Gescheiter, als die Schule zeigt
Die Pädagogin Gundula Wagner untersuchte an Wiener Volksschülern, wieso manche nicht die volle schulische Leistung erbringen können. Die Herkunft spielt eine geringe Rolle.
von Veronika Schmidt
Wenn zwei Kinder im IQ-Test gleich abschneiden, warum ist trotzdem das eine Kind in der Schule besser als das andere? Diese Frage versuchen Begabungsforscher zu beantworten: Sie untersuchen dabei die Gruppe der „Underachiever“, also Kinder, die in der Schule nicht die Leistung erbringen, die man anhand ihrer Intelligenz erwarten würde. „Aus der Intelligenz können wir nur 50 Prozent der Schulleistung erklären. Wovon die restlichen 50 Prozent abhängen, ist fraglich“, sagt Gundula Wagner, die an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich (PH NÖ) in Baden forscht. Sie arbeitete 13 Jahre als Lehrerin in einer Wiener Volksschule, die sich mit Hochbegabten beschäftigt: „Das Thema Begabtenförderung wollte ich wissenschaftlich vertiefen.“ So startete sie ein Pädagogikstudium an der Uni Wien, wurde Hochschullehrende und konnte 2014 mit einem Talent-Austria-Stipendium des Wissenschaftsministeriums ein großes Forschungsprojekt starten.
Internationale Studien wie Pisa analysieren u. a. die Wirkung der Klassenzusammensetzung auf die Schulleistung, nicht aber, wie stark Kinder ihr individuelles Potenzial realisieren können. Genau dies will Wagner erkunden: Welche Wechselwirkungen zwischen dem Kind und seiner Klassenumgebung spielen eine Rolle, wenn es darum geht, sein Intelligenzpotenzial als optimale schulische Leistung zu entfalten. Die Begabungsforschung beachtet neben Psychologie und Pädagogik auch die Soziologie. „Man sieht das Kind in seiner Umwelt“, so Wagner.
Kinder aus allen Schichten befragt
Typische Faktoren, die mitbestimmen, ob ein Kind die volle Leistung erbringen kann, sind die sozioökonomische Klassenzusammensetzung, also der durchschnittliche Bildungsstand der Eltern, die Bildungsaffinität und das Einkommen in der Familie. „Auch ethnische Kontextfaktoren werden bei den Tests wie Pisa analysiert: also der kulturelle oder der Migrationshintergrund.“ Und drittens ist das Leistungsniveau der ganzen Klasse ein Faktor, wie gut jeder Schüler abschneidet. „All das hat Einfluss auf die Schulleistung der Kinder, wenn man jeden Faktor einzeln analysiert. Doch wenn man sozioökonomische, ethnische und leistungsbezogene Aspekte gemeinsam modelliert, verliert die Migrationsquote an Bedeutung“, sagt Wagner. Der Effekt der kulturellen Zusammensetzung einer Schulklasse auf die Leistung der Schüler verschwindet also, wenn man alle Faktoren zugleich betrachtet.
Nur das Intelligenzniveau der Schulklasse und der durchschnittliche sozioökonomische Hintergrund der Eltern beeinflussen, wie ein Schüler in den Tests abschneidet. „Diese Zusammenhänge sind aus Studien wie Pisa bereits bekannt. Doch ich vermute Wechselwirkungen: Wovon hängt die Leistung eines jeden Kindes ab? Profitieren Hochbegabte gleich stark von einem hohen Leistungslevel der Klasse wie durchschnittlich begabte Schüler? Welche Faktoren wirken auf weniger begabte Schüler stärker?“, sagt Wagner.
Dazu bat sie circa 340 Schüler aus 20 Volksschulen in Wien zu Tests und Befragungen. „Ich konnte über die Statistik Austria die Einkommensklassen der Bezirke ermitteln und wählte die Stichproben so, dass Kinder aus verschiedenstem sozialen Background dabei waren“, betont Wagner.
Zur Feststellung ihrer schulischen Leistung lösten die Volksschüler Mathematik-Aufgaben. Zugleich wurde schlussfolgerndes Denken – und dadurch die Intelligenz jedes Kindes – erhoben. Drittens erkundete sie mit standardisierten Fragebögen das Selbstkonzept der Kinder: Ob sie sich selbst als gut oder schlecht in Mathematik einschätzen oder wie es um ihre Motivation steht.
„Auch hier zeigt sich: Am stärksten wirkt das Intelligenzniveau der Klasse, an zweiter Stelle steht der sozioökonomische Hintergrund der Eltern. Die Migrationsquote der Klasse ist unbedeutend für die Leistung der Kinder.“ Die genauen Analysen, wie stark jedes Kind von seiner Umwelt beeinflusst ist, laufen derzeit. Aber es zeichnet sich ab, dass hochbegabte Schüler eher von einem homogenen Leistungsniveau profitieren, während es für weniger begabte sinnvoll ist, wenn in der Klasse ganz unterschiedlich leistungsfähige Kinder sitzen.
Ob diese bekannte Tatsache für Kinder verschiedenster Kulturen gleich gilt, sollen die Auswertungen nun zeigen. Die Ergebnisse sollen jedenfalls Basis für die Habilitation sein, die Wagner an der Universität Potsdam plant: „Die PH NÖ hat mit dieser deutschen Universität eine Kooperation, und ich halte dort ab dem nächsten Semester das Seminar: Hochbegabte erkennen und in Regelklassen fördern.“
ZUR PERSON
Gundula Wagner wurde 1972 in Wien geboren. Die Volksschullehrerin studierte ab 2002 Pädagogik an der Uni Wien. Sie forscht nun an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich und der Universität Potsdam an Begabtenförderung. Für Freizeitaktivitäten wie Theater- oder Opernbesuche bleibt Wagner mit Beruf und einem Sohn nun wenig Zeit, aber Skifahren und Segeln mit der Familie nutzt sie zur Entspannung. Alle Beiträge unter:diepresse.com/jungeforschung
Nota. - Ach, was für eine Überraschung! Schwächere Schüler werden stärker, wenn sie mit stärkeren Schülern in einer Klasse sind. Starke Schüler werden nicht stärker, wenn schwächere in ihrer Klasse sitzen. Sagen Sie jetzt bloß nicht, das hätten Sie sich schon gedacht.
JE
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