aus scinexx
Begabte Kinder haben es oft schwer
Bisher umfangreichste Langzeit-Studie unterstreicht Bedeutung gezielter Förderung
Hochbegabte Kinder brauchen genauso eine gezielte Förderung wie
minderbegabte. Sonst bleiben viele von ihnen trotz ihrer hohen
Intelligenz auf der Strecke oder entfalten zumindest nicht ihr volles
Potenzial. Das ist das Fazit der bisher umfangreichsten Langzeitstudie
zu Hochbegabten und ihrem Lebensweg. Vor allem in der Schulzeit sei es
wichtig, diesen Kindern zusätzliche Lernmöglichkeiten anzubieten, um
Unterforderung und Frustration entgegenzuwirken, so die Forscher im
Fachmagazin "Psychological Science".
"Begabte
Kinder sind eine wertvolle Ressource der Menschheit", erklärt
Studienleiter David Lubinski von der Vanderbilt University in Nashville.
Denn sie seien die Triebkräfte für künftige Fortschritte in Kultur,
Wirtschaft und Wissenschaft. Dennoch scheinen es einige dieser besonders
intelligenten Kinder nicht zu schaffen, ihr volles Potenzial zu
entwickeln und schneiden in der Schule sogar unterdurchschnittlich ab.
Ob das tatsächlich so ist und warum, haben Forscher in einer 30 Jahre
dauernden Langzeitstudie untersucht.
Erfolgreich trotz, nicht wegen schulischer Erfahrungen
Für die Studie verfolgten die Forscher den Werdegang von 320 Kindern,
die mit 13 Jahren überdurchschnittliche Leistungen in verbalen und
mathematischen Tests gezeigt hatten. Dabei zeigte sich, dass diese
Hochbegabten zum größten Teil Schule und akademische Karriere
erwartungsgemäß erfolgreich absolvierten. Die Forscher stellten aber
auch fest, dass die Teilnehmer in ihrem Fortschritt oft eher gehindert
als unterstützt wurden und viele nicht ihr volles Potenzial entfalten
konnten.
Immerhin schafften 203 der 320 Hochbegabten ihren Masterabschluss, 142
von ihnen promovierten - das ist rund 20 Mal so viel wie im
Bevölkerungsdurchschnitt der USA. Die meisten Teilnehmer machten
erfolgreich Karriere und wurden Führungskräfte in der Wirtschaft,
politische Berater, Anwälte, Mediziner oder Wissenschaftler. Aber: Oft
gelang ihnen das nicht dank ihrer Lehrer und Schulen, sondern eher
trotz der Hindernisse, die diese ihnen in den Weg legten, wie die
Wissenschaftler berichten.
Gezielte Förderung meist Fehlanzeige
In den meisten Fällen waren die Schulen und Lehrer nicht darauf
eingestellt, mit Hochbegabten umzugehen und diese entsprechend ihren
Bedürfnissen zu fördern. Stellten die Lehrer fest, dass die hochbegabten
Kinder den Unterrichtsstoff schon von Beginn an beherrschten, ließen
sie sie meist links liegen, um sich um die andern zu kümmern. Das führte
zu Langeweile, Frustration und Unterforderung bei den Hochbegabten.
"Noch immer herrscht die Meinung vor, dass begabte Schüler keine große
Hilfe benötigen", erklärt Harrison Kell von der Vanderbilt University.
"Doch diese Studie belegt, dass das nicht der Fall ist." Zwar schneiden
Kinder mit hohen IQ meist dennoch gut ab, aber wenn sie nicht gezielt
mit zusätzlichem Lernstoff gefördert werden und Möglichkeiten erhalten,
ihren Wissensdurst zu stillen, hemmt sie dies dabei, ihr ganzes
Potenzial zu entfalten. Es seien daher mehr Programme nötig, die Eltern
und Lehrer dabei unterstützen, diese Kinder zu fördern. "Fähigkeiten,
Motivation und Gelegenheit spielen alle drei eine Rolle dafür, ob ein
hochbegabtes Kind sich voll entfalten kann", so Lubinski.
In Deutschland herrscht zwar weitgehend Einigkeit darüber, dass
hochbegabte Kinder eine entsprechende Förderung benötigen. Möglich sind
unter anderem das Überspringen einzelner Klassen, aber auch zusätzliche
Aufgaben und Kurse oder spezielle Wettbewerbe. In der Praxis werden
diese Möglichkeiten aber nur selten umgesetzt. Allerdings gibt es in
Deutschland inzwischen einige Schulen und Internate für Hochbegabte.
Noch aber setzt all dies vor allem die Initiative der Eltern voraus.
(Psychological Science, 2013; doi: 10.1177/0956797612457784)
(Vanderbilt University, 07.01.2014 - NPO)
Nota.
Als ich mit dreizehn, vierzehn Jahren hörte, dass in einer Komödie von George Bernhard Shaw die Qualen der Hölle als Langeweile beschrieben werden, musste ich sehr lachen: "Der Mann ist einmal zur Schule gegangen!"
Das kann man drehen und wenden wie man will: Ein Lehrer, der es mit zwanzig, dreißig Schülern zu tun hat, kann gar nicht anders, als sich am Durchschnitt orientieren. Und wenn er noch so sorgsam darauf achtet, sowohl den schwächeren als auch den besonders fähigen Schülern das ihnen zustehende Maß an Aufmerksam- keit zu widmen: Vor seinem geistigen Auge steht der Durchschnittsschüler im Vordergrund. Und solange jedesmal, wenn er das Wort Erziehung hört, die Schule im Hintergrund steht, ist das auch nicht zu ändern.
Es mag sein, dass die Schule ein notwendiges Übel ist. Aber das macht sie nicht weniger übel. Stundenlang stille sitzen und nichts tun - welche Sorte Kindesmissbrauch wäre perverser!
Ach, und da fällt mir ein, was ein neunjähriger Engländer mal antwortete auf die Frage, was ihm an der Schule denn missfalle: "Man verliert wo viel Zeit."
JE
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