Samstag, 20. Oktober 2018

Die Kollateralschäden des Durchschnitts.

aus derStandard.at, 19. Oktober 2018, 08:00

Zwischen Fehlverhalten und Langeweile
Das Problem schulischer Unterforderung Kinder haben unterschiedliche Fähigkeiten. Diese adäquat zu fördern ist in unserem Schulsystem schwierig. Wie man trotzdem darauf reagieren kann

von s  

Lilly ist elf und geht gern in die Schule. Sie tut sich leicht, ist an vielem interessiert und macht auch am Nachmittag ihre Aufgaben in Windeseile, damit sie dann ihren Freizeitaktivitäten – etwa Tanzen und Klavier spielen – nachgehen kann. Oft findet sie die Schule auch langweilig, aber eigentlich ist sie zufrieden, weil sie sich kaum anstrengen muss.

Der 13-jährige Valerian hat es zurzeit nicht gerade einfach. Die Schule findet er total langweilig, und mit seinen Mitschülern kann er recht wenig anfangen, die sind ihm alle viel zu dumm. Es ärgert ihn, dass er immer warten muss, bis die anderen verstanden haben, was gerade erklärt worden ist. Mit den Lehrerinnen und Lehrern in der Schule hat er viele Konflikte, und oftmals drohen sie ihm, dass er bald von der Schule fliegt, wenn er sich nicht zu benehmen weiß. Doch eigentlich findet er das alles ziemlich ungerecht und hat es satt, sich ständig anzupassen. ...

Hochbegabung – ein bekanntes Phänomen

Des Öfteren hört man von Kindern mit speziellem Talent oder einer Hochbegabung. Eltern und Bezugspersonen sowie Pädagoginnen und Pädagogen sind in den letzten Jahren viel hellhöriger geworden und besser informiert, woran man merken könnte, dass diese Kinder adäquat gefördert werden sollten oder eventuell ihren speziellen Talenten viel besser nachgehen könnten.


Kinder sind in der Schule unterfordert, weil die Gesellschaft versucht, alle Kinder über einen Kamm zu scheren, sodass alle Kinder im selben Alter die gleichen Aufgaben lösen können sollen.

Aber Kinder entwickeln sich unterschiedlich und können ganz verschiedene Fertigkeiten haben. Da kann ein Kind besser mit Zahlen jonglieren als die Klassenkollegen, während das nächste sich gerne mit anderen Kindern umgibt und spielt und ein weiteres gerne die Welt in ihren Zusammenhängen entdeckt.

Doch unterforderte Kinder sind nicht so leicht zu entdecken, denn die Abgrenzung zur generellen Hochbegabung ist nicht einfach und auch oft nicht leicht zu bemerken. Auch ist Vorsicht geboten, denn nicht jedes Kind, das sich in der Schule leichttut, ist grundsätzlich hochbegabt und unterfordert.
Unterforderung in der Schule kann sich vielfältig zeigen. 

Wenn Kinder ausgeglichen sind und ihren Wissensdurst auf die Freizeit verschieben können, dann ist hier seitens der Eltern und Bezugspersonen dahingehend Unterstützung gefragt. Das Ermöglichen von Aktivitäten sowie den persönlichen Interessen nachgehen zu können sollte einen Ausgleich für das Kind schaffen. Auch eine anregende und spannende Lernumgebung können Eltern und Bezugspersonen zu Hause ermöglichen, indem sie Kindern Bücher, Dokumentationen oder diverse Lernspiele zur Verfügung stellen. Da können zum Beispiel gemeinsam Knobel- und Denkspiele gelöst oder nach speziellen Angeboten gesucht werden.

Unzufriedenheit in der Schule

Sind Kinder mit der Schule unzufrieden und der Meinung, dass sie mal wieder nichts Neues gelernt haben und es dort außer langweilig nur langweilig ist, reicht ihnen oft nicht aus, nur am Nachmittag den Ausgleich zu finden. Kommen Kinder immer wieder frustriert nach Hause, wirkt sich das über kurz oder lang auf die Motivation der Kinder, ihre Freude an der Schule und am Lernen und das Familienklima aus. Dann kann es passieren, dass ein Kind sagt, dass es nicht mehr in die Schule gehen will.

Dann sind vermutlich auch andere anregende Aufgaben und Beispiele sowie mehr oder andere Herausforderungen als für die Mitschülerinnen und Mitschüler notwendig.

Beobachtet man dies an seinem Kind, ist es notwendig, ein oder mehrere Gespräche mit der Klassenlehrerin/dem Klassenlehrer zu führen und gemeinsam zu überlegen, wie man dem Kind helfen kann. Wahrscheinlich ist hier die Differenzierung in der Klasse eine Möglichkeit, das Kind auf seinem Lernweg besser begleiten zu können. Dabei sind die Haltung der Erwachsenen, das begleitende Gespräch und die Bereitschaft, gemeinsam an einem Strang zu ziehen, sehr wichtig. Auch die Eltern sind hier gefordert, ihrerseits die Förderung in der Schule zu unterstützen.

Welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen, welche Ressourcen genutzt werden können und ob es überhaupt eine Differenzierungsmöglichkeit in Anbetracht der jeweiligen Schulsituation geben kann, wird in solchen Gesprächen auch klarer. Womöglich kann das Kind andere Lernmaterialien erhalten – oder aber es können einfache Aufgaben durch komplexere ersetzt werden. Es gibt viele unterschiedliche Wege, die oftmals nicht einfach zu finden sind, um Kindern in solchen Situationen zu helfen, mit Unterforderung besser zurechtzukommen.

Verweigerung als Anzeichen für Unterforderung

Manch ein Kind zeigt aufgrund von Langeweile und Frustration über zu wenig Gelerntes Verhaltensauffälligkeiten. Da kann es passieren, dass das Kind wenig Anschluss an die Klassenkollegen haben will oder sich als Klassenkasperl aufführt, sich über die dummen Mitschüler beschwert und keine Hausübungen macht, weil "Es eh alles nix Neues ist", "Das Babyaufgaben sind" und "Das was für die Dummies ist". Dann macht eventuell ein Wechsel der Schule oder ein Überspringen der Klasse Sinn.

Da dies aber einen gravierenden Einschnitt in den Alltag des Kindes, der Eltern und Bezugspersonen bedeutet, sollte dies zusammen mit den Lehrenden des Kindes und der Schulleitung genau geplant werden.

Hier ist es von extremer Wichtigkeit, das Kind, so gut es geht, in die Pläne miteinzubeziehen und ihm den Grund dafür zu erklären, denn es kann durchaus sein, dass das Kind in den geplanten Wechsel ganz etwas anderes hineininterpretiert.

Bevor das Kind wirklich in die andere Schule oder Klasse wechselt, sollte es die Möglichkeit für ein "Hineinschnuppern" haben, um ihr oder ihm die Sicherheit zu geben, dass dies erst einmal ausprobiert und auch noch rückgängig gemacht werden kann. Meist entspannen sich Kinder bei dem Gedanken daran, erstmals einen Versuch wagen zu können. Auch für Eltern und Bezugspersonen ist es eine Erleichterung, nicht gleich eine so folgenschwere Entscheidung treffen zu müssen, sondern mit Ruhe und Bedacht nach genauem Hinsehen zu einem Entschluss zu gelangen.

Bedeutsam für so einen Schritt ist es, dass den Eltern und Bezugspersonen und auch dem Kind klar sein sollte, dass es in der neuen Schule oder Klasse andere Leistungen bringen wird müssen und sich die Situation mit den guten Noten eventuell auch ganz schnell wenden kann. Möglicherweise fehlt ein Stoffgebiet, das erst neu gelernt werden muss. Dies kann dazu führen, dass erstmal die Leistungen etwas absinken und sich deshalb erneut Frustration einstellen kann. Es sollte allen Beteiligten klar sein, dass in der neuen Klasse die Anforderungen anders sind und das Kind sich erst einfinden muss.

Wenn aber klar ist, dass es nur eine vorübergehende Zeitspanne dauert, bis der Stoff aufgeholt ist, dann bedeutet dies durchaus, dass sich die Entscheidung für Kind, Eltern und Pädagoginnen und Pädagogen gelohnt hat. ...

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