Mittwoch, 12. November 2014

Die Zürcher Klassengrößen-Initiative.

aus nzz.ch,11.11.2014, 05:30 Uhr

Contra: Pädagogisch nahezu wirkungslos



Das Schrauben an der Klassengrösse ist eine der wirkungsvollsten bildungspolitischen Massnahmen, wenn es um Geld geht. Bemisst sich die Massnahme allerdings nach pädagogischen Zielen, ergibt sich eine ziemlich konträre Sicht: Die Klassengrösse ist für Unterricht, Disziplin, Wohlbefinden und Schulleistungen der Kinder von untergeordneter Bedeutung, zumindest im Kanton Zürich, wo bereits heute mehr als 90 Prozent der Klassen 23 oder weniger Schülerinnen und Schüler umfassen.

Selbstverständlich spielt es für Lehrerinnen und Lehrer eine Rolle, ob sie 22 oder 18 Aufsätze korrigieren, 22 oder 18 Elterngespräche führen. Der Arbeitsaufwand sinkt im Gleichschritt mit der Abnahme der Klassengrösse. Zudem bieten kleinere Klassen die Möglichkeit, die Zeit der Interaktion zwischen Lehrperson und Kind zu erhöhen. Die Schulkinder werden im Unterricht häufiger aufgerufen, können sich weniger gut verstecken. Und trotzdem zeigen wissenschaftliche Untersuchungen in ungewöhnlich hoher Übereinstimmung, dass die Schüler in kleineren Klassen weder motivierter sind noch mehr lernen und dass Lehrer ihre Unterrichtsformen nicht ändern, wenn sie in einem Jahr 22 Kinder und im nächsten 18 Kinder unterrichten.

Die Klassengrösse zählt zu jenen Faktoren, die auf Unterrichtsqualität und Lernerfolg kaum einen Einfluss haben. Kinder profitieren in Klassen mit 25 mehrheitlich motivierten Schülerinnen und Schülern und einer fachlich wie pädagogisch kompetenten Lehrerin deutlich mehr als in Klassen mit 15 Kindern, von denen die Mehrheit Lernen als «uncool» bezeichnet oder deren Lehrer nicht imstande ist, die Klasse effizient zu führen.

Von den vielen für guten Unterricht und Lernerfolg bedeutsamen Faktoren sind in der Klassengrössen-Diskussion zwei besonders relevant: das professionelle Vorgehen der Lehrer im Unterricht und die Zusammensetzung der Klasse. Je besser Lehrerinnen fachlich und pädagogisch-didaktisch ausgebildet sind, desto einfacher fällt es ihnen, strukturiert und anregungsreich zu unterrichten und Kinder mit Lernschwierigkeiten erfolgreich zu unterstützen. Und je besser die motivationalen Voraussetzungen der Klasse sind, desto grösser ist die Chance, dass die Schüler das Unterrichtsangebot aktiv nutzen. Ob in einer Klasse 22 oder 18 Kinder sitzen, spielt hingegen keine Rolle.

Die Beschränkung der Klassengrösse auf 20 Kinder ist nicht nur teuer und pädagogisch nahezu wirkungslos, sie ist auch ungerecht. Durch die Anwendung des Giesskannenprinzips wird verhindert, dass die Mittel dort eingesetzt werden, wo sie gebraucht werden: in Klassen mit schwierigen Lehr-Lern-Bedingungen. Diese Klassen brauchen mehr Ressourcen, beispielsweise, indem das Betreuungsverhältnis erhöht wird, bestimmte Fächer im Halbklassenunterricht erteilt oder zusätzliche Stunden für ausgewählte Schüler ermöglicht werden. Aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse könnte man – prononciert ausgedrückt – auch zum Schluss kommen, die Klassengrösse zu erhöhen und das frei werdende Geld Schulen in Einzugsgebieten tendenziell anspruchsvollerer, schwierigerer Schüler zur Verfügung zu stellen.
 
Urs Moser ist Leiter des Instituts für Bildungsevaluation an der Universität Zürich und Titularprofessor.

Nota. - Dass die nervliche Belastung der Lehrer mit der Klassengröße wächst, wird man auch ohne wissenschaftliche Untersuchungen glauben dürfen. Das Kernproblem sind aber auch da nicht die vielen Kinder, sondern dass der Lehrer Alleinunterhalter ist. Ob sich der Auftritt mit verteilten Rollen, der hier und da erprobt wird, bewährt, wird man sehen. Eine Scheidung nach Haupt- und Hilfslehrern wird die Schule hinnehmen können, aber vielleicht nicht die Lehrer.

Bedenke immer: Für die Schule gibt es keine Ideallösungen, weil die Schule kein Ideal ist., sondern nnur ein Notbehelf.
JE

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