Freitag, 1. November 2013

Und immer wieder: Schule...

aus NZZ, 1. 11. 2013

Die Schule neu denken
Diskussionsrunde mit dem Philosophen Richard David Precht an der Universität Zürich

 wbt. · Was wäre, wenn man sich Schule von null auf dächte? Nichts weniger als solche Gedankenarbeit fordert der deutsche Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht. Sein Buch «Anna, die Schule und der liebe Gott. Der Verrat des Bildungssystems an unseren Kindern» belebt zurzeit die Bildungsdiskussion. In die Aula der Universität Zürich hat ihn am Donnerstagabend das Department of Economics der Universität Zürich geholt. Seine Kritik an der heutigen Volksschule bezieht ihre Legitimation aus den Anforderungen, denen unsere Kinder in ihrem späteren (Berufs-)Leben ausgesetzt sind.

Diese Arbeitswelt wird, so Precht, geprägt sein vom quartären Sektor, dessen hochkomplexe Steuerung Berufe hervorrufen wird, die wir heute noch gar nicht kennen. Die Fähigkeiten, die es dafür braucht, muss die Schule der Zukunft vermitteln: soziale Kompetenzen, intrinsische Motivation, freies Sprechen als konkretes Beispiel. Mit wenigen Ausnahmen leiste das heutige Schulsystem dies nicht. Seine funktionale Architektur gründe im 19. Jahrhundert. In Preussen habe die Volksschule historisch die Aufgabe gehabt, erstens Wissen zu vermitteln, das man nur bei ihr erwerben konnte, und zweitens die Grundlagen für eine bürgerliche Gesellschaft zu legen, Öffentlichkeit herzustellen, Bürger, Soldaten und Verwaltungsleute mit identischem Grundwissen heranzubilden.


Heute habe der 45-Minuten-Takt mit sechs Fächern pro Tag ausgedient. Lehrer wie Schüler bezögen ihr Wissen aus den gleichen Wikipedia-Beiträgen. Im Frühling komme die Google-Brille auf den Markt, die jedem den Zugang zum Weltwissen mit einem Wimpernschlag öffne. Das bedeute das sichere Ende der TV-Quiz-Sendungen. Und das Ende der herkömmlichen Volksschule?

«Jetzt haben wir Internet, jetzt wird alles anders», fasste der Zürcher Pädagoge Jürgen Oelkers Prechts Thesen in der anschliessenden, vom Journalisten Martin Beglinger moderierten Diskussionsrunde zusammen. Als Bildungshistoriker sei er aber überzeugt, dass die Volksschule auch diese Revolution überleben werde. Ganz früher habe er die Schule auch von null auf zu denken versucht; so einfach sei sie nicht zu verändern. Mit seiner Skepsis markierte Oelkers die Distanz zwischen Prechts Thesen und den realen Möglichkeiten, eine Schule zu gestalten, die möglichst vielen zum Beispiel eine reelle Chance auf einen Arbeitsplatz mitgibt.

...

Nota.

"Neu denken"? Als sei die Institution Schule daraus entstanden, dass irgendwer sie 'erdacht' hat! Das Grundproblem aller Debatten über Bildung und Bildungsreform ist, dass man die historisch gewordene Gegebenheit der Schule wie eine logische Prämisse behandelt, und dass "Schule sein muss" für ein Naturgesetz hält. Wie Precht in seinem neuen Bestseller seine historische Fragestellung, wie er sie hier formuliert, im einzelnen durchgeführt hat, mag diskutabel sein; aber dass er seine Prominenz ausnutzt, um sie überhaupt erstmal in eine breite Öffentlichkeit zu tragen, ist lobenswert.
JE

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen