aus Tagesspiegel.de, 7. 7. 2018 Schulleiter Michael Rudolph
Berliner Schulinspektion
Trotz bestem Ruf fällt Schule durch
Die Bergius-Schule in Friedenau galt als Erfolgsmodell. Bis die Schulinspekteure kamen. Was ist schief gegangen?
von
Zwölf Jahre nach Einführung der Berliner Schulinspektion
gibt es den ersten Skandal: Erstmals ließen die Inspekteure eine ebenso
erfolgreiche wie beliebte Schule durchfallen: die Friedenauer
Friedrich-Bergius-Schule. Nun stehen die Inspekteure selbst am Pranger –
oder zumindest die von ihnen angewandten Kriterien. Wie konnte das
geschehen?
Die
Sache nahm kurz vor den Ferien ihren Lauf: Da präsentierte in der
Schule das Inspektionsteam seinen Bericht, der vor Negativbotschaften
wimmelte und mit dem entsprechenden Fazit endete: Der Sekundar- schule
wurde ein "erheblicher Entwicklungsbedarf" attestiert. Übersetzt heißt
das: Die Schule hat so große Defizite, dass sie zu den rund sieben
Prozent Problemschulen gehört, die Hilfe von außen bekommen müssen.
Sechs Schwächen werden der Schule attestiert
Der
Inspektionsbericht, der dem Tagesspiegel vorliegt, nennt im Fazit nur
zwei Stärken: eine "hohe Identi- fikation der Lehrkräfte und Eltern mit
den Zielen der Schule" sowie ein "von allen Beteiligten anerkanntes
Schulleitungshandeln". Dann aber kommt es knüppeldick: Sechs Schwächen –
"Entwicklungsbedarfe" – werden aufgelistet, darunter die
Vernachlässigung des Schulprogramms, der Unterrichtsentwicklung und der
Kompetenzorientierung. Zudem verstoße der Schulleiter gegen rechtliche
Vorgaben bei der Schulorga- nisation, etwa dadurch, dass Lehrer weniger
Stunden als vorgeschrieben regulär unterrichten, um als feste
Vertretungskräfte zur Verfügung zu stehen.
Verwunderung gab es bei
der Präsentation der Ergebnisse vor allem darüber, dass viele Stärken
beim Gesamturteil offenbar kaum ins Gewicht fielen. Ausgerechnet jene
Stärken, die Bildungssenatorin Sandra Scheeres
(SPD) als wichtigste Indikatoren für eine gelingende Schule nennt:
geringe Schwänzerrate, wenig Unterrichtsausfall, wenig Gewalt und eine hohe Nachfrage. Die Senatorin findet diese Daten derart wichtig, dass sie im Herbst 2017 sogar ein "Berliner Indikatorenmodell"
aus der Taufe hob: Es sieht vor, dass alle Schulen die genannten
Indikatoren im Auge behalten sollen, um erfolgreicher zu werden.
Den Inspektoren geht es um die richtigen Prozesse
Wie passt das zusammen? Eine Antwort kam am Freitag vom Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung in Hamburg.
Dessen Direktorin Martina Diedrich hält es für nachvollziehbar, dass
auch eine beliebte und erfolgreiche Schule eine schlechte Bewertung
bekommen kann. Denn die Inspektion sei "die einzige Institution, die vor
allem auf die Prozesse achten soll". Wenn diese Prozesse – etwa bei der
Schulprogrammentwicklung oder bei der Partizipation - nicht
funktionierten, könne aus einer erfolgreichen Schule auf lange Sicht ein
Problemfall werden – etwa beim Weggang eines starken Schulleiters, der
alle Fäden allein in der Hand hält. Ein schlechtes Zeugnis sei dann als
"Rauchmelder" zu verstehen.
"Die Kriterien der Schulinspektion an sich sind in Ordnung, aber es
kommt auf die Gewichtung an", lautet die Einschätzung von Jens
Großpietsch, einem der angesehensten Schulleiter Berlins. Seines
Erachtens leuchtet es nicht ein, wenn eine Schule erfolgreich und gut
nachgefragt ist und bei der Inspektion dennoch durchfällt – auch wenn
etwas mit den "Prozessen" nicht stimme. Ein derartiges Urteil der
Schulinspektion "behindert die Entwicklung mehr, als dass es sie
fördert", befürchtet Großpietsch.
Erst Schließungskandidat, längst stark nachgefragt
Um
die Empörung inner- und außerhalb der Schule zu verstehen, lohnt ein
Blick zurück: Schulleiter Michael Rudolph erinnert daran, dass die
Schule wegen mangelnder Nachfrage als Schließungskandidatin galt, als er
2005 als Leiter geholt wurde. In kürzester Zeit explodierten die
Anmeldezahlen: Es gibt in Berlin kaum Sekundarschulen ohne gymnasiale Oberstufe,
die dermaßen konstant übernachgefragt sind. Zudem schafft sie es, dass
50 Prozent der Zehntklässler einen guten Mittleren Schulabschluss
erreichen: Schulen mit vergleichbarer Schülerzusammensetzung
– zwei Drittel ohne deutsche Herkunftssprache, die Hälfte aus
Hartz-IV-Familien – erreichen im Schnitt nur eine Quote von 37 Prozent.
"Wenn
eine Schule unter schwierigsten Bedingungen überdurchschnittliche
Lernerfolge erzielt, hat sie es verdient, zum Weitermachen ermutigt zu
werden und braucht keine Nackenschläge durch ungerechtfertigte Negativbewertungen",
meint Martina Zander-Rade, schulpolitische Sprecherin der Grünen in
Tempelhof-Schöneberg. Der schulpolitische Sprecher der CDU-Fraktion,
Christian Zander, sprach von "verkehrter Welt".
Schulleiter Rudolph begrüßt die Schüler morgens persönlich
Schulleiter
Rudolph, der jetzt das Pensionsalter erreicht hat, sich wegen des
Berliner Lehrermangels aber bereit erklärt hat, im Dienst zu bleiben,
ist über die Bezirksgrenzen hinaus bekannt geworden, weil er konsequent
gegen Disziplinverstöße vorgeht: Wer zu spät kommt, muss erst im Hof
Müll sammeln, bevor er zur zweiten Stunde in den Unterricht darf. Jeden
Morgen begrüßt der passionierte Frühaufsteher ab 7.30 Uhr seine Schüler
im Foyer der tipptopp gepflegten Schule. Selbst alte GEW-Aktivisten, die
es gewöh- nungsbedürftig finden, dass hinter Rudolphs Schreibtisch drei
Fahnen stehen – die europäische und deutsche und die mit dem Berliner
Bären – schwärmen vom freundlichen Klima der Schule. Das mit der
Freundlichkeit und Pünktlichkeit und den guten Leistungen haben auch die
Schulinspekteure gemerkt. Es hat ihr Urteil aber nicht geändert.
Schulinspektionen mit "breiter Akzeptanz"
Angesprochen
auf die Kritik am Votum der Schulinspektion wies die Bildungsverwaltung
darauf hin, dass die Schule die Hinweise der letzten Inspektion vor
fünf Jahren nicht umgesetzt habe. Zudem könnten die ansonsten guten
Schülerleistungen bei der Gesamtbewertung nicht so stark ins Gewicht
fallen, weil fast sieben Prozent der Schüler ohne Abschluss blieben.
Allerdings liegt das weit unter dem Schnitt vergleich- barer Schulen. Zur
generellen Kritik am Vorgehen der Schulinspektion hieß es, dass die im Jahr 2005 installierte Schulinspektion
"eine breite Akzeptanz" habe. Das zeigten auch die Feedbacks der
Schulen. Allerdings enthielten diese Rückmeldungen "auch Hinweise oder
auch kritische Anmerkungen, für die wir dankbar sind und stets zum
Anlass nehmen Dinge zu hinterfragen und gebenenfalls anzupassen".
Nota. - Es juckt in den Fingern, daraus ein Schmähgedicht zu machen. Aber das wäre unangemessen. Hier liegt nämlich der Finger auf der elementaren Problematik allen Schulunterrichts. Erziehung ist, wenn das Wort überhaupt einen Sinn haben soll, Begegnung zwischen Personen. Das ist sie nicht unter anderm auch, sondern das ist sie spezifisch. Aber die Schule ist eine Institution mit hoheitlichem Auftrag. Das ist nicht nur nicht dasselbe, sondern es ist in tausenderlei Hinsicht direkt entgegengesetzt.
Nachdem ein rundes halbes Jahundert lang an Strukturen, Methoden und Theorien gefummelt wurde, ohne dass die Klagen weniger wurden, macht sich nach und nach die wehmütige Einsicht breit: Es ist, wie wir's immer gewusst haben - auf die Lehrer kommt's an, nicht auf die Verwaltung. Im Einzugsgebiet der Bergius-Schule wird man in den vergangenen Jahre aufgeatmet haben: Da haben wir aber Schwein gehabt. Was ein charismatischer Pädagogen nicht alles ausrichtet!
Da kommt die Schulinspektion und sagt: Setzen, ungenügend! Und gibt zu bedenken: Und nächstes Jahr? Der Mann ist im Pensionsalter! Wenn alles auf ihn zugeschnitten ist - wer soll ihn ersetzen?
Recht haben sie. Aber nur, weil es selbstverständlich ist, dass unter Pädagogen der Charismatiker, der sein Handwerk als Kunst und Berufung versteht, die ganz, ganz seltene Ausnahme ist. Die Schulinspektion hat den geruchs- und geschmacklosen Routinealltag im Auge, in dem achtzig bis neunzig Prozent der Schüler dümpeln: Das ist der Normalfall, Ausnahmen bestätigen bloß die Regel.
Im Detail mag an der Bergius-Schule die eine Seite mehr Recht haben als die andere, das müssen sie... im Detail ausmachen, da kann sich ein Außenstehender höchstens den Mund verbrennen. Aber mal abgesehen vom konkreten Anlass - der wahre Grund, der solche konkreten Anlässe immer und immer wieder hervor- bringen wird, ist, dass mit der Schule etwas, das seinem Wesen nach nur Notbehelf sein kann, so behandelt wird, als könne man ein Ideal daraus machen. Das macht die Lösung konkreter Probleme nicht einfacher, sondern schwieriger.
JE