Samstag, 31. August 2013

Von der Künstlichkeit des Kindes...

...und der Kindlichkeit der Kunst

Im echten Manne ist ein Kind versteckt,
 und das will spielen. 
Nietzsche

Das Kind ist der Vater des Mannes. 
französische Redensart

Am Ende ist bei jedem Spiel des Knaben
 und jedem Ernst des Mannes die Betrachtung der Zweck,
 auf den des Knaben Spiel und des Mannes Ernst gerichtet ist. 
Plotin, Enneaden III,8 

Daß Menschen erwachsen werden, ist kein Naturgeschehen. Daß der Mensch neben seiner ersten, natürlichen Natur noch eine zweite selbstgemachte, künstliche Natur hat, die ihm nicht einfach vererbt, sondern anerzogen wird, ist seit Herder eine pädagogische Binsenweisheit. Aber es ist eine Halbwahrheit, die mehr mystifiziert als aufklärt – weil es so klingt, als handle es sich um zwei Stufen: bis hierhin Natur, von da ab Kultur. Natürlich kommen auch Menschenkinder nicht ausgewachsen auf die Welt. Nur ist der Prozeß der physiologischen Reifung bei den Menschen künstlich in die Länge gezogen – aber das fällt bereits in unsere „zweite“, selbst- gemachte Natur.

Seit seinem Ur-Sprung, der Erfindung des aufrechten Gangs, ist der Prozeß der Hominisation eine Wechsel- wirkung von Natur und Selbstentwurf; von biologischer Selektion und Anpassung hier und freier Gestaltung dort. So sehr, daß noch dieser Ursprung selbst rückblickend weniger als eine Reaktion auf Vorgefundens denn wie die Schaffung von Neuland erscheint. Der aufrechte Gang hat mit der Freisetzung der Dynamik von ‚Hand und Kopf’ die Erzeugung des Geistes ermöglicht. Und erfordert: Immerhin hat von allen Zweigen der Familie Homo die Gattung Sapiens als einzige bestanden. Der aufrechte Gang hat unsere Spezies ermächtigt, aus ihrer angestammten Nische in eine große bunte Welt aufzubrechen.

Dabei mußte sich Homo freilich entspezialisieren und zum Fachmann für das Unspezifische stilisieren. Es ist sinnvoll, seine seitherigen Schicksale als fortschreitende Erfüllung dieses ursprünglichen Programms zu verstehen: als Entbindung aus dem Wirkungsgefüge der Natur. Ewige Unfertigkeit ist sein hervorstechender Gattungscharakter und Dysfunktionalität sein Stil. Und es war die Entspezifizierung seiner bestimmten Umwelt zur offenen Welt, die ihn genötigt hat, ihr eine eigne Ordnung einzubilden – durch die Erfindung des Sinns; denn wie anders konnte der darin zurechtkommen?

Die Unreife des Menschen

Indes hat dies Programm selber biologische Fakten geschaffen und Eingang in unsere genetische Ausstattung gefunden. Der Freisetzung von ‚Hand und Kopf’ folgte ein sprunghaftes Anwachsen des Gehirnvolumens und -gewichts, so daß Menschenkinder nicht bis zur Lebensfähigkeit ausgetragen, sondern verfrüht „zur Welt gebracht“ werden. Ein „extra-uterines Embryonalstadium“ wird nötig, der Mensch wird zum „sekundären Nesthocker“ (nach A. Portmann).

Doch von da an erscheint die Entwicklung dieser Frühgeburt merkwürdig ‚retardiert’. Sein körperliches Wachstum erstreckt sich über rund zwanzig Jahre – unverhältnismäßig länger als bei Tieren mit einem vielfachen Körpergewicht. Besonders auffällig: Die geschlechtliche Reifung, die ‚eigentlich’ mit dem fünften Lebensjahr erreicht wäre, wird hormonal unterbrochen und bis ins zehnte bis vierzehnte Lebensjahr aufgeschoben. (Die Zirbeldrüse scheint beim Menschen nur noch diesem Zweck zu dienen). Es entsteht eine Entwicklungsstufe, die einzig ist in der Natur: die „Pubertät“, ausgezeichnet durch einen Wachstumssprung („zweiter Gestaltwandel“) und eine turbulente Sexualität, die nicht dem Fortpflanzungszweck zugeordnet ist.

Die Pubertät ist auch physiologisch kein Naturgeschehen, sondern schon Kulturprodukt – jedenfalls eines unserer „zweiten“, künstlichen Natur. Die scheinbare Verspätung des Heranwachsens beim Menschen ist in Wahrheit eine aktive Reifungs-Hemmung. Reife, das ist die endlich erreichte bestimmte Form. Bestimmt wodurch? Durch die bestimmte Funktion. Nur ein Organismus, der sich auf eine Funktion spezialisiert, kann „reifen“. Reifung oder Spezialisierung, das ist eins. Die endokrinal gesteuerte Reifungshemmung des Homo sapiens ist eine Spezialisierungshemmung: Er soll nicht „funktionieren“. 

Wie wir erwachsen wurden

Erwachsenheit ist nicht die Reifeform des Menschen. Wie der Phänotyp ‚Erwachsener’ entstand, das ist ziemlich genau dieselbe Geschichte, die Norbert Elias als den „Prozeß der Zivilisation“ beschrieben hat: die Ausbildung des bürgerlichen Menschen. Das feudale Mittelalter, das war, mit Egon Friedell zu reden, die Pubertät, waren die „Flegeljahre“ der Europäer (und die griechische Antike war, nach Karl Marx, ihre Kindheit). Die Neuzeit und die Geldwirtschaft machten sie erwachsen.

Die Zivilisierung der Gesellschaft ist die Rationalisierung ihrer Funktionen. Rationalisierung ist Ökonomisierung. Rationalität selbst ist Ökonomie der Vorstellung: Einbildungskraft plus Berechnung. Denken, das dient; funktionales Denken: Rationalität ist der abstrakte Begriff von Arbeitsfähigkeit. Und von Arbeitsteilung. Was im Ganzen Teilung ist, bedeutet für den Einzelnen Spezialisierung. Erwachsen sein heißt einen Beruf haben. Und der Weg dorthin heißt: lernen.

Max Weber sprach von der Rationalisierung der modernen Welt als von einer Entzauberung. Bezaubernd war die Welt, solange sie wenigstens an ihrem äußersten Rand noch unbestimmt blieb. Zweckmäßige Bestimmtheit banalisiert sie zur bloßen Umwelt. Webers Begriff der Rationalisierung bezeichnet die durchgehenden Funktionalisierung der bürgerlichen Gesellschaft, wo jedes um eines andern willen da ist; die Zuordnung eines jeden Minus zu einem Plus, eines jeden Topfs zu seinem Deckel, jedes Gegenstands zu seinem Bedürfnis.

Ausgleich, Äquivalenz, Assimilation. Paradigma der bürgerlichen Welt ist der Saldo. Ist nicht aber Surplus der Sinn und Zweck kapitalistischen Wirtschaftens? Ach, kaum ist ein Überschuß erzielt, meldet sich auch schon das „neue Bedürfnis“: Ick bün all do! Der Erwachsene ist der rational handelnde, die Folgen erwägende Bürger: der Haushälter, homo oeconomicus. Ja, doch – er ist spezialisiert; auf die häusliche Existenzweise. Er funktioniert, eingebunden in seine „zweite Natur“: sein selbstgemachtes Wirkungsgefüge (namens Wertgesetz). Er ist die Domestikationsform des Menschen. Seine „Verhausschweinung“, wie Konrad Lorenz das nannte.

Der rührende Rest

Nicht zum Spaß und nicht aus Stolz ist der Mensch zum Homo oeconomicus „erwachsen“. Es war der Fluch des Fortschritts, der Entfaltung der materiellen Produktivkräfte. Es war das immanente Gesetz der Arbeitsgesellschaft. Es war die Hürde, die erst einmal genommen sein wollte. Auf einmal verrät das Herder’sche Stufenmodell von der „ersten“ und der „zweiten Natur“ des Menschen seinen ganzen pädagogischen Sinn: Kindlichkeit wird bestimmt – als Unbestimmtheit; als Dysfunktionalität. Was unser ursprünglicher Gattungsstil war, wird gesetzt als Mangel – an Zivilisation. An Erwachsenheit. An Beruf! Den Mangel zu beheben wird selbst zur bestimmten Tätigkeit: zu Arbeit. Die Arbeit der Kinder heißt „lernen“.

Die Kindlichkeit des Kindes wurde, ebensowenig wie das Kind selbst, nicht einfach unterdrückt. Nein, sie wurde sogar idealisiert und mystifiziert – und dabei entfremdet und lahmgelegt. Was unbestimmt, nicht-rationell, nicht funktional und folgenlos war, wurde als noch-nicht-wirklich aus dem werktätigen Alltag ausgeschieden. Nach unten, ins Souterrain: die Kindheit, Caput mortuum einer zivilisierten Wildheit; Quell der Lebenskraft zwar, aber sentimentaler Schwachmacher. Asyl der Unzurechnungsfähigkeit und Insel der Seligen, je nachdem.

Und nach oben, in die gute Stube, den Salon, der nur des Sonntags aufgesperrt wird: die Kunst. In der Kunst erscheinen die Dinge, als hätten sie Wert und Sinn an sich selber, unbekümmert um die Folgen und gleichgültig gegen mein Bedürfnis. Schön ist, was zweckmäßig erscheint ohne Zweck, meint Kant. In der Kunst und in der Kindlichkeit des Kindes erscheint die gattungsmäßige Unbestimmtheit des Menschen als ein Residuum; irreduzibel, aber im wirklichen Leben nicht zu gebrauchen. Geschätzt nur bei feierlichem Anlaß.

In der bürgerlichen Kultur ist das Verhältnis von Werktag und Sonntag verkehrt: Während in traditionalen Gesellschaften das werktätige Leben um seiner Feiertage willen dazusein scheint, ist in der Arbeitsgesellschaft der Sonntag für den Werktag da: als Pause. Doch gerechterweise sei hinzugefügt: Im Phänotyp des Unternehmers hat die bürgerliche Wirtschaftsweise die alltägliche Häuslichkeit um eine Dosis Künstlertum bereichert. Allerdings ist der Sachbearbeiter inzwischen typischer als der Unternehmer.

Die Kindlichkeit der Kunst

Die Kindlichkeit des Kindes und die Künstlichkeit der Kunst haben einen gemeinsamen Nenner, und zwar: eine Sache um ihrer selbst willen tun. Es ist die Art von Tätigkeit, die landläufig Spiel genannt wird. Immer wieder hat man versucht, das Spiel definitorisch gegen die Arbeit abzusetzen. Vergeblich. 
Nämlich solange der Unterschied in den technischen, ergonomischen Merkmalen der Tätigkeit selbst gesucht wurde.

Der Unterschied liegt in ihrer verschiedenen Bedeutung fürs Leben. Arbeit ist eine Tätigkeit, die um eines gesetzten Zweckes willen geschieht. Der Zweck ist ihr Was, die Unbotmäßigkeit des toten Stoffs bestimmt das Wie: An der Sicherheit, mit der sie den Stoff dem Zweck anverwandelt, mißt sich ihre Qualität.

Und wenn es möglich wird, die Tätigkeit zu ersparen und ihre Qualität den Maschinen einzubauen, umso besser. Industriearbeit, Lohnarbeit ist die „reine“ Form der Arbeit. Nicht logisch, aber historisch, und darauf kommt’s an. Sie ist die Art von Tätigkeit, die gesellschaftlich gilt – qua Tauschwert, denn der ist der allgemeinste Zweck. Die Mühsal ist, allen Etymologien zum Trotz*, kein Bestimmungsgrund von Arbeit. Wenn Arbeit Spaß macht, hört sie nicht schon auf, Arbeit zu sein.

Spiel dagegen wird „um seiner selbst willen“ getan. Aber was bedeutet das? Daß es „befriedigt“? Dann wäre die Befriedigung Zweck, nicht die Tätigkeit, und wir würden uns im Kreise drehn. Das Eigentümliche am Spiel ist aber, daß vorher nicht feststeht, ob es befriedigen wird oder enttäuschen. 
Das Eigentümliche am Spiel ist sein offener Ausgang. Daß es also keinen Zweck hat.

Es werden Folgen eintreten, wie bei allem, was man tut. Aber man weiß nicht, welche. Man kann sie nicht „bedenken“. Man mag sie erahnen oder erhoffen, aber man muß es wohl drauf ankommen lassen… Spiel ist Risiko, und das Risiko ist sein Zweck. Es lebt vom Zauber des Unbestimmten. Arbeit dagegen will Bestimmtheit.

Die Unbestimmtheit der Zwecke – daß man erst sehen wird, was es werden soll, wenn es etwas geworden ist -, das macht Kunst zum Spiel. Die Künstler der Vergangenheit waren sich ihrer Zwecke freilich sicherer als die heutigen. Sie wußten sich beauftragt. Zuerst von geistlichen, dann von immer weltlicheren Mächten. Erst als der Markt die Künstler vom Geheiß der Auftraggeber befreit und ihre Existenz aber auch unsicher gemacht hatte, wurde der Ausgang der künstlerischen Tätigkeit offen. Kunst trat in einen polemischen Gegensatz zur Bürgerlichkeit – d. h. zur Arbeit.

Der Künstler wurde vor die Tür gesetzt und lebt seither in einem Reich des Ungewissen. Wie die Kinder. Nur am Sonntag ließ man ihn in die gute Stube: wie die Kinder. In ihnen beiden hat unser Gattungsstil überlebt, als Residuum. Der Vergleich von Kunst und Kindheit ist mehr als eine Metapher. Denn ist der Künstler immer ein bißchen wie ein Kind, so ist das Kind, mit Maurice Ravel zu reden, „von Natur künstlich“.

Der Erwachsene veraltet

In der Industrieproduktion selbst wird heute das Erfinden von Neuem wichtiger als die Reproduktion vorgegebener Zweckformen. Die Tugenden der Arbeitskultur – berechnen, assimilieren, saldieren – werden entwertet. Wenn der Arbeitsprozeß streckenweise selbst den Charakter von Spiel annimmt, dann wird „Chaosqualifikation“ funktioneller als Bestimmtheit; vielleicht das Kernproblem am Standort Deutschland, wo man jetzt Inder braucht, weil man die Kinder zu viel lernen läßt.

Die elektronischen Informationssysteme machen es sinnfällig: Wer sich ins Internet einklinkt, spielt mehr als daß er arbeitet; er „surft“. Funktionalität nimmt selbst den Charakter von Unbestimmtheit an. Rationalität, die unsere Zivilisiertheit ausmachte, gerät außer Kurs.

Und mit der Arbeit schwindet auch die Arbeit der Kinder: das Lernen. Cyberworld hält Einzug nicht erst ins Arbeitsleben, sondern schon in die Klassenzimmer – und alles, was sich überhaupt „lernen“ läßt, lernt früher oder später auch der Computer. Beim Informationsmanagement hat er den Menschen weit überholt. Will der ihn dennoch beherrschen, muß er sich nicht länger zum Spezialisten bilden, sondern zum Fachmann fürs Allgemeine – mit dem freien Willen als seinem „Betriebssystem“.

Selbst der Haupteinwand der Romantik gegen die bürgerliche Lebensweise, die Vereinseitigung der Menschen durch die Wahl ihres Berufs, fällt nun nicht mehr ins Gewicht. Im Zeichen von „lebenslangem Lernen“ wird die spezifische Arbeit der Kinder zu einer unspezifischen Tätigkeit von Allen, und die Erwachsenheit veraltet. Zugleich hört Kindlichkeit auf, ein Residuum zu sein, und verbreitet sich vom Souterrain aus über die anderen Etagen – bis in den bürgerlichen Alltag. Die Hürde fällt hin. (Allerdings geht es jetzt auch in der guten Stube nicht mehr so feierlich zu.) Das selbstgemachte Wirkungsgefüge lockert sich, das Wertgesetz schwindet. Es sieht gar aus, als kehrten wir zu unserm Ursprung zurück!

Zurück nach vorn

Doch was heißt da „zurück“? In den zwanziger Jahren machte der holländische Anatom Louis Bolk eine aufsehenerregende Entdeckung. Im Laufe seiner Gattungsgeschichte nähert sich die Morphologie des Homo sapiens zusehends solchen Formen an, die bei unsern nächsten Stammverwandten (den Pongiden) die spezifisch kindlichen sind; namentlich die Übergröße des Kopfes, der Verlust des Haarkleides, die Überlänge der Gliedmaßen bei einem verkürzten Rumpf und die Stellung der Wirbelsäule. Lauter urtümliche, unspezifische Formen. „Primitivismen“, meinte Bolk. Das von ihm beobachtete Entwicklungsgesetz nennt er Retardation.

Seine These führte zu heftigen Debatten. Weniger um die Fakten als um ihre Interpretation. Ist die Phylogenie eine „rezessive“ Umkehrung der Ontogenie, ein Rückfall ins Archaische? Oder sind nicht vielmehr die Kindheitsformen der Individuen ein „prozessiver“ Vorgriff auf die Zukunft der Gattung? – Diese Interpretation hat sich unter der (mißverständlichen) Bezeichnung Neotenie in der wissenschaftlichen Literatur behauptet; die konkurrierenden Namen Protogenese (Schindewolf) und Pädomorphose (Garstang) konnten sich nicht durchsetzen. Was aber mag die Morphologie allein schon aussagen?

„Viel wichtiger sind für das Problem der Menschwerdung die Neotenie-Erscheinungen im Verhalten“, schrieb Konrad Lorenz, der neben Arnold Gehlen das Thema in die Soziologie und Kulturanthropologie eingeführt hat. Der Mensch verdanke seiner Neotonie „zwei konstitutive Eigenschaften: erstens das Erhaltenbleiben der weltoffenen Neugier über nahezu sein ganzes Leben, zweitens aber seine Entspezialisierung, die ihn schon rein körperlich zum unspezialisierten Neugierwesen stempelt.“ Die Neugier setzt er, als eine Hingabe an das Unbestimmte, dem Spiel gleich; und „aus Können und Spielen entsteht die Kunst“.

Damit nicht genug. „Aus dem Neugierverhalten entwickelt sich beim Menschen phylogenetisch wie ontogenetisch die Wissenschaft. Sie ist der Kunst wesensmäßig so nah wie das Neugierverhalten dem Spiel.“ Die Folgerung ergibt sich zwanglos: „Das neugierige Kind ist im ‚echten Manne’ durchaus nicht, wie Nietzsche meinte, versteckt: Es beherrscht ihn völlig!“

Und auf einmal erscheint unsere gattungstypische Retardation, unsere Reifungs-Hemmung nicht mehr negativ, als die Verhinderung von Etwas; sondern positiv, als die Setzung von etwas Anderem: als Bewahrung und Bewährung unseres Gattungsstils.

Zurück? Ja, zurück zum offenen Ausgang. Jetzt erscheint Kindlichkeit als die Bestimmung des Menschen. Natürlich nicht im finalen Sinn eines zugrundeliegenden ‚Plans der Natur’. Sondern in dem Sinne, daß die Entwicklungsdynamik von Homo, nachdem er einmal den Sprung aus der bestimmten Nische in die weite Welt gewagt hatte, diejenigen Dispositionen privilegieren mußte, die seine Entspezialisierung förderten. Und das waren eben die kindlichen. So haben wir uns zur Kindlichkeit selbst-bestimmt.


 

Infantilisierung?

Und doch wird jetzt allenthalben die Infantilisierung der Kultur beklagt (auch von Konrad Lorenz übrigens). Darunter werden die verschiedensten Dinge verstanden, die nicht alle miteinander zu tun haben. Sofern die Rede ist vom zeitgenössischen Bedürfnisbefriedigungsyndrom, ist wohl die Klage berechtigt, aber die Zuordnung verfehlt. Süffisanter Selbstbezug ist ganz unkindlich. Er ist aber typisch für die Adoleszenz. Das heißt für die Kinder, die um keinen Preis der Welt welche bleiben wollen, seit die Pädagogik ihnen die Unschuld madig gemacht hat.

Unreife sei der Charakter des Infantilen. Die Reife eines Menschen ist aber nichts, worauf er stolz sein darf. Sie ist der Grad von Bestimmtheit, wonach’s nicht mehr weitergeht. Der lebendige Mensch ist unreif. Zeitkritiker wie Helmut Schelsky haben die um sich greifende Unreife vielmehr als Gleichgültigkeit gegen Verantwortung beschrieben. Doch Verantwortung wofür? Für „die Folgen“. Diese Art von Verantwortung gehört typologisch der entwerdenden Wirtschaftsgesellschaft zu, und daß sie schwindet, liegt im Wesen der Sache.

Was allerdings die aktuale Moralität der Haltung anlangt, kann das Normalkind dem normalen Erwachsenen einiges vormachen, heut mehr denn je. Moralität fragt gerade nicht nach den Folgen. Erwachsene werden kindisch, wenn sie nicht kindlich bleiben können. (Die Unterscheidung von Verantwortungsethik und Gesinnungsethik ist was für Sachbearbeiter.)

Und schließlich gilt als infantil die Vorherrschaft des Trivialen. „Massenkultur“ ist das Synonym, und deren Hardware ist die Unterhaltungsindustrie. Daß dort vieles nichts taugt, sei unbestritten. Aber anderswo ist es nicht besser. Nein, trivial wird mit frivol vermengt: „Da wird nichts mehr ernstgenommen!“ Richtiger müßte es heißen: Da wird zuviel gelacht. Das ist aber gerade ihr Verdienst.
Die Unterhaltungsindustrie hat dem Komischen einen Platz in der Welt verschafft, den ihr die Hochkultur nie zugestehen wird. Dabei ist es doch der wahre Ernst des Lebens. Gewiß, gewollte Lustigkeit ist albern. Doch vieles alberne wirkt nur auf den ersten Blick so. (Und mancher Ernst ist unfreiwillig komisch, aber das hat auch seinen Charme.)

Keiner ist so wild aufs Lachen wie die Kinder. Ihre besondere Affinität zur Unterhaltungsindustrie ist deren Rechtfertigung. Sie war es, die Kiddie Kulture zur Welt gebracht hat. Sie ist das Feld, wo erstmals Kinder im öffentlichen Bewußtsein tonangebend wurden. Und zwar nicht in pädagogischer Absicht, sondern aus kommerziellem Kalkül, und das ist auch sicherer: Filme wie E.T. und Jurassic Park müssen so gemacht sein, daß wenigstens Mama und Papa mit ins Kino gehen, sonst würden sie die gewaltigen Produktionskosten nicht einspielen. Und mancher Erwachsene braucht seine Kinder als Ausrede, um sich Star Wars – Erste Episode leisten zu können. Das nennt man schamhaft „Familienunterhaltung“ (das Erfolgsrezept von Michael Jackson bis Steven Spielberg), doch geht es darum, gezielt das „Kind im Manne“ heraus zu locken, und das ist eine Kulturtat. Man bemerke übrigens den Witz: Die gar nicht so naiven Amerikaner schreiben die culture ihrer Kiddies mit einem großen deutschen K…

Mythen

Gewichtiger ist dieser Einwand gegen die Unerhaltungsindustrie: Die Flut der elektronischen Bilder überschwemme die Kultur des diskurrierenden Wortes. Das mache das Werk der Aufklärung zunichte und führe zu einer „Remythologisierung“ des öffentlichen Lebens. Ein Rückschritt wäre das, wenn man das mythische Denken als einen frühen, verunglückten Versuch der theoretischen Durchdringung der Welt zum Zwecke ihrer Beherrschbarkeit auffaßt: als einen Fehlstart der Rationalität.

Das war es vielleicht auch, aber nicht nur, und nicht vor allem. Vor allem war es eine künstlerische Anstrengung zur Sinndeutung, Sinngebung des Lebens und der Welt. Als solche ist es durch das rationale Denken zu keiner Zeit überholt, nicht einmal eingeholt worden.

Ein Problem ist vielmehr, daß das rationale Denken in seinem Hochmut so viel mythischen Stoff sich einverleibt und als eigene Errungenschaft ausgegeben hat; namentlich den „Begriff“ der Kausalität. Es wäre im Gegenteil ein Fortschritt, wenn mit der Freisetzung dieser diskursiv verkappten mythischen Bilderwelt das rationale Denken von seinen letzten vorbegrifflichen Schlacken gereinigt wird. Es wird dabei dann allerdings auf das ihm gebührende Maß zurückgestutzt. Der Sinn des Lebens liegt außerhalb seiner Reichweite.

Denn er läßt sich auch bei lebhafter Einbildungskraft nicht aus den Dingen errechnen. Man muß ihn hineinlesen, um ihn herauslesen zu können. Und darum taugt das Bild zu seiner Darstellung besser als der Begriff: weil es nie positiv ist, sondern immer problematisch. Es ist Kunst. Seine Vieldeutigkeit verrät uns, daß es ein Rätsel bleibt, ob das Leben einen Sinn hat oder nicht. Und zwar ein Rätsel, das sich nur dem stellt, der es sich stellt. Dem, der bereit ist, Bilder zu betrachten. (Es hat übrigens nur den Anschein, als ob die Begriffe keine Bilder wären. Sie sind durch den Sprachgebrauch fungibel gemachte Bilder.)

Mythen, Märchen und Legenden haben eine symbolische Grundform. Einer durch typische Merkmale ausgezeichneten Person widerfährt ein Geschichte, die paradigmatisch ist für die Rätsel des Lebens. (Auch der Mann ohne Eigenschaften ist so ein Mythos.) Die Lösungen, die sie findet, mögen dabei noch so unwahrscheinlich sein: Die Kunst sei eine Lüge, an der die Wahrheit sichtbar wird, meinte Picasso.

Das Vermögen, das ihr zugehört, ist die Anschauung. Oder „Betrachtung“; das griechische theoría, im Gegensatz zur interessierten prâxis, kann man so oder so übersetzen. Es bezeichnet jene Hingabe an das jeweils Andere, in der ich von mir selbst und von Zweck und Bestimmung ganz absehe. Es ist eine Art des Außersichseins, die doch aber der ernste Sinn für das Wirkliche ist. „Selbstvergessenheit“ heißt sie bei Fichte – und kennzeichnet zugleich die ästhetische Erlebensweise.

Schön ist, was ohne Interesse gefällt, klang das bei Kant, und Schiller übersetzt es sich so: „Im ästhetischen Zustand ist der Mensch also Null“. Wie nennt er aber das Verhalten, das den Menschen in den ästhetischen Zustand führt? Spiel. In diesem Sinne heißt es dann, der Mensch sei nur da ganz Mensch, wo er spielt.

Die Kindheit ist nicht nur die moralischste, sondern auch die ästhetischste Zeit der Menschen; und eigentlich ist beides dasselbe – denn das Leben selbst ist nur noch ästhetisch zu rechtfertigen…

Homo ludens victor

So ganz neu ist die Idee, daß sich das Wesen des Menschen im Spiel erst realisiere, also nicht. In diesem Jahrhundert wurde sie von einem andern Holländer, dem Kulturhistoriker Johan Huizinga wieder ins Gespräch gebracht. Bei ihm bekam sie eine polemische Note, sinnfällig in dem Schlagwort Homo ludens, das er dem klassischen Homo faber entgegensetzte. Sein Argument krankte daran, daß er zuviel beweisen wollte. In seinem Geschichtsbild wurde das Spiel anstelle der Arbeit zur Produktivkraft der Kultur.

Aber da hatte er den Augenschein von zehn Jahrtausenden gegen sich! Seine fleißig zusammengetragenen Beispiele bewiesen immer nur, daß „das Spielelement“ den agileren Teil in der Kulturentwicklung ausmacht: den Kitzel, den man sich leistet, wenn das Nötige besorgt ist. Aber sattmachen kann gerade in der Kultur nur die Arbeit. Und um die Seriosität seiner Darlegung nicht zusätzlich zu kompromittieren, gab sich Huizinga Mühe, den Begriff des Spiels vom Bild des Kindlichen abzusetzen. Das war der methodische Kardinalfehler: Als Kulturhistoriker fragte er nicht nach dem stammesgeschichtlichen Grund des Spielens der Menschen. Er setzte zu spät an und hat dann auf Sand gebaut.

Alle fanden sein Buch interessant, aber keiner war überzeugt. Die Fragestellung, „woher“ die Kultur stamme, ist ja auch scholastisch unfruchtbar. Wo sie hinsollte, das wollen wir wissen. Und wenn man Huizingas Argument vom Kopf auf die Füße stellt, dann zeigt sich, daß am Ende Homo ludens den Homo faber doch noch unterkriegt. Es wird aber auch Zeit.

Weniger Schule

„Auf die Blüte folgt die unreife Frucht, die Blüte ist in sich eine Vollkommenheit: Ebenso ist es mit dem Menschen“, hieß es bei Lichtenberg – als die Arbeitsgesellschaft selber erst eine grüne Frucht war. War sie dann aber herangereift, scherte sich der erwachsene Berufsmensch überhaupt nur noch um die Früchte und überließ die Blüten seinen Kindern und andren Spinnern. Lernen, reifen, spezialisieren – so kam schließlich die allgemeine Schulpflicht, und die Blüten wurden in die Sommerferien verbannt. Wir Erwachsene seien „nur Kinder von mehren Jahren“, fügte Lichtenberg seinerzeit hinzu. Ach hätte er doch Recht behalten! Aber wir wurden nicht bloß gealterte, sondern verminderte Kinder; versauerte Kinder – enfants aigris, sagt Sartre.

In Deutschland brauchte die Arbeitsgesellschaft bis ins letzte Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts, um sich auch in der Erziehung der Oberklassen durchzusetzen. Der deutsche Studienrat und sein Gewährsmann, der Ordinarius, waren sture Böcke, doch ihre Stunde schlug im Jahre ’68. Der Kritische Rationalismus verkündete das Ende der Ideologien, Nüchternheit kehrte ein in Hörsäle und Schulzimmer. Weltanschauungen und Idealmodelle kamen außer Kurs, und übrig blieb, bescheiden, unausdrücklich und unanfechtbar, das prosaische Alltagsmenschenbild all derer, die mit beiden Beinen fest im Leben stehen: der Spezialist; der Berufsmensch, der „von seiner Sache was versteht“. An die Stelle von humanistischer Bildung trat das Lernen für den Arbeitsmarkt – Informationen sammeln, sichten, selegieren, speichern und verwerten… (abgerundet durch grün-ganzheitliches Meinen, denn das qualifiziert für den Staatsdienst).

Die Zahl der Abiturienten vervielfachte sich, Universitäten schossen wie Pilze aus dem Boden. Es war der letzte Triumph der Arbeitsgesellschaft, denn mit dem Siegeszug der Informatik hatte ihr Niedergang schon begonnen. Daß unsere Schulen den Herausforderungen der post-industriellen Medien-Gesellschaft nicht gewachsen sein werden, brüllen inzwischen die Spatzen von den Dächern. Über Schulfragen wird schon fast wieder so viel geredet wie Ende der Sechziger. Wenn dennoch kaum etwas passiert, liegt das nur zur Hälfte an den leeren Kassen.

Und zur andern Hälfte daran, daß sich Pädagogen das Problem wieder nur so vorstellen können, als ginge es darum, daß Schule (verräterischer Weise in solchen Fällen gern ohne Artikel genannt, als majestätisches Absolutum) ihre Tentakel auf noch ein weiteres Stück von der Welt legen soll. Für sie bedeutet Fortschritt immer nur Landnahme – bloß haben sie diesmal einen mächtigen Bammel davor.


Die Verlegenheit der Pädagogen vor der Cyberworld ist gottlob terminiert. Daß sich die Kinder mit der neuen Technik besser zurecht finden als ihre Eltern, gilt nämlich nur für diese Generation und für die nächste nicht mehr. Aber eines bleibt: Die interessantesten, aufregendsten und witzigsten Programme, die den Horizont am weitesten öffnen und das Geschick am meisten fordern, sind die mit einem unbestimmten Ausgang; nämlich Spiele (und das Hacken als ihre Krönung).

Mag da der Pedant auch immer noch von „lernen“ reden – einen Lehrer braucht man dafür jedenfalls nicht. Denn der Kick beim Spiel ist, wenn man’s selber hinkriegt. Und braucht man doch mal einen Rat, sollte es kein Studienrat sein: Der Nachbarsjunge kann das besser, weil er „selber nur spielt“. Und übrigens – das Ding heißt Heimcomputer, weil er zu Hause am bequemsten ist. Sagen wir’s gerade raus: Diese Technologie macht nicht „mehr Schule“ nötig, sondern weniger.

„Werte“

Mit der Entwertung kindlicher Lern-Arbeit hat die obligatorische öffentliche Schule ihr Proprium verloren. Und der Computer droht ihren institutionellen Rahmen aufzuweichen. Wozu ist sie dann „eigentlich“ noch da? Sie selber ist ratlos. Umso bestimmter ist die öffentliche Meinung: Dem Werteverfall soll sie begegnen! Gewaltbereitschaft, Ausländerfeindlichkeit, Drogen, Jugendsekten, Grafitti in der S-Bahn… Sozialdemokratische Schulsenatoren, christliche Kultusminister, GEW-FunktionärInnen und Leitartikler, alle sind sich einig: Die Familie versagt, die Kirchen sind machtlos und die Polizei kann auch nicht überall sein. „Es ist eine Frage der Erziehung!“ Wertevermittlung – dazu ist die Schule da.

Doch wenn es sich vermitteln läßt, ist es kein Wert. Sondern vielleicht ein sachliches Gut, das man besitzen kann und weiterreichen, wohlverpackt oder scheibchenweise. Ein Wert „ist“ nämlich gar nicht, sondern er gilt. Und zwar ganz oder gar nicht. Er bezieht sich nicht etwa auf mein Sein und Haben, sondern auf mein Tun und Lassen. Er läßt sich nicht realisieren, sondern nur verfolgen. Er ist eine Richtung und keine Sache. Man „hat“ ihn nur als Problem, wörtlich: als Aufgabe. Die Menschen sind nämlich, seit sie auf zwei Beinen stehen und aus der Natur in die Welt aufgebrochen sind, mit der fatalen Gabe des freien Willens geschlagen. Darum können sie nicht einfach vor sich hin leben wie alle andere Kreatur, sondern müssen ihr Leben führen.

Aber wo lang? Was immer uns als Anhaltspunkt dient auf unserm Weg, nennen wir einen Wert; und nur aus diesem und keinem andern Grund: weil wir uns danach gerichtet haben. Den Inbegriff all dieser Richtungswahlen nennen wir dann „Sinn des Lebens“ – und ist doch nur ein anderer Name für das eigentliche Problem, den freien Willen selbst (Schicksal nennen wir seine Rückseite). Der ist und bleibt das wahre Rätsel. Mythen und Märchen zeigen es uns gelegentlich so, als ob wir es lösen könnten. Doch das ist nur ihr zauberhafter Schein; eine Lüge, die uns das Rätsel reizend macht.

Denn wäre es in der Wirklichkeit lösbar, dann wäre der Wille nicht frei. „Vermitteln“ heißt allerdings, etwas zunächst einmal in seine Bestandteile zerlegen und es dann zu einem logisch zwingenden Diskurs aufreihen – nur so läßt sich ein Argument beweisen. Und was sich beweisen läßt, war eine Lösung und kein Rätsel. Wer nun den mythischen Schein der Lösung für Bares nimmt und gar Andern, noch dazu arglosen Kindern, seine einzelnen Werte als dessen Scheidemünzen andrehen will, weiß noch nichts vom Paradox der Freiheit. Natürlich kann es auch solche Lehrer geben. Aber nicht an einer öffentlichen Schule in einem freiheitlich verfaßten Gemeinwesen.

Immer neu

„Die Moral sagt schlechthin nichts bestimmtes. Sie ist das Gewissen, eine bloße Richterin ohne Gesetz. Sie gebietet unmittelbar, aber immer einzeln. Gesetze sind der Moral durchaus entgegen“, notierte Novalis, als er Fichte gehört hatte. Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als daß man Sittlichkeit nicht lernen kann wie irgend ein Pensum. Kann aber darum keiner was für den andern tun? Mußá jeder wieder ganz allein aufbrechen und sehen, wo er bleibe? Nachdem so viel geschehen ist in der Geschichte und sich schon so viele vor uns an den Rätseln der Welt versucht haben? Dann hätten sie uns all ihre Zeugnisse ja ganz umsonst nachgelassen! Nein, definieren läßt sich das Rätsel vom Sinn allerdings nicht. Aber es läßt sich zeigen. Und das immerhin kann ein Lehrer tun, wenn ihm seine Schule dafür Raum läßt.


Unter den hinterlassenen Reichtümern der vergangenen Generationen ist kaum einer, der ganz allein dem Stoffwechsel diente und der Erhaltung des Leben so, wie es war. Fast jeder Gegenstand, jedes Werk weist in seiner Gestaltung einen kleinen Überschuß – Entwurf, disegno, design – auf, der nicht nötig gewesen wäre zu seinem bloß sachlichen Nutzen. Dieses Mehr betrachten wir als seine ästhetische Seite. Sie war immer auch eine Art Stellungnahme zur Frage nach dem Sinn der Welt, mal mehr, mal weniger absichtlich. Und je mehr sein Schöpfer jeweils selber meinte, in seinem Werk die Frage beantwortet zu haben, umso sicherer erkennen wir Kunst darin, und die ist uns noch rätselhafter als die Natur, weil sie sich selbst für eine Lösung hält.


Seit der Romantik nun, als die Kunst modern wurde, bescheidet sie sich, nein: macht sie sich’s zur Ehre, das Rätsel nur noch darzustellen. Sie begibt sich ausdrücklich in Gegensatz zu Industrie und Wissenschaft, die beide versprechen, spätestens morgen zu klären, was heute noch im Dunkeln liegt. Industrie und Wissenschaft behalten Recht, denn das Leben geht weiter. Doch je besser sie uns das Leben und die Welt erklären, um so deutlicher wird auch, daß deren Sinn nicht in ihnen liegt, sondern außerhalb, als das immer neue Problem.

Ästhetische Bildung

Als solches läßt es sich nicht begreifen und erlernen, sondern nur anschauen. Sein Medium ist nicht Logik, sondern Ästhetik. Das ist ein Erleben, wo nicht das Urteil erst – nach Analyse und Kritik – auf die Wahrnehmung folgt, sondern „auf einmal“ mit ihr selbst gegeben ist, uno actu. Nicht daß es aller Kritik entzogen wäre. Es ist nicht diskursiv, aber darum ist es noch lange nicht irrational; doch erst einmal muß es da sein, und das muß jeder selbst vollbringen – andemonstrieren läßt es sich nicht. Das unterscheidet Bildung von Lernen. Güter lassen sich wägen und messen, aber Werte muß man erlebt haben. Auf Unterrichtseinheiten kann man es nicht verteilen, und methodischer Fleiß würde nur stören, denn er verengt das Wahrnehmungsfeld. Darstellbar ist es nicht als Argument und Kalkül, sondern in Bildern und Geschichten. Es erschließt sich nicht durch Analyse, sondern durch Betrachtung. Als die Hingabe an das Unbestimmte steht sie dem Spiel näher als der Arbeit. Sie ist der „ästhetische Zustand“. Die Reichtümer all unserer Kulturen bieten ihr einen unerschöpflichen Fundus.

Und Cyberworld liefert ein Instrument, dessen Grenzen noch gar nicht zu ermessen sind. Daß es aber so künstlich ist, muß niemanden schrecken, denn so sind wir selbst, quasi von Natur. Die Verspieltheit der Kinder weist schon in die richtige Richtung.

*) mhd. arebeit: Mühsal ; engl. labour von lat. labare: „unter einer Last wanken“, frz. travail von lat. trepanum - ein Folterinstrument



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aus: Pädagogische Rundschau, Heft 5/ 54. Jg., Oktober 2000

Freitag, 30. August 2013

Ganztags-Hirnwäsche.

 
aus Die Presse, Wien, 21. 8. 2012
 
Die (un)beliebte Ganztagsschule

Österreichweit bieten lediglich 126 Schulen verschränkten Ganztagsunterricht an. Teilweise wird das Projekt von den Lehrern blockiert, teils auch von den Eltern.

Von Julia Neuhauser 


Wien. Sollen Kinder den ganzen Tag in der Schule verbringen? Oder sollen sie – zumindest an manchen Wochentagen – zu Mittag nach Hause zu den Eltern geschickt werden? An diesen Fragen scheiden sich die Geister – auch die der politischen Parteien.

Die SPÖ hält die Ganztagsschulen für „sozial gerechter“ und sieht diese am liebsten in verschränkter Form. Es sollten sich also Unterricht und Freizeit über den Tag hinweg abwechseln. Für die Kinder heißt das, dass sie täglich mindestens bis 16 Uhr in der Schule sein müssen. Die ÖVP kann dem Konzept der verschränkten Ganztagsschule nur wenig abgewinnen und bevorzugt den Ausbau der reinen Nachmittagsbetreuung. So könnten Schüler auch nur an einzelnen Tagen, wenn Bedarf besteht, in die Betreuung geschickt werden.

Der Ausbau der verschränkten Ganztagsschule geht jedenfalls nur schleppend voran. Das zeigen aktuelle Zahlen aus dem Unterrichtsministerium: Zwar ist die Zahl der Schulen, die – zumindest teilweise – verschränkte Klassen führen, in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Immer noch bieten nur 126 der mehr als 5000 Standorte eine solche Art des Unterrichts an (siehe Grafik). Lediglich 16.300 Schüler werden verschränkt betreut. Stellt sich die Frage, woran das (abgesehen von der politischen Uneinigkeit) liegt.

Eine entscheidende Rolle spielen da wohl die Lehrer. Denn zwei Drittel von ihnen müssen zustimmen, um eine Klasse in der verschränkten Form zu führen. Manche Pädagogen würden sich mit dem „Bruch von Gewohnheiten“ schwertun, sagt Klaus Tasch, Direktor der NMS Klusemannstraße in Graz, der gestern von Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) ins Ministerium geladen wurde. Er sollte seine Schule als Vorzeigemodell präsentieren. Die Veränderungen, die sich durch den verschränkten Unterricht ergeben, seien für viele Lehrer eine Herausforderung, sagt Tasch. An seiner Schule gebe es etwa keine 50-minütigen Einheiten mehr. Auch geänderte Arbeitszeiten würden teilweise für Unmut sorgen, sagt Stefan Giegler, Direktor der Europaschule Linz. Durch die ganztägige Betreuung müssten die Lehrer bis 16 Uhr anwesend sein. In seinem Kollegium seien nicht alle bereit gewesen, diese Veränderungen mitzutragen, so Giegler. Ein Kollege habe ihm etwa erklärt, dass er den Nachmittag lieber mit seinen eigenen Kindern verbringen wolle. „Er übersieht, dass nicht alle Österreicher einen Lehrerjob haben und ihrer Kinder am Nachmittag betreuen können“, so Giegler.
 


Sprengelgrenzen abschaffen
 
Manche Eltern können (und wollen) aber genau das: ihre Kinder zu Hause betreuen. So veröffentlichte die niederösterreichische ÖVP ausgerechnet ebenfalls gestern die Ergebnisse einer Umfrage unter niederösterreichischen Eltern: Demnach sprechen sich 52 Prozent der Eltern von Schulkindern und 78 Prozent der Eltern von Kindergartenkindern gegen die verschränkte Ganztagsschule aus. Damit eine Klasse verschränkt geführt wird, müssen aber auch die Eltern zu zwei Dritteln dafür sein.

„Der Wunsch der Eltern ist zu akzeptieren“, sagt Schmied. Sie fügt aber hinzu, dass „gesellschaftliche Überzeugungsarbeit“ geleistet werden müsse, um Eltern diese Schulform schmackhaft zu machen. Zudem sollen die Sprengelgrenzen abgeschafft werden, damit mehr Kinder eine Ganztagsschule besuchen können – auch wenn es eine solche nur im Nachbarort gibt.



Nota.

Pädagogen, Bildungsbehörden, Erziehungswissenschaftler, kurz: alle, die an Kindern ihren Lebensunterhalt verdienen, sind sich einig: Unsere Probleme löst die Ganztagsschule. Und sind die Eltern nicht willig, muss eben mehr behördliche Überzeugungsarbeit geleistet werden, bis alle Welt unisono stöhnt: Wir brauchen endlich die Ganztagsschule!

Dies schrieb ich am 4. August:

"Es ist wie im Irrenhaus: Ob die Ganztagsschule zweckmäßig ist - und mäßig für welche Zwecke? -, wird schon gar nicht mehr diskutiert. Dass die Kinder dort "mehr lernen", wie nach PISA getönt wurde, behauptet heute kein Mensch mehr, und es widerspricht auch dem gesunden Menschenverstand, dass Kinder rund um die Uhr 'beschult' werden sollen, während jeder Büroleiter weiß, dass seine Mitarbeiter nach der sechsten Stunde nicht mehr viel bringen. Darum wird ja auch schon gar nicht mehr versprochen, die Zahl der Unterrichtsstunden zu erhöhen. 'Gebunden' soll nun die Ganztagsschule sein, die Kinder sollen auch ihre "Freizeit" dort verbringen - unter Aufsicht, unter pädagogischer Anleitung; "schöner spielen" in professioneller Qualität. Dass das den Kindern irgendwie persönlich zugute käme, wird auch schon nichtmehr behauptet. 'Soziales Lernen' auf deutschen Schulhöfen - ausgerechnet an dem Ort, wo jede Zeitung, jeder Sender Mobbing, Gewalt und die Diskriminierung der Minderheiten durch die Mehrheit blühen sieht? Absurder geht es nicht.

Ach so, ja - dem größten Schamteil der deutschen Bildungslandschaft, nämlich ihrer sozialen Ungerechtigkeit, soll endlich beigekommen werden. Ja wie denn das?! Die Schule, die einen halben Tag dauert, verstärkt erwiesenermaßen durch die Art ihrer Auslese die durch soziale Herkunft bedingten Ungleichheiten; aber wenn sie doppelt so lange dauert, schlägt der Effekt plötzlich in sein Gegenteil um? Das soll einer verstehen...

Und dann zum Schluss: In der Ganztagsschule lernen die Kinder von integrationsstörrischen Türken besser Deutsch! Das wird ja nicht wahr dadurch, dass man es ständig wiederholt. Man müsste es einmal untersuchen. Und siehe an: Offizielle Studien gibt es nicht, nicht eine. Und wenn ein Wissenschaftler - in diesem Fall eine Wissenschaftlerin - es auf eigne Faust untersucht, stellt sich heraus: Nichtmal dazu taugt die Ganztagsschule!

Man schüttelt den Kopf und reibt sich die Augen: Gegen allen gesunden pädagogischen Menschenverstand und sogar gegen alle erziehungswissenschaftlichen Befunde wiederholen Hinz und Kunz und Professor Müller wie Staatssekretär Meier "Ganztagsschule!" so bombensicher wie das Amen in der Kirche. Wie kommt denn das?

Das macht: So wünscht es die Industrie. Es sollen beide Eltern dem Arbeitsmarkt zu Verfügung stehen. Und die Lehrergewerkschaften finden das auch; und reden es den Eltern ein."


Noch nicht ganz erfolgreich. Aber das kommt noch.
 
J.E.
 

Leviathan zielt aufs Ganze.

aus Die Presse, Wien, 30. 8. 2013

Wer mittags heim will, soll in Privatschule
Wiens Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl (SPÖ) will eine verpflichtende Ganztagsschule für alle Kinder.
 
Von Julia Neuhauser und Bernadette Bayrhammer

Die Presse: Die Unterrichtsministerin stellt das Mitspracherecht von Eltern und Lehrern bei der Ganztagsschule infrage. So soll ein rascherer Ausbau möglich werden. Der richtige Weg?

Susanne Brandsteidl:
Ich kann sagen, dass wir schon jetzt einen starken Druck haben, mehr Ganztagsplätze zur Verfügung zu stellen. Es gibt derzeit zu wenige Plätze.

Sie haben mehrfach gesagt, dass Sie ohnehin dafür wären, dass alle Kinder ganztägig in der Schule sein sollen. Demnach bräuchte es ja überhaupt keine Mitsprache.

Genau. Das politische Ziel ist eine ganztägige Schule für alle Kinder, wie es sie in vielen anderen europäischen Ländern gibt, etwa in Frankreich und Skandinavien. Aber nicht eine, in der die Kinder – wie die ÖVP sagt – von acht bis 16 Uhr in der Klasse sitzen, sondern wo sie eine gute Mischung von Unterricht, Sport und kreativen Angeboten haben und ein Mittagessen.

Was erwarten Sie sich davon?

Zum einen eine Entlastung: Die Eltern sollen weder Hausübung machen noch Nachhilfe geben. Und zum anderen einen sozialen Ausgleich, denn das ist ja auch Aufgabe der Schule. Manche Eltern haben die Möglichkeit, den Kindern ein warmes Mittagessen zu servieren und sich mit den Kindern am Nachmittag zusammenzusetzen – aber nicht alle. Es sollen mit einer ganztägigen Schule auch Möglichkeiten geschaffen werden, die viele Kinder sonst nicht hätten.

Ob sich die Eltern eine Ganztagespflicht für alle vorstellen können, ist fraglich: Eine aktuelle Umfrage der Wiener ÖVP zeigt beispielsweise, dass drei Viertel dagegen sind.

In der Wiener Volksbefragung gab es eine überwiegende Mehrheit für die Ganztagsschule. Das wird ernst genommen.

Es ging dabei aber nicht um eine Ganztagsschule, die verpflichtend jedes Kind besuchen muss.

Das stimmt. Die Zustimmung galt der Ganztagsschule als auszubauender Form insgesamt. Mein Ziel ist die Ganztagsschule als Regelschule. Und die Halbtagsschule soll in Form von Privatschulen ergänzend angeboten werden.

Jene Eltern, die ihren Kindern ein warmes Mittagessen servieren können, die sich kümmern können und wollen, müssten laut Ihrer Vision also in die Privatschule ausweichen?

Zum Beispiel. Diese Problematik würde sich auch in anderen Ländern so darstellen.

Vor nicht allzu langer Zeit wurden Sie auch mit der Idee zitiert, eine Kindergartenpflicht ab dem ersten Geburtstag einführen zu wollen.

Da wurde ich falsch verstanden. Ich bin für ein ausreichendes Angebot ab diesem Alter. Auch hier muss man aber sagen: Bevor ein Kind zu Hause nicht gefördert wird, ist es doch besser, es in eine Institution zu geben, die das kann. Mamas sind nicht automatisch die besten Erzieher.

Für viele Eltern ist so eine Aussage ein Affront.

Es gibt viele Eltern, die es gut können, aber auch andere. Die sich nicht mit den Kindern auseinandersetzen, sich nicht mit ihnen beschäftigen. Familien, in denen die sozialen Verhältnisse so sind, dass es sehr schwierig ist, sich der Bildung zu widmen. Das Problem ist übrigens nicht, wo ein Kind geboren ist und auch nicht primär, welche Sprache es spricht. Die Frage ist: Wie werden Kinder gefördert und wie entwickeln sie sich. 



Nota.

Freie Zeit ist was für Kinder von Reichen. Die Kinder der gewöhnlichen Leute werden immer noch am besten vom Staatsorgan gefördert. Das weiß am besten, was gut für die ist.
J.E.

Schrumpft die Schule, nicht die Freizeit!


Die gestrige FAZ berichtete, dass entgegen dem Augenschein die Freizeit der Deutschen in den letzten fünf Jahren geschrumpft ist:


aus FAZ, 29. 8. 2013


"...Besonders stark geschrumpft, nämlich um mehr als eine dreiviertel Stunde, ist die Freizeit von Jugendlichen. 'Die Einführung des Abiturs nach zwölf Schuljahren und mehr Ganztagsschulen tragen sicherlich zu einem erheblichen Teil dazu bei, dass sich die Freizeit von Vierzehn- bis Siebzehnjährigen stark reduziert hat', sagt Reinhardt. 'Daneben führt aber auch die steigende Anzahl von (Pflicht-)Terminen, der Druck, online aktiv sein zu müssen, oder der Wunsch vieler Eltern nach sinnvollen Tätigkeiten des Nachwuchses zu weniger freier Zeit bei Kindern und Jugendlichen.'..."


 
Schrumpft die Schule!                                                                             in: Neues Deutschland vom 14. 4. 1994 

Gesellschaft heißt Arbeitsteilung und Kooperation. Wer in der Gesellschaft lebt, lebt von der Gesellschaft. Zivili- sationsmüdigkeit ist – Kunststück – ein Zivilisationsprodukt. „Zurück zur Natur“ ist die Luxusparole derer, die schon alles haben. Wer mit dem Ausstieg ernstmachen wollte, müßte zuerst der Gesellschaft zurückerstatten, was er bereits von ihr genommen hat. Dann mag er ziehen…

Der Mensch ist ein Kulturwesen; das Kulturwesen. Neben seiner ersten, physiologischen, hat er eine zweite, historische und selbstgemachte Natur. Oder richtiger: Da er Kulturwesen ist, hat er auch seine erste Natur nur als Kulturgeschöpf; er kann nicht mehr wählen. Daß er überhaupt wählen will, verdankt er seiner selbstgemachten Geschichte und zeigt, daß er schon gewählt hat: Nur als Kulturmensch kann er Naturwesen sein wollen.

Ob Kinder in die Gesellschaft und ihre Kultur hineinwachsen sollen oder nicht, steht nicht im Ermessen ihrer (zufälligen) Eltern. Jene sind selber Kulturprodukte und mögen, wenn sie die Bedingung erfüllen, die Kultur fliehen; aber andere ungefragt ins Exil schicken, das dürfen sie nicht. Die allgemeine Schulpflicht ist selbst ein kultureller Reichtum.

Denn Aufgabe der Schule ist es, das kulturelle Erbe der Menschheit an die nachwachsende Generation weiter zu reichen. Ihr Zweck ist Bildung.

Ausbildung für den Arbeitsmarkt ist ihr erst in neuerer Zeit als Pensum zugewachsen, mit der Industrialisierung und ihren verallgemeinerten Qualifikationsstandards. Die Schule hörte auf, privilegiertes Bildungsinstitut der herrschenden Klassen zu sein, und wurde allgemeine Dienstleistungsindustrie für den Arbeitsmarkt: vergesellschaftete Produktion des Arbeitsvermögens…

Die Realschule drängte das Gymnasium in die Defensive.

Heute ist das, was man in der Schule lernen kann, so unbrauchbar für das berufliche Fortkommen wie nie zuvor. Was du gestern gelernt hast, ist heute schon veraltet. Der technologische Fortschritt macht jeden Tag neue Fertigkeiten und, was fast dasselbe ist, neue Formen der Arbeitsteilung erforderlich. Wer sich am Arbeitsmarkt halten will, muß sich permanent „weiterbilden“. Die Idee, die Schule könne den Heranwachsenden „mit allem ausstatten, was er im Leben mal brauchen wird“, ist vorsintflutlich und findet einen (wackligen) Anhaltspunkt nur noch im beschäftigungspolitischen Standesinteresse der Lehrerschaft.

Max Scheler hat in seiner Wissenssoziologie unser Wissen in drei Klassen geschieden. ‚Herrschaftswissen’ bezeichnet all jene Kenntnis, die die Mächtigkeit der Menschen über ihre Lebensumstände erweitert: Wissen, das nützt. ‚Bildungswissen’ ist ein solches, das man „nur so“ besitzt: um seiner selbst willen; die Bekanntschaft mit Kunst und Philosophie etwa. „Heilswissen“ schließlich ist alles, was mit dem Sinn des Lebens zu tun hat.

Die propagierte Verwissenschaftlichung der Schule im letzten Vierteljahrhundert hat sich am Ende als die flachselbstverständliche Subsumtion aller möglichen Wissensgehalte unters Diktat der Nützlichkeit erwiesen. Deutschunterricht wird heute so erteilt, als ginge es lediglich um die Ausbildung neuer Deutschlehrer. Griechisch und Latein sind ganz entfallen; wer will denn heut auch schon noch Altphilologe werden?

Von Humanismus am Gymnasium keine Spur ; es ist selbst nur noch eine große (und nicht enden wollende) Realschule.

Der Pflasterstein, den die Finanzpolitiker dieser Tage in den Froschteich geworfen haben, kann zum Befreiungsschlag der Bildungspolitik werden. Der gesunde Menschenverstand hat vernehmlich das Wort ergriffen, und das laute Quaken der ‚Betroffenen’ läßt ahnen, daß er ins Schwarze getroffen hat.

Natürlich muß das dreizehnte Schuljahr gestrichen werden. Die jungen Leute werden viel zu lange vom allgemeinen gesellschaftlichen Verkehr ferngehalten, und der ist schließlich selber eine kulturierende Instanz.

Aber gewiß nicht, um den unnützen Ausbildungsplunder von dreizehn Jahren nun in deren zwölfe zu stopfen. Es muß die Chance beim Schopf ergriffen werden, die Lehrpläne gründlich auszumisten – nicht von Bildungswissen, sondern von unbrauchbaren Realien. Es ist völlig in der Ordnung, daß die Inhalte abendländischer Bildung zuerst einmal für die Schule gelernt werden und nicht „fürs Leben“: Nützen können sie sowieso nicht, und wertschätzen wird man sie erst aus gewonnenem Abstand. Aber daß Kenntnisse, die der persönlichen Karriere zugedacht waren, ausschließlich fr den Lehrer und die nächste Klassenarbeit gebüffelt, dann aber schleunigst vergessen werden, um neuem Dreitageschrott Platz zu machen, das ist ein Unrecht an den Schülern und eine Zumutung für den Steuerzahler.

Nur wenn die Schule wieder Stätte allgemeiner Bildung wird und die Ausbildung für den Arbeitsmarkt spezialisierten Instituten überläßt, die was davon verstehen, kann auf die Dauer die allgemeine Schulpflicht gegen die Ivan Illichs und andere luxurierende Kulturflüchter verteidigt -, und kann verhindert werden, daß Bildung schließlich wieder zum Privileg weniger Auserwählter wird.

Bildung aber braucht Muße.

Input und Output haben da nichts zu suchen. Schulstreß und Bildung schließen einander aus. Es ist also klar, in welche Richtung jede ernstgemeinte Diskussion um weitere Schulreform nunmehr zu gehen hat: Reduktion der Stundenpläne, Rückgewinnung von freier Zeit.

Und es gibt keinen Grund, damit bis zur gymnasialen Oberstufe zu warten. Indianerspiele, Kokeln hinterm Haus, Streunen durch Keller und Dachböden, zielloses Vagieren in Stadt und Land weiten den Blick und wecken den Wunsch, mehr zu wissen. Sie sind echte Bildungselemente, wie die elektronischen Medien übrigens auch.

Und alles braucht seine Zeit.

Lehrer, die der angeblich wachsenden Gewaltbereitschaft an den Schulen nicht mehr Herr werden, sollten sich zusammenschließen und dafür starkmachen, ihre Schüler nicht mehr länger, als zu Bildungszwecken unvermeidlich, zu klaustrieren, aus der Welt auszusperren und in ihrem natürlichen Unternehmungsgeist zu hemmen. Eine Menge Probleme erledigen sich dann von selbst, und die Kultur gewinnt.

Kampf dem Schulstreß! Arbeitszeitverkürzung auch für Kinder!

Nieder mit der Ganztagsschule! Rettet den schulfreien Nachmittag!

Kurz, schrumpft die Schule. 


Jochen Ebmeier 
Diaphora Gesellschaft für neue Erziehung mbH (gemeinnützig)

Donnerstag, 29. August 2013

Herbarts Einsicht…

…vom ästhetischen Grund der Bildung
 

Kritische Ausgangslage
Der Mensch wird nur durch Erziehung zum Menschen.
 Herder
Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers kommt.
  Alles entartet unter den Händen des Menschen.
Rousseau

Nicht von ungefähr hat Herder seine Ideen zu Papier gebracht.[1] Anlaß war das literarische Großereignis des europäischen 18. Jahrhunderts. Kein anderes Buch hat je die Gemüter seiner Zeitgenossen so ergriffen wie Rousseaus Émile.[2] Die Parole ‚Zurück zur Natur’ steht dort zwar nirgends geschrieben. Wie anders hätten seine Leser den Gedanken, daß alles gut war, als es aus der Hand des Schöpfers kam, und erst durch den gesellschaftlichen Verkehr und seine Traditionen (alias Kultur) korrumpiert worden sei, aber verstehen sollen! „Die erste Erziehung muß also rein negativ sein“, lautete die Konsequenz – „nämlich nichts tun und verhüten, daß etwas getan wird“.[3] Herders trotzige Antwort war, daß „unser Geschlecht nur durch unser Geschlecht gebildet“ werde – „und wie könnten wir dies besser als Überlieferung nennen?“[4] 

Im Lebenswerk Rousseaus hatte sich das kritische Prinzip der Aufklärung gegen sie selber gewendet. Es hat seine eigne Ironie, wie ihr Grundgedanke von der Allmacht der Erziehung prompt bei einem unserer drei großen Antiaufklärer[5] ein neues Zuhause fand – und sich dabei zur bloßen Tradition beschied. Ebenso ironisch ist es, daß die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Fragen der Pädagogik durchaus nicht bei deren Apologeten ihren Ausgang nahm, sondern bei den Kritikern.

Daß ‚die Praxis’ von alleine ‚zur Theorie drängt’, ist eine Legende. Solang es geht, wird sie sich auch vor neuen Herausforderungen mit dem Spiel von Versuch und Irrtum begnügen. Damit Erziehung in den Bereich wissenschaftlichen Denkens geriet, mußte auf Seiten der Wissenschaft das Interesse – ein logisches wie ein sachliches – erwachsen sein, auch diesen Ausschnitt der Welt zu vereinnahmen. Mit andern Worten, Wissenschaft mußte beginnen, sich zur öffentlich allzuständigen Instanz zu bilden, indem… die Wissenschaftler begannen, sich als gesellschaftlicher Stand festzusetzen.

Descartes hatte mit seiner Unterscheidung der Zwei Substanzen[6] die Physik aus den Fesseln der Theologie befreit und der Naturwissenschaft einen gewaltigen Aufschwung beschert. Aber er hatte einen Zwiespalt in die Welt gesetzt, der das Denken beunruhigte. Spinoza[7] hatte den Zwiespalt behoben, indem er die res cogitans ihrerseits als extensa, oder richtiger: als ‚sich ausdehnend’ definiert hatte.[8] Doch in dieser more geometrico rekonstruierten Welt war alles nur ‚Gesetz’ und ‚Determination’.

Die Individualität, die doch, diesseits aller theoretischen Kon- und Rekonstruktion, zu den lebenspraktisch vordringlichen Realitäten gehört, ging unter. Das ‚Ich’ in eine mathematisch erfaßte Welt wieder einzuführen, war das Hauptanliegen von Leibniz.[9] Außer einer ausgedehnten, unendlich teilbaren Materie müsse es wohl noch „wesentliche Einheiten“ geben, die den toten Stoff zu etwas Wirklichem formen. „Man könnte sie metaphysische Punkte nennen: sie haben etwas Lebendiges und eine Art Wahrnehmung“.[10] Die charakteristische Form ihrer Wahrnehmung ist die mathematische: weil „bei der ersten Hervorbringung der Dinge eine gewisse göttliche Mathematik oder ein metaphysischer Mechanismus zur Anwendung kommt“.[11] Diese ‚Monaden’[12] sind geistige Einheiten und sind das eigentlich Reale.

Diese Metaphysik war gewaltsam konstruiert, und Leibniz macht kein Hehl daraus, daß sie weniger auf Gründen beruht als auf Motiven: Sie kommt ihm „vorteilhaft“ und „schön“ vor.[13] Doch läßt sie sich nachträglich rechtfertigen, indem man sie zu einem – gewissermaßen selbsttragenden – logischen System ausbaut: Wenn alle Teile zusammenpassen, muß das Ganze wohl stimmen. Diesen Ausbau besorgte Christian Wolff,[14] der damit in Deutschland zum beherrschenden Denker seines Jahrhunderts wurde. Rationalismus hieß: die Welt mit Worten ausmessen – und das war „Aufklärung“! Die zahllosen Adepten des ‚Wolff-Leibniz’schen Systems’ machten sich über jeden Winkel der Welt und der Vorstellung her und meinten, eine Sache begriffen zu haben, sobald sie sie definieren konnten. Seither bedeutet Vernunft in Deutschland: sehr, sehr viele Wörter. 

Kopernikanische Wende
Als Doktrin scheint Philosophie gar
  nicht nötig,  sondern als Kritik.
Kant 


Und dann kam Émile. Immanuel Kants Kritiken gehen unmittelbar auf diesen Anstoß – nein: auf diesen Stoß zurück. Die Aufklärung wandte sich auch hier gegen sich selbst. Kant hatte Jahrzehnte lang selber das Wolff’sche System gelehrt; unzufrieden zwar mit seinen schwachen Gründen, aber wo war die Alternative? Bei Rousseau hat er den Anhaltspunkt gefunden, auf dem die Vernunft neu bauen konnte: das ‚transzendentale Ich’ und seine Freiheit.[15] Das war die „kopernikanische Wende“ der Philosophie, die sich seit Descartes angebahnt hatte: Nicht die Äußerungen eines objektiv Seienden sind Ursache unseres Wissens, sondern die eigenen Leistungen eines Subjekts, dem nichts Gegebenes selbstverständlich ist und das sich seiner guten Gründe auf Schritt und Tritt immer wieder versichern muß. Kants Kritiken schlugen in Deutschland ein wie zuvor der Émile in Europa. Eine systematische Gesamtdarstellung seiner Philosophie ist ihm nicht mehr gelungen, sein Werk liegt in Einzelteilen und Bruchstücken vor. Halbheiten und Widersprüche blieben da nicht aus und haben sogleich den lebendigsten Teil der akademischen Jugend zum Selberdenken angespornt. Ausgerech-net für die Pädagogik hatte Kant aus seiner Freiheitslehre am wenigsten Konsequenzen gezogen. In seinen eignen Vorlesungen[16] macht er sich zum Echo seines gehässigen Erzfeindes Herder: „Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was Erziehung aus ihm macht.“[17] 

Die Radikalen unter Kants Anhängern hatten sich um das Philosophische Journal gesammelt, das seit 1795 von Friedrich Immanuel Niethammer, seit 1797 gemeinsam mit Johann Gottlieb Fichte herausgegeben wurde und seinen größten Ruhm, aber auch sein Ende im Atheismusstreit des Jahres 1798/99 finden sollte. Das war die erste wissenschaftliche Publikation, die theoretische Fragen der Pädagogik in Eigenbeiträgen sowohl wie in Rezensionen und Literaturberichten regelmäßig behandelt hat. Dort wurde (m. W. erstmals) aus der offenkundigen Spannung zwischen ‚Freiheit’ und ‚Erziehung’ die Notwendigkeit abgeleitet, Pädagogik zu einer systematischen Wissenschaft zu entwickeln.[18] 

Das neue Interesse an Pädagogik war nicht nur philosophisch. Die geistige Situation Deutschlands wurde durch ein Phänomen geprägt, dessen Spuren wir bis heute tragen: das Aufkommen eines „akademischen Proletariats“ – Sturm und Drang und die Romantik wären ohne das gar nicht denkbar.

Die deutschen Universitäten entließen weit mehr Absolventen, als das bürgerlich unterentwickelte Land gebrauchen konnte. Die erste Station auf dem Weg des Jungakademikers in eine öffentliche Anstellung – oder in die Verlumpung – war regelmäßig der Posten eines Hauslehrers. Weder Kant noch Hegel blieb sie erspart, und Hölderlin hat sie um den Verstand gebracht. Doch Fichte hatte etwas daraus gemacht. Er war in die Schweiz gegangen und hatte die Gelegenheit genutzt, um die Bekanntschaft Pestalozzis zu suchen. Auf dem Höhepunkt des Atheismusstreits konnte er daher schreiben, eine Philosophie sei „nicht eher vollendet, bis sie pädagogisch wird“.[19] Oder anders, nur als vollendete Philosophie ist Pädagogik zu vertreten!

Freilich nicht als eine positive Lehre, deren einzelne Sätze als Verhaltensregeln taugen. „Unser philosophisches Denken bedeutet nichts und hat nicht den mindesten Gehalt. Und es ist nicht einmal Mittel, das Leben zu bilden. Es ist lediglich Mittel, das Leben zu erkennen.“ Der Philosophie „Hauptnutzen ist negativ und kritisch. Ihr Einfluß auf die Gesinnung des Menschengeschlechts ist, daß sie ihnen Kraft, Mut und Selbstvertrauen beibringt, indem sie den Menschen auf seine eignen Füße stellt.“[20] In der Erziehung geht es darum, „die innere Kraft des Zöglings nur zu entwickeln, nicht aber ihr die Richtung zu geben. Die Erziehung muß sich erst bescheiden, mehr negativ zu sein als positiv; nur Wechselwirkung mit dem Zögling, nicht Einwirkung auf ihn.“[21] 

Die Entdeckung des Ästhetischen
Es gibt keine Wissenschaft
 des Schönen, sondern nur Kritik.
 Kant
Einer der ersten und eifrigsten Hörer Fichtes war Johann Friedrich Herbart [22] gewesen. Er hatte zu seinem engeren Kreis gehört, der Jenenser Gesellschaft freier Männer. Von seiner Philosophie hat er sich bald abgewandt, aber seinem Weg zu Pestalozzi ist er gefolgt. Er wurde Hauslehrer in Bern, und die Freude daran hat ihn fürs Leben geprägt. Bei seiner ersten pädagogischen Schrift handelt es sich um einen Kommentar zu Pestalozzis Idee eines ABC der Anschauung.[23] Im Anhang zu deren 2. Auflage 1804 formuliert er, bevor er noch die Allgemeine Pädagogik ‚aus dem Zweck der Erziehung abgeleitet’ hatte,[24] seine pädagogische Grundeinsicht, die seither hätte Epoche machen sollen und es künftig sicher tut: Das Hauptgeschäft der Erziehung ist die ästhetische Darstellung der Welt.[25] So schräg das noch heute klingt, so bieder lautet aber der erste Satz seiner Abhandlung: „Man kann die eine und ganze Aufgabe der Erziehung in dem Begriff Moralität fassen“. Die Aufgabe – Moralität; das Geschäft – ästhetische Darstellung? Einen dieser Begriffe, oder alle beide, muß Herbart wohl in einem sehr eignen Sinn verwenden.

‚Ästhetik’ ist, wie ‚Bildung’,[26] eine typisch-deutsche Prägung. Sie wurde von A. G. Baumgarten eingeführt. Das Werk, das diesen Titel trägt,[27] ist ein charakteristisches Produkt der Wolff’schen Schule: Wörter werden durch Wörter bestimmt. Ästhetik wird, der griechischen Wurzel gemäß,[28] als Wissenschaft des sinnlichen Erkennens definiert, aber darunter sind sowohl die Theorie der schönen Künste als auch die „untere Erkenntnislehre“, das Wissen von den Sinnesreizen gefaßt, und diese Vieldeutigkeit blieb den ästhetischen Debatten bis heut erhalten. Kant hat das Ästhetische in seine kritische Erkenntnistheorie aufgenommen und in Gestalt der Urteilskraft als eine Art Mittelglied zwischen das theoretische Vermögen (das auf Erkenntnis des Seienden gerichtet ist) und das praktische Vermögen (das ‚aus Freiheit’ postuliert, was sein soll) geschoben;[29] ohne daß immer klar würde, ob es sich dabei um ein selbständiges Drittes handelt oder um einen Übergang oder um eine Schnittmenge. Oder womöglich um die höhere Einheit? (So hat Fichte sie genommen.) 

„Urteilskraft ist das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken.“[30] Was ist daran ästhetisch? Ästhetisch wird es, wenn das Allgemeine als der Zweck, als die höhere Bestimmung des Besondern aufgefaßt wird: „Schönheit ist Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes, sofern sie, ohne Vorstellung eines Zwecks, an ihm wahrgenommen wird.“[31] Schönheit ist Zweckmäßigkeit ohne Zweck; oder schön ist, was als Zweck seiner selbst erscheint – und so gerät das Ästhetische in ganz intime Nähe zum ‚Sinn der Welt’! Denn immerhin erscheint unserm theoretischen Verstand die ganze Natur „so, als ob“ sie zweckmäßig eingerichtet sei; so, daß immer eins genau zum andern paßt; so, als ob sie nach einem Plan gemacht ist.[32] Das ist zunächst einmal eine nützliche Fiktion, wenn es darum geht, die Dinge der Welt industriell brauchbar zu machen, und rechtfertigt sich durch den Erfolg. Aber abgesehen davon? Abgesehen davon erscheint die Zweckmäßigkeit der Welt ohne Zweck. Es ist eine ästhetische Idee, die unserer Umgangssprache als Sinn geläufig ist. „Unter einer ästhetischen Idee aber verstehe ich diejenige Vorstellung der Einbildungskraft, die viel zu denken veranlaßt, ohne daß ihr doch irgend ein bestimmter Gedanke, d. h. Begriff adäquat sein kann, die folglich keine Sprache völlig erreicht und verständlich machen kann.“[33] Die Einbildungskraft ist nämlich das „produktive Erkenntnisvermögen“, ihr Geschäft ist die „Schaffung gleichsam einer andern Natur aus dem Stoff, den ihr die wirkliche gibt.“[34] Die andere, unstoffliche, überwirkliche ‚Natur’, das ist die Welt des Sinns; des moralischen, des ästhetischen – gleichviel: „Das Schöne ist das Symbol des Sittlichen.“[35] 

Die Kritik der Urteilskraft war ein Nachzügler, die dritte der Kritiken, und führte den Autor zu Ergebnissen, die er nicht erwartet hatte. Den erwähnten Halbheiten und Widersprüchen fügte sie das ihre hinzu. Die obige Darstellung ist nicht bloß eine Raffung, sondern eine Interpretation. Andere sind möglich; ob sie aber schlüssiger wären? Diese hier tut dem Geschmack des Autors immerhin keine Gewalt: hatte er doch seinen Abfall vom Wolff-Leibniz’schen System mit den Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen[36] eingeleitet, wo er sich – halb versuchsweise und tändelnd – an die Kunst- und Schönheitsmetaphysik des Grafen Shaftesbury anschloß.[37] Jedenfalls wurde die Kritik der Urteilskraft zu so etwas wie der Geburtsakte von Romantik und ‚Wissenschaftslehre’. 

Schillers Spieltrieb
Es gibt keinen andern Weg,
 den sinnlichen Menschen vernünftig zu machen,
 als daß man denselben zuvor ästhetisch macht.
 Schiller

Vermittelnd trat Friedrich Schiller dazwischen. Sein Interesse am Ästhetischen ist von vornherein nicht bloß theoretisch, sondern politisch und pädagogisch. Seine Ästhetische Erziehung des Menschen entstand 1793/94 und rechtfertigt seine Abkehr von der (französischen) Revolution.[38] Die Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft ist ungebrochen, er knüpft weiterhin an Rousseau an: „Die Kultur, weit davon entfernt, uns in Freiheit zu setzen, entwickelt mit jeder Kraft, die sie in uns ausbildet, nur ein neues Bedürfnis,“[39] das uns gefangen nimmt, indem es das System der Arbeitsteilung hervorbringt, das den Menschen vereinseitigt und auf einen bestimmten Beruf festlegt. „Wir sehen  ganze Klassen von Menschen nur einen Teil ihrer Anlagen entfalten, während dass die übrigen, wie bei verkrüppelten Gewächsen, kaum in matter Spur angedeutet sind. Ewig nur an ein einzelnes kleines Bruchstück des Ganzen gefesselt, bildet sich der Mensch selbst nur als ein Bruchstück aus“ und wird dabei „bloß zum Abdruck seines Geschäfts“.[40] Schiller erkennt aber auch den Fortschritt darin: „Die mannigfaltigen Anlagen im Menschen zu entwickeln, war kein anderes Mittel, als sie einander entgegenzusetzen. Dieser Antagonism der Kräfte ist das große Instrument der Kultur. Einseitigkeit in Übung der Kräfte führt zwar das Individuum unausbleiblich zum Irrtum, aber die Gattung zur Wahrheit.“[41] 

Soll nun im Gattungsinteresse das Individuum dazu verurteilt bleiben, „über irgend einem Zwecke sich selbst zu versäumen“? Wenn die Kultur mit ihren Künsten die Verkümmerung der Individuen unausweichlich machte, dann gilt es, durch eine „höhere Kunst“ die Totalität der Person wiederherzustellen.[42] Wer soll das tun, und wie? Die Revolution hatte alle Hoffnung auf den Staat gesetzt, aber die Menschen waren für die Freiheit noch nicht reif, die Republik wurde zur „Tyrannei gegen das Individuum“, bis es sich am Ende gar zur alten Unterdrückung zurück-sehnen mochte![43] Der Staat fällt als Mittel der Befreiung aus. Umgekehrt, ein freier Staat wird erst möglich, wenn die Individuen zur Freiheit gebildet sind. „Man müßte also zu diesem Zwecke ein Werkzeug aufsuchen, welches der Staat nicht hergibt.“ Da er selber Künstler war, mußte Schiller nicht lange suchen: „Dieses Werkzeug ist die schöne Kunst.“[44] 

Die Doppelnatur des Menschen, mal Natur-, mal Vernunftwesen, kommt in seiner zwiespältigen Triebstruktur zum Ausdruck: Dem „sinnlichen Trieb“, der auf die Befriedigung der Bedürfinisse in der Zeit gerichtet ist, steht ein „Formtrieb“ gegenüber, der auf die – logische und moralische – höhere Bestimmung des Menschen in der Ewigkeit zielt. Der eine kommt aus dem prallen Leben, der andre reißt ihn über dessen Verstrickungen hinaus. Nur seinem sinnlichen Trieb preisgegeben, bleibt der Mensch eine Art Gemüse. Nur dem Formtrieb verfallen, erstirbt er dem Leben. Doch es gibt ein Drittes, „in welchem beide verbunden wirken“: der Spieltrieb. [45] Der Gegenstand des sinnlichen Triebs heißt Leben, der des Formtriebs heißt Gestalt; „der Gegenstand des Spieltriebs wird also lebende Gestalt heißen können – ein Begriff, der allen ästhetischen Beschaffenheiten der Erscheinung und dem, was man in weitester Bedeutung Schönheit nennt, zur Bezeichnung dient“.[46] Im Spiel sind beide Naturen des Menschen zwanglos vereint, indem „gerade das Spiel und nur das Spiel es ist, das ihn vollständig macht und seine doppelte Natur auf einmal entfaltet. Mit dem Angenehmen“ – dem Gegenstand des Bedürfnisses, – „mit dem Guten und Vollkommenen“ – dem Gegenstand des Formtriebs – „ist es dem Menschen nur ernst“, und wer kann das aushalten? „Aber mit der Schönheit spielt er. Der Mensch soll mit der Schönheit nur spielen, und er soll nur mit der Schönheit spielen. Er spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“[47] 

Dann – mit dem 19. Brief – bricht Schiller seinen Gedankengang plötzlich ab. Soeben hat er Fichtes „Wissenschaftslehre“ gelesen.[48] Die beiden ‚Triebe’ läßt er nun beiseite, als legten sie einander brach: „Die Entgegensetzung zweier Naturnotwendigkeiten gibt der Freiheit ihren Ursprung”! Seither gibt es „in dem Menschen keine andere Macht als seinen Willen“. Jene „mittlere Stimmung“, wo die Triebe verstummen und der Mensch in seinen ursprünglichen „negativen Zustand der bloßen Bestimmungslosigkeit“ zurückkehrt, diesen „Zustand der realen und aktiven Bestimmbarkeit“ muß man „den ästhetischen heißen“. „In dem ästhetischen Zustand ist der Mensch also Null“, nämlich „an Inhalt völlig leer“, und findet sich in der Freiheit wieder, „aus sich selbst zu machen, was er will. Das Vermögen, welches ihm in der ästhetischen Stimmung zurückgegeben wird“, ist „als die höchste aller Schenkungen zu betrachten“, und es ist „nicht bloß poetisch erlaubt, sondern auch philosophisch richtig, wenn man die Schönheit unsre zweite Schöpferin nennt.“[49] 

Produktive Einbildungskraft
Das Anschauen, im Gegensatz zum Gefühl,
 ist Tätigkeit.
 J. G. Fichte

Das war das erstemal, daß der Erziehung ein gesellschaftspolitischer Zweck zugemutet wurde, und natürlich geschah es auf deutschem Boden, in deutscher Sprache. Immerhin, Ort dieser Pädagogik ist der ästhetische Zustand, und ihr Medium ist das Spiel – das wär so ein schlechter Ansatz nicht gewesen. Das war es auch nicht, was den von Schiller namentlich in Anspruch genommenen Fichte auf den Plan rief. Erst vor wenigen Monaten hatte er Skandal gemacht, als er – der einzige namhafte Deutsche – die französische Revolution auch nach dem jakobinischen Terror noch uneingeschränkt gerechtfertigt hatte.[50] Sollte er sich jetzt als Zeugen für deren Vergeblichkeit aufbieten lassen? Für Schillers Horen verfaßte er eine eigne ästhetische Abhandlung „Über Geist und Buchstab in der Philosophie“ – die den politischen Streitpunkt nicht hinter dem philosophischen versteckt: Nicht müssen die Menschen erst ästhetisch gebildet werden, um sie zur Freiheit zu befähigen, sondern umgekehrt: Erst müssen sie frei werden – von der materiellen Not zumal -, um zu ästhetischer Bildung die Muße zu finden.

„Selbst die Erkenntnis wird zunächst nicht um ihrer selbst willen, sondern für einen Zweck außer ihr gesucht. Mit der Kargheit der Natur haben wir nicht Zeit, bei der Betrachtung der Dinge um uns herum zu verweilen; emsig fassen wir die brauchbaren Beschaffenheiten derselben auf, um Nutzen von ihnen zu ziehen. Das Menschengeschlecht muß erst zu einem gewissen äußern Wohlstand und zur Ruhe gekommen sein, ehe dasselbe ohne Absicht auf das gegenwärtige Bedürfnis – und selbst mit der Gefahr, sich zu irren – beobachten, bei seinen Beobachtungen verweilen und unter dieser müßigen und liberalen Betrachtung den ästhetischen Eindrücken sich hingeben kann. Wenn es von der einen Seite nicht ratsam ist, die Menschen freizulassen, ehe ihr ästhetischer Sinn entwickelt ist, so ist es von der andern Seite unmöglich, diesen zu entwickeln, ehe sie frei sind; und die Idee, durch ästhetische Erziehung den Menschen zur Würdigkeit der Freiheit und mit ihr zur Freiheit selbst zu erheben, führt uns im Kreise herum, wenn wir nicht vorher ein Mittel finden, in Einzelnen aus der großen Menge den Mut zu erwecken, niemandes Herren und niemandes Knecht zu sein“.[51] 

Anders als Schiller hat Fichte nie eines Fürsten Gunst erworben und hat das Proletarierkind nie verleugnet. Die Lehre von den drei Trieben ähnelte zu sehr den tatsächlichen Klassenverhältnissen – die Arbeit den einen, das Denken den andern; dazwischen, spielend überlegen, der Artist. Zweck der Arbeit und wahrer Reichtum war ihm vielmehr „die Muße, die Allen nach vollbrachter Arbeit bleibt“, denn „in dieser Ruhe Eures Körpers werdet Ihr, so Gott will, durch Langeweile genötigt werden, an Euern Geist zu denken, zu bemerken, daß ihr einen habt“, heißt es noch in seinen letzten Vorlesungen.[52] So unterscheidet sich der Sozialrevolutionär vom Höfling. Schiller hat seinen Aufsatz in den Horen nicht gebracht, Fichte mußte ihn Jahre später im Philosophischen Journal selbst veröffentlichen.[53] 

Ein philosophischer Unterschied war auch da. Fichte hatte die wie in erratischen Brocken verstreut daliegende Kant’sche Kritik in der Wissenschaftslehre radikalisiert und zu einem System gebildet. Die Lehre von den Vermögen war eine Halbheit. „Alle besonderen Triebe und Kräfte im Menschen sind lediglich besondere Anwendungen der einzigen unteilbaren Grundkraft im Menschen“ – die indes nicht als eine bio- oder psychologische Tatsache vor uns liegt: Wahrnehmbar ist immer nur ihre jeweilige Wirkung, und „von dieser schließen wir auf die Ursache im selbsttätigen Subjekt zurück, und lediglich auf diese Weise gelangen wir zur Idee vom Dasein jenes Triebes“ – er wird nicht ‚erkannt’, sondern erschlossen.[54] 

„Der Strenge nach ist aller Trieb praktisch, da er zur Selbsttätigkeit treibt, und in diesem Sinne gründet alles im Menschen sich auf den praktischen Trieb, da nichts in ihm ist, außer durch Selbsttätigkeit.“[55] Solange freilich die Notdurft den Menschen an sein Bedürfnis fesselt, zielt der Trieb nur auf die ‚brauchbaren Beschaffenheiten’ der Dinge, und macht bloß  Erfahrung. „Sowie jene dringende Not gehoben ist und nichts mehr uns treibt, den möglichen Geisteserwerb gierig zusammenzuraffen, um ihn sogleich wieder für den notwendigen Gebrauch ausgeben zu können, erwacht der Trieb nach Erkenntnis um der Erkenntnis willen. Wir fangen an, unser geistiges Auge auf den Gegenständen hingleiten zu lassen, und erlauben ihm, dabei zu verweilen; wir betrachten sie von mehreren Seiten, ohne gerade auf einen möglichen Gebrauch derselben zu rechnen; wir wagen die Gefahr einer zweifelhaften Voraussetzung, um in Ruhe den richtigen Aufschluß abzuwarten. Wir wagen es, etwas anzulegen an Versuche, die uns mißlingen können. Es entsteht Liberalität der Gesinnung – die erste Stufe der Humanität. Unter dieser ruhigen und absichtslosen Betrachtung der Gegenstände, indes unser Geist sicher ist und nicht über sich wacht, entwickelt sich ohne alles unser Zutun unser ästhetischer Sinn“ – zunächst noch am Leitfaden der Wirklichkeit. Doch schließlich „erhebt sich denn bald die dadurch zum Geist der Freiheit erzogene Einbildungskraft zur völligen Freiheit. Einmal im Gebiet des ästhetischen Triebes angelangt, bleibt sie in demselben, und stellt Gestalten dar, wie sie gar nicht sind, aber nach der Forderung jenes Triebes sein sollten: und dieses freie Schöpfungsvermögen heißt Geist. Der Geschmack beurteilt das Gegebene, der Geist erschafft. Nur der Sinn für das Ästhetische ist es, der in unserem Innern uns den ersten festen Standpunkt gibt.“[56] 

Den Seins-Urteilen des theoretischen Vermögens gehen die Sollens-Urteile des praktischen Vermögens voran. Dem zu Grunde liegt die Urteilskraft – als das Vermögen der qualifizierenden Anschauung. Sie ist schlechthin produktiv: ihren Stoff und ihre Form gibt sie sich selbst; sie ist einbildend. Alles, was wir vorfinden, begegnet uns als Etwas oder als etwas Anderes. Daß es ist, haben wir nicht bestimmt, aber was es ist; und anders ‚gibt es’ gar nichts.

„Die Einbildungskraft setzt überhaupt keine feste Grenze; denn sie hat selbst keinen festen Standpunkt. Nur die Vernunft setzt etwas Festes – dadurch, daß sie erst selbst die Einbildungskraft fixiert. Die Einbildungskraft ist ein Vermögen, das zwischen Bestimmung und Nicht-Bestimmung, zwischen Endlichem und Unendlichem in der Mitte schwebt.“ Was der reflektierende Verstand als seine Gegenstände vorfindet, ist ihr Produkt: „Sie bringt dasselbe gleichsam während ihres Schwebens und durch dieses Schweben hervor.“ Ohne sie gäbe es für uns keine Wirklichkeit, zu der wir uns verhalten könnten, und insofern ist die Wirklichkeit nicht ‚gegeben’, sondern gemacht. „Im praktischen Felde geht die Einbildungskraft fort ins Unendliche, bis zu der schlechthin unbestimmbaren Idee der höchsten Einheit, die nur nach der vollendeten Unendlichkeit möglich wäre, welche selbst unmöglich ist.“ Nach ihrer äußeren Grenze hin ist die Wirklichkeit daher problematisch. Doch auch von ihrem Grunde her. Die produktive Einbildungskraft ist nichts anderes als die Ichheit selbst, und auch die ist nicht ‚gegeben’, sondern lediglich aus ihren Taten erschlossen: Weil wir wirklich anschauen, müssen wir denken, daß wir es konnten; daß ein Vermögen da war vor der Tat. Aber das ist ein „durch die Spontaneität des Reflexionsvermögens künstlich hervorgebrachtes Faktum“. ‚Wirklich’ ist das Einbilden; das vorauszusetzende ‚Subjekt’ ist ihm nachträglich hinzugedacht. „Das Vorausgesetzte läßt sich nur durch das Gefundne, und das Gefundne läßt sich nur durch das Vorausgesetzte erklären.“[57] 

Das Ich ist keine vorfindliche Substanz; es ‚ist’ überhaupt nur, sofern es einbildet.

Indes, das alles ist nur Philosophie. Fürs Leben bedeutet es fast gar nichts. Doch gibt es eine Stelle, wo die Philosophie „übergeht“ ins wirkliche Leben, und das ist „die Ästhetik“. Aus dem gewöhnlichen Gesichtspunkt sowohl des Lebens als auch der reellen Wissenschaft erscheint die Welt als gegeben, dem philosophischen Gesichtspunkt erscheint sie als gemacht; „auf dem ästhetischen erscheint die Welt als gegeben, so als ob wir sie gemacht hätten und wie wir sie machen würden.“[58] Und zwar ist das die Stelle, wo sich die schöne Kunst befindet: Diese „bildet nicht, wie der Gelehrte, nur den Verstand, oder wie der moralische Volkslehrer, nur das Herz; sondern sie bildet den ganzen vereinigten Menschen. Das, woran sie sich wendet, ist nicht der Verstand, noch ist es das Herz, sondern es ist das ganze Gemüt. Sie macht den transzendentalen Gesichtspunkt zu dem gemeinen.“[59] Und wer wäre empfänglicher dafür als „unsere eigenen Kinder“, indem ihnen „von Natur ein leichter Sinn beiwohnt für das Zeitliche“! [60] So soll man es auffassen, daß die Philosophie vollendet, nämlich pädagogisch wird.

Dies sei „eine radikale Künstlerphilosophie“, wurde gesagt. „Und die Romantiker verstanden sie und machten Fichte zu ihrem Propheten.“[61] Die Brüder Schlegel waren in seinen Vorlesungen, auch Novalis und Brentano. Und Hölderlin. „Ich bin überzeugt, daß der höchste Akt der Vernunft, indem sie alle Ideen umfaßt, ein ästhetischer Akt ist, und daß Wahrheit und Güte nur in der Schönheit verschwistert sind“, heißt es im Ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus. „Ehe wir die Ideen ästhetisch, d. h. mythologisch machen, haben sie für das Volk kein Interesse, und umgekehrt: ehe die Mythologie vernünftig ist, muß sich der Philosoph ihrer schämen.“[62] 

Herbarts Geschmack
Der sittliche Geschmack ist nicht verschieden von
  dem poetischen, musikalischen, plastischen  Geschmack.
 Joh. Fr. Herbart

Wie weit er den Begriff des Ästhetischen fasse, könne Schiller sich nicht einmal vorstellen, schrieb Fichte [63]; der Atheismusstreit hat ihn dann vom Wege abgebracht. Kant hatte die Urteilskraft noch zu einem verschämten philosophischen Gottesbeweis benutzt. Wir müßten so urteilen, als ob „in der Natur gar nichts ohne Zweck sei. Allein, den Endzweck der Natur suchen wir in ihr vergeblich.“ Als dessen Gewährsmann dient ihm Gott: „Folglich müssen wir eine moralische Weltursache (einen Welturheber) annehmen, um uns einen Endzweck vorzusetzen.“[64] Fichte hatte für diesen gewundenen „Schluß vom Begründeten auf den Grund“, auf „ein besonderes Wesen als die Ursache desselben“, nur Spott übrig: „Die moralische Ordnung ist das Göttliche, das wir annehmen! Es wird konstruiert durch das Rechttun. Jene lebendige und wirkende moralische Ordnung ist selbst Gott; wir bedürfen keines anderen Gottes und können keinen andern fassen.“[65] Eine Moral, die auf einen Garanten für ihren Erfolg rechnet, ist keine.

Mit dem Verzicht auf einen ‚Schöpfer’ ist freilich der Rangunterschied zwischen Ethik und Ästhetik eingeebnet. Unsere Neigung, moralischen Urteilen einen logisch höheren Wert zuzuschreiben als ästhetischen, beruht auf einer heimlichen theologischen Prämisse: daß nämlich diese den Absichten unseres Schöpfers gewissermaßen ‚näher stehen’ als jene. Fällt diese Prämisse fort, unterscheiden sie sich nur noch hinsichtlich ihres Anwendungsfelds; denn autonome Werturteile sind sie beide.

Johann Friedrich Herbart hat diesen Schluß ausdrücklich gezogen. In unserem Vorstellen kommen Bestimmungen vor, bei denen „das Denken nicht bei bloßer Verdeutlichung still stehen kann“, sondern vielmehr „einen Zusatz herbeiführt, der in dem Urteile des Beifallens oder Mißfallens besteht“: Das gilt für Ethik und Ästhetik gleichermaßen; indem sie gemeinsam auf „Wertbestimmungen durch Lob und Tadel beruhen“, fallen sie „in eine Hauptklasse zusammen“. Dabei umfaßt der Begriff der Ästhetik den weiteren Geltungsbereich, er bezieht sich auf alle denkbaren Verhältnisse; die Ethik dagegen nur auf „gefallende und mißfallenden Willensverhältnisse“. Ästhetik und praktische Philosophie verhalten sich so zu einander, „daß jene die weitere, diese die engere Sphäre sei“.[66] 

Das spezifisch ästhetische Vermögen ist der Geschmack. „Nicht in der Masse, sondern in den Verhältnissen liegt der ästhetische Wert.“[67] Ge-schmack ist „nichts anderes als der allgemeine Name für die Beurteilung einzelner Verhältnisse“. Das spezifisch moralische Vermögen ist folglich sittlicher Geschmack. „Der sittliche Geschmack, als Geschmack überhaupt, ist nicht verschieden von dem poetischen, musikalischen, plastischen Geschmack. Aber spezifisch verschieden ist der Gegenstand“: Was zu beurteilen ist, liegt „hier außer uns, dort in uns selber“.[68] Das Gute ist das „sittlich Schöne“, doch spricht der Geschmack jeweils nur im einzelnen Fall, „in lauter absoluten Urteilen, ganz ohne Beweis. Für verschiedene Gegenstände gibt es ebensoviele ursprüngliche Urteile, die sich nicht aufeinander berufen, um logisch auseinander abgeleitet zu werden.“[69] Sittliche Bildung ist Geschmacksbildung – und umgekehrt.

Allerdings – eine Einbildungskraft kommt bei Herbart nicht vor; überhaupt kein produktives Vermögen. „Die Vernunft vernimmt; und sie urteilt, nachdem sie vernahm.“[70] Das intellektive Vermögen des Menschen ist rein rezeptiv; Herbart hat mit der kritischen Philosophie gebrochen! Es heißt, Herbart sei ein realistischer Denker gewesen. Nur bedeutet das im philosophischen Gebrauch so etwa das Gegenteil wie in der Umgangssprache. Hier beziehen sich ‚Realismus’ und ‚Idealismus’ allein auf die Frage nach der Herkunft unserer Erkenntnis. Realistisch heißt jene Lehre, wonach der Erkenntnisvorgang in den Dingen selbst (lat. res) seinen Ausgang nimmt, indem sie ihre Qualitäten in unser Bewußtsein prägen. Zuerst hat Plato diese Lehre ausgesprochen. Seine Ideen waren ebenjene ‚Dinge’, die sich in unserm Geiste abbilden;[71] jeder ‚Realist’ ist immer auch irgendwie Platoniker. Idealistisch (von gr. ideîn, sehen) heißt dagegen die Auffassung, wonach das Erkennen in einem Akt des Erkennenden seinen Ursprung hat. Und ‚kritisch’ nannten Kant und Fichte ihren Idealismus, weil sie diesen Akt nicht spekulativ behaupten, sondern phänomenologisch ergründen wollten.[72] 

Das Ding, in dem Herbarts Erkenntnis seinen Ausgang nimmt, nennt er ein Reale (Pl. die Realen).[73] Es ist eine geistige Größe, ein „metaphysischer Punkt“ wie Leibniz’ Monade, und hat mit der materiellen Welt aber auch gar nichts zu tun: „Diese Welt ist eine Scheinwelt. Sie gehorcht der Mathematik und lebt, wie diese, von Widersprüchen. Als ein wahres Reales kann Materie ebensowenig gedacht werden, wie Bewegung als ein wirkliches Geschehen; aber die Gesetzmäßigkeit des Scheins aus dem Realen zu erklären, das läßt sich leisten.“[74] Das erinnert stark an Platos Höhlengleichnis[75] und begründet die Kehrtwendung zur Leibniz’schen Spekulation – auf höherer Ebene. Doch während Plato uns an den Ideen immerhin ‚teilhaben’ ließ, bleiben uns Herbarts Realen so unzugänglich wie Kants Ding-an-sich.[76] Er müsse wohl den transzendentalen Gedanken nie ganz verstanden haben, mutmaßte Fichte.[77] Tatsächlich hat er ihn für eine Art Skeptizismus höherer Ordnung gehalten, durch den ein tüchtiger Kopf wohl hindurch gehen, wo er aber nicht stehen bleiben mußte.[78] Des Reflektierens müde, kehrte auch Herbart ‚hinter Sokrates zurück’. Doch nicht (um, wie Nietzsche, die Metaphysik zu begraben) zum bodenlosewigen Werden des Heraklit, sondern (um die Metaphysik zu restaurieren) zum festen Halt am ewigen Sein der Eleaten;[79] mit trocknem Witz vorgetragen, aber blutig ernst gemeint.

Auf seinen Schöpfer verzichtet das neubarocke System nicht: „Gott, das reelle Zentrum aller praktischen Ideen und ihrer schrankenlosen Wirksamkeit, der Vater der Menschen und das Haupt der Welt“.[80] Nicht als vorgestellter Zeuge allgemeiner Zweckmäßigkeit ohne Zweck, sondern als wirkende Kraft, deren „unfehlbarer Erfolg“ im Gemüt der leibhaftigen Menschen „ebenso notwendig“ ist wie die ursächlichen Wirkungen „in der Körperwelt“![81] 

Wirksam wurde Herbart nicht als Philosoph, sondern als Begründer der wissenschaftlichen Psychologie und der wissenschaftlichen Pädagogik. Aber leider hing eins am andern, und das hat die Sache verdorben. Am wirksamsten wurde seine Pädagogik durch das Falscheste daran. Das war die Scheidung in einen ‚praktischen’ Teil – der den Zweck darstellt: „die ästhetische Auffassung der umgebenden Welt“[82] – und einen davon unabhängigen theoretischen Teil, der die Methode begründet – seine rationalistische Psychologie: „Psychologische Pädagogik ist rein theoretisch. Sie macht jedes schlechte Verfahren und sein Wirken ebenso begreiflich als das rechte. So ist sie jedem brauchbar. Er mag nun seine Zwecke bestimmen, wie er immer will.“[83] Herbart hat die englische Assoziations- psychologie in Deutschland eingeführt, allerdings mit einem charakteristischen Zusatz. Er hat sie dynamisch gemacht – aber vor allem mechanisch, das heißt mathematisierbar. „Das Merken beruht auf der Kraft einer Vorstellung gegen die andern, welche ihr weichen sollen, also teils auf ihrer absoluten Stärke, teils auf der Leichtigkeit des Zurückweichens der übrigen.“[84] Vorstellungen gelten ihm als ‚Massen’, die einander verdrängen oder an einander anknüpfen können, als hätten sie ‚Haken und Ösen’. Das Verdrängen und Verknüpfen der Vorstellungen steuern – das wäre die technische Seite der pädagogischen Arbeit.[85] 

Herbart blieb stets ein Gegner der Institution Schule, sein Ideal war der im familiären Alltag ästhetisierend wirksame Hauslehrer. Solche Feinheiten bekümmerten die Herbartianer nicht mehr.[86] Der Zweck der Pädagogik stand fest; Moralität, was sonst? Und die Methode mußte ja, wenn sie wissenschaftlich war, überall dieselbe sein! Mit ihrer Pedantisierung des Wie, der technischen Seite der Pädagogik – ohne Rücksicht auf das Was als ihrem Sinn – begründeten sie die Lernschule in Deutschland, wie wir sie bis heute kennen. Dem Standesbedürfnis der Lehrer war das recht. Das wissenschaftliche Interesse an der Pädagogik hat entweder philosophische oder beschäftigungspolitische Gründe; und wo nicht die philosophischen vorwalten, tun’s die andern. Denen verdanken wir die Technologisierung der Pädagogik zur ‚Methode’ und die leviathanische Erfassung des Heranwachsens durch die Staatsorgane ebenso wie das akademische Bastardfach ‚Erziehungswissenschaft’ als ihr Feigenblatt; und unsern Platz auf der Pisa-Skala sowieso.

Noch eine jede pädagogische Reformbewegung mußte damit beginnen, die Frage nach dem Was der Erziehung, als ihrem Rechtsgrund, neu aufzuwerfen. Geschmacksbildung – das ist das Was der Pädagogik, die ästhetische Darstellung der Welt ist ihr Wie: Herbarts elementare Einsicht freizulegen unterm technokratischen Gestrüpp, das aus seiner radikal verfehlten Metaphysik wuchert – das ist die Aufgabe des fälligen pädagogischen Neuanfangs. Die ästhetische Auffassung der Pädagogik läßt sich allein kritisch begründen; allerdings auch nur sie.

Anmerkungen 

[1] J. F. Herder, Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit, (1784-91) Darmstadt 1966
2] J.J. Rousseau, Émile ou De l’éducation (Amsterdam 1762); dt. Emil oder Über die Erziehung, Paderborn 1971
[3] ebd, S. 72f.
[4] Herder aaO, S. 228; 227
[5] neben Johann Georg Hamann und Friedrich Heinrich Jacobi
[6] s. hierzu J. Ebmeier, Die Grenzen der pädagogischen Vernunft in PÄD Forum: unterrichten erziehen, Heft 3/03, S. 173f.
[7] Benedictus (Baruch) de Spinoza, holländischer Philosoph und Optiker; 1632-1677
[8] Die sich-selber-zur-Welt-ausdehnende denkende Substanz ist niemand anders als ‚Gott’, deus sive natura, und „die Ordnung und Verknüpfung der Ideen ist dasselbe (idem est) wie die Ordnung undVerknüpfung der Dinge“; in: Spinoza, Ethica ordine geometrico demonstrata, (dt./lat.): Die Ethik, Stgt. 1977 (Reclam), II. Teil, 7. Lehrsatz; S. 122f.
[9] Gottfried Wilhelm Leibniz, dt. Philosoph und Mathematiker; 1646-1716 [10] Leibniz, Neues System der Natur in: ders., Fünf Schriften zur Logik und Metaphysik, Stgt. 1966 (Reclam), S. 23
[11] ebd, S. 42
[12] von gr. monás: Einheit
[13] Leibniz aaO, S. 33
[14] 1679 bis 1754; 1740 von Friedrich d. Gr. auf seinen Lehrstuhl in Halle zurückberufen, von dem ihn 1723 die Pietisten vertrieben hatten.
[15] s. Ernst Cassirer, Kant und Rousseau in: ders., Rousseau, Kant, Goethe, Hbg. 1991 (PhB)
[16] die so ‚eigen’ allerdings nicht waren; er folgte dabei den Lehrbüchern anderer Autoren. Sie dürften auch vor dem Erscheinen der Kritiken entstanden sein.
[17] Immanuel Kant, Über Pädagogik, Werke (Hg. Weischedel), Bd. XII, S. 699
[18] Hr. Ritter: Kritik der Pädagogik zum Beweis der Notwendigkeit einer allge-meinen Erziehungswissenschaft in: Philosophisches Journal, Bd. VIII., 2. Heft (Jena 1798); bei dem Verf. handelt es sich wohl nicht um Johann Wilhelm R., der sich damals in Jena aufhielt und dem Kreis um Fichte und die Romantiker angehörte. – Der Heraus-geber Niethammer selbst wurde mit dem Pamphlet Der Streit des Philanthropinismus und der Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts (1808; neu: Wein-heim 1968) zum Begründer des sog. Neuhumanismus, der dann das deutsche Gymna-sium beherrschte; da hatte er sich von der kritischen Philosophie schon abgewandt.
[19] Rückerinnerungen, Antworten, Fragen (März 1799) in: J. G. Fichte, Gesamt-ausgabe, II. Abt. (Nachlaß) Bd. 5; Stuttgart 1979, S. 125
[20] ebd . S. 118; 122f.
[21] J. G. Fichte, Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre in: Philosophisches Journal, Bd. VI (1797); neu: Sämtliche Werke Bd. I, Berlin 1971, S. 507
[22] dt. Philosoph und Psychologe, 1776-1842
[23] (1803) Herbart, Sämtliche Werke (Hg. Hartenstein) Bd. 11, Hbg./Lpzg. 1892
[24] ders., Allgemeine Pädagogik, aus dem Zweck der Erziehung abgeleitet (1806) in: aaO, Bd. 10, 1891; neu u. a.: (Hg. Holstein) Bochum 61983
[25] Über die ästhetische Darstellung der Welt als das Hauptgeschäft der Erzie-hung®,
[26] Die Unterscheidung zwischen Bildung und Ausbildung gibt es nur im Deutschen; sie stammt, nicht dem Wort, aber dem Sinn nach, von Fr. I. Niethammer (s. Anm. 18)
[27] Alexander Gottlieb Baumgarten, Aesthetica, 2 Bde. Ffm 1750/58
[28] gr. aísthesis, Sinneswahrnehmung
[29] Kritik der Urteilskraft in: Kant, Werke (Hg. Weischedel) Bd. 6, Ffm. 1968
[30] ebd, S. 87
[31] ebd, S. 155
[32] ebd, S. 89. – Heute kommt uns die Natur eher als ein Reich der Vergeudung vor, wo auf 1000 Versuche kaum 1 Treffer gelingt.
[33] ebd, S. 249f.
[34] ebd, S. 250
[35] ebd, S. 297
[36] (1764) in: aaO, Bd. 2, S. 823-884
[37] Anthony Ashley-Cooper, Earl of Shaftesbury (1671-1713); trug seine Philosophie in dichterischer Form vor; wurde von Francis Hutcheson (1694-1746) systematisiert: An den knüpft Kant an.
[38] Über die ästhetische Erziehung des Menschen. In einer Reihe von Briefen, zuerst erschienen in Schillers Zs. Horen; hier zit. nach: Fr. Schiller, Ausgewählte Werke Bd. 6, Stuttgart 1950 (Cotta)
[39] ebd, S. 250
[40] ebd, S. 252f.
[41] ebd., S. 257
[42] ebd, S. 259
[43] ebd, S. 259-261 (7. Brief)
[44] ebd, S. 263
[45] ebd, S. 285
[46] ebd, S. 287
[47] ebd, S. 290f.
[48] FichtesGrundlagen der gesamten Wissenschaftslehre erschienen seit dem Früh-jahr 1794 bogenweise als Handschrift für seine Zuhörer. Neu: Hamburg 1979 (PhB); auch in: Fichte, Sämtliche Werke Bd. I, Berlin 1971. – Beide waren Professo-ren in Jena, Schiller für Geschichte, Fichte für Philosophie.
49] Schiller aaO, S. 305-310
[50] Die Beiträge zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution® waren 1793 zwar anonym erschienen, aber Fichtes Verfasserschaft war ein offenes Geheimnis; in: ders., SW Bd. VI
[51] ders., Über Geist und Buchstab in der Philosophie; SW Bd. VIII, S. 286f.
[52] System der Rechtslehre (1812), SW Bd. X, S. 543; 537
[53] in Bd. IX (1798)
[54] Über Geist und Buchstab…, aaO, S. 278f.
[55] aaO, S. 279
[56] aaO, S. 288-291
[57] J. G. Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, (PhB) S. 136-139; 145
[58] ders., Wissenschaftslehre nova methodo, Hbg. 1982 (PhB), S. 244
59] ders., System der Sittenlehre, SW Bd. IV, S. 353
[60] ders., 2. Rede an die deutsche Nation, SW Bd. VII, S. 287
[61] Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit, Bd. II; Mchn 1948; S. 501
62] hier zit. nach: Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Ffm. 1961; S. 1015f.  Die Verfasserschaft des ‚Systemprogramms’ ist ein echt romantisches Mysterium. Es ist in der Handschrift Hegels überliefert, aber als Autor kommt nur einer in Frage, der unterm Einfluß Fichtes und des Jenaers Kreises stand – also Hegels Zimmernachbarn Schelling oder Hölderlin.
[63] Fichte an Schiller, 27. 7. 1795; in: Fichte, Briefe, Bln. (O) 1986, S. 154
64] Kant, Kritik der Urteilskraft; aaO, S. 417; 413
[65] Fichte, Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung (1798) in Philosophisches Journal Bd. VIII (1798); neu: SW Bd. V, S. 186; 185
[66] ders., Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie (1813); Hamburg 1993, S. 52; 50; 143; 53
[67] ders., Allgemeine Pädagogik…, hier zit. nach: (Hg. Holstein) Bochum 983, S. 103
[68] ders., Allgemeine praktische Philosophie (1808) in: SW Bd. 8, Hamburg 1890, S. 29; 23
[69] ders., Über die ästhetische Darstellung der Welt als das Hauptgeschäft der Erziehung; hier zit. nach: Gerhard Müßener (Hg.), S. 108 [70] ebd, S. 107
[71] Phaidon IV, 72e-74a
[72] Mit dem kritischen (‚transzendentalen’) Idealismus ist übrigens eine andere als eine rein ‚materialistische’, streng auf Erfahrungstatsachen gegründete Naturwissenschaft nicht vereinbar; geschweige denn eine übersinnliche ‚Weltursache’.
[73] Herbart, Hauptpunkte der Metaphysik (1806), SW Bd. 3, 1884
[74] ders., Einleitung in die Philosophie, S. 330
[75] Politeia VII, 514a-518b
[76] Streng genommen handelt es sich also gar nicht mal um ‚Realismus’; vgl. W. Windelband/H. Heimsoeth, Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, Tübingen 1950, S. 488
[77] F. an Schelling am 22. 10. 1799; Briefe, S. 270
[78] Herbart, Einleitung…, S. 66-80
[79] gr. Philosophenschule im süditalienischen Elea, im 5. Jhdt. v. Chr.: Xenophanes, Parmenides, Zenon
[80] Herbart, Die ästhetische Darstellung…, S. 118
[81] ebd, S. 103
[82] ebd, S. 115
[83] ders., Aphorismen zur Pädagogik, SW Bd. 11, 1892; S. 430
[84] ders., Allgemeine Pädagogik, S. 89
[85] H. hat diese technische Seite in einem Gebäude von mathematischen Gleichungen formalisiert; gemäß dem über Leibniz von Descartes übernommenen Wissenschafts-programm. Vgl. Lehrbuch zur Psychologie (1816); SW Bd. 5, 1886; S. 15-36
[86] an ihrer Spitze Tuiscon Ziller (1817-1882) und Wilhelm Rein (1847-1929)




Zuerst erschienen in PÄD Forum: unterrichten erziehen, Heft 5/31 (Oktober 2003)