Ein Vorschlag zur Umordnung der Jugendhilfe
Für eine öffentlich-rechtliche Kammer der Sozialarbeit
Dass das neue Kinder- und Jugendhilfegesetz im letzten Frühjahr (1990) so sang- und klanglos über die Bühne gehen konnte, war kein Ruhmesblatt für die ehedem so rührige Zunft der Sozialpädagogen. Ja, allerlei Flickwerk im Detail – aber eine tragende Idee, eine gesellschaftliche Perspektive, die hätte mobilisieren können? Fehlanzei- ge.
Das
Ergebnis ist danach. Richtig dagegen sein kann man nicht: Es sind ja
wirklich ein paar Fortschritte da und dort. Aber so recht zufrieden ist
auch keiner. Das macht: Es wimmelt von Kann- und Sollbestimmungen, in
denen die Grundfragen, wie etwa das Verhältnis von Kindes- und
Elternrechten, absichtsvoll untergehen.
Zum
Glück geben uns die Kann- und Sollvorschriften eine – unverdiente –
zweite Chance. Sie machen nämlich die Novellierung der landesrechtlichen
Ausführungsgesetze zum bisherigen Jugendwohlfahrtsgesetz unabding- bar:
Die Lücken müssen geschlossen werden. Vielleicht könnte ja gerade die
Jugend- und Sozialpolitik gewinnen im Prozess der deutschen Vereinigung –
und seiner Neubelebung des föderalen Prinzips?!
Die
Voraussetzungen sind ja da. Ein Hauch von ’68 hängt nämlich in der
Luft. Die Profession ist, endlich, der technizistischen Kleinkrämerei
überdrüssig. Eine neue Idee müsste her. Aber wer traut sich?
Dabei liegen alle sachlichen Elemente längst auf dem Tisch des Hauses. Es gilt nur noch, sie zusammen zu fassen unter eine ordnende Perspektive. Aber dazu müsste man einen geeigneten Blickpunkt finden; Überblick finden über das Chaos der tausendfältig spezialisierten Dienste. Gibt es im Reich der Jugendhilfe ein Institut, an dem man exemplarisch die Grundfrage der öffentlichen Sozialarbeit zur Darstellung bringen kann?
Das
gibt es: Es ist das Kinderheim – weil nämlich „das Heim“, oder vielmehr
der Weg, wie man dort reinkommt, als Paradigma der gesamten Jugendhilfe
gelten kann. Denn während ursprünglich „das Heim“ Kern- und Herz- stück
der Sozialpädagogik war, so ist es heute deren partie honteuse (dt. Schamteil); und beides ist gleichermaßen charakteristisch.
„Heimunterbringungsverfahren“
Dass
„das Heim“ heute mehr den je als Notmaßnahme, als rettende
„Intervention“ in einem ansonsten hoff- nungslosen „Fall“ erscheint, hat,
neben manchen andern, einen wesentlichen Grund im administrativen
Verfah- ren, das zur „Einweisung“ führt. Denn in der Arbeit der
Sozialarbeiterinnen bei der Familienfürsorge ist die Heimunterbringung
tatsächlich eine äußerste Maßregel: weil sie durch sie nämlich „den Fall
abgeben“.
Ist
der „Vorgang“ erst einmal in Bewegung gesetzt, hat die Sozialarbeiterin
keinen aktiven Einfluss mehr auf seinen Verlauf – ihre professionelle
Verantwortung ist ausgesetzt; sie muss den Eindruck gewinnen, dass sie
alles getan hat, was in ihren Kräften stand – und dass das eben nicht
genug war! Wenn ein Kind „ins Heim muss“, dann hat allem Anschein nach
nicht bloße der Klient – das Kind und seine Familie – „versagt“, sondern
eben auch… die individuelle Sozialarbeiterin. Kein Wunder, dass sie
„das Heim“ als Vorzimmer zur Hölle ansieht, wo es doch ein sicheres Mal
ihres Scheitern ist! Das übrigens doppelt und dreifach, wenn die
Heimeinweisung ein Befreiungsschlag ist, mit dem sie sich eine besonders
ätzende Familie vom Halse schafft: denn jetzt kommt zum Gefühl des
Versagens auch noch das Schuldgefühl hinzu.
Das ist die erste Schwelle. Die Anlage der Akte ist die zweite: Eine
zusätzliche Barriere ist die „psychosoziale Diagnose“. Denn wenn „das
Heim“ als eine „äußerste Notmaßregel“ angesehen wird, dann muss der
„Fall“ eben auch als ein „besonders schwerer“ dargestellt werden: einer,
der „das Äußerste“ rechtfertigt. Es entsteht eine „Akte“, in der – so
oder so – das Kind (und seine Familie) belastet wird – und damit sein ganzer künftiger Lebensweg.
Die Sozialarbeiterin wird in der Regel das Entstehen so eines
„Vorgangs“ zu vermeiden suchen. Sie wird also sogar vermeiden, die
Möglichkeit eines Heimaufenthalts von Amts wegen überhaupt zur Sprache
zu bringen. Der Standesdünkel der Schmalspurpsychiater beim
Jugendgesundheitsdienst, die sich ihre ärztliche Machtvoll- kommenheit nur
ungern von der Sozialarbeit einschränken lassen, tut ein Übriges.
Veröffentlichung der Lebensgeschichte – Enteignung des Privaten
Durch
das gegenwärtig geltende, bürokratisch formalisierte
„Heimunterbringungsverfahren“ wird etwas, das eigentlich nur ein
Ereignis in der höchst privaten Lebensgeschichte des Einzelnen ist –
dass er nämlich einstweilen dort wohnt und nicht hier -, aus der Sphäre
des Individuellen und Zufälligen herausgehoben und auf einem
staatlichen, einem öffentlichen Niveau fixiert: Es wird zu einem Faktum
von höherer Geltung.
Dabei werden die Einzelnen – nicht nur das Kind, sondern mittelbar seine ganze Familie – von einem Teil ihrer künftigen Lebensführung enteignet: Denn während es leicht ist, in die „Vorgänge“ der Behörde hinein zu rutschen, ist es schwer, wieder raus zu kommen. So sehr sich die Sozialarbeiterinnen sträuben mögen, eine Heimeinweisung in Gang zu setzen, so sehr widerstrebt es ihnen nämlich auch, sie gegebenenfalls wieder… rückgängig zu machen! Kein Wunder: kämen doch andernfalls Zweifel auf, ob der „Fall“ seinerzeit wirklich so schlimm gewesen war, wie er zwecks Einweisung hatte dargestellt werden müssen…
Dabei werden die Einzelnen – nicht nur das Kind, sondern mittelbar seine ganze Familie – von einem Teil ihrer künftigen Lebensführung enteignet: Denn während es leicht ist, in die „Vorgänge“ der Behörde hinein zu rutschen, ist es schwer, wieder raus zu kommen. So sehr sich die Sozialarbeiterinnen sträuben mögen, eine Heimeinweisung in Gang zu setzen, so sehr widerstrebt es ihnen nämlich auch, sie gegebenenfalls wieder… rückgängig zu machen! Kein Wunder: kämen doch andernfalls Zweifel auf, ob der „Fall“ seinerzeit wirklich so schlimm gewesen war, wie er zwecks Einweisung hatte dargestellt werden müssen…
Und
so wird das, was eigentlich ein durchaus umkehrbarer Schlenker auf dem
Lebensweg hätte bleiben können, nun tatsächlich zu einer ganzen
Lebens-Epoche aufgeplustert, die nicht ohne Erlaubnis der Behörde
abgeschlos- sen werden kann.
Nirgends
wird die Crux der „hochschwelligen Angebote“ so deutlich wie hier: Ist
die Eingangsschwelle hoch, so ist es in der Regel auch – die
Ausgangsschwelle. Es reißt eine Dramatisierung in die
sozialarbeiterliche Interven- tion ein, die sachlich gar nicht erwünscht
sein kann – und die nur den „Sachzwängen“ eines bürokratischen Systems
geschuldet sind.
Die Behörde als helfender Berater, oder der Bock als Gärtner
Die Behörde als helfender Berater, oder der Bock als Gärtner
Wir sind beim Kernproblem öffentlicher Sozialarbeit angelangt. Kann
einer, der mit den Prärogativen des öf- fentlichen Hoheitsträ- gers
ausgestattet ist, auf die Dauer ernsthaft damit rechnen, zu seinem
Klienten ein Verhältnis „helfender Beratung“ aufbauen zu können?
Vorab dies: Der Einwand, der an dieser Stelle unweigerlich fällt – dass nämlich fachliche Qualität dauerhaft eben nur durch öffentliche Kontrolle zu gewährleisten sei –, ist vollkommen richtig. Aber es ist eine – interessierte? – optische Täuschung, dass öffentliche Kontrolle eo ipso nur durch hoheitliches Verwaltungshandeln ausgeübt werden kann.
Und
tatsächlich kontrolliert die Behörde die Arbeit der Sozialarbeiter
nicht, indem sie deren Arbeitsergebnisse (ex post) bewertet – denn nach
welchen Erfolgskriterien wohl auch? -; sondern sie legt die Latte höher
durch eine Art präventiver Schikane „ex ante“, in der vagen Hoffnung,
durch kleinkarierte Pedanterie en gros „Miss- brauch“ en détail irgendwie
abschrecken zu können. Folgerichtig wittert die Verwaltung bei allem
„Niederschwelli- gen“ sogleich den Anfang von Chaos und Anarchie – von der
Verschwendung von Steuergeldern gar nicht zu reden.
Und
so liegt denn die „Schwelle“ vor den Heimen – rein und raus – so hoch,
dass von einem… „Angebot“ ehrlicherweise gar nicht mehr die Rede sein
kann: Wenn ein Kind „ins Heim muss“, wird es von allen Beteiligten –
Kind, Familie, Familienfürsorge – als ein Schicksalsschlag erlebt; wie
eine Falle, die zuschnappt: als Endstation.
Punktueller Eingriff oder systemische Wechselwirkung
Der
Hintergrund ist die unterschwellig fortdauernde Vorstellung von der
Sozialarbeit als einer Art fürsorglichen Gnadenakts eines
vormundschaftlichen Staats im individuellen Notfall: der Begriff der Intervention
ist nur eine verschämte Latinisierung der alten
Horch-und-Guck-Mentalität. So als ob einer, der es besser weiß – und
besser kann -, sich in väterlicher Sorge seinem dummen und
widerborstigen Kind „zuwendet“ – um es möglichst zu „behandeln“. Arzt,
Pfaffe, Polizist: das sind die idealtypischen Charaktermasken von Opas,
d. h. Omas Sozial- arbeit gewesen.
Tatsächlich
ist unterdessen das System der Sozialen Arbeit zu einer allgemeinen
Bedingung des Heranwachsens geworden: so wie Schule, Kindergarten,
Bafög, Elternfreibeträge… In unserer Gesellschaft ist
Jugend-Sozial- arbeit eine reguläre öffentliche Dienstleistung.
Der
Grund liegt auf der Hand: Die öffentliche Sozialarbeit hat im
wachsenden Maße jene Funktionen der sozialen „Sicherung“ wahrzunehmen,
die einst die Familien ausübten und die mittlerweile vorherrschenden
Torso-Familien nicht mehr ausüben können. Dieser Funktionsverlust der
(klein)bürgerlichen Kleinfamilie ist nicht etwa eine bloße Summe von
soundso viel je individuellem „Versagen“, sondern ein säkularer
zivilisa- torischer Prozess, den man vielleicht beklagen, aber nicht
ignorieren kann.
Abstrakt
gesprochen, handelt es sich um zwei Seiten desselben historischen
Ereignisses: der zunehmenden Vergesellschaftung aller Lebensprozesse.
Erstens folgt der (technischen) Vergesellschaftung der materiellen
Produktion durch die große Industrie jetzt die Vergesellschaftung der
Produktion und Reproduktion des lebendigen Arbeitsvermögens selbst; und
durch die Mobilisierung des bürgerlichen Reichtums im Aktienkapital wird
die Familie zweitens auch im Bürgertum obsolet: nämlich als
Erbengemeinschaft. Sie ist nun nicht mehr der unverzichtbare Rahmen, in
dem der Reichtum akkumuliert wird. Als société anonyme trägt das Kapital keinen Namen mehr.
Und darum ist die sogenannte „Jugendhilfe“ auch kein Stück Wohlfahrtspflege, sondern ein Teil der Gesell- schaftspolitik.
Aber
Verwaltung und Sozialarbeit haben notwendig eine je verschiedene Optik;
wohlbemerkt nicht eine richtige und eine falsche, sondern, von wegen
der unterschiedlichen Aufträge eben eine… verschiedene.
Hoheitliches (Verwaltungs-) Handeln ist notwendig linear. Die eine Seite, das hoheitliche Subjekt, handelt – und „wirkt“ auf die andre Seite, die zivile Gesellschaft, ein, als auf ein ihr gegenüber passives „Material“. Die Aktion ist einseitig.
Und
im demokratischen Rechtsstaat muss das auch so sein, dort nämlich, wo
(idealiter) „der Staat“ – als „das Allgemeine“ – die Vielen gegen die
Einzelnen repräsentiert. Ließe der Hoheitsträger die Rückmeldungen, die
sein Handeln aus der zivilen Gesellschaft jeweils erfährt, einfach auf
sich „wirken“, dann müsste er immer und immer wieder sagen: „Ach, jetzt
hab ich’s mir anders überlegt“, und dann wäre die Rechtssicherheit, und
mit ihr die Einklagbarkeit allen hoheitlichen Handelns, zum Teufel.
Soziale
Arbeit hingegen ist wesentlich Wechselwirkung, Interaktion vieler
Kommunikanden: Sie ist vor allem Kommunikations-Zusammenhang. Sie findet
nicht linear statt, sondern systemisch, als Wirken in einem Feld von
vielen Wirkenden. Der Sozialarbeiter zielt mit seinem Handeln auf die
Rückkoppelung mit seinen Klienten geradezu ab, um sein eigenes Handeln
wiederum darauf einzustellen, und so fort; das ist sogar der ganze Zweck
und Inhalt seiner Arbeit. Er zielt nicht, wie die „Maßnahmen“ des
einzelnen Beamten, auf dieses oder jenes Resultat; sondern diesen
Prozess selbst in Gang setzen, in Gang halten und auf seine „Richtung“
Einfluss nehmen – das ist seine Arbeit.
Und
weil er in einem Feld arbeitet, wo außer ihm noch eine Menge andrer
Kräfte wirken, kann er sich auch nicht einbilden, die „Richtung“ allein
festzulegen: Seine Arbeit ist nie ‚ganz oder gar nicht‘, sondern immer
nur ‚mehr oder weniger‘. Darum ist sein Erfolg naturgemäß auch nicht
messbar: jedenfalls nicht am „einzelnen Fall“, und nie zum gegebenen
Zeitpunkt. Sein Erfolg ist immer ein Mehr oder Weniger im Querschnitt
und im Längsschnitt.
Und
darum ist Sozialarbeit auch gar nicht zu bewerten nach der Leistung
dieses oder jenes (einzelnen) Sozial- arbeiters hier und jetzt, sondern an
der Leistungskraft des Systems der Sozialarbeit im Großen und Ganzen.
Eine öffentliche Dienstleistung in einem System gesellschaftlicher Selbstregulierung
Eine öffentliche Dienstleistung in einem System gesellschaftlicher Selbstregulierung
Sozialarbeit und Verwaltung folgen zwei grundsätzlich verschiedenen und grundsätzlich unvereinbaren Logiken. Werden sie vermengt, kann weder die eine noch die andere ihre Aufgaben wirksam wahrnehmen. Im Ergebnis: Die verwaltungsmäßige Sozialarbeit ist ziemlich ineffektiv, und zugleich vergeudet sie eine Menge Steuergelder…
Die
Aufgabe liegt auf der Hand: Sozialarbeit und Verwaltung entmischen.
Also z.B. die Familienfürsorge nicht bloß aus den Rathäusern, sondern
aus dem öffentlichen Dienst überhaupt herausholen. Bleibt nur die Frage:
wie dann die professionelle Qualität der Sozialarbeit garantieren?
Sobald
sie einmal der staatlichen Aufsicht entronnen sind – wird sich das
machtbewusste und besitzfrohe Völkchen der Sozialarbeiter nicht über die
gesamte Oberfläche der Gesellschaft ergießen, in alle ihre Poren
eindringen und das Land als eine allgemeine psychosoziale
Gesundheitspolizei einer zudringliche Standesherrschaft unterwerfen?
Sicher
ist: Öffentliche Kontrolle ist unverzichtbar, und wirksamer als heute
kann sie auch ruhig sein. Aber öffentlich heißt eben nicht gleich
staatlich.
Der
erste Teil der Aufgabe: die „klinische“ Sozialarbeit, also alles, was
„helfende Beratung“ ist, von den – wenigen – wirklich hoheitlichen
Funktionen der Familienfürsorge trennen und aus den Ämtern heraus
verlagern in die Wohnviertel hinein, etwa in Form von Zweier- oder
Vierergruppen von Streetworkern. Zu diesem Zweck könnten zum Beispiel
die Gebietsvertretungskörperschaften privatrechtliche Vereine gründen,
die die bisherigen „klinischen“ Aufgaben der Familienfürsorge
fortführen, aber ansonsten ein Freier Träger unter anderen wären.
Aber
sicher, das gibt Probleme mit dem Dienstrecht. Doch unlösbar sind sie
nicht. Schließlich gibt es Beispiele im In- und Ausland. Und es geht
selbstverständlich nur auf der Basis von Freiwilligkeit: na, umso
besser.
Der
zweite Teil der Aufgabe ist – zumindest im Prinzip – viel schwieriger.
Die öffentliche Kontrolle soll fachlich qualifiziert sein und nicht
bürokratisch formalisiert. Wer aber ist fachlich qualifiziert zur
Kontrolle, wenn nicht… die Fachwelt selbst? Dazu muss sie freilich ihre
feudale Fragmentierung überwinden – und sich selbst zur Öffentlichkeit
bilden. Es kann sich also nur um eine berufsständische Selbstkontrolle
handeln. Und die kann nur effektiv sein, wenn sie obligatorisch ist: Das
verlangt Zwangsmitgliedschaft aller, die öffentliche Zuwendungen in
Anspruch nehmen wollen, in einer repräsentativen Standesvertretung. Also
eine öffentlich-rechtliche Kammer.
Ärzte,
Anwälte, selbst Industrie und Handel haben solche Kammern. Allerdings –
und das ist ein wesentlicher Unterschied – kassieren sie bei ihren
Kunden, direkt oder (per Krankenschein) indirekt. Qualitätsmerkmal ist
die Zufriedenheit der Nachfrager, sie reguliert früher oder später das
Angebot. Aber die Sozialarbeit lebt naturgemäß – sonst hieße sie nicht
„sozial“ – von der Staatsknete. Sicher darf die Standesvertretung nicht
selber die Vergabe öffentlicher Mittel präjudizieren können – sonst
wären, beim bekannten Appetit der „Betroffenen“, die Kassen bald leer.
Aber
es bedarf einer gegenseitigen institutionellen Repräsentation von
staatlicher Hoheit und fachlicher Kompetenz. Und tatsächlich gibt es ein
solches gegenseitiges Vertretungsorgan, in dem die Soziale Arbeit als
Berufsstand öffentlich-rechtlich anerkannt ist: nämlich die bisherigen
Jugendwohlfahrtsausschüsse, in denen den Freien Trägern eine bestimmte
Quote gesetzlich garantiert ist.
Nun
wäre ein weiterer Schritt fällig. Während nämlich bislang die Vertreter
der freien Sozialarbeit (einvernehm- lich) von der staatlichen Seite –
den Vertretungskörperschaften – ausgewählt werden, müsste die
Standesorga- nisation der Sozialarbeiter – nennen wir sie mal
Jugendhilfetag – dann ihr Vertreter selber wählen können. Dazu müsste
sie aber erstmal in sich selber repräsentativ verfasst sein – und das
heißt paritätisch (was die Fünferbande der großen Wohlfahrtskonzerne
nicht gerne hören wird). Über die genaue Definition der rechtlichen und
fiskalischen Kompetenzen dieses neuen Kinder- und Jugendhilfeausschusses
lassen sich später noch genug Haare spalten.
An dieser Stelle ist nur eins festzuhalten: Die Berufsvertretung der
der Sozialarbeiter hat nicht selber in die Kasse zu greifen, sondern sie
hat vielmehr der Politik die fachlichen Parameter zu liefern, nach
denen jene „verteilt“. Der Unterschied zu heute wäre beträchtlich: Die
Parameter sind dann sachlich qualifiziert, weil und insofern sie aus
einer repräsentativen Quelle stammen.
Ein tiefer Schnitt
Soll
das System der Jugend-Sozialarbeit nicht an Herzverfettung kollabieren,
dann muss die Spirale von Spezialisierung und Bürokratisierung jetzt
zerbrochen werden. In die soziale Arbeit müssen Unternehmungsgeist und
Eigenverantwortung einkehren. Quacksalberei am Detail hilft nichts. Es
muss ein tiefer Schnitt getan, es muss das Ruder herumgeworfen, es muss –
neu angefangen werden.
Es ist absurd, dass ein Kind und seine Familie einem „helfenden Berater“ Zutritt zu ihrem Privatleben gewähren sollen, der zuvor der Hoheit und ihrem Fiskus seine besondere Treue gelobt hat. Und es ist absurd, dass ein Beruf, der wie kein anderer vom persönlichen Einsatz lebt, ausgerechnet in einem Apparat ausgeübt wird, dessen Raison d’être dies ist, dass er individuelle Entscheidungen zu unpersönlichen „Vorgängen“ versachlicht und objektiviert.
Über
die Einzelheiten zu streiten wird noch reichlich Gelegenheit sein. Das
Kammer-Modell hat sicher auch seine Tücken; und ob die
Jugendwohlfahrtsausschüsse überhaupt wiederbelebungsfähig sind, mag
bezweifelt werden. Aber an der Richtung kann es keinen Zweifel mehr
geben. Der hier vorgetragene Plan hat den unbequemen Vorzug, gänzlich
machbar zu sein – und sogar schon auf der bloßen Länderebene.
Wer
diesen Weg nicht gehen will, muss sagen, welchen sonst – oder sich aus
der Sache raushalten. Denn bloßes Drumrumreden geht nun jedenfalls nicht
mehr.
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Unter dem redaktionellen Titel “Befreit die Sozialarbeit – ein Vorschlag zur Umordnung der Jugendhilfe” in Sozial Extra 2/91
Unter dem redaktionellen Titel “Befreit die Sozialarbeit – ein Vorschlag zur Umordnung der Jugendhilfe” in Sozial Extra 2/91
Nota. - Der Text ist ein gutes Vierteljahrhundert alt, man glaubt es kaum. Das Kinder- und Jugendhilfe-Gesetz war eigentlich schon am Tag, als es in Kraft trat, angestaubt: Es war zwanzig Jahre lang daran gefummelt worden, und das hat es nicht besser, sondern schlechter gemacht. Die Ausführungsgesetze der Bundesländer wären eine zweite Chance gewesen, aber ich habe nicht wirklich zu hoffen gesagt, dass sie genutzt würde. In der Berliner Senatsjugendverwaltung ist zwar einen Moment lang über eine Verkammerung der Jugendhilfe getuschelt worden, aber es stand vorab schon fest, dass sie nicht in Frage kam: Was wäre denn da aus den Jugendverwaltungen geworden?
Daei war schon damals allen Professionellen klar: Jugendhilfe muss präventiv sein, bevor sie irgend etwas anderes sein kann. Prävention muss systemisch und generell geschehen, bevor gezielte und individuelle 'Maßnahmen' fachlich sinnvoll überhaupt erst erwogen werden können.
Die Finanzierung der Jugendhilfe darf daher auf die Dauer nicht vom Anspruch abhängen, der entsteht, sobald das Kind in den Brunnen gefallen und ein Fall gewworden ist. Mit andern Worten, Tagessätze sind eine Falle, die zu einer Vervielfachung und zur... Verhärtung der Fälle führt. Wobei die fiskalischen Unkosten in astronomische Höhe steigen, die freilich von den menschlichen Unkosten weit überboten werden.
Es kam die Idee auf, die Töpfe für Einzelmaßnahmen und für Jugendarbeit in sogenannten Sozialraumbudgets zusammenzufassen und die je spezifische Verteilung dem einzelnen Träger anzuvertrauen. Die Idee hatte freilich einen teuflischen Pferdefuß: Da die Töpfe nicht unerschöpflich sind, muss man die Zahl der in Frage kommen- den Träger eng begrenzen. Wer muss begrenzen? Das Jugendamt! Nach diesem Plan sollten die Jugendämter befugt werden, sich die Träger, die zu ihnen passen, herauszupicken und... alle anderen am langen Ast vertrocknen zu lassen.
Eine rein verwaltende Behörde wäre zum geldgebenden Vorgesetzten der klinischen Sozialarbeit geworden.
Dass das eine fachliche Katastrophe wäre, hätte in diesen unseren Tagen wohl kaum Anstoß erregt. Gar manches Jugendamt war nur allzu bereit, auf dieses "Angebot" aufzuspringen. Aber es gibt Richter in diesem Land. Dass das Ding nicht mit den Grundsätzen unserer Verfassung vereinbar ist, sprang ihnen ins Auge, und so sind wir nochmal davon gekommen.