aus Süddeutsche.de, 11. Dezember 2016, 18:54 Uhr
Unterricht, wie er am besten funktioniert.
Ein miserabler Pädagoge kann Schülern jedes Fach vermiesen. Aber gibt es ein einfaches Rezept für gelingendes Lernen?
Von Roland Preuß
Was sagen die bisherigen Pisa-Studien zu der Frage, wie man den Unterricht verbessern kann? Der Berliner Erziehungswissenschaftler Hans Anand Pant hat da eine erfreulich klare Antwort parat: "Herzlich wenig." Was nicht daran liegt, dass der Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin nichts von Studien nach Machart von Pisa hielte. Es ist nur so, dass Pisa bisher vor allem die Leistungen von Schülern gemessen hat: Welches Land ist wie gut in Naturwissenschaften, Mathematik oder im Lesen? Wer hat sich verbessert? Und wie sieht es mit Untergruppen, etwa Jugendlichen aus sozial schwierigen Verhältnissen oder Migranten-Kindern aus?
Eine entscheidende Frage für Politiker, Lehrer, Eltern und Experten aber blieb unbeantwortet: Wie muss der Unterricht denn sein, damit die Schüler besser werden? Die neueste Pisa-Studie, die am vergangenen Dienstag vorgestellt wurde, ist angetreten auch darauf ein paar Antworten zu geben.
Aber der Reihe nach: Laut der internationalen Untersuchung der OECD konnte sich Deutschland in allen drei getesteten Disziplinen im oberen Mittelfeld der 72 teilnehmenden Staaten und Regionen halten, beim Lesen haben sich Deutschlands Schüler noch etwas gesteigert, in den naturwissenschaftlichen Fächern und in Mathematik aber stagnieren ihre Leistungen. Warum? Das kann viele Ursachen haben. Aber die Bildungsforscher des Pisa-Konsortiums liefern einige Hinweise: "Was im Klassenzimmer passiert, ist für das Lernen der Schüler von entscheidender Bedeutung", heißt es da. Und es sei zentral, "wie die Lehrkräfte" unterrichten.
Das deckt sich mit den Erkenntnissen der sogenannten Hattie-Studie, die immer noch die Debatte zum Thema prägt. Der Bildungsforscher John Hattie aus Neuseeland hatte 800 Metaanalysen von 50 000 Studien ausgewertet, um der Frage nach dem Lernerfolg nachzugehen. Seine Antwort lautet, grob zusammengefasst: Auf den Lehrer kommt es an. Oder genauer: auf den Unterricht. Das werden viele Schüler bestätigen, schließlich kann einem ein miserabler Pädagoge auch das schönste Fach vermiesen.
"Das ist schon richtig, aber auch furchtbar
trivial", sagt der Bildungsforscher Klaus Klemm von der Universität
Duisburg-Essen. Natürlich hat Hattie mehr dazu gesagt: Segensreich fürs
Lernen sind demnach Respekt für den Schüler, ein gutes
Lehrer-Schüler-Verhältnis, ein echtes Verstehen statt Pauken von Wissen
und eine Einschätzung der Lehrer durch Schüler. Wie groß eine Klasse
ist, hat laut Hattie dagegen keinen Einfluss.
"Ein gewisses Maß an Frontalunterricht ist laut Pisa-Studie effektiv"
Die aktuelle Pisa-Studie ergänzt dies: Schüler lernen demnach etwa besonders gut Naturwissenschaften, wenn ihre Lehrer besonders häufig wissenschaftliche Thesen erklären und belegen, also zum Beispiel die Fotosynthese erläutern und mit einem Versuch untermauern. Dies zeige mehr Erfolge als die "verfügbaren materiellen und personellen Ressourcen, einschließlich der Qualifikation der Lehrkräfte", sprich: als eine Sammlung teurer Mikroskope oder ein Lehrer mit Doktortitel.
Auch außerschulische Aktivitäten wie Wissenschafts-AGs oder Wettbewerbe brächten vergleichsweise wenig. Der gute Lehrervortrag vor der Klasse - das klingt nach alter Schule und das macht die Aussage brisant für die pädagogische Diskussion. "Ein gewisses Maß an Frontalunterricht ist laut Pisa-Studie effektiv", sagt Matthias Rumpf, der Berliner Sprecher der OECD. Ein Unterricht anhand der Fragen der Schüler oder Gruppenarbeit, beides steht nicht so gut da. Schulsysteme, in denen die Jugendlichen mehr Zeit mit "Hausaufgaben, Zusatzunterricht oder selbstständigem Lernen verbringen" schnitten tendenziell schlechter ab, heißt es in der Präsentation der Pisa-Ergebnisse.
Man kann es so zusammenfassen: Gut ist ein Lehrer, der klar durch den Unterricht führt, der gut erklären kann und wenig auf Hausaufgaben oder Selbststudium setzt. Reicht das? Hans Anand Pant hat da noch einige Ergänzungen zu bieten. Der Berliner Professor leitet auch die Deutsche Schulakademie, welche Praktiker, nämlich die Preisträger des Deutschen Schulpreises, mit Forschern zusammenbringt. Auch für Pant ist gute Leistung das oberste Unterrichtsziel, aber: "Die Schüler müssen angstfrei lernen können, das ist der Schlüssel." Ein weiterer Punkt sei, sie zu beteiligen, "von der Gestaltung des Schulhauses bis hin zum Feedback an Lehrer".
Was das konkret heißt, kann man in den preisgekrönten Schulen der Akademie erleben, beispielsweise an der Anne-Frank Mädchen-Realschule in München. Dort setzen sich alle zwei Wochen die Schülerinnen einzeln eine Viertelstunde mit ihrem Klassenlehrer zusammen und reden. Wo es hakt, was die Mädchen bewegt, womöglich auch in Familie oder Partnerschaft. Diese Gespräche öffnen nach den Worten einer Lehrerin dort gerade die unauffälligen Schülerinnen und zeigen, wo man sie fördern sollte.
Und dann wäre da noch die Lehrer-Ausbildung, ein Thema, das Pant einen tiefen Seufzer entlockt. "Didaktisches und pädagogisches Wissen wird an den Unis zwar immer mehr vermittelt, allerdings müssten angehende Lehrer früher Praxiswissen gewinnen", sagt er. Um in der Schule zu erleben, wie guter Unterricht geht. Also: Ein Lehrer kommt ja nicht fertig auf die Welt. Er soll so früh wie möglich lernen, worauf es ankommt.
Nota. - Strukturen, Theorien, Methoden - das ist unterm Strich alles ziemlich egal. Was zählt, ist der Lehrer. Und wohl eben nicht seine spezifischen Fertigkeiten: Denn dann käme es auf Strukturen, Theorien, Methoden eben doch an; zwar nicht unmittelbar, aber mittelbar: nämlich indem sie die Lehrer fitter machen für den Unterricht. Auch hier geht es nicht um einzelne "Kompetenzen" oder skills. Denn mehr als ein Experte ist der Lehrer ein performer. Er ist ein Darstellungskünstler. Das kann man nicht 'werden', das muss man sein. Natürlich macht Übung den Meister, aber ein Talent, das man ausbilden kann, muss schonmal da sein.
Darum ist das Problem der Schulen auch nicht in erster Linie die Lehrerausbildung, sondern die Rekrutierung. Die Bedingungen, unter denen Lehrer ihren Beruf ausüben, müssen so sein, dass sie die Geeigneten anziehen und die Ungeeigneten abweisen - denn eine Charakterprüfung als Zugangsbedingung zum Beruf kommt nicht in Frage: weil sich nicht objektivieren lässt, um welche Charaktermerkmale es geht - und weil sie sich ohnehin nicht messen ließen; aber vor allem, weil sich vorab nicht bestimmen lässt, wer zum Prüfen der Eignung geeignet ist.
Mit andern Worten, auch bei der Reform der Lehrerschaft geht es nicht um Strukturen, Theorien und Methoden. Auch da kann man basteln, soviel man will; es kostet nur Zeit, Geld und Humanressourcen. Die gesellschaftliche Grundstimmung müsste sich ändern. Leute, die sich dazu begabt fühlen, müssten in den Beruf strömen; Leute, die sich darauf freuen, jeden Tag eine gelungene Darbietung liefern zu müssen und zu können; Leute, die sich gerne überraschen lassen und sich auch unbefangen der Routine hingeben können, wenn sich's grade so ergibt.
Einstweilen ist es noch so, dass solche Leute um den öffentlichen Dienst einen großen Bogen machen.
PS. Gut wäre auch, wenn die Öffentlichkeit vom Unterricht nicht länger erwarten würde, dass er "funktio- niert".
JE
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