Donnerstag, 3. September 2015

Die Lehrerpersönlichkeit kann man nicht lernen.


Die FAZ, die nicht wünscht, dass ich ihre Artikel übernehme, brachte unterm Titel Die Lehrerper- sönlichkeit kann man nicht lernen am 31. 8. 2015 ein langes Interview von Julia Schaaf mit dem Berliner Pädagogen Dirk Stötzer. Hier einige Auszüge:


...Was ist mit den Dauerkranken, Schlechtgelaunten, Totalgestressten? Ihr Buch legt nahe, dass solche Lehrer nicht Opfer widriger Rahmenbedingungen sind, sondern die falsche Persönlichkeit mitbringen.

Das ist aus meiner Sicht ein Hauptproblem. Die Lehrerpersönlichkeit ist entscheidend. Wir reden in der Ausbildung viel zu viel über Methodenvielfalt. Dabei kommt es letztlich darauf an, wie jemand vorne vor der Klasse steht. Ein Lehrer muss den Schülern vermitteln: Ich weiß mehr als ihr; ihr könnt von mir was lernen. Und wenn er die Schüler dazu bringt, dass sie das auch wollen, ist der große Schritt getan. Ich habe vielen Referendaren beim Staatsexamen gesagt: Überlegen Sie sich das noch mal. Halten Sie das wirklich 40 Jahre durch? Oder sind Sie vielleicht nach sechs, sieben Jahren ausgebrannt und werfen hin?


Warum?

Wenn Lehrer diese gewisse Ebene mit den Schülern nicht finden, müssen sie in jeder Stunde 150 Prozent geben, um überhaupt vernünftigen Unterricht machen zu können. Die versuchen dann mit Strenge und Strafen durchzusetzen, was ihnen an Führungspersönlichkeit fehlt. Das ist unheimlich anstrengend. Und ich habe viele Kollegen gesehen, die deshalb irgendwann zusammengebrochen sind. Wer in dem Job nicht glücklich ist und leidet, endet als Wrack.


Der renommierte Bildungsforscher John Hattie sagt: Das Wichtigste für den Lernerfolg der Kinder ist ein guter Lehrer.

Das habe ich lange vor Hattie gesagt. Das Problem ist nur: Persönlichkeit kann man nicht lernen. Die Persönlichkeitsentwicklung ist abgeschlossen, wenn Lehrer ins Referendariat kommen. Deshalb müsste man sich vorher fragen: Bin ich der richtige für den Lehrerberuf?


Was braucht es denn, wenn es nicht die gute Ausbildung ist: Charisma? Begabung?


Der erste Auftritt ist entscheidend. In meiner eigenen Schulzeit haben wir in der siebten Klasse in Latein zwei Lehrerinnen verschlissen. Die haben wir nicht ernst genommen, nach kurzer Zeit gaben sie auf. Dann kam ein neuer Kollege, und schon als er die Tür aufmachte und den Klassenraum betrat, war für uns klar: Von dem geht eine Aura aus, den schaffen wir nicht.


Wie war Ihr erster Auftritt?

Fatal. Musikunterricht in der 9b, und als ich den Klassenraum betrat, nahm niemand Notiz von mir. Keiner meinte, sich an seinen Platz begeben zu müssen; alle waren am Reden. Dann haben die Schüler versucht zu provozieren. Ich war damals 25 und wurde gefragt, ob ich eine Freundin habe. Als der Begriff „Libretto“ fiel, ging es plötzlich darum, ob das eine Form des Vibrators sei.


Ich habe versucht, nicht auf das Thema einzusteigen. Wir kamen dann ins Gespräch, und langfristig hat sich ein gutes menschliches Verhältnis entwickelt. Aber Unterricht, und das ist das Entscheidende, war schlicht nicht möglich.


Nach vier Jahrzehnten Schuldienst sagen Sie: Lehrer ist der beste Beruf der Welt.

Das meine ich ernst. Mit jungen Leuten zu arbeiten ist toll. Und da Lehrer heutzutage gern in ein schlechtes Licht gerückt werden, will ich Interessenten Mut machen. Wer für diesen Beruf geeignet ist und sich engagiert, findet eine sehr erfüllende Tätigkeit, die über viele Jahre hinweg abwechslungsreich bleibt. Wenn ich heute im Fernsehen einen ehemaligen Schüler sehe als Schauspieler, als Oberkirchenrat, als Sportmoderator, freue ich mich und denke: An dieser Entwicklung bin ich, wenn auch nur zentimeterweise, beteiligt gewesen.

Lehrer jammern gern: Die Klassen seien zu groß, die Schulen marode, und außerdem würden die Schüler immer schwieriger. Übertrieben?

An manchen Stellen schon. Ich sage immer im Scherz, man sollte das Jammern in die Lehrerausbildung übernehmen. Offenbar gehört es dazu. Dabei werden damit oft eigene Schwächen übertüncht. Wenn ein Lehrer klagt, er könnte nicht unterrichten, weil die Decke in seinem Klassenzimmer nicht schön gestrichen sei, hängt das nicht miteinander zusammen. Das ist der Versuch, eine Minderleistung abzuwälzen.

...

Der Lehrer muss führen?

Jeder Lehrer ist Führungskraft. Das ist ja auch das Schwierige, dass wir ohne Erfahrung in diese Position gesteckt werden. Wenn Sie Ingenieur werden, sitzen Sie im Büro, kröseln vor sich hin und steigen vielleicht irgendwann auf. In der Schule werden sie unvorbereitet in so eine Position geworfen.

Sie haben auch eine Checkliste, um die eigene Persönlichkeit für den Lehrerberuf zu testen. Worauf kommt es besonders an? 

Dass man Kinder mag. Überraschungen vertragen kann. Nicht zu lärmempfindlich ist. Und Humor. Eine Unterrichtsstunde, in der nicht mindestens einmal gelacht wird, ist eine schlechte Stunde. 

„Superlehrer, Superschule, supergeil: Der beste Beruf der Welt“ von Dirk Stötzer und Beate Stoffers, 352 Seiten, 12,99 Euro, ist gerade im Goldmann Verlag erschienen.


Nota. - Schön altmodisch, nicht wahr? Und man merkt ihm an, dass er in dem Teil der Stadt Lehrer war, an dem das Jahr '68 spurlos vorübergegangen ist. Namentlich das mit dem Führen würde ein Ex-Antiautoritärer noch heute nicht über die Lippen bringen. Es ist auch wirklich diskutabel - in dem Sinn, dass man einige einschränkende Bedingungen hinzusetzen muss. Entscheidend ist aber der Satz, dass es auf die Person des Pädagogen ankommt, das haben nicht nur Hr. Stötzer und Mr. Hattie, sondern das haben schon viele, die was von dem Beruf verstanden haben, vor ihnen gesagt.

Dem Bild der Führungskraft ziehe ich das Bild des Performing artist vor. Der erwartet nicht, dass die andern seinem Vorbild folgen. Er will Eindruck machen, das schon, weiß aber auch, dass er nur wenig Kontrolle darüber hat, welchen. Er muss es einfach drauf ankommen lassen. Und weiß dabei: Er steht ganz allein auf der Bühne, auf einen Sympathievorschuss seines Publikums kann er nicht rechnen, denn die sitzen alle nicht freiwillig da. - Da braucht man schon breite Schultern. 
JE

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