Frühes Kindertheater von Erich Kästner.
aus Die Presse, Wien, 5. 11. 2013
Dresden: Uraufführung eines Stücks von Erich Kästner
86
Jahre nach Entstehung hatte „Klaus im Schrank oder das verkehrte
Weihnachtsfest“ jetzt im Schauspielhaus Dresden Premiere. Bearbeitet und
temporeich inszeniert hat es die Österreicherin Susanne Lietzow.
„Zu modern für ein
Weihnachtsstück“: Mit dieser Begründung lehnten die Theaterverlage das
erste längere Werk von Erich Kästner ab. 1927 geschrieben, tauchte das
Kinderstück „Klaus im Schrank“ erst in den Achtzigerjahren im Nachlass
von Kästners Sekretärin wieder auf, fand aber jahrelang nicht viel
Beachtung. Das Manuskript lagerte im Archiv der Berliner Akademie der
Künste.
Nun wurde „Klaus im Schrank“ unter großem Jubel im
Schauspielhaus Dresden uraufgeführt. Und wirklich, der darin exerzierte
Rollentausch mutet heute noch recht modern an: Ein Bankdirektor und
seine lebenslustige Frau müssen unter Aufsicht ihrer mit ihnen ganz und
gar nicht zufriedenen Kinder lernen, sich wie brave Eltern zu benehmen.
Vor allem haben sie dem Spruch des „Kindergerichts“ zu gehorchen: Sie
müssen einander lieben und zusammenbleiben.
Die Versöhnung findet
natürlich vor einem gigantischen Weihnachtsbaum statt, so viel Pathos
und Romantik mussten sein bei Kästner, dessen typische, nicht nur aus
„Emil und die Detektive“ und „Der 35. Mai“ bekannte Melange aus offener
Rührseligkeit und schnoddrigem Ton, aus onkelhaftem Pathos und Kritik an
der schnöden, fantasielosen „Erwachsenenwelt“ schon dieses frühe Stück
prägt. Dass die Großen verlernt haben, kindlich zu sein: Auch dieses
Motiv sollte sich durch das weitere Werk Kästners ziehen, der etwa
seinen Roman „Drei Männer im Schnee“ programmatisch unter dem Titel „Das
lebenslängliche Kind“ dramatisierte.
Originell – und zugleich
zeittypisch – wird „Klaus im Schrank“ durch die Technik der Läuterung, der die Eltern unterzogen werden: Ihre unbeholfenen Versuche, sich in
die Welt ihrer Kinder zu versetzen, werden verfilmt, genauso wie die
umgekehrten Rollenspiele der Kinder. Regie führen Jackie Coogan,
Kinderstar in Charlie Chaplins „The Kid“ (1921), und Chaplin selbst,
hinreißend originalgetreu verkörpert von Atef Vogel. Dieses Schauspiel
findet in einer Traumfabrik statt; deren Pforte ist der Schrank, in den
Klaus und seine Schwester Kläre wandern.
Susanne Lietzow, die das
Stück bearbeitet und inszeniert hat, hat aber einen kongenialen Schluss
dazu erfunden: Klaus bekommt zu Weihnachten eine Kamera, mit der er das
Happy End filmt, mit allen Tollpatschigkeiten, die es bringt. Im
rasanten Video, das am Schluss läuft, verschmilzt so die Lächerlichkeit
schön mit der Rührung, dass sie diese potenziert. Spätestens hier zieht
das Publikum kollektiv die Taschentücher . . .
Die Frau Direktor hat einen Lover
Es ist nicht die einzige Adaption, die die gebürtige Tirolerin
Lietzow vorgenommen hat: Sie gönnt der Bankdirektorsgattin ein
schlampiges Verhältnis mit einem über die Maßen in sich selbst
verliebten Beau, sie gesellt dem kinderlieben Freund der Familie am Ende
ein Fräulein Elfriede zu, sie lässt einen Hundemenschen (oder
Menschenhund?) durch die Szenerie tollen und tanzen. Ja, getanzt und
gesungen wird viel, Breakdance und Cabaret, Punk und Tango, dass diese
eklektische Mischung funktioniert, ist ein wahres Wunder, es liegt wohl
auch an den fantastischen Schauspielern und ihrer Führung.
Ja, es
ist viel Klamauk und Slapstick in Lietzows Inszenierung, aber nie zu viel; das skurrile, mit allen Kunststücken der Bühnentechnik verstärkte
Wunderland, in das sie Kästners Märchen stellt, dient auch dazu, dessen
dick aufgetragene Moral zu verdünnen und damit erträglich zu machen.
Dass der Vater nach Kästners Anleitung auf einem „elektrischen Stuhl“
landet, erspart sie ihm und dem Publikum. Dieses verließ das Theater
amüsiert und bewegt, und so mancher wird wohl noch lange vor sich hin
geträllert haben: „In der Bar zum Krokodil . . .“
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