Jeder zweite Lehrer steigt nach fünf Jahren aus.
Pädagogische Hochschulen freuen sich über mehr Studierende. Doch über 17 Prozent der Absolventen steigen schon im ersten Berufsjahr wieder aus.
Alle Welt spricht vom Lehrermangel. Steigende Schülerzahlen, zahlreiche Pensionierungen und ein schlechtes Berufsimage wurden als Ursache genannt. Lehrerausbildungen für Quereinsteiger wurden lanciert, die pädagogischen Hochschulen unternahmen Anstrengungen, junge Menschen vermehrt für den Lehrerberuf zu gewinnen. Der Erfolg schlug sich in steigenden Studierendenzahlen nieder.
Nun zeigt sich jedoch, dass eine beträchtliche Anzahl der Absolventen der pädagogischen Hochschulen nicht einmal ein Jahr unterrichtet: 17,1 Prozent der Lehrpersonen stiegen zwischen den Jahren 2010 und 2011 noch im ersten Berufsjahr aus. So steht es in einem kürzlich publizierten Bericht des Bundesamtes für Statistik (BfS). Gemäss diesen Berechnungen verlassen rund 49 Prozent der neuen Lehrkräfte die Schule innerhalb von fünf Jahren nach Stellenantritt wieder. Warum sie den Beruf aufgegeben haben – ob nur vorübergehend zwecks Weiterbildung oder ob sie sich ganz anderen Berufsfeldern widmen –, geht nicht aus der Statistik hervor.
Elf Prozent pensioniert
Besonders viele Abgänge (35 Prozent) erfolgten nach Beendigung eines befristeten Arbeitsverhältnisses. Insgesamt sind jedoch nur 19 Prozent des gesamten Lehrkörpers an Schweizer Schulen befristet angestellt.
Pensionierungen waren nur zu 11 Prozent der Grund für den Austritt aus dem Beruf, was etwas erstaunt, wo doch Lehrerverbände und Bildungsbehörde schon länger vor einer grossen «Pensionierungswelle» warnen.
Was läuft in den Lehrer-Schmieden falsch, wenn fast ein Sechstel der Abgänger mit Lehrdiplom in der Tasche im ersten Jahr aus dem Beruf ausscheidet? Gar nichts, sagt der Präsident der Konferenz der Pädagogischen Hochschulen (COHEP) und Rektor der Pädagogischen Hochschule Graubünden, Johannes Flury. «In weiblich bestimmten Berufen ist der Ausstieg aus bekannten Gründen höher», findet Flury. Und schliesslich sei in allen Berufen Realität, dass in den ersten Jahren nach Berufseinstieg häufiger gewechselt werde als später.
Der Lehrerberuf sei traditionell ein «Aussteigerberuf», sagt Christian Amsler, Präsident der Deutschschweizer Konferenz der Erziehungsdirektoren (D-EDK) und selbst ehemaliger Prorektor einer pädagogischen Hochschule. «Man unterbricht die Lehrtätigkeit und geht auf Weltreise. Oder man bildet sich weiter in einem anderen Bereich – zum Beispiel der Heilpädagogik», sagt Amsler. Dass die Lehrer in die Privatwirtschaft wechselten und dort für immer dem Schulbetrieb verloren gingen, glaubt Amsler nicht. «Die Zeit, in der Lehrer einfach zu einer Versicherung oder auf die Bank wechseln konnten, sind längst vorbei», erklärt er. Natürlich könne man die Austrittsquoten nicht alleine mit Weiterbildungen und Reisen erklären.
Bessere Berufseinführung
Derselben Meinung ist auch Beat Zemp, Präsident des Lehrerdachverbandes (LCH). «Zu denken gibt mir vor allem die hohe Zahl der jungen Lehrpersonen, die bereits im ersten Berufsjahr aussteigen», sagt er. Man müsse darum den Berufseinstieg für Junglehrer mit einer professionellen Berufseinführung verbessern. «Dazu braucht es erfahrene Berufsleute, die eine Weiterbildung als Berufseinführungs-Coach gemacht haben und dazu über genügend Zeit verfügen», sagt er.
Zemp findet jedoch, dass es weitere Langzeitanalysen brauche, um endgültige Schlussfolgerungen zu ziehen. «Es ist gut möglich, dass einige später wieder in den Beruf einsteigen», vermutet er. Tatsächlich beträgt der Anteil der Wiedereinsteiger bei Neueinstellungen durchschnittlich 23 Prozent – 17 Prozent bei den Männern, 25 Prozent bei den Frauen. Doch ob das reicht, um die hohen Verluste in den ersten Berufsjahren wettzumachen? Die Statistik sagt jedenfalls nichts darüber aus, auf welchen Stufen der Abgang oder der Wiedereinstieg von Lehrern stattfindet.
Den ohnehin belastenden und anspruchsvollen Beruf dürfe man nun angesichts der hohen Ausstiegsraten nicht zusätzlich erschweren, sagt Amsler: «Es ist wichtig, dass der Druck von den Lehrern genommen wird. Es braucht eine möglichst grosse pädagogische Freiheit.» Als D-EDK-Präsident werde er sich darum bemühen, dass insbesondere der Reform- und Organisationsdruck von den Schulen genommen werde. «Das heisst jetzt aber nicht, dass es keinen gemeinsamen Lehrplan und professionelle Schulleitungen braucht», sagt Amsler.
Nota. - Ein Trottel wird sich trösten: "Wer schon nach einem Jahr wieder aussteigt, wird wohl nicht zu den Motiviertesten gehört haben. Da ist der Verlust nicht groß." Der Verdacht des Normalbürgers geht in die entgegegesetzte Richtung: Für einen, der den Beruf mit Elan und Idealismus gewählt hat, mag der Schock der bürokratisch routinierten Schulrealität wohl größer sein als für die Konformisten. JE
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