Freitag, 21. November 2014

Auf die Schulform kommt's nicht an.




















aus DiePresse.com, 18.11.2014 | 18:53 |

"Die Schulform verändert wenig"

Bildungsforscher Stefan Hopmann über die "windschiefe" Gesamtschuldiskussion und darüber, dass manche Eltern ihre Kinder notfalls auch ins Ballettgymnasium schicken würden.



Stefan Hopmann: Sie bleibt bedroht.

Dabei wird von vielen Seiten argumentiert, das Gymnasium sei die erfolgreichste Schulform.

Die ganze Diskussion ist windschief. Schulformen als solche sind weder erfolgreich noch nicht erfolgreich. Das ist ein völliger Unsinn. Wenn ich den sozialen Hintergrund berücksichtige, ist das Gymnasium nicht besser als die Neue Mittelschule. Primär spiegeln Leistungstests wie PISA die gesellschaftliche Verteilung von kulturellen und sozialen Ressourcen.

Kann man so etwas überhaupt über die Schule verändern?

Über Schulformen wenig. Die Schulform bildet die Unterschiede ab, aber sie schafft sie nicht her. Was man im besten Fall erreichen kann, ist, dass es für die Schüler am unteren Rand nicht katastrophal endet. Aber niemand kann ressourcenstarke Familien daran hindern, das auszuspielen.
Das Gymnasium ist für manche quasi die Verdinglichung von Ungerechtigkeit. Zu Unrecht?
Historisch war es das. Bei Maria Theresia war das Gymnasium als Gesamtschule des Bürgertums konzipiert. Es hat dafür gesorgt, dass die Bürgerkinder nicht mit den Schmuddelkindern auf einer Schulbank sitzen mussten. Die Arbeiterbewegung hat das bekämpft. Aber nicht mit einer neuen Idee von Schule, sondern mit der Forderung nach gleichem Zugang zur bürgerlichen Bildung. Und sie führen immer noch den Kampf der Zwanzigerjahre: den Kampf um bürgerliche Bildung für alle.
...
Würde es dann auch mehr Privatschulen geben?
Für jeden öffentlichen Platz, den ich schließe, würden zwei private hochkommen. In den USA ist inzwischen die Mehrheit der Kinder, die auf eine öffentliche Schule gehen, unter der Armutsgrenze. Wenn die öffentliche Schule mir nicht das Extra gibt, nach dem ich suche, sind diese Eltern auch bereit, die Hälfte des Familieneinkommens zu investieren.
Kann man den Eltern das denn vorwerfen?
Nein. Das finde ich legitim. Das tue ich doch selbst mit meinen Enkeln. Denn Bildung ist das Einzige, was man vererben kann. Also ist die Frage nach Gymnasium oder nicht die falsche. Man muss fragen: Wie müssen alle Schulen aufgestellt sein, damit sie die, die sie nun einmal bekommen, bestmöglich versorgen?
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Die Gymnasien müssen viel deutlicher Programmschulen sein und mit Kultivierung arbeiten. Im Gegensatz zur Qualifizierung, die meint, dass ich gewisse Dinge beherrsche, meint das ein Kultivieren des Lernens, der Gemeinschaftlichkeit, der Fähigkeit, mit anderen etwas anzufangen, durchzuführen und zu Ende zu bringen. Das ist der Bereich, in dem Schule mehr Wirkung hat.
Sagen Sie, Leistung und klassisches Lernen seien unwichtig?
Nein, Leistung bleibt wichtig. Aber es gibt überhaupt keinen empirischen Beleg dafür, dass die gegenwärtige Qualifizierungshysterie etwas bringt. Immer geht es um mehr Leistung, um mehr Kompetenzorientierung: Da steckt die Fantasie dahinter, man könne diese Schraube beliebig anziehen. Das geht aber gar nicht. Man vergisst übrigens 80 Prozent dessen, was man in der Schule gelernt hat, eh sofort wieder – ohne, dass es schädliche Nebenwirkungen hätte.
ZUR PERSON 
Stefan Hopmann (60) ist Professor am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien. Seine These im Streit um Gymnasium versus Gesamtschule: Es kommt nicht auf die Struktur an, sondern darauf, was in der Schule passiert. Hopmann ist auch ein scharfer Kritiker der PISA-Studien. 

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