterrichtsstoff. Sie schaffen
durch
ihre lebendige Kraft, mit der sie Kräfte wecken. Nur darin liegt das
Geheimnis ihrer Macht. Und in der Beobachtung ihres Wesens und Wirkens
lernen wir erkennen, wo in unserm Schulwesen die Fehlerquelle steckt:
Die Schule geht vom Stoff aus und bleibt am Stoff kleben. Sie sollte von
der Kraft ausgehen und Kräfte entwickeln, dann würde sie noch viel mehr
Stoff als heute – und würde ihn spielend bewältigen. Die Schule zielt,
weil sie vom Lehrstoff hypnotisiert wird, auf Richtigkeit ab. Ihr Ziel
sollte Wertigkeit (Qualität) sein. Das ist das Höchste und schließt die
mechanische Richtigkeit ein – soweit nicht ebensogut darauf verzichtet
werden kann. Mit ihrer ausschließlichen Sorge um den Lehrstoff hat die
Schule satt gemacht. Sie sollte hungrig machen.
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Qualitäten statt Richtigkeit
Zugegeben, daß die Vorwürfe nicht ganz ohne Grund erhoben werden – folgt denn daraus, daß wir uns in die Unzuträglichkeiten ergeben sollen wie in schlechtes Wetter? Daß die Mängel zu beseitigen sind, beweist innerhalb der herrschenden Zustände die Wirksamkeit einzelner hervorragender Lehrer. Wer von uns hat nicht die Erinnerung an eine Lehrerpersönlichkeit, deren Macht selbst dem gering Begabten ein Lehrer wirken nicht durch methodische Kniffe und sind nicht etwa nur besonders geeignete Vehikel für den Unterrichtsstoff. Sie schaffen
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Der Lehrer, ein Künstler
Das ist nicht durch Reglemente und lernbare Methodik zu erreichen. Unterrichten, erziehen ist eine Kunst. Der Lehrer sollte eine künstlerische Persönlichkeit sein, und alle Lehrer, deren wir leuchtenden Blickes aus unserer eigenen Kindheit gedenken, sind es gewesen. Zum Lehrerberuf gehört eine besondere Begabung. Wer sie nicht in sich fühlt, sollte die Hand davon lassen, er würde sich und seine
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Die
Einheit der künstlerischen Erziehung, die nicht als ein äußerliches
Schmuckstück für Festtage gedacht ist, sondern als eine das Leben
gestaltende Entwicklung der künstlerischen Anlagen, liegt zuoberst in
der Persönlichkeit des Lehrers. Was er im Schüler ausbilden will, muß
zuerst in ihm selbst Leben und Gestalt gewonnen haben. Auf Unterricht
kann man sich von Tag zu Tag vorbereiten, auf die Ausübung einer
erzieherischen Tätigkeit nicht. Nicht energisch genug können wir
betonen, daß bei jeder Art künstlerischer Erziehung der gute Wille, der
nicht nach der Befähigung fragt und auf Grund eilfertiger “Vorbereitung”
hastig ans Werk geht, nur Unheil anrichtet.
Alle
Schulreform sollte bei der Auswahl und Bildung der Lehrkräfte
einsetzen. Nur wenn wir den Lehrer als Künstler auffassen und ihn als
Künstler wirken lassen, werden die Übelstände verschwinden, die heute
mit Mißtrauen gegen die Schule erfüllen. Nur der Lehrer kann die Schule
retten.
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*) aus: Die Einheit der künstlerischen Erziehung, Rede
auf dem 2. Deutschen Kunsterziehungstag; gehalten am 11. 10. 1903 in
Weimar; vollständiger Wortlaut (u. a.) in: Wilhelm Flitner (Hg.), Die
deutsche Reformpädagogik – die Pioniere der pädagogischen Bewegung,
Stuttgart 1982; S. 110-119
Redaktion: J. Ebmeier
Dezember 17, 2008
Dezember 17, 2008
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