Dienstag, 9. August 2016

Auf den Lehrer kommt es an.

aus nzz.ch, 9.8.2016, 11:31 Uhr

Sozialverhalten von Kindern und Jugendlichen
Verhältnis zur Lehrperson zentral
In einer Langzeitstudie hat ein Forscherteam mit Beteiligung der ETH Zürich untersucht, wie sich die Beziehung zur Lehrperson auf das Sozialverhalten von Kindern und Teenagern auswirkt. Dabei bedienten sie sich eines Tricks.
 

(sda)/ni. ⋅ Dass sich eine gute Beziehung zur Lehrerin oder zum Lehrer günstig auf das Sozialverhalten von Kindern und Jugendlichen auswirkt, scheint nicht überraschend. Bei all den Einflüssen, denen Kinder ausgesetzt sind, ist der Effekt dieser Beziehung aber nicht ganz einfach nachzuweisen.

Ein Forscherteam unter Leitung der Cambridge University in Grossbritannien und mit Beteiligung der ETH Zürich hat sich dieser Aufgabe gestellt, wie die ETH am Dienstag mitteilte. Für ihre Anfang Juli im «Journal of Youth and Adolescence» veröffentlichte Arbeit verwendeten die Wissenschafter Daten von über 1400 Zürcher Kindern. Diese waren im Rahmen der Langzeitstudie «z-proso» ab ihrem Schuleintritt im Jahr 2004 regelmässig befragt worden.

In den Fragebögen mussten die Kinder unter anderem ihr eigenes Sozialverhalten bewerten und beispielsweise angeben, wie oft sie andere geschlagen, gebissen oder getreten hatten (aggressives Verhalten) oder wie oft sie andere zu trösten versuchten, die traurig waren oder sich verletzt hatten (prosoziales Verhalten). Ausserdem befragten die Forscher die Eltern und Lehrpersonen zum Verhalten der Kinder.

Langzeitbeobachtung wird zum Experiment


Um den Effekt der Beziehung zur Lehrperson auf das Sozialverhalten zu ermitteln, machten sich die Wissenschafter den Lehrerwechsel zunutze, der im Schweizer Schulsystem beim Übertritt von der Unter- in die Oberstufe (vierte Primarklasse) ansteht. Konkret bildeten sie 600 Zweiergruppen von Kindern, die sich vor dem Lehrerwechsel in möglichst vielen der über 100 Parameter ihres Profils sehr ähnlich waren. Allein in ihrem Verhältnis zur Lehrperson unterschieden sich die beiden jeweiligen Kinder – dies aber auch erst in der Oberstufe. Durch diese Übungsanlage wird aus der Langzeitbeobachtung fast ein Experiment (gute Beziehung vs. schlechte Beziehung), dessen Auswirkungen auf das kindliche Sozialverhalten die Forscher in den folgenden Jahren überprüften.

Der Vergleich zeigte einen deutlichen Effekt: Im Durchschnitt verhielten sich die Kinder mit einem guten Verhältnis zur Lehrerin oder dem Lehrer um 38 Prozent weniger aggressiv als ihre jeweiligen Gegenstücke mit einem schlechten Lehrer-Schüler-Verhältnis. Die gute Beziehung stärkte ausserdem das prosoziale Verhalten um 18 Prozent, wie die Wissenschafter berichten.

Andere Faktoren ausgeschlossen

Dank dem gewählten Studiendesign habe man andere Einflüsse weitgehend ausschliessen können, die ebenfalls die Ursache des unterschiedlichen Verhaltens hätten erklären können, kommentiert Ingrid Obsuth von der Cambridge University. Auch dürften sich die Ergebnisse breit verallgemeinern lassen, ist Denis Ribeaud von der ETH Zürich überzeugt. Dafür spreche etwa die Tatsache, dass andere Studien bei jüngeren Kindern zu ähnlichen Resultaten gekommen seien.

Die relativ starke Wirkung einer positiven Beziehung zur Lehrperson überraschte die Forschenden nach eigenen Angaben selber. So trage ein gutes Schüler-Lehrer-Verhältnis mindestens ebenso stark wie die gängigen Gewaltpräventionsprogramme zu einem positiven Verhalten bei, schreibt die ETH. Diese Botschaft gelte es in die Aus- und Weiterbildung der Lehrer einfliessen zu lassen – denn damit mache man effektive Gewaltprävention. 


Nota. - Dass die Persönlichkeit seines Klassenlehrers große Bedeutung für die Ausbildung der Persönlich-keit eines Kindes hat - kann es etwas Banaleres geben?

So banal ist das gar nicht. Die Schule nimmt viel Platz im täglichen Leben, und also im Heranwachsen der Kinder ein - das ist banal. Und je mehr Platz im täglichen Leben - z. B. am Nachmittag -,  umso mehr Platz im Heranwachsen. Und jetzt erfahren wir - nein, erfahren hatten wir es alle selbst; jetzt bestätigt es die em-pirische Forschung: Nicht die Schule ist es, die diesen Platz einnimmt, sondern es ist der Lehrer.

Zuerst also: Nicht die Schule. Nicht Strukturen, nicht Theorien, nicht Methoden, nicht Regeln; und schon gar nicht, oder allenfalls im Schlechten, die Stundenzahl. Die müssen - so oder so - durch den Lehrer ver-mittelt werden; auf den kommt es an.

Warum? Nicht zuletzt deshalb: Dass Kinder den halben (ach!) Tag lang in großer Masse zusammengesperrt werden, ohne einander bei Bedarf aus dem Weg gehen zu können, ist nicht nur unnormal. Es ist auch schädlich. Akut schädlich: Wir erfahren es seit Jahren täglich aus den Medienberichten über Gewalt, Mob-bing und "Aufrüstung" auf den Schulhöfen. Wenn er gut ist - wenn er gut ist -, dann kann der Lehrer kraft seiner Persönlichkeit den unvermeidlich dissozialisierenden Folgen dieser Zwangspromiskuität entgegen-wirken. Darum ist die Persönlichkeit des Lehrers für das Heranwachsen von Kindern so wichtig. Nämlich in einem präventiven Sinn: zu 38% kann er das Aggressionsniveau senken...


aus einem Kommentar:

...Dem Bild der Führungskraft ziehe ich das Bild des Performing artist vor. Der erwartet nicht, dass die andern seinem Vorbild folgen. Er will Eindruck machen, das schon, weiß aber auch, dass er nur wenig Kontrolle darüber hat, welchen. Er muss es einfach drauf ankommen lassen. Und weiß dabei: Er steht ganz allein auf der Bühne, auf einen Sympathievorschuss seines Publikums kann er nicht rechnen, denn die sitzen alle nicht freiwillig da. - Da braucht man schon breite Schultern.
JE   



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