Dienstag, 14. Oktober 2014

Gemeinsam lernen oder auch nicht.

aus Die Presse, Wien, 14.10.2014 | 12:10 | 

Gesamtschule: 
„Der Schuss geht vielleicht nach hinten los“
Roland Grabner ist der österreichweit erste Professor für Begabungsforschung. Im Interview spricht er über den Umgang mit Heterogenität in der Klasse.



DiePresse.com: Sie haben einen neuen Lehrstuhl für Begabungsforschung inne. Wie stark hängen Begabung und Schulerfolg zusammen?

Roland Grabner: Wenn wir von Intelligenz sprechen, die ja zu den am besten messbaren Begabungen gehört, findet man mittelstarke Zusammenhänge. Das heißt, Intelligenz kann den Schul- und Ausbildungserfolg gut vorhersagen. Gleichzeitig muss man aber im Kopf behalten, dass Intelligenz und Lernen sich gegenseitig beeinflussen.  Lernen fördert auch die Intelligenzentwicklung.

Sie untersuchen das ganze Spektrum von Lernstörungen bis hin zur Hochbegabung. Brauchen besonders starke und besonders schwache Schüler ähnliche Rahmenbedingungen?

Als Lehrperson hat man stets eine heterogene Gruppe vor sich. Schüler unterscheiden sich nicht nur in Bezug auf die Intelligenz, sondern auch in Motivation, Interessen, Vorwissen und anderen Lernvoraussetzungen. Je besser man auf diese Individuellen Voraussetzungen im Unterricht eingehen kann, desto besser werden die Schüler auf allen Ebenen davon profitieren. Es reicht nicht, dass sich Unterricht am fiktiven Durchschnittsschüler orientiert. Sondern es bedarf eines individualisierten Unterrichts, in dem der Lehrer versucht, die Schüler dort zu fördern, wo sie sich aktuell befinden.

Das würde wohl jeder Lehrer gern machen. Es ist aber nicht so einfach in einer Klasse mit 30 Schülern.

Das ist schon immer eine große Herausforderung gewesen. Nicht nur in Bezug darauf, dass ein Teil der Schüler vielleicht hochbegabt ist oder ein Teil speziellen Förderbedarf hat. Entscheidend ist, dass auch neue didaktische Methoden eingesetzt werden, mit denen die Lehrpersonen den Lernfortschritt der Schüler besser verfolgen und den Unterricht entsprechend anpassen können.


Kann man sagen, dass begabtere Schüler mit offenem Lernen besser zurecht kommen und weniger Begabte einen festeren Rahmen brauchen?

Im Durchschnitt sprechen die Befunde dafür. Bei Begabteren scheint die Gestaltung des Unterrichts weniger Einfluss auf ihren Lernerfolg zu haben als bei weniger Begabten. Die scheinen eher von strukturiertem Unterricht zu profitieren. Das ist ein Befund aus der Lernforschung, der sich immer wieder zeigt.

Sollte man dann nicht versuchen, die Klassen so homogen wie möglich zu halten?

Die Schwierigkeit liegt darin, homogene Klassen zu bilden. Denn selbst, wenn man einen engen IQ-Bereich voraussetzen würde, unterscheiden die Schüler sich in ihrem Begabungsprofil und anderen bedeutsamen Lernvoraussetzungen. Selbst in Klassen oder Schulen für Hochbegabte sind die Lehrpersonen mit heterogenen Lerngruppen konfrontiert. Die Homogenisierung ist äußerst plausibel, wenn man wirklich homogene Lerngruppen hat - und da bringt sie sicherlich auch Erfolge. Allerdings scheitert es dann doch an der praktischen Umsetzung.

Was bedeutet das für die Gesamtschuldiskussion?

Im Bezug auf die Gesamtschule sollte man bedenken: Wenn man einfach die Schulform ändert, ohne den Unterricht zu ändern, also die Lehrer mit der Unterstützung ausstattet, die sie brauchen, dann wird sich der Lernerfolg vermutlich nicht stark verbessern. Vielleicht geht der Schuss sogar nach hinten los. In einer Gesamtschule hätten wir natürlich eine etwas höherer Heterogenität, die besondere Anforderungen an die Lehrenden stellt. Wenn die Lehrer keine Möglichkeit haben, damit umzugehen, sei es, weil ihnen die Unterstützung fehlt, weil Personal fehlt, weil sie nicht die Kompetenzen haben, dann wird das auch nicht besonders zielführend sein. Für den Lernerfolg ist wichtiger, was im Unterricht passiert, als die konkrete Schulform. Lernwirksamen Unterricht gibt es genauso in Gesamtschulen wie in anderen Schulformen. Es scheint an der Zeit zu sein, die Aufmerksamkeit auf einen konstruktiven Umgang mit Heterogenität zu richten.

Roland Grabner (39) ist ein österreichischer Psychologe und Neurowissenschaftler. Seit Herbst 2014 hat er den österreichweit ersten Lehrstuhl für Begabungsforschung an der Universität Graz inne. In seinem Forschungsbereich wird er sich dem ganzen Spektrum kognitiver Begabung widmen: Von der Lernstörungen bis hin zur Hochbegabung.


Nota.

So richtig wie am ersten Tag bleiben die Einwände, die Johann Friedrich Herbart, der Begründer der wissenschaftlichen Pädagogik, schon vor 200 Jahre gegen die Schule als solche hatte...
JE 

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