Mittwoch, 30. Oktober 2013

Videospiele machen klüger.

Foto: Go!GamingKid
institution logoWarum Videospielen gut fürs Gehirn sein kann

Kerstin Skork  
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung 

30.10.2013 09:19

Hirnregionen lassen sich gezielt trainieren: Videospielen vergrößert Hirnbereiche, die für räumliche Orientierung, Gedächtnisbildung, strategisches Denken sowie Feinmotorik bedeutsam sind. Das zeigt eine aktuelle Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus. Die positiven Effekte von Videospielen könnten auch bei der Therapie psychischer Störungen zum Tragen kommen.

Um herauszufinden, wie sich Videospielen auf das Gehirn auswirkt, ließen die Wissenschaftler aus Berlin Erwachsene über zwei Monate hinweg täglich 30 Minuten das Videospiel „Super Mario 64“ spielen. Eine Kontrollgruppe durfte nicht spielen. Mit Hilfe der Magnetresonanztomographie (MRT) wurde die Struktur des Gehirns vermessen. Im Vergleich zur Kontrollgruppe zeigte sich bei den Videospielprobanden eine Vergrößerung einiger Bereiche der grauen Substanz, in der sich die Zellkörper der Nervenzellen des Gehirns befinden. Die Vergrößerung umfasste den rechten Hippokampus, den präfrontalen Kortex und Teile des Kleinhirns. Diese Hirnareale sind unter anderem für räumliche Orientierung, Gedächtnisbildung, strategisches Denken sowie für die Feinmotorik der Hände von zentraler Bedeutung. Interessanterweise waren diese Veränderungen umso ausgeprägter, je mehr Spaß die Probanden beim Spielen hatten. 
 

„Während vorhergehende Studien veränderte Hirnstrukturen bei Videospielern lediglich vermuten konnten, können wir mit dieser Studie einen direkten Zusammenhang zwischen dem Spielen und einem Volumenzuwachs nachweisen. Das belegt, dass sich bestimmte Hirnregionen durch Videospielen gezielt trainieren lassen“, sagt Studienleiterin Simone Kühn, Wissenschaftlerin am Forschungsbereich Entwicklungspsychologie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Deshalb vermuten die Forscher, dass sich Videospiele für die Therapie von Erkrankungen eignen könnten, bei denen die entsprechenden Hirnregionen verändert sind. Das ist zum Beispiel bei psychischen Störungen wie der Schizophrenie, der posttraumatischen Belastungsstörung oder neurodegenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer-Demenz der Fall.

„Viele Patienten werden Videospiele eher akzeptieren als andere medizinische Interventionen“, ergänzt Co-Autor der Studie und Psychiater Jürgen Gallinat von der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus. Deshalb möchten die Forscher in weiteren Studien die Wirkung von Videospielen bei Menschen mit psychischen Störungen genauer untersuchen. Derzeit wird dies in einer Studie zur Posttraumatischen Belastungsstörung praktisch umgesetzt.

Originalstudie
Kühn, S., Gleich, T., Lorenz, R. C., Lindenberger, U., Gallinat, J. (2013). Playing Super Mario induces structural brain plasticity: Grey matter changes resulting from training with a commercial video game. Molecular Psychiatry. Advance online publication.
doi: 10.1038/mp.2013.120.

Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
Das MPI für Bildungsforschung wurde 1963 in Berlin gegründet und ist als interdisziplinäre Forschungseinrichtung dem Studium der menschlichen Entwicklung und Bildung gewidmet. Das Institut gehört zur Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., einer der führenden Organisationen für Grundlagenforschung in Europa.

Weitere Informationen: http://www.mpib-berlin.mpg.de/de/presse/2013/10/warum-videospielen-gut-fuers-geh...

Dienstag, 29. Oktober 2013

Jungens kaufen ihre Bücher selber.

Foto: Lothar Sauer

In der heutigen FAZ  über "eine Studie, die kürzlich vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft Jugendbuchverlage durchgeführt worden ist" und zu überraschenden Ergebnissen kommt:

"Immer mehr Käufer, nämlich 14,3 Millionen, kauften insgesamt weniger Bücher als im Vorjahr - 68,3 Millionen gegenüber 68,9 Millionen - und zahlten dafür im Schnitt nur noch 8,40 Euro pro Buch. Ein Grund dafür ist, dass der Anteil jüngerer Käufer deutlich gestiegen ist: Die Zehn- bis Neunzehnjährigen machen inzwischen bereits fünfzehn Prozent aller Kunden von Kinder- und Jugendbüchern aus - und das ist vor allem auf eine wachsende Zahl von Jungen zurückzuführen, die zum Buch greifen. Besonders eifrig sind die Elf- bis Fünfzehnjährigen, die inzwischen fast so viele Bücher kaufen wie gleichaltrige Mädchen. Insgesamt, auch das fanden die Forscher heraus, werden immer mehr Kinder- und Jugendbücher für den Eigenbedarf gekauft: Im vergangenen Jahr war das jedes vierte, 2009 nur jedes fünfte."

Es bahne sich eine "stille Revolution" auf dem Markt für Kinder- und Jugendbücher an. Während bisher eigentlich nur Eltern, Großeltern und Patentanten Bücher für die Kleinen aussuchten und bestimmten, was sie lasen und, mittelbar, ob überhaupt - fangen jetzt Kinder und Jugendliche   "endlich an, selbst zu bestimmen, was sie lesen wollen. Sie gehen in die Buchhandlungen, lassen sich beraten, stöbern und kaufen Bücher, wofür sie naturgemäß im Schnitt weniger bezahlen als berufstätige Erwachsene - so kommen die höheren Käuferzahlen und der trotzdem geschrumpfte Umsatz zustande."

Das alles ist für sich genommen schon ein Novum. Doch die größere Überraschung ist, "siehe da",  die: "Ausgerechnet die Jungen, jahrelang als Lesemuffel geschmäht, sind in diesem Wachstumsszenario Vorreiter."

"Warum gerade die Jungen? Vielleicht, weil sie mit Titeln wie „Gregs Tagebuch“, den allgegenwärtigen Piratengeschichten oder auch den realistischen Jugendbüchern mit männlichen Hauptfiguren endlich ein breites Angebot finden, das sie interessiert. Oder weil in Buchhandlungen und vor allem den Bibliotheken Kinder mittlerweile stöbern dürfen, was das Zeug hält - die Erfahrung lehrt, dass kein Buch so gute Chancen hat, zu Ende gelesen zu werden, wie dasjenige, das sich ein Kind selbst aus dem Regal gezogen hat."

Das wurde schon länger vermutet - dass Jungen nur darum 'zu faul zum Lesen' sind, weil seit inzwischen vier Jahrezehnten auch die Kinderliteratur gegendermainstreamt ist. Hat man sich denn seinerzeit beklagt, dass Emil und die Detektive, Tom Sawyer und, sagen wir, Karl May "nur von Mädchen gelesen" würden? 

Na also. Wie man reinruft in den Wald, so schallt es zurück. Wenn Jungen nur solche Bücher geschenkt bekommen, die ihnen Entmannung als wünschenwertes Lebensziel schmackhaft machen wollen, müssen sie... sich früher oder später selber nach Bücher umsehen, in denen sie nicht verhöhnt werden.


Virtuell real.


Jan Vestweber
Pressestelle
Universität Witten/Herdecke 


28.10.2013 10:58

Psychologen der Universität Witten/Herdecke: „Grenze zwischen menschlicher und maschinenhafter Realität verschwimmt“

Millionen von Menschen verbringen große Teile ihrer Freizeit in digitalen Welten. In virtuellen Rollenspielen agieren sie aus der Perspektive eines erfundenen Charakters, eines so genannten Avatars. Neue Forschungen von der Universität Witten/Herdecke (UW/H) beschäftigen sich nun mit den Auswirkungen des virtuellen Rollenspiels auf das Erleben in der realen Welt. Ein überraschendes Ergebnis der Studie: Die Empfindlichkeit gegenüber Eindrücken in der realen Welt – hier verdeutlicht am Beispiel von Schmerzempfindungen – sinkt bei den Spielern.


In bisherigen Studien zum Thema ging es in der Regel um die Frage, inwiefern aggressives Verhalten im virtuellen Raum sich durch Einübung und Anwendung in die reale Welt überträgt. Die neue Studie geht nun noch einen Schritt weiter. Unabhängig davon, ob ein Spiel gewaltfrei oder gewalttätig ist, versetzt sich der Spieler bei virtuellen Rollenspielen in einen Avatar, der in der Regel als roboterartiges Wesen in einer künstlichen Welt auftritt. Die Fragestellung war, ob unabhängig von einem gewalttätigen Inhalt das reine Hineinversetzen in einen Avatar dazu führt, dass die Spieler roboterhaftes Verhalten und Erleben einstudieren und in die wirkliche Welt übernehmen. „Zu roboterhaftem Verhalten gehören bekanntermaßen Eigenschaften wie mechanisches Auftreten, kühle Rationalität und emotionale Kälte“, erläutert Prof. Ulrich Weger, Leiter des Departments für Psychologie und Psychotherapie an der UW/H. „In unserer Studie hat sich gezeigt, dass Versuchspersonen, die sich während eines so genannten immersiven Rollenspiels in die Perspektive eines Avatars hineinversetzen, diese roboterhaften Eigenschaften teilweise auch in die wirkliche Welt übernehmen und dadurch auch unempfindlicher gegenüber eigenen Schmerzen und den Schmerzen anderer werden.“ So war die Unempfindlichkeit gegenüber eigenen Schmerzen bei virtuellen Rollenspielern um durchschnittlich 18 Prozent erhöht. Die verringerte Empfindlichkeit gegenüber fremden Schmerzen zeigte sich an einer verminderten Empathie für die Schmerzen anderer. Auch Fälle, in denen Spieler bis über die Grenze der absoluten Erschöpfung hinaus gespielt und am Rechner zusammengebrochen oder sogar zu Tode gekommen waren, stehen offensichtlich mit einem Realitätsverlust in Zusammenhang – eine dramatisch zugespitzte Form dessen, was in der vorliegenden Studie in noch eher leisen Tönen zum Ausdruck kommt. Prof. Weger: „Die aktuellen Befunde legen nahe, dass durch Rollenspiele die Grenze dessen, was wir als gesunden Abstand zwischen menschlicher und maschinenhafter Realität erleben, unklarer wird.“

Auf der anderen Seite gebe es allerdings auch Befunde, dass soziale Spiele auch zu sozialen Verhaltensweisen im wirklichen Leben führen. Prof. Weger: „In der Tat zeigen solche Studien ganz allgemein, dass wir das Verhalten, das wir in der virtuellen Welt einüben und erlernen, auch in die wirkliche Welt übertragen. Im Sinne der hier durchgeführten Studie würde ich aber behaupten: Das Verhalten, das wir so durch das immersive Rollenspiel erlernen, egal ob aggressiv oder sozial, ist von eher serienmäßiger, mechanischer, geistloser Natur, denn es wirkt lediglich über die roboterhafte Rolle des Avatars. Wenn Kinder soziales Verhalten erlernen sollen, so werden sie dies am besten im unmittelbaren Mensch-zu-Mensch Kontakt tun.“

Die Vermischung von Menschlichem und Maschinenhaftem zeige sich in unserer Lebenswelt allerdings auch von der umgekehrten Seite als bei den Rollenspielen. In der anderen Richtung werde die Grenze nämlich dadurch verwischt, dass Maschinen immer mehr die Aufgaben von Menschen übernehmen – angefangen von Animationsfiguren, virtuellen Verkaufsassistenten, roboterhaftem Spielzeug, das die Liebe und Zuwendung von Kindern erweckt, bis hin zu Robotern, die Einsatz finden im psychotherapeutischen Kontext. Prof. Weger: „Wir müssen uns heute fragen, wie wir mit dieser Verwässerung umgehen; wie wir die eigene Balance finden zwischen sinnvollem Nutzen und unreflektierter Abhängigkeit; und wie wir negative Einflüsse verhindern oder zumindest ausbalancieren können. Dazu sollten wir uns fragen, was es wirklich bedeutet, Mensch zu sein und als Mensch in dieser Welt zu stehen und tätig zu werden“.

Weitere Details zum Thema finden Sie in der aktuellen Studie unter: http://link.springer.com/article/10.3758/s13423-013-0512-2

Weitere Informationen: Prof. Ulrich Weger: 02302 / 926-776 oder ulrich.weger@uni-wh.de. 


Nota.

Würde die Meldung "Das Lesen von Romanen, guten wie schlechten, verändert den Leser"  für eine Schlagzeile sorgen? - Es gab aber eine Zeit, da wurde darum viel Aufhebens gemacht; cf. Don Quijote oder Stendhals Rot und Schwarz.
JE 

Sonntag, 20. Oktober 2013

Endlich! Eine Stimme gegen den Ganztagsirrsinn.

uschi dreiucker; pixelio.de

Unter der Überschrift Die Kindheit wird verschult berichtet Union und SPD sind sich vor den Koalitionsverhandlungen einig, dass Deutschland mehr Ganztagsschulen brauche."  Unterschiede gäbe es aber bei der Frage, ob diese Schulform tatsächlich besser für Kinder sei als die Halbtagsschule. „Ganztagsschulen sind nicht an sich gut oder schlecht“, zitiert sie F.A.S. Bildungsministerin Johanna Wanka. „Entscheidend ist, dass die zusätzliche Zeit pädagogisch sinnvoll genutzt und gestaltet wird", fügt Wanke hinzu. Das klingt nicht wie der Beginn einer intelligenten Kritik, sondern wie ein Fügen ins Unvermeidliche. Und noch dazu aus ganz falschen Motiven; Denn das ist gerade zu befürchten: dass die zusätzliche Zeit "pädagogisch genutzt und gestaltet" wird. 


Durchdachter hört sich an, was der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, zu sagen hat. Er "warnt vor einer Verstaatlichung der Erziehung". Der Ausbau von Ganztagsschulen dürfe "nicht dazu führen, dass Eltern bei jeglichen Erziehungs- und Betreuungsaufgaben denken: Dafür haben wir ja den Staat“, sagte Kraus der F.A.S. Wer seine Kinder abends „ohne Konflikte, ohne Hausaufgaben nur noch zum Kuscheln“ abholen wolle, mache es sich zu bequem. Es sei auch nicht erwiesen, dass Ganztagsschulen Halbtagsschulen überlegen seien. „Dafür gibt es keinen einzigen Pisa-Beweis“, sagte Kraus. Kinderärzte warnen zudem vor zu viel Programm für Kinder: Unstrukturiertes „Nichtstun“ sei wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung. 

Der Deutsche Kinderschutzbund, der schon seit Jahrzehnten kein Anwalt der Kinder mehr ist, sondern ein Interessenvertreter berufstätiger Mütter, hat davon freilich noch nichts gehört:< „Gute Ganztagsschulen fördern die Entwicklung der Kinder“, sagte Geschäftsführerin Paula Honkanen-Schoberth der F.A.S.. Wo sie das herhat, welche empirische Studie das belegt, sagt sie nicht. „Die Lernfächer sollten dabei über den Tag verteilt sein, dazwischen sollte es Schwerpunkte wie Kunst, Kochen, Bewegung geben oder" - das darf nicht fehlen, halten Sie sich fest: "das Erlernen von sozialen Fähigkeiten“ - auf deutschen Schulhöfen, wer hätte das gedacht!

Außerdem müsse es genug Ruheräume geben. So hätten Schulen „die Chance, zum Lebensort zu werden“. Das hat sie wirklich gesagt: ein Lebensort! Das ist ein Bund, vor dem Kinder geschützt werden müssen. Da kann man gar nicht laut genug schreien: die Kinder wieder auf die Straße bringen!




Dienstag, 8. Oktober 2013

Jugendsport ist keine Sozialpädagogik.

Hannover 78 - D-Knaben
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Aufwachsen mit Sport – Eine neue Kinder- und Jugend-Längsschnittstudie über zehn Jahre

Tibor Werner Szolnoki  
Referat Presse und Kommunikation
Universität Paderborn 

08.10.2013 13:46 

Als vor etwa zehn Jahren die Studie zur Jugendarbeit in Sportvereinen (die sog. „Brettschneider-Studie“) erschien, war die Aufregung im organisierten Sport zunächst groß, konnte sie doch nicht die hohen Erwartungen bestätigen, die Sportpolitik und Sportorganisation an den Sportverein richteten. Der ersten Aufregung und Irritation folgten dann umsichtige und konstruktive Maßnahmen der Verbände und Vereine im Interesse der sportlichen Jugendlichen. Soeben ist nun eine weitere, in Deutschland bislang einmalige Längsschnittstudie zum Zusammenhang von Sportengagement und Entwicklung im Kindes- und Jugendalter erschienen.

Über einen Zeitraum von zehn Jahren – von der dritten Klasse bis zum Abitur bzw. zur Berufsausbildung – untersuchten Prof. Dr. Wolf-Dietrich Brettschneider, Universität Paderborn und sein Potsdamer Kollege Prof. Dr. Erin Gerlach den Einfluss des Sports auf Jungen und Mädchen und gelangen zu neuen und bemerkenswerten Ergebnissen, von denen nur ein kleiner Ausschnitt referiert werden kann. 


Erfreulich für die Vereine ist etwa das Ergebnis, dass die sportliche Laufbahn keine Einbahnstraße ist. Der Anteil der Jugendlichen, die den Verein verlassen, dann aber auch wieder eintreten, ist wesentlich größer als bisher angenommen. Beachtenswert für den Nachwuchsleistungssport ist der Befund, nach dem die frühe Spezialisierung und Festlegung auf eine Sportart und die frühzeitige Begegnung mit dem Wettkampfsystem für eine Leistungssportkarriere eher hinderlich als förderlich sind. Auch spielen die vorhandenen motorischen Kompetenzen in diesem Alter noch keine entscheidende Rolle, vielmehr sind Motivation und Beharrlichkeit die besten Voraussetzungen für stabile Vereinskarrieren. Der Sportverein ist für junge Menschen eine ideale Plattform zur Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeit, selbst für die Vereinsskeptiker unter ihnen. Als eine ganz wichtige soziale Ressource erweist sich der Sportverein beim Übergang von der Primar- zur Sekundarschule, wenn nämlich schulische Leistungen oder das Selbstbewusstseins in Frage gestellt werden und die bisherige Peergruppe weitgehend verloren geht. In dieser krisenhaften Situation verhindert die Einbindung in einer Sportgruppe, dass die Heranwachsenden in ein Loch fallen – eine Leistung, die weder Eltern noch Lehrer erbringen.


Weniger positiv, aber erwartungsgemäß sind die Befunde zur Wirkung des Sportvereins auf die Gesundheit, die Prävention von Risikoverhalten, die Persönlichkeitsentwicklung oder als Motor der Integration von Migranten. Während man bei der 2002er „Brettschneider-Studie“ noch vermutete, dass ausbleibende Effekte des Sportengagements darauf zurückzuführen sind, dass der für die Entwicklung so wichtige Zeitraum der Kindheit unberücksichtigt blieb und die Studie eine relativ kurze Laufzeit hatte, um Wirkungen des Sports nachzuweisen, zeigt sich, dass selbst eine stabile und über zehn Jahre dauernde Mitgliedschaft im Sportverein keine durchgängigen positiven Effekte erzielen kann. Das gilt für die Persönlichkeitsentwicklung ebenso wie für die Prävention von Übergewicht; die Rolle des Sportvereins als Integrationsmotor ist beschränkt. Beim jugendlichen Risikoverhalten zeigt sich, dass sportliche Jungen und Mädchen deutlich weniger rauchen als ihre sport- und vereinsabstinenten Altersgenossen. Anders das Bild beim Alkoholkonsum: Der Sportverein erweist sich als Ort, an dem das Trinken von Alkohol nicht nur kultiviert, sondern auch gelernt wird, wie die Differenzierung der Sportvereinsjugendlichen in Vereinsdistanzierte und Vereinstreue sowie Ein- und Aussteiger belegt. Und auch Schutzimpfungen gegen Gewalt kann der Sportverein nicht leisten.

Für Nachfragen stehen zur Verfügung:

Prof. Dr. W.-D. Brettschneider: Tel. Nr.: +49-(0)5293- 580; E-Mail: brett@upb.de Prof. Dr. E. Gerlach: Tel.Nr.:+49-(0)331-977-2709; E-Mail: erin.gerlach@uni-potsdam.de Der Titel des Buches: E. Gerlach & W.-D. Brettschneider (2013): Aufwachsen mit Sport. Befunde einer 10-jährigen Längsschnittstudie zwischen Kindheit und Adoleszenz. Aachen: Verlag Meyer und Meyer.


Nota. - ...womit noch einmal bestätigt wäre, dass der Sport als ein Instrument der Sozialpädagogik absolut ungeeignet ist. Sport ist Spiel und geschieht wie die Kunst um seiner selbst willen; oder eben nicht. Das ist sein großes Verdienst.
J.E.  









Mehr sinnvolle Freizeitbeschäftigung!

Jugendliche verbringen ihre Freizeit zunehmend bildungsorientiert 

Monika Wimmer  
Pressestelle
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung DIW Berlin  

07.10.2013 12:11 

Musik, Sport, ehrenamtliches Engagement – die Teilnahme an sogenannten bildungsorientierten Freizeitaktivitäten hat in den vergangenen zehn Jahren deutlich zugenommen. Dieser Trend zeigt sich sowohl bei Jugendlichen aus sozial besser gestellten als auch bei Jugendlichen aus sozial schlechter gestellten Familien. So lautet das Ergebnis einer im Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) veröffentlichten Studie auf Basis von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Während im Jahr 2001 erst 48 Prozent aller 16- bis 17-Jährigen an bildungsorientierten Aktivitäten teilnahmen, waren es im Jahr 2012 bereits 62 Prozent.

„Dennoch sind die Unterschiede im Freizeitverhalten von Jugendlichen unterschiedlicher sozialer Herkunft noch genauso stark ausgeprägt wie vor zehn Jahren“, sagt der Ökonom Adrian Hille, einer der Autoren. „Jugendliche aus sozial schwächeren Haushalten nutzen bildungsorientierte Angebote viel seltener als junge Menschen aus gut situierten Familien“.

Für ihre Studie hatten die Forscher die Angaben von insgesamt 3551 Jugendlichen ausgewertet, die zwischen 2001 und 2012 im Sozio-oekonomischen Panel befragt worden waren. Die SOEP-Daten zeigen: Während zwischen 2001 und 2004 nur etwa zehn Prozent der 16- bis 17-Jährigen musizierten, waren es zwischen 2009 und 2012 bereits knapp 18 Prozent. Noch stärker hat im gleichen Zeitraum das ehrenamtliche Engagement der 16- bis 17-Jährigen zugenommen (von 11 auf 22 Prozent). Darüber hinaus ist auch der Anteil der Jugendlichen, die Sport treiben, tanzen oder Theater spielen, gestiegen. Gleichzeitig verzeichnen die Forscher einen Abwärtstrend der sogenannten informellen Freizeitbeschäftigungen. So ist der Anteil derer, die täglich mit der besten Freundin oder dem besten Freund unterwegs sind, im Untersuchungszeitraum von 40 auf 25 Prozent zurückgegangen.

Nach wie vor gestalten vor allem Jugendliche aus höheren sozialen Schichten ihre Freizeit bildungsorientiert. Denn die Bildung der Eltern entscheidet maßgeblich darüber, ob Jugendliche außerhalb der Schule musizieren, Sport treiben oder sich ehrenamtlich engagieren. Kann die Mutter weder Abitur noch einen Universitätsabschluss vorweisen, haben ihre Kinder eine um 20 Prozentpunkte geringere Wahrscheinlichkeit der Teilnahme an einer bildungsorientierten Freizeitaktivität als andere. „Solche Jugendliche sind gleich mehrfach benachteiligt“, betont der SOEP-Forscher Adrian Hille. „Denn ihre weniger günstigen Bildungsmöglichkeiten zu Hause, in der Schule und in der Freizeit verstärken sich gegenseitig.“

Inwieweit bildungsorientierte Freizeitaktivitäten wichtig sind für die Entwicklung von Fähigkeiten sowie für die Berufs- und Studienwahl, ist noch unzureichend erforscht. Die SOEP-Daten zeigen jedoch: Jugendliche, die an einer bildungsorientierten Freizeitaktivität teilnehmen, sind im Durchschnitt signifikant zufriedener mit ihrem Leben als andere Jugendliche. „Unsere Daten widerlegen eindeutig die weit verbreitete Ansicht, dass so genannte Helikopter-Eltern ihre Kinder durch ein zu ambitioniertes Freizeitprogramm überfordern würden“, sagt Adrian Hille.

Damit die Bildungsungleichheit in der Freizeit der Jugendlichen reduziert werden kann, fordern die Forscher den weiteren Ausbau von Ganztagsschulen. Darüber hinaus sollten bildungsorientierte Freizeitangebote verstärkt staatlich gefördert werden. Als Beispiel nennen sie das Programm „Jedem Kind ein Instrument“ (JeKi), das es Kindern ermöglicht, ein Jahr lang kostenlos ein Instrument zu lernen. JeKi wurde 2007 in Nordrhein-Westfalen eingeführt und findet nun bundesweit Nachahmer.

STICHWORT SOEP

Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist die größte und am längsten laufende multidisziplinäre Langzeitstudie in Deutschland. Das SOEP ist am DIW Berlin angesiedelt und wird als Teil der Forschungsinfrastruktur in Deutschland unter dem Dach der Leibniz-Gemeinschaft (WGL) von Bund und Ländern gefördert. Für das SOEP werden seit 1984 jedes Jahr vom Umfrageinstitut TNS Infratest Sozialforschung mehrere tausend Menschen befragt. Zurzeit sind es etwa 30.000 Befragte in etwa 15.000 Haushalten. Die Daten des SOEP geben unter anderem Auskunft über Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung, Gesundheit und Lebenszufriedenheit. Weil jedes Jahr dieselben Personen befragt werden, können nicht nur langfristige gesellschaftliche Trends, sondern auch die gruppenspezifische Entwicklung von Lebensläufen besonders gut analysiert werden.

Pressereferentin Sozio-oekonomisches Panel (SOEP):
Monika Wimmer
E-mail: mwimmer@diw.de oder presse@diw.de

Weitere Informationen: http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.428684.de/13-40-3.pdf Link zur Studie
Nota.

Bildungsorientierte Aktivitäten - das klingt doch sehr nach 'sinnvoller Freizeitbeschäftigung'. Dass mehr musiziert, Sport getrieben und Theater gespielt wird, hört sich ganz gut an; dass aber "der Anteil derer, die täglich mit der besten Freundin oder dem besten Freund unterwegs sind, im Untersuchungszeitraum von 40 auf 25 Prozent zurückgegangen" ist, klingt auf der andern Seite gar nicht gut. Das ist ein Bildungs- element, das dort verkümmert! Aber davon weiß das DIW nichts.
J.E.

Montag, 7. Oktober 2013

Jungen werden in der Schule benachteiligt.

aus SPIEGEL online, 12.03.2009


Schulen benachteiligen Jungen massiv 
Das Schulsystem produziert haufenweise Verlierer – die Mehrheit ist männlich. Schon im Kindergarten werden Mädchen deutlich bevorzugt, auch in der Schule müssen Jungs um Aufmerksamkeit und gute Noten kämpfen. Ursache des Problems: Kitas und Grundschulen sind fest in weiblicher Hand.
 
Dumme Jungen, schlaue Mädchen? Der oberflächliche Blick auf die Schulnoten führte zu diesem lange gepflegten Vorurteil. Eine neue Studie des Aktionsrates Bildung bestätigt aber, dass der Grund für die Zensurenlücke ein anderer ist: Jungen werden in Kindergarten und Schule massiv benachteiligt.

Nicht mehr die Mädchen, sondern die “Jungen sind die Verlierer im deutschen Bildungssystem”, sagt der Ratsvorsitzende und Präsident der Freien Universität Berlin, Dieter Lenzen. Statt auszugleichen, verstärke die Schule den Bildungs- und Leistungsrückstand der Jungen. Am schlimmsten sei die Benachteiligung in den ostdeutschen Ländern.
 
“Beim Übergang auf das Gymnasium müssen Jungen eine deutlich höhere Leistung erbringen. Der Weg in die Berufsausbildung ist für Jungen erschwert”, kritisierte Lenzen. “Von allen Schulabgängern ohne Abschluss sind 62 Prozent Jungen.” Bei den Abiturienten seien die Mädchen wiederum klar in der Mehrheit. Die einstige “Bildungsbenachteiligung des katholischen Arbeitermädchens vom Lande wurde durch neue Bildungsverlierer abgelöst: die Jungen”, sagte Lenzen.
 
BILDUNGS-STUDIE: JUNGEN MÜSSEN MEHR LEISTEN ALS MÄDCHEN
 
Damit bestätigt der Aktionsrat Bildung ein Ergebnis, zu dem auch eine Untersuchung des Bundesbildungsministeriums vor gut einem Jahr gekommen war. Tenor: In der Grundschule sehen sich Jungen einer weiblichen Übermacht an Lehrkräften gegenüber – und werden von den Lehrerinnen häufig benachteiligt. Der Hallenser Bildungsforscher Jürgen Budde kam in dem Bericht zu dem Schluss, dass Jungen in allen Fächern bei gleicher Kompetenz schlechtere Noten kriegen als ihre Mitschülerinnen. Selbst wenn sie die gleichen Noten haben wie Mädchen, empfehlen die Lehrer ihnen seltener das Gymnasium. Kurzum, Jungs werden bei gleicher Leistung schlechter behandelt.
 
Weil der Schulabschluss die gesamte Erwerbsbiografie beeinflusst, sind junge Männer deutlich häufiger arbeitslos als junge Frauen – damit wird aus einem individuellen Problem, auch ein gesellschaftlicher Missstand.

Der Dortmunder Bildungsforscher Wilfried Bos sagte: “Männer sind nicht per se dümmer. Wir werden nur nicht so gefördert.” Das Risiko für Jungen, in Schule und Beruf zu scheitern, sei am größten in Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. Das fange schon im Kindergarten an, wo der Anteil der männlichen Erzieher unter drei Prozent liege. Am geringsten seien die Geschlechterunterschiede bei Bildung in den Stadtstaaten Hamburg und Berlin.
 
Dürfen Jungen nicht mehr Jungen sein?
 
Jungen haben laut Lenzen oftmals gar nicht die Chance, eine ausgereifte Geschlechtsidentität zu bilden, da sie im Kindergarten und in der Grundschule meist mit Erzieherinnen und Lehrerinnen konfrontiert seien. In keinem Bundesland liegt der Anteil männlicher Erzieher in den Kindertagesstätten bei mehr als zehn Prozent. 

Die Ergebnisse sind Teil des Jahresgutachtens des Aktionsrats Bildung unter dem Titel “Geschlechterdifferenzen im Bildungssystem”. Zum Aktionsrat gehören neben [dem damaligen] FU-Präsident Lenzen und Wilfried Bos noch einige weitere namhafte Bildungsforscher, darunter der Koordinator der deutschen Pisa-Studie Manfred Prenzel.

Auch der Vorsitzende des Bayerischen Philologenverbands, Max Schmidt, betonte: “Sowohl in der Grundschule, aber auch während der Pubertät, ist es wichtig, dass Jungen und Mädchen in männlichen und weiblichen Lehrkräften positive Rollenvorbilder erleben.” Das zunehmende Verschwinden von Männern aus den Schulen erschwere gerade den Jungen die Auseinandersetzung mit der eigenen Rollenidentität.
 
Der Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), Randolf Rodenstock, warnte angesichts der vielen männlichen Schulabgänger ohne Abschluss, man könne es sich nicht leisten, so viele junge Männer auf dem Bildungsweg zu verlieren. Langfristig steuere Deutschland auf einen Arbeitskräftemangel zu, der durch die aktuelle wirtschaftliche Lage nur verzögert werde. Der von der vbw initiierte Aktionsrat Bildung fordert daher, dass das pädagogische Personal in seiner geschlechterspezifischen Kompetenz geschult werden müsse.
cht, AP/ddp





Im Jahresgutachten des Aktionsrats Bildung mit dem Titel “Geschlechterdifferenzen im Bildungssystem – die Bundesländer im Vergleich” stellen die Forscher fest: Jungen werden in der Grundschule klar benachteiligt – und das liegt vor allem am pädagogischen Personal. Das Geschlechtsungleichgewicht in der Betreuung beginnt bei den Kleinsten: In Kitas sind im Bundesdurchschnitt nur 3,2 Prozent der Erzieher männlich. Ähnlich…
 



…sieht es an den Grundschulen aus: Die junge Lehrerin vor Grundschulkindern ist ein Klischee, das stimmt. Nur etwa jeder zehnte Grundschulpädagoge ist im Bundesdurchschnitt männlich. In Hamburg und Baden-Württemberg ist es immerhin jeder fünfte, in Hessen und im Saarland beinahe jeder vierte.
 

 
Wer bekommt am Ende der vierten Klasse eine Gymnasialempfehlung? Im Durchschnitt brauchen Jungen gemessen an den Ergebnissen der Iglu-Lesekompetenz-Untersuchung 49 Punkte mehr, damit die Grundschullehrer sie für das Gymnasium empfehlen. Neben Armut und mangelndem Status der Eltern ist also das männliche Geschlecht eine weitere Gymnasialbremse in den Augen der Grundschulpädagogen. Dazu passt auch, …
 




…dass die Hauptschulen mehrheitlich Jungenschulen sind.
   

 
Wie stark sich die historische Rolle der Mädchen im Bildungssystem geändert hat, zeigt diese Grafik: Waren sie 1970 bei den Hochschulabsolventen noch deutlich unterrepräsentiert, sind weibliche Akademiker seit Beginn der neunziger Jahre in der Überzahl. Demgegenüber…
 

 
…sind im Bundesdurchschnitt 62 Prozent der Schüler, die ganz ohne Abschluss bleiben, männlich.


Nota.

Jenes Institut, das sich heute unter dem Namen 'die Schule' über die ganze Welt verbreitet hat, ist in seinen Grundzügen in der Klöstern des mittelalterlichen Europa entstanden; als ein Ort, wo die von kriegerischen Rittern beherrschte Feudalgesellschaft mit der nötigen Dosis buchgelehrter Kleriker versehen wurde, die ein wenig Frieden bringen konnten - in die Herzen und, so Gott wollte, auch ein wenig in die Städte und Fluren. Sie waren mental gewissermaßen der 'weibliche' Teil in einer von männlichen Tugenden geprägten Adelsgesellschaft. Nicht, was vom heranwachsenden Ritter an männlichen Tugenden zu erwarten war, wurde dort gepflegt, sondern deren friedfertig ordnungsliebender Widerpart - Fleiß und Ausdauer. Die Mittel: stundenlanges Stillsitzen, Mundhalten, Nachsprechen und Repetieren. Während an den erstgeborenen Söhnen der herrschenden Kriegerkaste Kraft, Mut und Abenteuergeist gefördert wurden, mussten sich ihre nachgeborenen Brüder in Sanftmut, Frömmigkeit und - nun ja, Verschlagenheit üben. Die Schule war nicht - schon damals nicht - der Ort, wo Jungen Männer werden durften.

In dem Maße, wie die Gesellschaft bürgerlicher wurden, kamen neben den Jungenschulen auch Institute für Mädchen auf, und als die industrielle Revolution der neunzehnten Jahrhunderts die bäuerliche Bevölkerung zu Industriearbeitern proletarisierte, wurde die Elementarschule zur Pflicht und das pfäffische Ideal des arbeitsamen Duckmäusers zur Norm. Für die Mädchen nun auch wie für die Jungen. Und beim Lehrpersonal der Volksschulen waren die Frauen bald typischer als die Männer.

Natürlich hat sich im zwanzigsten Jahrhundert allerhand getan, der industrielle Tagelöhner ist auch schon längst nicht mehr der Standardfall des Arbeitslebens. Der höherqualifizierte Angestellte, dem man auch schonmal eigene Entscheidungen zumuten konnte - idealiter: der Staatsbeamte - wurde zum Produktionsziel der allgemeinbildenden Schulen, und dazu taugen Mädchen mindestens ebeno wie Jungen; wenn nicht mehr!

Fragen Sie sich jetzt immer noch, wie es kam, dass unsere Schulen zur Vorbereitung weiblicher Karrieren in der postindustriellen Berufswelt besser geeignet sind als zur Entwicklung männlicher Talente?  

J.E., 7. 10. 2013


Sonntag, 6. Oktober 2013

Die Einführung des schulfreien Nachmittags…

…in Deutschland
 


Nicht wahr, lieber Leser: Dass allein in Deutschland und im benachbarten Österreich die Kinder nur vormittags zur Schule gehen und am Nachmittag frei haben – das hielten auch Sie für einen Beweis teutonischer Hinterwäld- lerei? Ein Relikt aus dem Mittelalter!

Tatsächlich aber war der schulfreie Nachmittag bei uns die allererste Errungenschaft deutscher Reformpädagogik, und zwar in… Preußen, wo die allgemeine Schulpflicht das Licht der Welt erblickt hat!

Hier ein unverdächtiger, ganz unbestechlicher Zeuge: 

“In Berlin ist infolge der großen Hitze letzten Sommer in mehreren höherenSchulen der Nachmittagunterricht ganz aufgehoben und die Morgenschulstunden um eine verlängert [worden]. Die Folgen waren ganz unerwartet, die Jungen kamen enorm rasch voran, und die Sache soll jetzt auf größerem Maßstab versucht werden.”

Friedrich Engels an Karl Marx, Manchester, den 14. Oktober 1868
in: Marx-Engels-Werke, Bd. 32, S. 183f.
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Ach, was ich noch sagen wollte: Deutschland hat bei PISA ja wirklich nicht so gut abgeschnitten. Aber das verfreundete  Österreich mit seinem gleichfalls freien Nachmittag schon viel besser!

Und was für Schulen hat übrigens das Dutzend Länder, die beim PISA-Ranking noch hinter Deutschland liegen?

Ganztagsschulen.

Na, wenn uns das keine Warnung ist! 


Samstag, 5. Oktober 2013

Ganztagsschule wider Sinn und Verstand.


Pädagogen, Bildungsbehörden, Erziehungswissenschaftler, kurz: alle, die an Kindern ihren Lebensunterhalt verdienen, sind sich einig: Unsere Probleme löst die Ganztagsschule. Und sind die Eltern nicht willig, muss eben mehr behördliche Überzeugungsarbeit geleistet werden, bis alle Welt unisono stöhnt: Wir brauchen endlich die Ganztagsschule!

Dies schrieb ich am 4. August:

"Es ist wie im Irrenhaus: Ob die Ganztagsschule zweckmäßig ist - und mäßig für welche Zwecke? -, wird schon gar nicht mehr diskutiert. Dass die Kinder dort "mehr lernen", wie nach PISA getönt wurde, behauptet heute kein Mensch mehr, und es widerspricht auch dem gesunden Menschenverstand, dass Kinder rund um die Uhr 'beschult' werden sollen, während jeder Büroleiter weiß, dass seine Mitarbeiter nach der sechsten Stunde nicht mehr viel bringen. Darum wird ja auch schon gar nicht mehr versprochen, die Zahl der Unterrichtsstunden zu erhöhen. 'Gebunden' soll nun die Ganztagsschule sein, die Kinder sollen auch ihre "Freizeit" dort verbringen - unter Aufsicht, unter pädagogischer Anleitung; "sinnvoller spielen" in professioneller Qualität. Dass das den Kindern irgendwie persönlich zugute käme, wird auch schon nichtmehr behauptet. 'Soziales Lernen' auf deutschen Schulhöfen - ausgerechnet an dem Ort, wo jede Zeitung, jeder Sender Mobbing, Gewalt und die Diskriminierung der Minderheiten durch die Mehrheit blühen sieht? Absurder geht es nicht.

Ach so, ja - dem größten Schamteil der deutschen Bildungslandschaft, nämlich ihrer sozialen Ungerechtigkeit, soll endlich beigekommen werden. Ja wie denn das?! Die Schule, die einen halben Tag dauert, verstärkt erwiesenermaßen durch die Art ihrer Auslese die durch soziale Herkunft bedingten Ungleichheiten; aber wenn sie doppelt so lange dauert, schlägt der Effekt plötzlich in sein Gegenteil um? Das soll einer verstehen...

Und dann zum Schluss: In der Ganztagsschule lernen die Kinder von integrationsstörrischen Türken besser Deutsch! Das wird ja nicht wahr dadurch, dass man es ständig wiederholt. Man müsste es einmal untersuchen. Und siehe an: Offizielle Studien gibt es nicht, nicht eine. Und wenn ein Wissenschaftler - in diesem Fall eine Wissenschaftlerin - es auf eigne Faust untersucht, stellt sich heraus: Nichtmal dazu taugt die Ganztagsschule!

Man schüttelt den Kopf und reibt sich die Augen: Gegen allen gesunden pädagogischen Menschenverstand und sogar gegen alle erziehungswissenschaftlichen Befunde wiederholen Hinz und Kunz und Professor Müller wie Staatssekretär Meier "Ganztagsschule!" so bombensicher wie das Amen in der Kirche. Wie kommt denn das?

Das macht: So wünscht es die Industrie. Es sollen beide Eltern dem Arbeitsmarkt zu Verfügung stehen. Und die Lehrergewerkschaften finden das auch; und reden es den Eltern ein."

Noch nicht ganz erfolgreich. Aber das kommt noch, wartet's nur ab..

 
 

 

Freitag, 4. Oktober 2013

Die Verinselung der Seligen.

 
in: Der Tagesspiegel, 3. 11. 09 

Erwachsene wollen sich selbst verwirklichen
– ihr Nachwuchs stört da nur. 

Von Georg Lutz 

Freitag, 12.30 Uhr. Das Ende einer Klassenfahrt. Nicht alle Schüler können nach Hause. Einige müssen bis 18 Uhr in den Hort, denn die Eltern sind beschäftigt. Das Kind muss warten.Vor fünf Jahren wurden die Berliner Grundschulen VHGs, sogenannte verlässliche Halbtagsgrundschulen. Das heißt: Alle Kinder werden bis 14 Uhr betreut. Unsere Schule hat die Hortzeiten ein Jahr später, auf Wunsch der Eltern, bis 16 Uhr verlängert. Damit reagiere man auf die veränderten wirtschaftlichen Bedingungen der Gesellschaft und auf die individuellen Bedürfnissen der Eltern, hieß es zur Begründung.Heute kann ein Kind von morgens 7.30 Uhr bis abends 18 Uhr in der Schule bleiben. Es gibt Kinder, die fast elf Stunden betreut werden. Sie sind ständig umgeben von anderen, um sich mit Streit, Freud und reichlich Action die Zeit bis zum Abholen zu vertreiben. Diese Kinder haben einen Elf-Stunden-Tag, sind abends kaputt und gehen, sollten sie keine Hausaufgaben mehr haben, zeitig schlafen. Die Eltern haben Zeit, sich ihrer Arbeit und ihren Interessen zu widmen.


Der Trend geht zur Ganztagsschule. Politisch ist das quer durch alle Parteien gewollt. Denn die Ganztagsschule hat zwei Vorteile: Sie schafft die Voraussetzungen, damit Eltern flexibel genug sind, die Anforderungen einer durchökonomisierten Gesellschaft zu erfüllen. Andererseits will die Politik mit Sekundar- und Gemeinschafts- schulen und ihrem Ganztagsbetrieb den gesellschaftlichen Versäumnissen und Defiziten der letzten Jahrzehnte begegnen, Stichwort Pisa. Kostenneutral, versteht sich. Geld wird ja nur für systemrelevante Einrichtungen ausgegeben.



Was für die äußere Form gilt, gilt auch für den Inhalt. War Bildung lange Zeit ein hohes Gut, und als solches erstrebenswert, ist schulische und universitäre Bildung heute nur noch Mittel zum Zweck. Abitur nach zwölf Jahren, Schnellläuferklassen, Bologna-Prozess – Inhalte und Abschlüsse werden mit dem Ziel vereinheit- licht, die Menschen so früh wie möglich dem Wirtschaftsleben zur Verfügung zu stellen. Wettbewerb ist der einzige Bildungsansporn. Große Ideen sollen entstehen, weil unter Studenten, Professoren und Universitäten Wettbewerb herrscht. Wettbewerb ab Klasse eins hat weder eine gesunde Entwicklung des Kindes noch solide Bildung zum Ziel, sondern soll Kinder möglichst schnell und optimal auf die Bedingungen im liberalen, globalisierten Wirtschaftssystem vorbereiten. Unter solchen Umständen haben Kinder keine Möglichkeit, sich ohne äußeren und inneren Leistungsdruck zu entwickeln.
 
Gleichzeitig ziehen sich die Erwach- senen immer mehr aus der Welt der Kinder zurück. Bemerkenswerter- weise ist trotz all dem das traditionelle Familienbild vordergründig noch immer existent. Unterbewusst haben wir uns aber längst davon verabschiedet. Zwar ist Kinder zu haben, nicht zuletzt dank Frau von der Leyen, in Mittelstands- familien wieder en vogue. Um Kinder kümmern sollen sich allerdings viele andere.

Die Praxis zeigt, dass Kinder, die zu wenig Aufmerksamkeit und Zuneigung bekommen, dazu neigen, sich durch Regelverletzungen, Aggression und anderes Fehlverhalten die Menge an Aufmerksamkeit und Zuwendung zu holen, die sie in positiver Form vorher gebraucht hätten. Ungeliebte Kinder sind schwierige Kinder.

Wir sollten uns nicht darüber wundern, dass die jugendlichen Amokläufer aus gutbürgerlichem und eben nicht bildungsfernem Milieu stammen. Wenn eine Gesellschaft Kindheit und Verantwortung outsourct, muss sie sich nicht wundern, dass der Widerstand der Kinder und Jugendlichen zunimmt. Und je älter Kinder werden, umso geplanter, gewalttätiger und folgenreicher werden die Taten.

Eine Kehrseite des Outsourcing ist das Besinnen auf die eigentlichen Kernkompetenzen. Was waren noch die Kernkompetenzen von Eltern? 

Der Autor ist Grundschullehrer an der Königin-Luise-Stiftung in Berlin.


Nota.

Eins hat der Autor zu erwähnen vergessen: die führende Rolle seines Berufsstands bei der – inzwischen wieder – galoppierenden Verinselung der Kindheit! Es sind die berufsmäßigen Pädagogen, die den Eltern ein ruhiges Gewissen schaffen, wenn sie ihre Kinder (von anderen) “betreuen” lassen – weil die es besser zu können behaupten. Denn dass es nicht recht ist, wissen die meisten; und ungern tun es fast alle.  
J. E.

Donnerstag, 3. Oktober 2013

Über das Spielen.



Der Mensch soll mit der Schönheit nur spielen, und er soll nur mit der Schönheit spielen. Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.
Fr. Schiller, Die ästhetische Erziehung des Menschen

Um wirklich zu spielen, muss der Mensch, solange er spielt, wieder Kind sein.
Johan Huizinga, Homo ludens

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Die Freude am Spiel ist das schlechterdings ästhetische Vermögen: die Bereitschaft, die ‚Sachen’ nicht nur so anzuschauen, sondern so für wahr zu nehmen, als ob sie ‚an und für sich selber’ wären; nämlich ohne irgend ein Verhältnis zu irgend einem Andern, und vor allem nicht: zu meinem ‚Bedürfnis’. Es ist eo ipso die Kraft zur Abstraktion und ergo der Reflexion. Kurz, am „Grunde“ der Vernunft steht das Spiel – als die spezifisch männlich-kindliche Leistung

Nota: Der Gedanke, dass die Dinge so, wie sie im Fluss des Geschehens erscheinen, eben nicht ‚an und für sich’ sind, ist alles andere als ein naturwüchsiger; er kommt undeutlich erst bei den ionischen Naturphilosophen und ausdrücklich erst bei den Eleaten vor.