Dienstag, 29. April 2014

Die Kinder nehmen endlich wieder ab.

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Unerwartete Entwicklung: Die Zahl übergewichtiger Kinder steigt nicht weiter

Petra Schultze 
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universitätsklinikum Ulm 

29.04.2014 10:28
Ulmer Wissenschaftler belegen erstaunlichen Trend in Industrieländern in einer der ersten internationalen Übersichtsstudien

Nachdem die Zahl übergewichtiger Kinder in den Industrieländern seit den 80er Jahren massiv zunahm, zeigt sich eine Verlangsamung oder sogar ein Rückgang. Diese überraschende Entwicklung belegten jetzt Ulmer Wissenschaftler um Prof. Dr. Martin Wabitsch, Leiter der Sektion Pädiatrische Endokrinologie an der Ulmer Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin, in einer der ersten internationalen Übersichtsstudien. Sie erschien jetzt im renommierten Fachjournal BioMed Central Medicine. Einen wichtigen Grund dafür sehen die Wissenschaftler darin, dass Aufklärung und bessere Ernährungs- und Bewegungsangebote tatsächlich wirken. Entwarnung können die Forscher aber nicht geben, denn Kinder sind heute im Vergleich zu den 80er Jahren immer noch rund dreimal so häufig übergewichtig.

Das Team von Professor Wabitsch am Universitätsklinikum Ulm begab sich in die Vogelperspektive und wertete Einzelstudien aus verschiedenen Industrieländern aus. „Die Deutlichkeit des Trends für Deutschland und viele vergleichbare Länder wie die Schweiz, Frankreich, die USA oder Australien hat uns selbst erstaunt“, sagt Professor Wabitsch. Für Deutschland analysiert er mit seiner Kollegin Dr. Anja Moss seit Jahren die Daten aus Schuleingangsuntersuchungen mit jährlich mehr als einer halben Million Kinder und wurde so auf die erstaunliche Trendwende aufmerksam, die seit dem Jahr 2000 immer deutlicher wird. „Die positive Entwicklung ist dabei international bei Mädchen ausgeprägter als bei Jungen, im Vorschulalter deutlicher als bei Schulkindern“, erläutert Dr. Moss. An der Studie hat auch maßgeblich das Team um PD Dr. Katrin Kromeyer-Hauschild vom Institut für Humangenetik am Universitätsklinikum Jena mitgearbeitet.

Doch woher kommt die Trendwende? „Erste Studienergebnisse legen nahe, dass Aufklärung, bessere Ernährungs- und Bewegungsangebote tatsächlich wirken. Das ist für alle, die sich für gesünderes Essen in KiTas und Schulen, für mehr Sportunterricht, Grünflächen und Radwege einsetzen, eine gute Nachricht – denn ihr Einsatz lohnt sich“, betont Professor Wabitsch. Dr. Moss ergänzt: „Tatsächlich gehen der Konsum zuckerhaltiger Getränke und die Fernsehnutzung in vielen Industrieländern offensichtlich leicht zurück, der Verzehr von Obst und Gemüse sowie die Dauer aktiver Freizeitgestaltung steigen dagegen.“

Entwarnung kann Professor Wabitsch vom Universitätsklinikum Ulm aber nicht geben: „Die dauernde weitere Gewichtszunahme unserer Kinder scheint gestoppt, aber wir haben ein bereits ein erschreckendes Niveau erreicht: Unsere Kinder haben heute doppelt so viel Fettmasse wie den 80er Jahren. Und unsere Übersichtsstudie zeigt, dass der positive Trend geringerer Gewichtszunahmen nur für Kinder mit vergleichsweise geringem Übergewicht gilt, die Zahl der Kinder mit extremem Übergewicht steigt hingegen weiter.“ Die Botschaft der Ergebnisse ist für Professor Wabitsch daher klar: „Wir müssen unsere Bemühungen verstärken, damit die offensichtlich möglichen positiven Effekte von besserer Ernährung und mehr Bewegung eines Tages zu einem wirklichen Rückgang von Übergewicht führen.“ Dazu gehört für Professor Wabitsch auch Mut: „Wer Kinder vor den großen Dickmachern wie zuckerhaltigen Getränken und Fertigprodukten samt der dazugehörigen Werbung bewahren will, muss nicht nur an die Eigenverantwortung appellieren, sondern auch entsprechende Regelungen zum Kinderschutz treffen. Ein Geländer an der Treppe hilft ja auch mehr als ein Warnschild.“

Die Übersichtsstudie erschien als Kommentar in der Reihe „Evolutionary Medicine“ von BioMed Central Medicine und ist abrufbar unter: http://www.biomedcentral.com/1741-7015/12/17 . DOI:10.1186/1741-7015-12-17

Freitag, 25. April 2014

Bei Ganztagsschulen sparen.

MINISTERRAT: HEINISCH-HOSEK
aus Die Presse, Wien, 24. 4. 2014
 
Heinisch-Hosek will bei Ganztagsschulen sparen
Bei den Verhandlungen mit den Ländern wurden 50 Millionen Euro "gefunden". Damit fehlen nur noch sieben Millionen.

Wien. Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek SPÖ suchte am Mittwochabend gemeinsam mit den Bildungslandesräten fieberhaft nach neuen Sparideen - und die Runde der Verhandler wurde überraschenderweise fündig. Nach zweistündigem Gespräch verkündete die Ministerin gemeinsam mit den Landespolitikern folgende vorläufige Einigung: Gespart werden soll bei der schulischen Ganztagsbetreuung.

Statt der budgetierten 160 Millionen Euro für den Ausbau der Ganztagsschulen wird es heuer nur 110 Millionen Euro geben. 50 Millionen Euro sollen damit - zumindest vorerst - gespart werden. Das Geld soll erst am Ende der Legislaturperiode für diesen Bereich ausgegeben werden.
... 



aus Die Presse, Wien, 25.04.2014

Fakt ist, dass die Länder bisher nie alle zur Verfügung stehenden Mittel für den Ausbau der Ganztagsschule abgeholt haben. Und klar ist auch, dass der Ausbau der Ganztagsschule für die SPÖ bislang eine Art bildungspolitisches Steckenpferd war. Das Credo der SPÖ war: zuerst das Angebot schaffen und so die Nachfrage beeinflussen. ...

 

Dienstag, 22. April 2014

Eine Plattform für den Kinderring Berlin e.V.

Spreepiraten im  Kinderring  Berlin 

Als über Nacht die DDR entward, fragte ich mich arglos, was wohl aus der Pionierorganisation werden würde. Fast jedes Kind, das wusste ich ja, hatte ihr angehört, ob freiwillig oder nicht. Und es gab hunderttausende Pionierleiter- (innen). Da musste doch auch eine Menge mit ehrenhaften Motiven und anständigen Absichten drunter gewesen sein, die nicht einfach aufhören wollten, nur weil der institutionelle Rahmen abhanden gekommen war; denn wenn sie wirklich gut waren, konnte ihnen das nur willkommen sein.


Ich schaute mich in Ostberlin um. Da war die Kindervereinigung der DDR entstanden. Das waren Funktionäre, die vom institutionellen Rahmen retten wollten, was zu retten war. Das war gottlob nichts, und so verschwand die KV DDR, ohne Spuren zu hinterlassen.

Und da gab es den Kinderring Berlin e. V., der eine "freie Bewegung" von Erwachsenen und Kindern "von unten" sein wollte - im Gegensatz zur Pionierorganisation von oben. Von ihnen lernte ich, dass ich mit meiner Vorstellun- gen von den Jungen Pionieren in der Ära Ulbricht steckengeblieben war. "Staatspfadfinder mit paramilitärischem Auftrag" hieß es in meiner Erinnerung.

Aber damit war es spätestens zu Honeckers Zeit vorbei! Die Pionierorganisation war lediglich das Tentakel, das Margot Honeckers Volksbildung ins außerschulische Leben der Kinder ausstreckte. Pionierleiter waren Lehrer, und zwar an jeder Schule die jüngsten und noch unvernetzten, die von den Etablierteren dazu verdonnert worden waren: Bildung von 'allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeit' über die reguläre Dienstzeit hinaus. Und die waren froh, dass damit nun Schluss war.

Es war wirklich nur eine Handvoll, die "was Neues anfangen" wollten; vornehmlich Leute, die sich aus der FDJ kannten, wo sie als Gorbatschowisten in Ungnade gefallen waren. Was und wie - das war völlig offen: völlig.

Ich selber war ein westlicher Sozialpädagoge, der aber Erfahrung hatte in der bei uns so genannten freien Jugend- arbeit, nämlich bei der sozialistischen Jugend Die Falken, die aus den sozialdemokratischen Kinderfreunden der Weimarer Republik hervorgegangen waren. Bevor ich noch Zeit hatte, nach passenden Begriffen zu suchen, sprang mir schon ins Auge, dass Sozialpädagogik und Jugendbewegung zwei verschiedene Welten sind. In der Bundesrepublik waren alle Überbleibsel von Wandervogel, Bündischer Jugend & Co. abgewürgt worden vom Bundesjugendplan, der unter der Losung Professionalisierung den Verbänden "Planungssicherheit" verschaffte und als erstes in den Verwaltungen Vollzeitarbeitsplätze schaffte. Folgten die bislang freischwebenden Jugendleiter, aus denen dann die ersten Sozialarbeiter wurden. Es entstanden Fachhochschulen, und es gab Diplome. Das war das kümmerliche Ende der Deutschen Jugendbewgung.

Nach der Wende kam die Wiedervereinigung. Die öffentlichen Gelder standen auch für die neuen Länder zur Verfügung. Aber an wen sie geben?! An offenen Händen fehlte es nicht und allzu wählerisch waren die Jugend- behörden im Westen ja auch nicht. Doch in Ostberlin gab es den Kinderring Berlin, wo einige Erfahrung kumuliert war und wo vor allem mit doppelter Buchführung gearbeitet wurde. Da konnte man sogar nachschauen, wofür das Geld ausgegeben wurde!

Mein heißes Bemühen, ihm die Unschuld zu bewahren, wurde zwar geachtet, aber nicht belohnt. Denn nicht nur waren Lehrer Pionierleiter gewesen. Pionierleiter waren auch Lehrer. Nämlich bis zum dritten Schuljahr durfte man mit nix als einem Pionierleiterschein an der Grundschule unterrichten. Bis zur Wiedervereinigung, dann nicht mehr. Beim Kinderring konnte man unterkommen, mit Hilfe des ABM-Programms konnte man Projekte entwickeln, und es ist wahr: So unseriös wie anderswo üblich waren sie beim Kinderring nicht. Und das waren Leute, die man persönlich schon länger kannte und an deren persönlicher Integrität kann Zweifel war. "Nur dieses eine Mal noch!" 

Natürlich hörte ich den Satz öfter... Die Geschäftsführerin fand sich plötzlich als Vorgesetzte von einem Dutzend Angestellten wieder. Das Bedürfnis nach einer verbindlichen programmatischen Grundlage ist in der Geschäftsstelle entstanden, die sich vor der Bürokratisierung am meisten fürchtete!

Der Entwurf der im Folgenden wiedergegebenen Plattform für den Kinderring Berlin e. V. fand viel Lob. Na ja, an drei, vier Stellen müsse man es vielleicht nicht so krass formulieren. Kleinigkeit: der Satz "wir wollen niemand erziehen" etwa. Und so zog sich das in die Länge wie ein Kaugummi. Schließlich beschloss eine Mitgliederver- sammlung, den Beschluss über den Text zu "vertagen". 

Das war im März 1993. Ein Beschluss über die Plattform wurde bis heute nicht gefasst. Er hat sich  einfach erübrigt.



Plattform für den Kinderring Berlin e. V.


Das Grundgesetz der modernen, der bürgerlichen Gesellschaft ist: die restlose Verwertung von Raum und Zeit. Alles muß sich lohnen. Immer weniger Orte gibt es, an denen nicht-wertschaffende – oder Geschaffenes verwertende – Lebensformen eine Statt finden.  
Kindheit ist aber eine solche Lebensform.

Nicht die frühe Kindheit: Behüten kann man zum Beruf machen, in dem eine zunehmende Anzahl von Erwachsenen ihr Auskommen findet. 

Auch nicht “fürs Leben lernen”: Die Schule ist eine der größten Dienstleistungsindustrien unserer Zeit.

Also überall da, wo Kindern gesagt wird, was gut und recht ist, wie wir miteinander umgehen sollen, was ihre wahren Bedürfnisse sind und was für sie das Beste ist – überall da läßt sich die Kindheit verwerten.

Und in der Freizeitindustrie auch.

Wo Kinder Erwachsenen nützen, da wird ihnen Platz gemacht – im Raum und in der Zeit. Oder richtiger: da wird ihnen ihr Platz angewiesen.

Flegeljahre 

Doch alle Kinder kommen, heute wie vordem, einmal in das Alter, wo ihnen die angewiesenen Plätze zu eng, wo ihnen das Vertraute fad und wo ihnen das Gewisse öd und langweilig wird. Wo es ihnen nicht mehr reicht, zu lernen, was sie gelehrt werden, und wo sie erleben wollen, was fremd und aufregend ist; wo ihnen das Ungewisse und Unerhörte mehr bedeutet als die Annehmlichkeiten des Lebens und die Befriedigung wohlanständiger Bedürfnisse; wo sie der Unfug mehr begeistert als das Summen der Biene Maja. Und was verboten ist, das macht sie gerade scharf.
 
 

Das sind die Flegeljahre, die sich durch die erwerbsmäßigen Kinderkümmerer nicht “erfassen” und nicht verwerten lassen, und die darum als “Lücke-Alter” bemäkelt werden.

In der wissenschaftlichen Literatur wird diese Altersstufe als ‚Pubertät’ bezeichnet, weil sich das seriöser anhört. Aber damit wird nur dem Irrtum Vorschub geleistet, dabei handle es sich um eine rein hormonale Angelegen- heit.

Kindergesellschaft

In Wahrheit handelt es sich um eine große kulturelle Leistung, die die Kinder hier erbringen und die die Gesellschaft ihnen abverlangt, weil sie darauf angewiesen ist – wenn sie nicht verblöden will. Es ist nämlich das Alter, in dem sich Kinder jenen Vorrat an Tatendrang und Unternehmungsgeist zulegen, mit dem sie dann ein ganzes erwachsenes Leben auskommen müssen. Eine Zivilisation, die auf die Eigeninitiative, die Zivilcourage und die Einbildungskraft der Einzelnen baut, ist darauf angewiesen, Räume freizuhalten, in denen Lausbuben- geschichten stattfinden können. Es ist ein Kapitel praktischer Staatsbürgerkunde, weil sich die Kinder hier zum erstenmal eine politische Existenzform schaffen: Sie hören auf, in erster Linie für Erwachsene da zu sein. Sie sind jetzt nicht mehr Mamas Herzblatt und Papas Liebling, und sie legen auf die Achtung ihrer Freunde mehr Wert als auf das Lob des Lehrers. Sie hören auf, nur fremdbestimmte Schul- und Familienkinder zu sein, und beginnen, neben ihrem privaten, nun ein eigenes öffentliches Leben zu führen: das Leben in der Kindergesellschaft. 
 

Die Kindergesellschaft, das ist ein öffentlicher Raum, der sich unterhalb und im Schatten der offiziellen Gesellschaft gebildet hat und aus den allenthalben verpönten Banden, Cliquen und Horden besteht, in denen die Erwerbskinderkümmerer zu Recht ihren geschworenen Feind erkennen. Es ist eine Gesellschaft, in der – anders als später! – auch für Einzelgänger ein Platz ist: nämlich als die oftmals umworbenen fliegenden Boten zwischen den konstituierten Gruppen!

Es ist das eigene Interesse der Erwachsenen, jener Kindergesellschaft ihren Platz zu bewahren. Damit tun sie in erster Linie sich selbst einen Gefallen – weil sie die Gesellschaft lebendig erhält.

Eine Kulturaufgabe

Die Bewahrung und Ausweitung der Räume, in denen die Kindergesellschaft sich entfalten kann, ist eine kulturpolitische Aufgabe, die der Kinderring Berlin e. V. zu der seinen gemacht hat.

Der Kinderring Berlin will niemanden erziehen. Das tun schon viele andere. Er will Kindern behilflich sein, die noch nicht verwerteten Räume unserer Welt für sich zu entdecken, sie auszukundschaften und sie, wandernd und umherstreunend, zu erfahren.
 

Wir wollen niemandem die Welt erklären (wie denn?); es reicht uns, jungen Menschen die Welt zu zeigen. Die Erwachsenen, die dabei mit ihnen gehen, werden ihnen, wie sich das für Ältere gehört, mit ihrem Rat zur Seite stehen, ihnen Mut machen und auch tröstend zureden, wenn sie mal doch nicht schaffen, was sie sich vorgenommen hatten. Und wenn sie dabei auch mal vor einer Gefahr warnen, hat das mit Pädagogik gar nichts zu tun, sondern mit normalem menschlichen Anstand.

Wenn wir uns mit Kindern abgeben, so nicht, weil wir damit ein besonders gutes Werk zu tun glauben, sondern weil wir daran Freude haben. Leute, die einen Teil ihrer Freizeit mit Kinder zubringen, sind keine besseren Menschen als die andern. Sie sind lediglich noch nicht veraltet.


Dienstag, 15. April 2014

Leviathans großer Magen.

aus DiePresse.com,

2500 Lehrer in Verwaltung eingesetzt - und nicht in Klassen

Von wegen Sparen in der Verwaltung statt bei den Schülern: Direktoren und Lehrer wurden zunehmend für die Administration eingesetzt.

von
 
Sparen in der Verwaltung klingt in den Ohren der Bevölkerung immer gut. Bei der gerade laufenden Debatte um die Budgets 2014 und 2015 wird speziell im Unterrichtsbereich von der seit Mitte Dezember des Vorjahres zuständigen Ministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) versichert, dass vor allem auch in der Verwaltung eingespart wird. In der Realität ging das zumindest bislang nicht. Denn in der Vergangenheit ist man trotz ähnlicher Beteuerungen ihrer Vorgängerin Claudia Schmied (SPÖ) nicht ohne gegenläufige Maßnahmen ausgekommen. Allein im Schuljahr 2011/12 wurden umgerechnet in Vollzeitposten immerhin rund 2500 Lehrer vom Unterricht abgezogen, um den Schulbetrieb aufrechterhalten zu können.

Diese Entwicklung war erst Anfang April, wenige Tage vor der zuletzt mit voller Wucht ausgebrochenen Debatte um Einsparungen im Schulwesen, im Parlament aufgezeigt und diskutiert worden. Den brisanten Stoff lieferte der Rechnungshof, der diese Zahlen in einem der „Presse“ vorliegenden Bericht aufgelistet hat. Die 2500 Lehrkräfte wurden für verschiedene Zwecke eingesetzt: für die Leitung der Schulen (Direktoren), aber auch rein als Administratoren sowie zur Unterstützung von technischen Tätigkeiten in den Schulen, beispielweise bei der Betreuung von IT-Arbeitsplätzen.

Dabei ist in der Vergangenheit schon mehrfach vorgeschlagen worden, für rein administrative Tätigkeiten besser eigenes Personal einzusetzen. Damit sich die – im Regelfall besser bezahlten – Pädagogen dem Unterricht widmen können.

13 Millionen Euro einsparen

Der Rechnungshof hat diesbezügliche Berechnungen angestellt. Das Ergebnis: Der Einsatz von Verwaltungsbediensteten statt Lehrern käme billiger und brächte Einsparungen von rund 13 Millionen Euro jährlich. Rechnungshof-Präsident Josef Moser, der wegen nicht umgesetzter Empfehlungen seines Kontrollorgans Kummer eigentlich gewöhnt ist, wurde es wegen der fehlenden Umsetzung im Zug der Beratungen mit den Abgeordneten beinahe zu bunt. Er empfahl daher nochmals eindringlich den Einsatz von Verwaltungsdiensten.

Die amtierende Unterrichtsministerin Heinisch-Hosek selbst hatte schon im März 2012 in ihrer damaligen Funktion als Beamtenministerin in einem „Presse“-Gespräch den Lehrern angekündigt: „Wir wollen diese in der Schulverwaltung entlasten.“ Sie könne sich dabei auch den Einsatz bisheriger Postbeamter in der Schulverwaltung vorstellen. Verhandlungen mit Schmied und Ex-Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) wurden damals in Aussicht gestellt.

Unterstützungspersonal strittig

Im Zug der langwierigen Beratungen über das letztlich im Dezember des Vorjahres im Nationalrat beschlossene neue Lehrerdienstrecht wurde das Angebot zur Entlastung der Lehrer schließlich konkretisiert. Noch im Sommer des Vorjahres war von rund 2000 Bediensteten zur Unterstützung der Lehrer in den Schulen die Rede (etwa durch den Einsatz von Schulpsychologen und Sozialarbeitern).
Von der Forderung der Lehrergewerkschaften nach 13.000 zusätzlichen Kräften zur Unterstützung war das zwar noch meilenweit entfernt. Aber selbst diese Ministeriumspläne hatten einen entscheidenden Haken: Im Gesetz für das neue Lehrerdienstrecht wurden nämlich auch die 2000 Bediensteten zur Unterstützung nicht verankert.

Bei den jetzigen Beratungen über die Budgets 2014 und 2015 sowie über die Stellenpläne für die beiden Jahre hüllte sich die Bundesregierung bisher bezüglich genauer Zahlen für Administrativpersonal in Schweigen. Allzu viele dürften es angesichts des verordneten Sparkurses allerdings nicht werden. Damit ist der nächste Aufschrei von Lehrergewerkschaftern und auch von Schülervertretern nach den bereits bekannt gewordenen Sparplänen in den Schulen garantiert.

Mittwoch, 9. April 2014

Ist Bildung eine protestantische Idee?

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Zwischen Freiheit und Einsamkeit

Constanze Alt  
Stabsstelle Kommunikation/Pressestelle
Friedrich-Schiller-Universität Jena

08.04.2014 10:06

Erziehungsforscher der Universität Jena begreift Bildung als protestantisches Modell

„Bildung ist ein zutiefst protestantisches Modell“, so lautet die These von Prof. Dr. Dr. Ralf Koerrenz, der an der Universität Jena den Lehrstuhl für Historische Pädagogik und Erziehungsforschung innehat. Dass Bildung auf protestantischen Ideen beruht, bedeutet für ihn im Umkehrschluss auch, dass diese eben nicht einem katholischen oder orthodoxen Denken entspringt. Vielmehr, so betont Koerrenz, sei Bildung „eine Geburt aus dem Geist des Protestantismus“.

Entsprechend eindeutig nimmt sich auch der Titel einer kürzlich von Koerrenz herausgegebenen Publikation aus. „Bildung als protestantisches Modell“ möchte einerseits klären, inwieweit das Modell „Bildung“ von seinen religiösen Wurzeln aus weit mehr als ein „protestantisches“ Modell zu verstehen sei, denn als ein „deutsches“ Deutungsmuster. Andererseits wird „Bildung“ nach Koerrenz‘ Auffassung für Theologie und Kirche zu einem hermeneutischen Schlüssel, mit dem der Protestantismus selbst unter anthropologischen Vorzeichen gelesen werden kann. Dabei, so der Herausgeber vom Institut für Bildung und Kultur der Jenaer Universität, enthalte der hier gemeinte Begriff von „Bildung“ gerade in seiner religiösen Grundierung ein kritisches Potenzial gegen seine eigene Rezeptionsgeschichte, in der Bildung zu einem bloßen Besitzstand verkommen sei.

„Bildung“ – so der Leitgedanke des neuen Bandes – sei in anthropologischer Perspektive mit der Frage nach der Selbstdeutung des Menschen auf das Engste verknüpft. „Dabei spielt das Verständnis von Freiheit eine entscheidende Rolle“, erklärt Prof. Koerrenz. „Die Tradition, in der in eigener Weise eine Verknüpfung des Motivs ,Freiheit‘ mit wesentlichen Wertvorstellungen der Aufklärung wie Autonomie oder Mündigkeit zu einer neu verstandenen Anthropologie geführt hat, war der Protestantismus“, erläutert er.

Mit jener neuen Form von Freiheit, die im 18. Jahrhundert zwischen Naturbeobachtung und Erkenntnisphilosophie kontrovers diskutiert wurde, sei im Protestantismus die Erfahrung des Zurückgeworfenseins des Einzelnen auf sich selbst verbunden gewesen. Einem so verstandenen Freiheitsgedanken sei zum einen eine universal gedachte Vernunft eigen, zum anderen aber auch der Beigeschmack von Verlassenheit und Einsamkeit, da sich der Mensch vor die Unausweichlichkeit der Wahl und der je individuellen Entscheidung gestellt sah. Dieses Aufeinandertreffen von Freiheit und Einsamkeit erfolgte in einem Rahmen, in dem kein höchstes Lehramt und keine festgefügte Sozialordnung mehr eine tragende Entlastung versprach. Bildung als Modell für den Umgang des Menschen mit sich selbst sei letztlich eine Bewältigungsstrategie dieser Freiheit, ist Koerrenz überzeugt.

Mit ihrer Publikation stellen sich Koerrenz und seine acht Mitstreiter aus Theologie und Pädagogik nicht zuletzt auch gegen den unscharfen Bildungsbegriff unserer Zeit. Wer sich an die „Vermessung“ von Bildung mache oder Bildung auf den Besitz bestimmter „Güter“ reduziere, wie es dem heutigen Zeitgeist oft entspreche, der verkehre den Bildungsgedanken in sein Gegenteil, so Koerrenz. „Bildung ist in der öffentlichen Kommunikation zu einer Chiffre ohne Inhalt geworden“, kritisiert der Erziehungsforscher. Die im Band „Bildung als protestantisches Modell“ unternommenen Klärungen reichen von Analysen zum Kontext der Aufklärung bis hin zu aktuellen Fragen der Menschenrechte, der globalen Bildung oder der Popkultur.

Bibliografische Angaben:
Ralf Koerrenz (Hg.): Bildung als protestantisches Modell, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2013, 179 Seiten, Preis: 24,90 Euro, ISBN: 978-3-506-77689-1

Kontakt:
Prof. Dr. Dr. Ralf Koerrenz
Institut für Bildung und Kultur der Universität Jena
Am Planetarium 4
07743 Jena
Tel.: 03641 / 945331
E-Mail: Ralf.Koerrenz[at]uni-jena.de

Samstag, 5. April 2014

Eine Negativ-Auslese?

aus NZZ am Sonntag, 6. April 2014

Jeder zweite Lehrer steigt nach fünf Jahren aus. 

Pädagogische Hochschulen freuen sich über mehr Studierende. Doch über 17 Prozent der Absolventen steigen schon im ersten Berufsjahr wieder aus.

von Katharina Bracher


Alle Welt spricht vom Lehrermangel. Steigende Schülerzahlen, zahlreiche Pensionierungen und ein schlechtes Berufsimage wurden als Ursache genannt. Lehrerausbildungen für Quereinsteiger wurden lanciert, die pädagogischen Hochschulen unternahmen Anstrengungen, junge Menschen vermehrt für den Lehrerberuf zu gewinnen. Der Erfolg schlug sich in steigenden Studierendenzahlen nieder.

Nun zeigt sich jedoch, dass eine beträchtliche Anzahl der Absolventen der pädagogischen Hochschulen nicht einmal ein Jahr unterrichtet: 17,1 Prozent der Lehrpersonen stiegen zwischen den Jahren 2010 und 2011 noch im ersten Berufsjahr aus. So steht es in einem kürzlich publizierten Bericht des Bundesamtes für Statistik (BfS). Gemäss diesen Berechnungen verlassen rund 49 Prozent der neuen Lehrkräfte die Schule innerhalb von fünf Jahren nach Stellenantritt wieder. Warum sie den Beruf aufgegeben haben – ob nur vorübergehend zwecks Weiterbildung oder ob sie sich ganz anderen Berufsfeldern widmen –, geht nicht aus der Statistik hervor.

Elf Prozent pensioniert

Besonders viele Abgänge (35 Prozent) erfolgten nach Beendigung eines befristeten Arbeitsverhältnisses. Insgesamt sind jedoch nur 19 Prozent des gesamten Lehrkörpers an Schweizer Schulen befristet angestellt.

Pensionierungen waren nur zu 11 Prozent der Grund für den Austritt aus dem Beruf, was etwas erstaunt, wo doch Lehrerverbände und Bildungsbehörde schon länger vor einer grossen «Pensionierungswelle» warnen.

Was läuft in den Lehrer-Schmieden falsch, wenn fast ein Sechstel der Abgänger mit Lehrdiplom in der Tasche im ersten Jahr aus dem Beruf ausscheidet? Gar nichts, sagt der Präsident der Konferenz der Pädagogischen Hochschulen (COHEP) und Rektor der Pädagogischen Hochschule Graubünden, Johannes Flury. «In weiblich bestimmten Berufen ist der Ausstieg aus bekannten Gründen höher», findet Flury. Und schliesslich sei in allen Berufen Realität, dass in den ersten Jahren nach Berufseinstieg häufiger gewechselt werde als später.

Der Lehrerberuf sei traditionell ein «Aussteigerberuf», sagt Christian Amsler, Präsident der Deutschschweizer Konferenz der Erziehungsdirektoren (D-EDK) und selbst ehemaliger Prorektor einer pädagogischen Hochschule. «Man unterbricht die Lehrtätigkeit und geht auf Weltreise. Oder man bildet sich weiter in einem anderen Bereich – zum Beispiel der Heilpädagogik», sagt Amsler. Dass die Lehrer in die Privatwirtschaft wechselten und dort für immer dem Schulbetrieb verloren gingen, glaubt Amsler nicht. «Die Zeit, in der Lehrer einfach zu einer Versicherung oder auf die Bank wechseln konnten, sind längst vorbei», erklärt er. Natürlich könne man die Austrittsquoten nicht alleine mit Weiterbildungen und Reisen erklären.

Bessere Berufseinführung

Derselben Meinung ist auch Beat Zemp, Präsident des Lehrerdachverbandes (LCH). «Zu denken gibt mir vor allem die hohe Zahl der jungen Lehrpersonen, die bereits im ersten Berufsjahr aussteigen», sagt er. Man müsse darum den Berufseinstieg für Junglehrer mit einer professionellen Berufseinführung verbessern. «Dazu braucht es erfahrene Berufsleute, die eine Weiterbildung als Berufseinführungs-Coach gemacht haben und dazu über genügend Zeit verfügen», sagt er.

Zemp findet jedoch, dass es weitere Langzeitanalysen brauche, um endgültige Schlussfolgerungen zu ziehen. «Es ist gut möglich, dass einige später wieder in den Beruf einsteigen», vermutet er. Tatsächlich beträgt der Anteil der Wiedereinsteiger bei Neueinstellungen durchschnittlich 23 Prozent – 17 Prozent bei den Männern, 25 Prozent bei den Frauen. Doch ob das reicht, um die hohen Verluste in den ersten Berufsjahren wettzumachen? Die Statistik sagt jedenfalls nichts darüber aus, auf welchen Stufen der Abgang oder der Wiedereinstieg von Lehrern stattfindet.

Den ohnehin belastenden und anspruchsvollen Beruf dürfe man nun angesichts der hohen Ausstiegsraten nicht zusätzlich erschweren, sagt Amsler: «Es ist wichtig, dass der Druck von den Lehrern genommen wird. Es braucht eine möglichst grosse pädagogische Freiheit.» Als D-EDK-Präsident werde er sich darum bemühen, dass insbesondere der Reform- und Organisationsdruck von den Schulen genommen werde. «Das heisst jetzt aber nicht, dass es keinen gemeinsamen Lehrplan und professionelle Schulleitungen braucht», sagt Amsler.


Nota. - Ein Trottel wird sich trösten: "Wer schon nach einem Jahr wieder aussteigt, wird wohl nicht zu den Motiviertesten gehört haben. Da ist der Verlust nicht groß." Der Verdacht des Normalbürgers geht in die entgegegesetzte Richtung: Für einen, der den Beruf mit Elan und Idealismus gewählt hat, mag der Schock der bürokratisch routinierten Schulrealität wohl größer sein als für die Konformisten. JE