Montag, 7. November 2016

Die ewige Jugend von heute.

aus nzz.ch,

Wir Jugendversteher
Letztes Abenteuer Adoleszenz 
Der Kern der Jugend ist es, sich dem Rest der Welt zu verweigern. Dass wir diese Lebensphase trotzdem bis in den hintersten Winkel ergründen wollen, sagt viel aus über unsere Angst vor dem Unberechenbaren.

von Beat Grossrieder 

Die NZZ hat mir rückwirkend die Verbreitung ihrer Inhalte untersagt. Ich werde sie nach und nach von meinen Blogs löschen 
Jochen Ebmeier 


Nota. - Es ist mir ärgerlich, dass in dieser Sache stets Feuer und Wasser in einen Topf getan wird - wo es dann nur noch qualmt. Erst sagt man: Jugendalter, und das Publikum denkt sogleich Halbstarke - das denkt die eine Häfte - und '68, das denkt die andere Hälfte: Woodstock, Vietnam, Pariser Mai. Aber dann dauert es nicht lange und es fällt das Wort Pubertät. Da hat man Knochenwachstum, Hormone, Sex und Gender in einem, und gleich plap- pert es lustig weiter: Feuilleton im Leerlauf. 

Der Qualm verhüllt, dass die eigentliche Zäsur mitten hindurch geht durch diese sogenannte Pubertät. Die hat einen aufsteigenden und einen absteigenden Ast. Der aufsteigende, das sind die - von Hans-Heinz Muchow so getauften - Flegeljahre, sonst auch Robinsonalter genannt, das wohl anstrengend genug ist, und zwar für alle beteiligten Parteien, aber vor allen Dingen unternehmungsfreudig, abenteuerlustig, einbildungsstark und der Welt zugewandt, statt sich ihr zu verweigern; begleitet all das von einer kämpferischen Moralität. 

Kulturen, die solche Eigenarten schätzen - und auch zu diesem Zeitpunkt -, machen diese Zeit  produktiv, denn nun kommt der Abschied von der Kindheit: 

»Es ist die größte Krise im Leben eines jeden. Eine Krise auch in physiologischer Hinsicht, als Pubertät; aber nicht nur. Nicht einmal vor allem: Es ist eine Krise des ganzen Menschen. Bis dahin verstand sich die Welt von selbst. Alles, was war, war eben so und nicht anders. Doch plötzlich steht alles in Frage. Ist alles so, wie es ist, oder sieht es nur so aus? Könnte es nicht auch ganz anders sein? „Der Grundzug des Pubertätsalters“ sei, so schrieb der Kulturhistoriker Egon Friedell, „daß es fast jeden Menschen zum Dichter macht.“ Aber nur, weil die Selbstverständlichkeit dahin ist und alles in Zweifel gerät - nicht nur die Andern, sondern auch das Selbst: ein kritischer Zustand. Es ist ein Fegefeuer der Gedanken und der Gefühle. Der amerikanische Kinder- und Jugend- psychologe Erik Erikson hat geradezu von der „zweiten Geburt des Menschen“ gesprochen. ... 


Der Zweifel, die Ungewißheit, das ‚Schweben‘ zwischen allen Möglichkeiten äußert sich aber, ach, vorzugs- weise in Spottsucht, Frechheit und bösem Witz. „Das Kind muß unbedingt ironisches Kind sein“, liest man bei dem Romantiker Novalis; nämlich das Kind, das schon fast keins mehr ist. Es ist das Schwinden der Unschuld, doch auch der Anfang der Naivität, denn: „Das Naive ist eine Kindlichkeit, wo sie nicht mehr erwartet wird“, schrieb Friedrich Schiller.

Kein Kind mehr sein, oder doch nicht mehr so ganz, ist aber nicht nur eine Erweckung. Es ist auch eine Trauer. Denn jetzt wartet der „Ernst des Lebens“. Mit dem Spielen ist es jedenfalls vorbei. Man wird es ein Leben lang vermissen. Der Abschied von der Kindheit ist ein Hängen zwischen den Stühlen, eine ganze, kurze Existenz im Zwiespalt. Sonst wäre es ja nicht das produktivste Kapitel im Roman unseres Lebens.«   

Das produktivste Kapitel, da ließe sich was draus machen: Jünglingsalter, sagte am früher, die einen nahmen als Lehrlinge in der Werkstatt des Meisters ihren Platz in der ständischen Gesellschaft ein, die andern traten als Knappen ihren Dienst an einem ritterlichen Hof an. - Es ist wahr, dass das Kulturen waren, in denen männliche Tugenden höher angesehen wurden als bei uns seit dem Aufkommen der Angestelltenzivilisation. 

Bei uns folgt auf den Abschied von der Kindheit nicht der Eintritt in die Männerwelt, sondern jene entnervende Hängepartie, die wir Adoleszenz nennen und von der allein der Autor der NZZ oben zu reden weiß. Das ist kein Schweben mehr, sondern ein Baumeln; nichts Ernstes blieb, worum zu kümmern es sich ernstlich lohnte, der einzige Gegenstand, um den eine eben noch schäumende Phantasie ihre Wellenringe zieht, ist das eigne Ich-ganz-wichtig, und das Höchste, was man ihm zu bieten hat, ist fun. Sie 'verweigern sich der Welt' wie der Fuchs den Trauben.

Dass die Jugend von heute den Alten von aller Zeit nicht gefällt, ist allerdings eine olle Kamelle. Aber die Adoleszenz mit ihrer Egomanie, Gefallsucht und blasierten Indifferenz war eine Errungenhaft unseres allerwestlichsten Zwanzigsten Jahrhunderts. 

Und was wird mit dem Einundzwanzigsten? 

Die Angestelltenzivilisation ist die Abenddämmerung der Arbeitsgesellschaft. Die Arbeitsgesellschaft neigt sich ihrem Ende zu. Die Erwachsenheit selbst ist es, die veraltet. Wird man von der Kindheit keinen Abschied mehr nehmen müssen?

"Ein Mann kann nicht wieder zum Kind werden oder er wird kindisch. Aber freut ihn die Naivetät des Kindes nicht, und muß er nicht selbst wieder auf einer höhern Stufe streben seine Wahrheit zu reproduciren?" 
Karl Marx*

*) in MEGA II/1.1, S. 45

JE

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