Unerwartete Entwicklung: Die Zahl übergewichtiger Kinder steigt nicht weiter
Petra Schultze
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universitätsklinikum Ulm
29.04.2014 10:28
Ulmer Wissenschaftler belegen erstaunlichen Trend in Industrieländern in einer der ersten internationalen Übersichtsstudien
Nachdem die Zahl übergewichtiger Kinder in den Industrieländern seit den 80er Jahren massiv zunahm, zeigt sich eine Verlangsamung oder sogar ein Rückgang. Diese überraschende Entwicklung belegten jetzt Ulmer Wissenschaftler um Prof. Dr. Martin Wabitsch, Leiter der Sektion Pädiatrische Endokrinologie an der Ulmer Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin, in einer der ersten internationalen Übersichtsstudien. Sie erschien jetzt im renommierten Fachjournal BioMed Central Medicine. Einen wichtigen Grund dafür sehen die Wissenschaftler darin, dass Aufklärung und bessere Ernährungs- und Bewegungsangebote tatsächlich wirken. Entwarnung können die Forscher aber nicht geben, denn Kinder sind heute im Vergleich zu den 80er Jahren immer noch rund dreimal so häufig übergewichtig.
Das Team von Professor Wabitsch am Universitätsklinikum Ulm begab sich in die Vogelperspektive und wertete Einzelstudien aus verschiedenen Industrieländern aus. „Die Deutlichkeit des Trends für Deutschland und viele vergleichbare Länder wie die Schweiz, Frankreich, die USA oder Australien hat uns selbst erstaunt“, sagt Professor Wabitsch. Für Deutschland analysiert er mit seiner Kollegin Dr. Anja Moss seit Jahren die Daten aus Schuleingangsuntersuchungen mit jährlich mehr als einer halben Million Kinder und wurde so auf die erstaunliche Trendwende aufmerksam, die seit dem Jahr 2000 immer deutlicher wird. „Die positive Entwicklung ist dabei international bei Mädchen ausgeprägter als bei Jungen, im Vorschulalter deutlicher als bei Schulkindern“, erläutert Dr. Moss. An der Studie hat auch maßgeblich das Team um PD Dr. Katrin Kromeyer-Hauschild vom Institut für Humangenetik am Universitätsklinikum Jena mitgearbeitet.
Doch woher kommt die Trendwende? „Erste Studienergebnisse legen nahe, dass Aufklärung, bessere Ernährungs- und Bewegungsangebote tatsächlich wirken. Das ist für alle, die sich für gesünderes Essen in KiTas und Schulen, für mehr Sportunterricht, Grünflächen und Radwege einsetzen, eine gute Nachricht – denn ihr Einsatz lohnt sich“, betont Professor Wabitsch. Dr. Moss ergänzt: „Tatsächlich gehen der Konsum zuckerhaltiger Getränke und die Fernsehnutzung in vielen Industrieländern offensichtlich leicht zurück, der Verzehr von Obst und Gemüse sowie die Dauer aktiver Freizeitgestaltung steigen dagegen.“
Entwarnung kann Professor Wabitsch vom Universitätsklinikum Ulm aber nicht geben: „Die dauernde weitere Gewichtszunahme unserer Kinder scheint gestoppt, aber wir haben ein bereits ein erschreckendes Niveau erreicht: Unsere Kinder haben heute doppelt so viel Fettmasse wie den 80er Jahren. Und unsere Übersichtsstudie zeigt, dass der positive Trend geringerer Gewichtszunahmen nur für Kinder mit vergleichsweise geringem Übergewicht gilt, die Zahl der Kinder mit extremem Übergewicht steigt hingegen weiter.“ Die Botschaft der Ergebnisse ist für Professor Wabitsch daher klar: „Wir müssen unsere Bemühungen verstärken, damit die offensichtlich möglichen positiven Effekte von besserer Ernährung und mehr Bewegung eines Tages zu einem wirklichen Rückgang von Übergewicht führen.“ Dazu gehört für Professor Wabitsch auch Mut: „Wer Kinder vor den großen Dickmachern wie zuckerhaltigen Getränken und Fertigprodukten samt der dazugehörigen Werbung bewahren will, muss nicht nur an die Eigenverantwortung appellieren, sondern auch entsprechende Regelungen zum Kinderschutz treffen. Ein Geländer an der Treppe hilft ja auch mehr als ein Warnschild.“
Die Übersichtsstudie erschien als Kommentar in der Reihe „Evolutionary Medicine“ von BioMed Central Medicine und ist abrufbar unter: http://www.biomedcentral.com/1741-7015/12/17 . DOI:10.1186/1741-7015-12-17
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