Dienstag, 28. August 2018

Wie gehts den Schülern in der Schule?


Die Süddeutsche berichtet in ihrer heutigen Ausgabe über eine Untersuchung, die in herne ein Gesamtschullehrer gemeinsam mit seinen Schüler über das Wohlbefinden der Schüler in der Schule angestellt hat.

... Im Sommer 2015 musste die Schule eine Anordnung von oben umsetzen, die mehr Unterricht forderte und so den Stundenplan sprengte. Die Alternativen waren unschön. Die Schüler in der nullten Stunde an- tanzen lassen? Die Mittagspause streichen? Samstagsunterricht? Weichen musste am Ende die Mittagspau- se, dazu wurde die 10. und 11. Stunde eingeführt, die Schule also noch weiter in den Nachmittag ausgedehnt.

Und die Schüler? Begannen Fragen zu stellen. Warum es für sie eigentlich keine Arbeitszeitregelungen gebe. Wie es sein könne, dass ein Schüler vor zehn Jahren im Schnitt 25 Schulstunden pro Woche hatte und heute 34. Warum die Oberstufenschüler eigentlich keine Zeit mehr hätten, sich in der Schülervertretung zu engagieren. Warum in Tests wie Pisa und Co. ständig ihre Leistung erhoben werde, aber niemand frage, wie es ihnen geht, in der Schule, im Leben.

Also starteten Piechnik und seine Schüler selbst eine Umfrage. Sie richtete sich an Schüler in ganz NRW, mit 24 Fragen: Fühlt ihr euch von der Schule belastet? Was verbindet ihr mit Schule? Habt ihr Zeit für Hobbys? Seid ihr glücklich? Seit 2016 läuft die Umfrage, die jüngste Auswertung stammt aus dem Herbst 2017, sie basiert auf den Antworten von 1250 Schülern aus NRW - mehr also, sagt Piechnik, als bei Pisa. Die Ergebnisse hätten die schlimmsten Erwartungen übertroffen. 70 Prozent fühlen sich demnach belastet, 80 Prozent verbinden mit der Schule Stress, drei Viertel Druck, mehr als die Hälfte Überforderung. Freude, Glück, Ausgelassenheit? 20 Prozent, neun Prozent, vier Prozent.


Doch nicht nur Schüler wurden befragt. Piechnik und seine Schüler schickten Fragebögen auch an Vereine, die von einem Rückgang jugendlicher Mitglieder berichteten. Fast 90 Prozent beklagten einen Rückgang sozialer Kompetenzen bei den Jugendlichen. Alle meldeten, dass mehr Jugendliche über Angst und Druck in der Schule berichteten. Auch medizinische Beratungsstellen wurden angeschrieben. Die Ergebnisse: Schulisch bedingte Belastungssymptome hätten deutlich zugenommen: Erschöpfung, Depression, Schlaf- losigkeit. Acht von zehn Einrichtungen empfahlen, den schulischen Druck zu senken.

Piechnik weiß, dass die Umfrage Schwächen hat. Keiner kann sagen, ob nur Schüler abgestimmt haben; die Umfrage ist online, jeder kann teilnehmen. Und doch summieren sich die Antworten für ihn zu einem Gesamtbild, das zeige, wie weit die Schule sich von ihrem Auftrag entfernt habe. Alles sei auf Leistung zugeschnitten, nur sie werde mit großem Aufwand gemessen; eine Lernstandserhebung in Deutsch in der 8. Klasse etwa umfasse 150 Seiten. Den Tests aber gehe es nicht um ein ganzheitliches Bild. Pisa etwa interessiere sich nur für drei Bereiche: Deutsch, Mathe, Naturwissenschaften. "Sollte Bildung nicht viel breiter sein?", fragt Piechnik.

...Im November 2017 reichten sie beim Landtag in Düsseldorf eine Petition ein: "Schulpolitik auf dem falschen Weg". 

Anfang Juli lud der Petitionsausschuss zu einem Treffen ein. Gute Gespräche habe es gegeben, sagt Piechnik. Je mehr sie ihm zuhöre, habe ihm eine Frau gestanden, umso mehr schäme sie sich, Bildungs- politikerin zu sein. Doch ein "bisschen schiefgelaufen" sei auch dieser Termin. Weil die wichtigen Leute eben nicht da waren: die vom Schulministerium.

Dort heißt es, man sei nicht eingeladen worden. Gedanken zur Petition hat man sich aber gemacht, die Stellungnahme des Ministeriums liegt der SZ vor. Dass der Prüfungsstress zugenommen habe, sei falsch, ebenso der Vorwurf, dass nur die Leistung der Schüler gemessen werde. Zuletzt habe sich eine Pisa-Sonderauswertung mit der Frage befasst, wie es den Schülern gehe; 73 Prozent gaben an, zufrieden zu sein. 2017 wurden die Ergebnisse veröffentlicht. Das Ministerium verweist zudem auf die Jako-o-Bildungsstu- die, die 2016 ermittelte, dass 82 Prozent der Schüler gerne zur Schule gingen. Befragt wurden allerdings nicht die Schüler, sondern ihre Eltern. 

Peter Strohmeier überzeugt das nicht. Auch er sagt: "Über die Jugendlichen in der Schule wissen wir gar nichts." Der emeritierte Soziologieprofessor aus Bochum hat vor einigen Jahren selbst mit einer Studie begonnen, die das Umfeld der Schüler ausloten soll: Familie, Nachbarschaft, Schulklima. Inspiriert wurde Strohmeier von einer Reise nach Kanada, wo solche Tests selbstverständlich seien. Zufällig hat auch er Siebt- und Neuntklässler in Herne befragt - und dann festgestellt, dass es in der Stadt eine Schule gab, die bereits etwas Ähnliches machte: die von Carsten Piechnik.

Strohmeier ist überzeugt, dass die Bedingungen, unter denen die Schüler leben und lernen - ihr Wohlbe- finden -, ausschlaggebend für ihre Leistungen sind, angefangen damit, ob sie zu Hause ein Frühstück be- kommen oder nicht. Doch dafür reiche es nicht aus, wie bei Pisa einen bundesweiten Schnitt zu erheben. An jeder Schule seien die Umstände anders. Sein Ziel sind lokale Untersuchungen, auf die eine Kommune gezielt reagieren kann. Im Sommer hat Strohmeier seine Studie vorgestellt. Mehr als 40 Prozent der be- fragten Schüler gaben an, sich in der Schule missachtet zu fühlen. Ein Viertel der Schüler aber, sagt Strohmeier, habe sich bedankt, dass sie einmal selbst befragt wurden. ...

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