Freitag, 28. August 2015

Stillsitzen gefährdet ihre Gesundheit.

aus nzz.ch, 27.8.2015, 12:01 Uhr

Mangelnde Bewegung – ein Krankheitssyndrom
«Sitzen gefährdet Ihre Gesundheit!»
Bewegungsmangel ist ein eigenständiger Risikofaktor, der die Lebensspanne ebenso reduziert wie Bluthochdruck, Übergewicht oder Diabetes. Fachleute fordern eine breite Förderung körperlicher Aktivität.

von Sibylle Wehner-von Segesser 

Die genetische Ausstattung des Menschen wurde zu einer Zeit geprägt, als Agilität zu den zentralen Überlebensstrategien zählte: Stets waren unsere Vorfahren auf dem Sprung – sei es, um Beute zu jagen oder vor Gefahr zu fliehen. Mit der rasanten zivilisatorischen Entwicklung hin zu einfacherer Nahrungsbeschaffung, bequemen Fortbewegungs- und Arbeitsmitteln sowie globaler elektronischer Vernetzung vermochte unser genetisch-physiologisches Programm nicht Schritt zu halten. Die moderne Lebensweise steht quer zu unserem Erbe.

Mit den Busfahrern fing es an

In der Tat bestätigen wissenschaftliche Untersuchungen seit Jahrzehnten die negativen Folgen von Bewegungsmangel, die sich in Form erhöhter Erkrankungsraten und vorzeitigem Tod äussern. Am Anfang stand 1953 der Befund, dass Londoner Busfahrer doppelt so häufig an Herz-Kreislauf-Leiden starben wie die mobileren Billettkontrolleure. Seither gewannen die Zusammenhänge zwischen Bewegung, Erkrankungsrisiken und Lebensspanne zunehmend an Kontur.

Dabei erwies sich ein niedriger Fitnessgrad als Folge mangelnder Aktivität als eigenständiger Risikofaktor, der die Lebenserwartung ebenso stark einschränken kann wie Bluthochdruck, Rauchen, Übergewicht oder Diabetes.Wissenschafter der Harvard-Universität haben unlängst errechnet, dass Bewegungsarmut 6 bis 10 Prozent aller Fälle von nichtübertragbaren Krankheiten verursacht; etwa jeder elfte Todesfall geht auf ihr Konto.


Andererseits senkt körperliche Aktivität auch per se – also nicht allein durch ihren günstigen Einfluss auf die altbekannten Risikofaktoren – das Erkrankungs- und Sterberisiko. Zudem zeigen sich die vorteilhaften Effekte weitgehend unabhängig von Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand. Eine gesunde junge Frau profitiert demnach ebenso wie ein älterer Mann, der bereits einen Herzinfarkt erlitten hat oder unter Diabetes leidet. Auch Übergewicht oder Fettleibigkeit schmälert den Nutzen von Bewegung nicht: Dicke, die sich körperlich betätigen, sind gegenüber schlanken, aber bewegungsmässig passiven Couch-Potatoes sogar im Vorteil.

«Sitzen gefährdet Ihre Gesundheit!» – So könnte man es auf Plakate schreiben; denn nicht nur mangelnde physische Aktivität, sondern auch langes Sitzen birgt laut neueren Untersuchungen Risiken. Je mehr Stunden jemand täglich im Sitzen verbringt – sei es am Schreibtisch, vor dem Computer oder dem Fernseher –, desto höher steigt sein Sterberisiko, selbst wenn er oder sie sich zusätzlich körperlich betätigt. Da nach einer kürzlich durchgeführten Umfrage in Europa etwa jeder zweite Erwachsene täglich bis zu 5,5 Stunden und jeder zehnte sogar mehr als 8 Stunden sitzt, geben diese Befunde Anlass zur Sorge. Ab und zu vom Stuhl aufzustehen oder gar stehend zu arbeiten, dürfte sich jedenfalls lohnen.

Konkreter als der Einfluss von Bewegung auf die allgemeine Sterblichkeit erscheint der Blick auf spezifische Krankheiten. Hier standen lange Zeit Herz-Kreislauf-Leiden und andere klassische Zivilisationskrankheiten wie Diabetes im Vordergrund. Doch senkt regelmässige körperliche Aktivität auch das Risiko, an gewissen Krebsleiden zu erkranken. Übereinstimmend konnten grosse Erhebungen eine schützende Wirkung bei Dickdarmkrebs, bösartigen Tumoren der Gebärmutterschleimhaut und bei Brustkrebs nach der Menopause belegen. Einzelne Untersuchungen, wie auch eine kürzlich in der Zeitschrift «Jama Oncology» veröffentlichte Erhebung , legen zudem einen Zusammenhang zwischen Fitnessgrad und Lungenkrebsrisiko nahe. Uneinheitlich sind die Daten bis jetzt bei Prostatakrebs und weiteren Krebsarten.

Generell besteht eine inverse Beziehung zwischen der Gesamtsterblichkeit in Bezug auf Krebs und dem Fitnesslevel, wie aus einer im Juni in «Jama Internal Medicine» erschienenen Arbeit hervorgeht: Hannah Arem vom amerikanischen National Cancer Institute und ihre Kollegen haben anhand der Daten von mehr als 600 000 Personen berechnet, dass regelmässige physische Aktivität die Krebssterblichkeit um mehr als ein Fünftel senken kann.

Dosisabhängiger Nutzen

Angesichts solcher gesundheitlicher Vorteile körperlicher Aktivität stellt sich die Frage, welches Mass den optimalen Nutzen verspricht. Gemäss Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation empfehlen die offiziellen Stellen vieler Länder einschliesslich der Schweiz heute für Erwachsene ein wöchentliches Mindestpensum von 150 Minuten mässig anstrengender Betätigung wie zügiges Gehen oder 75 Minuten intensiverer Aktivität wie Joggen oder Velofahren. Der entsprechende Energieaufwand von etwa 1000 Kilokalorien pro Woche erfordert also nicht zwingend schweisstreibendes Ausdauertraining. Jugendliche sollen sich täglich mindestens eine Stunde bewegen, Kinder deutlich mehr als eine Stunde.

Den dosisabhängigen Nutzen von Bewegung belegt anschaulich die erwähnte Arbeit von Hannah Arem und ihren Kollegen. Das Ein- bis Zweifache des empfohlenen Minimalpensums senkt das Sterberisiko gegenüber völliger Inaktivität um 31 Prozent (vgl. Grafik). Eine weitere Erhöhung der Aktivität bringt einen vergleichsweise bescheidenen Zusatzgewinn, bis sich jenseits des Drei- bis Fünffachen der empfohlenen Minimaldosis keine weiteren Vorteile bezüglich der Lebensspanne erkennen lassen.

Der steile Verlauf der Dosis-Wirkungs-Kurve zwischen der Komfortzone der Couch-Potatoes und jener der körperlich Aktiven zeigt, dass sich bereits mit geringem Aufwand ein gesundheitlicher Nutzen erzielen lässt. Das illustriert auch eine Studie aus dem Jahr 2011, an der mehr als 400 000 Taiwaner teilnahmen . Sie ergab, dass mässig anstrengende körperliche Aktivität von durchschnittlich nur 92 Minuten pro Woche, also etwa einer Viertelstunde pro Tag, jeden sechsten Todesfall zu verhindern vermag und die Lebenserwartung um drei Jahre erhöht.

Körper und Geist trainieren

Ein für unsere alternde Gesellschaft zunehmend wichtiges Thema ist der Einfluss, den körperliche Aktivität auf die geistige Leistungsfähigkeit hat. Wie vielfach gezeigt worden ist, kann physisches Training Lernen, Gedächtnis und andere kognitive Fähigkeiten verbessern. Studien der letzten Jahre legen zudem nahe, dass es auch das Auftreten von geistigem Abbau und Demenz hinauszögert.

Noch stärkere Effekte lassen sich erreichen, wenn das Training neben dem Körper gleichzeitig auch das Gehirn beansprucht. So haben Patrick Eggenberger vom Institut für Bewegungswissenschaften und Sport der ETH Zürich und seine Kollegen in einer soeben erschienenen Arbeit gezeigt, dass Senioren nach sechsmonatigem kombiniertem körperlich-geistigem Training bessere kognitive Leistungen erbringen als nach körperlichem Training allein. Sie konnten zum Beispiel bestimmte Aufgaben schneller lösen. Ein videogesteuertes Tanzprogramm schnitt dabei sogar besser ab als ein Laufbandtraining, bei dem die Probanden gleichzeitig Wortabfolgen memorieren mussten. Die günstigen Effekte liessen sich auch noch Monate später nachweisen.

Doch wie lassen sich die Vorteile eines kombinierten geistig-körperlichen Trainings hirnphysiologisch erklären? Zum einen führt körperliche Aktivität im Hippocampus, der bei Lernprozessen und der räumlichen Orientierung eine Schlüsselrolle spielt, zur Bildung neuer Nervenzellen. Das wurde bei Nagetieren und indirekt auch beim Menschen nachgewiesen. Die meisten dieser Zellen sterben bei Nagern allerdings bald wieder ab, wenn die Tiere keine anspruchsvollen mentalen Herausforderungen zu meistern haben. Zum anderen fördert Bewegung in Teilen der Grosshirnrinde die Entstehung neuer Nervenverbindungen (Synapsen), die möglicherweise länger erhalten bleiben, wenn sie durch kognitive Prozesse beansprucht werden.

Wie auch immer die Vorteile eines kombinierten Trainings zu erklären sind, sollte man diese Methode laut Eling de Bruin, einem Mitautor der genannten ETH-Studie, bereits jetzt in Trainingsprogramme für ältere Menschen integrieren.

Obwohl heute unbestritten ist, dass Bewegungsarmut zu den wichtigsten beeinflussbaren gesundheitlichen Risikofaktoren zählt, bewegen sich breite Bevölkerungsschichten unzureichend. In der Schweiz mit ihrer im internationalen Vergleich recht guten Bewegungsbilanz ist gemäss einerErhebung von 2012 jeder vierte Erwachsene ungenügend aktiv oder sogar gänzlich inaktiv. Bei Jugendlichen liegt dieser Anteil noch höher. Die Schwierigkeit, eindeutige wissenschaftliche Erkenntnisse in eine allgemeine Verhaltensänderung umzumünzen, erinnert an die zähen Bemühungen um die Eindämmung des Rauchens. Nach den weitgehend vergeblichen Mahnungen durch Experten waren es schliesslich handfeste Rauchverbote in Restaurants, Betrieben und öffentlichen Räumen, die zu Fortschritten führten.

Politische Massnahmen

Auch im Falle der Bewegungsfaulheit scheinen politische Bemühungen angezeigt – etwa in Form von verkehrs- und städteplanerischen Massnahmen, die der Mobilität zu Fuss oder mit dem Fahrrad entgegenkommen. Dieses Ziel verfolgt zum Beispiel das laufende EU-Projekt Physical activity through sustainable transport approaches (Pasta), an der auch die Schweiz unter Federführung des Instituts für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich beteiligt ist. Dazu wird derzeit in sieben Städten – auch in Zürich – eine Befragung zum Mobilitätsverhalten der Bevölkerung durchgeführt. Laut Sonja Kahlmeier, Mitarbeiterin im Zürcher Team, sollen die Ergebnisse Entscheidungsgrundlagen für integrierte Mobilitätskonzepte liefern.

Doch auch Medizinalpersonen könnten bei der Bewegungsförderung eine Schlüsselrolle übernehmen. Ärzte ziehen es heute in aller Regel vor, bei ihren Patienten Blutdruck- und Cholesterinwerte zu messen sowie Medikamente zu verschreiben, statt auf den Fitnesslevel zu achten und mehr Bewegung zu verordnen. Daher fordern manche Experten sogar die Medikalisierung körperlicher Inaktivität. In diesem Sinne schlägt Michael Joyner von der Mayo-Klinik in Rochester, USA, vor, Bewegungsmangel beziehungsweise den daraus resultierenden physiologischen Zustand des Körpers als eigenständiges Krankheitsbild zu definieren. Der Bewegungsarmut als einer Hauptursache vieler Krankheiten und vorzeitiger Todesfälle könnte man auf diese Weise einen anerkannten Status verleihen.



Nota. - Die ebenso nächstliegende wie dringlichste politische Maßnahme ist die Reduzierung der täglichen Schulstunden. Das Propagieren der Ganztagsschule sollte unter Strafe gestellt werden! Denn dies ist eine Erfordernis der Volksgesundheit: Schrumpft die Schule!
JE



Mittwoch, 26. August 2015

Bildung aus der Fülle des Wirklichen.

aus nzz.ch, 18.8.2015, 05:30 Uhr

Ein Stück Welt im Schulzimmer
Der auf zu viele Wünsche ausgerichtete Bildungsauftrags der Volksschule ist einer gründlichen Prüfung zu unterziehen. Dabei gilt es, das Potenzial eines vielseitigen Realienunterrichts zu nutzen.

von Hanspeter Amstutz

Informationsmaterial in Hülle und Fülle steht heute allen zur Verfügung. Ein Klick im Internet – und schon erhält man neuestes Zahlenmaterial über eine Weltstadt oder prächtige Bilder über den grössten Luxusliner der Welt. Hunderte von Fernsehsendern stehen uns zur Auswahl, die über das aktuelle Geschehen informieren und unsere Erde so zu einem globalen Dorf machen. Die tägliche Informationsflut ist gewaltig, und viele fragen sich inzwischen, wieweit wir damit vernünftig umgehen können. Die Forderung, die Schule müsse die Kinder zu einem effizienten Umgang mit den neuen Medien anleiten, ist daher verständlich.

Solide Allgemeinbildung

Bei diesem grossen Angebot an Informationen scheint die Schule bezüglich der Wissensvermittlung längst ins Hintertreffen geraten zu sein. Dank dem Internet kennen sich Jugendliche heute in Bereichen aus, die früher zum verheissungsvollen Neuland des Schulstoffs zählten. Zweifellos hat die Volksschule das Monopol der Erstinformation verloren. Es wäre aber ein verhängnisvoller Irrtum, zu glauben, die Schule könne deshalb die elementare Allgemeinbildung reduzieren und ihr Bildungsprogramm primär auf anwendungsorientierte Bereiche konzentrieren. Kompetenzziele schon früh auf die Berufswelt hin auszurichten, würde einer armseligen Vorstellung von Bildung Vorschub leisten.

    Der Umgang mit dem Internet und andern elektronischen Medien setzt ein solides Allgemeinwissen voraus, damit die Orientierung in der Datenflut einigermassen gelingt. Ohne ein hilfreiches Weltbild, das auf exemplarischer Elementarbildung und den Kenntnissen wichtiger Zusammenhänge beruht, kann das Informationsangebot der modernen Medien kaum sinnvoll verwendet werden.

    Eine zentrale Bedeutung für die Orientierung in den elektronischen Medien kommt dem Realienunterricht zu. Der Unterricht in Geschichte, Geografie und Naturwissenschaften schafft wichtige Voraussetzungen für das Verstehen wesentlicher Zusammenhänge. Die Vermittlung von Basiswissen ist grundlegend für ein starkes Interesse der kommenden Generation an wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Entwicklungen.

    Wer in spannenden Geschichtsstunden mit den prägenden Themen des 19. und 20. Jahrhunderts konfrontiert wurde, kann die heutige Politik besser verstehen. Narrativer, sorgfältig vorbereiteter Geschichtsunterricht wird an unseren Schulen aber leider je länger, je mehr durch die an den pädagogischen Hochschulen entwickelte Methode des entdeckenden Lernens aufgrund von Quellentexten verdrängt. Die Quittung dafür sind gelangweilte Jugendliche in den Geschichtsstunden. In einem erzählerisch gestalteten Geschichtsunterricht dagegen erweitern die Schüler über aktives Zuhören zudem ihren Wortschatz, indem sie ganz in die deutsche Sprache eintauchen.

    Die Konfrontation mit dem realen Leben eröffnet neue Zugänge zu den Jugendlichen, sofern die didaktischen Möglichkeiten voll ausgeschöpft werden. Dies gilt auch für die oft stiefmütterlich behandelten Naturwissenschaften. Wie funktioniert ein Elektromotor? Um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, wickeln Schüler eigenhändig Magnetspulen und bauen Elektromotoren. Dabei werden Zusammenhänge erkannt, die beim schnellen Surfen im Internet kaum gefunden würden. Die Verbindung von erlebter Anschaulichkeit mit präziser theoretischer Vertiefung schafft Bildung, die mehr als nur die Oberfläche berührt.

    Es ist bedenklich, dass der Realienunterricht im Schatten der Diskussion um das frühe Sprachenlernen vielerorts an Qualität eingebüsst hat. Aus Zeitnot werden die beliebten Realienfächer in der Primarschule zum Teil benützt, um Englisch- und Französischwörter zu lernen. Ohne dieses unstatthafte Ausweichen gelingt es vielen Lehrpersonen kaum, in dem auf je zwei Wochenlektionen verteilten Fremdsprachenunterricht das ambitiöse Pflichtprogramm zu erfüllen. Dabei wird der Lerndruck durch die Vorstellung verstärkt, dass begabte Kinder vor allem in den Fremdsprachen frühzeitig gefördert werden müssten.

    Von den hervorragenden Möglichkeiten der Förderung von Talenten in den Realienfächern spricht kaum jemand. Bei interessanten Projektarbeiten aber kommen die Begabtesten voll auf ihre Rechnung, ohne dass sich dabei Schwächere benachteiligt fühlen. Der vielseitige Realienunterricht kann die Heterogenität der Klassen weit besser auffangen als ein streng programmierter Fremdsprachenunterricht. Es ist Aufgabe der Fachdidaktik in der Lehrerbildung, die Chancen eines modernen Realienunterrichts aufzuzeigen und die Studierenden auf die anspruchsvolle Praxis vorzubereiten. Mit dem neuen Lehrplan soll nun alles besser werden.

    Graben zwischen Theorie und Praxis

    Doch es reicht nicht aus, das Bildungsprogramm im Bereich von Natur und Technik zu erweitern, ohne aufzuzeigen, wo dies durch Abstriche in andern Fächern kompensiert werden könnte. Da insgesamt nicht mehr Lektionen zur Verfügung stehen, geht die Rechnung nur auf, wenn in viel kürzerer Zeit mehr Kompetenzziele erarbeitet werden. Der Preis dafür aber ist zu hoch. Wenn elementare Lernprozesse hastig ablaufen, leidet die Qualität des Unterrichts ganz empfindlich. Zwischen den Vertretern von Bildungstheorien und den Lehrpersonen besteht ein Graben, weil die Umsetzung allzu vieler Reformen an den praktischen Rahmenbedingungen und den belastenden Nebenwirkungen gescheitert ist. Erfolgreiche Bildungspolitik sollte deshalb dem Kriterium der Praxistauglichkeit von Neuerungen und der Relevanz prägender Bildungsinhalte aus dem Realienbereich grösste Aufmerksamkeit schenken. Auf jeden Fall werden wir nicht um die Herkulesaufgabe herumkommen, den auf zu viele Wünsche ausgerichteten Bildungsauftrag der Volksschule in einer offenen Bildungsdebatte einer gründlichen Prüfung zu unterziehen.

    Hanspeter Amstutz ist ehemaliger Zürcher Bildungs- und Kantonsrat und kämpft gegen die zweite Fremdsprache auf der Primarstufe.

    Nota. - Kompetenzen erwirbt man am Stoff und nicht durch Trockengymnastik an "Methoden". Bildung geschieht durch Anschauung und Betätigung der Einbildungskraft. Dass nicht alles hängen bliebt, versteht sich von selbst, doch darauf kommt es nicht an, zu Zeiten des Internet schon gar nicht. Sondern darauf, dass die Fülle der Erscheinungen einen jeden verlockt, sich ein Bild zu machen. Viel mehr kann Pädagogik gar nicht besorgen, um alles andere muss sich 'das Leben selber' kümmern.
    JE

    Samstag, 22. August 2015

    Verspieltes Wachstum.

    Assammakaken
    aus nzz.ch, 17.8.2015, 15:42 Uhr

    Spielende Affen wachsen langsamer
    Spielen fördert verschiedene Fähigkeiten, braucht aber auch Energie. Forscher haben herausgefunden, dass Affen dadurch langsamer wachsen.

    (sda) ⋅ Toben, Raufen und Klettern machen Spass – sind aber auch anstrengend. Deutsche Forschende konnten nun nachweisen, dass Affen, die viel spielen, langsamer wachsen. Dafür üben sie wichtige Fähigkeiten für das spätere Leben.

    Bewegungsspiele fördern die motorische Entwicklung, verbrauchen aber viel Energie, die nicht mehr fürs Wachstum zur Verfügung steht. Verhaltensbiologen vermuten daher, dass Tiere nur dann intensiv spielen, wenn sie überschüssige Energie zur Verfügung haben, wie das Deutsche Primatenzentrum (DPZ) am Montag in einer Mitteilung schrieb.

    Spielen contra Entwicklung

    Diese Annahme stellen die Forscher um Andreas Berghänel vom DPZ nun infrage. Sie haben ein Jahr lang das Verhalten und das Wachstum von jungen Assam-Makaken im thailändischen Urwald studiert.Demnach wachsen Affen, die viel Zeit mit Raufspielen und Fangen verbringen, langsamer als weniger verspielte Artgenossen, so berichten die Forschenden in der Fachzeitschrift «Science Advances».



    «Die ungehinderte Entwicklung scheint nicht wichtiger zu sein als das Spielen», zitiert die Mitteilung die Studienleiterin Julia Ostner vom DPZ und von der Universität Göttingen. «Die kleinen Affen verausgaben sich dabei so sehr, dass sie mit dem Wachsen nicht hinterherkommen.» Männliche Makakenjunge spielten mehr als weibliche.

    Preis und Nutzen

    Damit riskieren die verspielten Affen, dass sie später geschlechtsreif werden und weniger Nachwuchs bekommen. Dem steht jedoch ein nachweislicher Nutzen gegenüber: Jungtiere, die mehr Zeit mit wildem Spiel verbracht haben, meistern eine neue motorische Fähigkeit früher im Leben, wie die Forschenden betonen. Dies nütze vor allem dann, wenn man in Kämpfe verwickelt werde oder vor Feinden fliehen müsse.


    Nota. - In vergangenen Jahrhunderten mussten die meisten Kinder hart arbeiten, ab dem 19. Jahrhundert gar in Fabriken und Bergwerken - und blieben recht klein. Dann wurde die Kinderarbeit in Europa verboten, seither kennt man das Phänomen der Akzeleration. Denn statt die Kinder tun zu lassen, was ihnen von Natur aus frommt, nämlich spielen, hat man sie auf die Schulbank gezwängt und stillesitzen gelehrt.

    Die Akzeleration bringt der Gattung keinerlei Vorteil. Brachgelegter Spieltrieb bringt ihr nichts als Nachteile.
    JE

    Freitag, 21. August 2015

    Pubertierende Intelligenz.

    aus nzz.ch, 26.10.2011

    Strukturelle Veränderungen im Gehirn von pubertierenden Jugendlichen
    Wandelbarer Intelligenzquotient
    Bisher galt: Intellektuelle Fähigkeiten verändern sich bei Jugendlichen, doch die Intelligenz, sozusagen die geistige Basis, bleibt ein Leben lang gleich. Eine neue Studie stellt diesen alten Lehrsatz in Frage.

    von Stephanie Lahrtz

    «Mit unserer Intelligenz ist es vielleicht wie mit der körperlichen Fitness: Sie unterliegt Veränderungen, zumindest im Laufe der Pubertät», spekuliert Cathy Price, Professorin für Neuroimaging am University College in London. Denn sie und ihr Team haben soeben in einer Studie mit 33 Jugendlichen im Alter von 12 bis 20 Jahren festgestellt, dass zwei IQ-Tests innert vier Jahren unterschiedliche Resultate lieferten.¹ Dabei kam es sowohl zu grösseren Verbesserungen als auch zu Verschlechterungen bei entweder der sprachlichen oder der sogenannt nonverbalen Intelligenz. Im erstgenannten Bereich werden sprachliche und arithmetische Fähigkeiten, Vokabular und Verständnis erfasst. Der zweite testet, wie schnell und sicher man ein Puzzle legen oder fehlende Elemente in Bildern erkennen kann.

    Diese neuen Daten stellen die gängige Lehrmeinung in Frage. Denn es ist zwar unbestritten, dass sich körperliche wie auch intellektuelle Fähigkeiten nicht nur während der Pubertät zum Teil drastisch verändern. Aber Experten gingen bisher davon aus, dass die Intelligenz eines Menschen, sozusagen seine prinzipiellen geistigen Fähigkeiten, gleich bleiben.
    Diese Annahme ist auch die Grundlage von IQ-Tests, die in der Regel nur einmal im Leben durchgeführt werden. IQ-Tests trügen bereits der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen dahingehend Rechnung, dass jede Altersgruppe auf ihren Entwicklungsstand zugeschnittene Aufgaben bewältigen müsse, erläutert Ulrich Frischknecht, Leiter der Psychologischen Beratungsstelle für Studierende an der Universität Zürich, welche zur Abklärung bei Problemen unter anderem IQ-Tests anbietet. Für Experten ist es durchaus plausibel, dass Jugendliche sich um einige wenige Punkte im IQ-Test verändern können, weil sie zum Beispiel besser oder schlechter konzentriert sind.
    Doch für Sue Ramsden aus Prices Team sind dies nicht die Ursachen der veränderten Testergebnisse der in London untersuchten Jugendlichen. Denn man habe im Rahmen der zwei Testphasen jeweils durch Untersuchungen der Gehirne der Probanden mit bildgebenden Verfahren eindeutige strukturelle Veränderungen gefunden. Diese hätten immer mit den Unterschieden im IQ-Test korreliert.
    So habe bei denjenigen Personen, die im zweiten Test eine Verbesserung der sprachlichen Intelligenz aufgewiesen hätten, im linken Motorkortex die Dichte des Nervenzellgewebes zugenommen, sagt Ramsden. Dieses Areal wird beim Sprechen aktiviert. Jugendliche mit weniger IQ-Punkten im sprachlichen Testbereich hätten hingegen dort eine geringere Dichte als beim IQ-Test vier Jahre zuvor besessen. Denselben Zusammenhang habe es auch im Bereich der nonverbalen Intelligenz gegeben. In diesem Fall sei das vordere Kleinhirn betroffen gewesen, welches bei Bewegungen der Hand aktiviert werde.
    Offenbar gebe es doch eine viel grössere Variabilität der Intelligenz als angenommen, sagt Peter Klaver, Neuropsychologe an der Universität Zürich. Es sei damit jedoch nicht gezeigt, dass man die grundlegende Intelligenz gezielt trainieren könne. Die neue Studie liefere dafür keine Belege, betonen auch die Londoner Forscher. Derzeit ist auch völlig unklar, warum sich bei den Jugendlichen Veränderungen in den IQ-Tests ergeben hatten und ob es auch bei Erwachsenen noch solche Veränderungen geben könnte. Laut Price müsse man aber vorsichtig sein bei der Beurteilung junger Menschen und ihrer Erfolgsaussichten in Schule und Beruf aufgrund eines einmaligen IQ-Tests.
    ¹ Nature, Online-Publikation vom 19. Oktober 2011.

    Freitag, 14. August 2015

    Ganztagsschule macht dick.



    Unter der Überschrift Rumtoben statt rumsitzen berichtet die heutige FAZ über den Dritten Kinder- und Jugendsportbericht, der in Zusammenarbeit mit der Krupp-Stiftung entstanden ist. Darin heißt es: "Der Nachwuchs verbringt viel Zeit in Kitas und Ganztagsschulen. Wenn Erzieher, Schulen und Vereine nicht gegensteuern, sitzen Kinder zu lange still, warnt eine Studie. Das könnte gravierende Folgen haben. ...


    Schuld daran sei auch der Ausbau der Ganztagesbetreuung in Kitas und Schulen, glauben die Forscher. Die Folgen seien Koordinationsstörungen, Haltungsschäden oder Übergewicht, heißt es in dem Bericht.  ...

    Die gesellschaftliche Bedeutung von Sport nähme jedoch immer weiter ab, beklagen Sportmediziner wie Christine Graf von der Deutschen Sporthochschule in Köln. Sie warnt vor Bewegungsmangel und Übergewicht als Folge. 'Dicke haben schon im ersten Schuljahr schlechtere motorische Fähigkeiten als normal- oder untergewichtige Kinder.' Sie schlägt für Kinder daher 90 Minuten intensive Bewegung am Tag vor."