aus Tagesspiegel.de,11.08.2016 13:13 Uhr
Experten wollen Physik in der Schule entschlacken
"Viele Physik-Lehrpläne sind überfrachtet": Die Deutsche Physikalische Gesellschaft fordert eine Reform des Unterrichts in der Schule. Das soll das Fach beliebter machen.
von Tilmann Warnecke
„Weniger rechnen, mehr denken“: So stellt sich die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) eine Reform des Physikunterrichts in der Schule vor. Der Unterricht müsse „die Illusion einer vollständigen Vermittlung aller Aspekte der Physik aufgeben“, heißt es in einer DPG-Studie, auf die der Verband jetzt hinweist. Die Stofffülle solle reduziert werden, die Lehrkräfte besser beispielhaft in die Tiefe gehen: „Viele Lehrpläne sind überfrachtet.“
Physik gehöre zu den unbeliebtesten Fächern überhaupt – so steht es sogar in der Studie der DPG. Um das zu ändern, müssten im Unterricht schülernahe, gesellschaftlich relevante Kontexte vermittelt werden: „Die Inhalte müssen an die Erfahrungswelt der Jugendlichen anknüpfen.“ Das werde aber kaum gelingen, halte man am „Vollständigkeitsgedanken“ fest. Viele physikalische Phänomene könnten auch ohne streng mathematische Formulierungen verstanden werden, was Schülerinnen und Schülern den Zugang erleichtere.
Die Experten denken an einige zentrale Basiskonzepte, die sich wie ein roter Faden durch die verschiedenen Jahrgangsstufen ziehen sollten: Wellen, Kräfte, Energie und Materie. Das Experimentieren und eigene Formulieren von Hypothesen solle im Unterricht im Vordergrund stehen.
Erwartungen an den Physikunterricht herunterschrauben
Die DPG versucht, die Erwartungen an den Physikunterricht herunterzuschrauben. Wenn Lehrkräfte denken, sie müssten Schüler auf ein Physikstudium vorbereiten, würden sie sich irren: „Die Hochschulen erwarten nicht, dass Studienanfänger mit einer umfassenden, fachsystematisch strukturierten Physikausbildung zu ihnen kommen.“ Auf keinen Fall dürfe die Begabtenförderung die Vermittlung einer guten naturwissenschaftlich-physikalischen Allgemeinbildung möglichst vieler Schüler behindern. Physik-Talente könnten auch in speziellen AGs gefördert werden, oder indem sie bei Wettbewerben unterstützt werden.
Die DPG fordert auch eine Vereinheitlichung der Stundenzahl für Physik in den Bundesländern. Diese schwanke derzeit zwischen 167 und 280 Schulstunden in der Sekundarstufe I. Der DPG schweben für die fünf Jahre dieser Stufe insgesamt zehn Wochenstunden vor. In der Oberstufe solle es einen verpflichtenden Grundkurs mit vier Wochenstunden geben. Benötigt würden zudem mehr junge Physiklehrkräfte: Knapp die Hälfte aller Physikunterrichtenden sei älter als 50 Jahre.
Nota. - Ausnahmsweise geht es nicht - will ich doch hoffen - darum, den Schülern das Lernen zu erleichtern, indem man das Zu-Lernende verseichtet, sondern sie zum Lernen zu verlocken, indem man den Stoff anschaulich macht - denn bevor das physikalische Geschehen berechnet werden kann, muss es verstanden, und das heißt: vorgestellt werden. Ob das bei den Experten in guten Händen ist? Ich könnte mir denken, dass die Physiker das besser verstehen als die Erziehungswissenschaftler (weil es nämlich um Stoff geht und nicht um Methoden).
JE
Brief über den Physikunterricht
an Prof. Hubert Markl,
Präsident der Max-Planck-Gesellschaft
Berlin, den 11. 9. 2000
Sehr geehrter Herr Professor Markl,
…Meinerseits habe ich Ihre Ansprache zur Jahreshauptversammlung [der Max-Planck-Gesellschaft] aufmerksam gelesen. Und bin natürlich an Ihrer Klage über den Mangel an naturwissenschaftlichem Nachwuchs gestolpert, denn der Stolz meines Schulprojekts [in Fürstlich Drehna] ist doch, daß ich den Zugang zur Cyberworld über das Ästhetische gewählt habe – und gerade nicht über Technik und Naturwissenschaft. Wäre da ein Widerspruch?
Ich glaube nicht, das Problem bestünde darin, daß die Schüler irgendwann die „schwierigen“ Fächer abwählen dürfen. Sondern darin, daß der naturwissenschaftliche Unterricht, den sie bis zu diesem Zeitpunkt genossen haben, so war, daß sie es wollen. Daß die Menschen Interesse nur an dem finden, was "Spaß" macht, sagen bloß pädagogische Versager: Seit unsern Anfängen am Turkana-See ist das noch nie so gewesen. Warum sollte es über Nacht so geworden sein?
Es trifft sich vorzüglich, daß Sie in Ihrer Ansprache den Akzent auf die Astrophysik legen. Noch immer habe ich während meiner Berufstätigkeit – als Sozialpädagoge! – für Furore gesorgt, wenn ich den Zehn- bis Vierzehnjährigen von Sonne, Mond und Sternen, Schwarzen Löchern und Quasaren erzählte (in meinen besten Tagen gerade auf dem Niveau von Bild der Wissenschaft). Da haben selbst Quälgeister Maul und Ohren aufgesperrt. Aber – es sollte mich wundern, wenn nur einer von denen, als es so weit war, Physik nicht abgewählt hätte!
Wie paßt das zusammen? Sie selbst haben das Lösungswort gesagt: Sie reden von "eigentlich unvorstellbaren Vorstellungen"! Und war es das, womit die Schüler in Klasse 7 bis 10 konfrontiert worden waren? Bestimmt nicht. Was ihnen geboten wurde, war nicht nur vorstellbar, sondern war ihnen von fremden Leuten längst fix und fertig vor-gestellt worden – damit sie’s "behalten" sollten. Es ist aber nicht so, daß man zuerst "Fakten" sammelt und sich hinterher ein "Bild" daraus zusammensetzt, sondern genau umgekehrt. Wie in der Geschichte der Wissenschaft, so in der Bildungsgeschichte der Personen. Mit andern Worten, die Kinder müssen zuerst die Abenteuer des Denkens kennen lernen und den thrill des Noch-Unbestimmten, ehe sie "memorieren"; weil man nämlich die Fakten gern vergißt, solange sie nichts bedeuten. Das Staunen ist der Anfang der Philosophie, nicht das Addieren von Kenntnissen. ...
JE
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