aus Die Presse, Wien, 12.07.2016
Klasseneinteilung verstärkt Klassenunterschiede
Welche Kinder kommen in welche Volksschulklasse? Ein wesentliches Kriterium ist das Religionsbekenntnis, besagt eine aktuelle Studie.
Die soziale Durchmischung in den Volksschulen ist in Österreich gering. Das liegt allerdings nicht nur an den unterschiedlichen Voraussetzungen wie der Wohngegend oder dem Schulprofil. Denn wenn neue Klassen gebildet werden, können die Differenzen laut einer Studie sogar noch einmal verschärft werden, weil Kinder nach ihrem sozialen Status verteilt werden.
Bei der Entscheidung über die Zusammensetzung der ersten Klassen "treten an verschiedenen Schulen unterschiedliche Kriterien in den Vordergrund" , schreiben Michael Sertl und Claudia Leditzky (beide Pädagogische Hochschule Wien) in einer aktuellen Studie, die sie in der Zeitschrift "Erziehung & Unterricht" veröffentlicht haben. Zwei Kriterien sind allerdings laut der Erhebung dominant: Ganz im Sinne der in Österreich vorgeschriebenen Koedukation bemühen sich Schulleiter um ein möglichst ausgewogenes Verhältnis von Burschen und Mädchen, das zweite wesentliche Kriterium ist aber bereits das Religionsbekenntnis.
Trennung auch aus organisatorischen Gründen
Selbst wenn dadurch nur die Erstellung des Stundenplans erleichtert werden soll, führt die Aufteilung der Schüler nach ihrer Religion fast zwingend auch zu Klassen, in denen Kinder mit deutscher Muttersprache und einer gewissen Bildungsaffinität überrepräsentiert sind, während in anderen Klassen solche Schüler fehlen. An manchen untersuchten Schulen wurden sogar bewusst Kinder mit derselben Muttersprache in Klassen zusammengefasst, damit leichter Gruppen für den muttersprachlichen Unterricht gebildet werden können.
Es geht aber auch anders: So berichteten Schulleiter, dass sie Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache ganz bewusst möglichst gleichmäßig auf alle Klassen verteilen, um Ghettobildung vorzubeugen.
Bildungsaffine Eltern suchen spezielle Konzepte
Ein weiterer Grund für fehlende soziale Durchmischung sind Schulen mit bestimmten Schwerpunkten wie Zweisprachigkeit oder speziellen pädagogischen Konzepten: Indem vor allem Eltern aus der bildungsbewussten Mittelschicht - und zwar auch aus anderen Schulsprengeln - dorthin drängen, kommt es zu Konkurrenz- und Verdrängungseffekten beim Wettbewerb um die wenigen Schulplätze an diesen Einrichtungen.
Dasselbe passiert, wenn es an einer Schule Schwerpunkt- und Schulversuchsklassen gibt - auch hier kann sich die soziale Zusammensetzung auffallend von jener der anderen Klassen unterscheiden. Zu einer Homogenisierung können außerdem die - je nach Schulleitung mal mehr, mal weniger stark berücksichtigten - Wünsche der Eltern führen, dass ihr Kind dieselbe Klasse wie (Kindergarten-)Freunde besuchen soll.
Schulleiter bemühen sich
Gleichzeitig geben in der Studie viele Schulleiter an, sich um eine "möglichst große Ausgewogenheit und Balance der Ungleichheiten" zu bemühen: So werden ehemalige Vorschüler in der Regel gleichmäßig auf die verschiedenen ersten Volksschulklassen verteilt; dasselbe gilt für Schüler, die im Aufnahmegespräch als "unkonzentriert", "noch nicht altersadäquat" oder "leistungsschwach" aufgefallen waren. "Trotz dieser Bemühungen auf Seiten der Schulleiterinnen/Schuleiter und des wohl mitbestimmenden Kollegiums kann nicht ganz verhindert werden, dass bei der Klassenbildung die unterschiedlichen Voraussetzungen, die schon zu eklatanten Differenzen zwischen den Schulstandorten führen (Wohngegend, Schulprofile, usw.) noch einmal verschärft werden."
(APA)
Nota. - Nirgends sei der Einfluss der sozialen Herkunft auf den Schulerfolg der Kinder so groß wie bei uns in Deutschland, lesen wir immer wieder. Und immer klingt es so wie: nirgends ist der Zynismus größer. Aber wer ist der Schuldige? Irgendwo muss die böse Absicht sich doch verborgen halten! Es gibt gar keine böse Absicht. Es liegt daran, dass die Schule eine bürokratische Massenveranstaltung ist, in der tausend Rädchen ineinandergreifen, und wer nach einer Stellschraube sucht, an der er das ganze System justieren kann, erntet regelmäßig andere Ergebnisse als beabsichtigt.
An die seligierende Wirkung der Stundenpläne im Verein mit der Religionszugehörigkeit beispielsweise hatten sie in Österreich nicht gedacht, denn die haben sie ja gar nicht an und für sich - etwa für katholische und evangelische Kinder -, sondern nur, weil die muslimischen Kinder zur untersten Sozialschicht gehören. Demnächst wird man darauf achten und die Schulklassen nach muttersprachlich einheitlich durchmischen. Welche systemischen Auswirkungen das haben kann, ist vorab gar nicht absehbar, weil man nicht weiß, welche Parameter überhaupt berührt werden. Da kann man nur beten, dass nicht schon wieder eine Minderheit benachteiligt wird.
An der Auswirkung der sozialen Herkunft auf den Schulerfolg wird auch in Deutschland natürlich schon lange gequacksalbert. Aber so ist das nunmal mit bürokratischen Reformen: Was du mit den Händen reparierst, reißt du mit dem Hintern wieder ein.
JE
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