Samstag, 1. Februar 2014

'Bildungsstandards' und 'Kompetenzen'.

 
aus derStandard.at, 1. 2. 2014

Bildungsstandards: "Das zerstört den Unterricht"
"Teaching to the Test" - Expertenkritik an zunehmender Standardisierung
 
von Lisa Aigner

Sie sind eine der wichtigsten Reformen im österreichischen Schulsystem der letzten Jahrzehnte. Die Bildungsstandards und die neue Zentralmatura sollen die Leistungen von Schülerinnen und Schülern in ganz Österreich vergleichbar machen. Die Leistungen der Schüler in der vierten Klasse Volksschule und in der achten Schulstufe an der Neuen Mittelschule oder am Gymnasium sollen vereinheitlicht werden. Dasselbe gilt für jene Jahrgänge, die zur Zentralmatura antreten. Experten sehen die Standardisierung kritisch. "Das zerstört den Unterricht", sagt etwa der Schweizer Lehrplanforscher Rudolf Künzli im Gespräch mit derStandard.at.

Die neuen Ergebnisse der Standardüberprüfungen, die am Freitag veröffentlicht wurden, zeigen, dass die Volksschüler sich vor allem bei den Mathematik-Tests schwertun: Elf Prozent erreichen die Bildungsstandards nicht. Auch die Schultypen können verglichen werden: Laut den Testergebnissen in Englisch in der achten Schulstufe erbringen die Schülerinnen und Schüler der Neuen Mittelschule dieselben Leistungen wie jene der Hauptschulen. Das Gymnasium schneidet besser ab.
Werkzeug zur Problemlösung

Der Schlüssel zu Bildungsstandards und Zentralmatura sind die sogenannten Kompetenzen. Bei den Bildungsstandards wird etwa in Mathematik geprüft, ob die Schüler Modelle bilden können. Dazu müssen sie unter anderem Zeichnungen einfacher geometrischer Figuren und Körper anfertigen und mathematische Zusammenhänge identifizieren und mathematisch darstellen.

Ausschlaggebend bei den Kompetenzen ist, dass die Schüler nicht bestimmte Beispiele auswendig lernen und diese berechnen, sondern dass sie die Werkzeuge beherrschen, um bestimmte Probleme zu einem Themengebiet lösen zu können. Die Bildungsstandards werden in der achten Schulstufe an allen Schultypen in Deutsch, Mathematik und Englisch überprüft. In der vierten Klasse der Volksschule werden die Standards in Deutsch und Mathematik getestet.

Teaching to the test

Für den Schweizer Pädagogen Künzli geht durch die Kompetenzorientierung die Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern verloren. Die Vorgaben dafür, was Schüler können und Lehrer unterrichten müssen, seien zu eng gefasst. Lehrer würden dann nur mehr eine Kompetenz nach der anderen abhaken. Studien aus Ländern, die auf Kompetenzorientierung setzen, hätten zudem gezeigt, dass Lehrer dann nur mehr das lehren, was auch messbar ist. Ein "Teaching to the Test" – also die Reduzierung der Lehrinhalte auf das, was abgeprüft wird – sei die Folge.

Das sieht Stefan Hopmann vom Institut für Bildungswissenschaft der Uni Wien ähnlich. Die Lehrer seien gezwungen, den Lehrplan schrumpfen lassen und sich auf die Kompetenzen zu konzentrieren. "Die Umstellung auf Kompetenzen ist ein Kardinalfehler", sagt er. Die Standardisierung behindere die Lehrer dabei, die Kinder angemessen zu unterrichten, da sie so nicht auf die individuellen Bedürfnisse eingehen könnten.

Es sei eine Traumvorstellung, dass man mit Bildungsstandards die Leistungen der Schüler angleichen könne, so Hopmann. In Ländern, in denen kompetenzorientiert unterrichtet werde, steige die soziale Ungleichheit. "Die Kinder sind sehr unterschiedlich. Die Möglichkeiten der Schule, diese Ungleichheiten auszugleichen, werden überschätzt."

"Das ist Unsinn"

Befürworter der Kompetenzorientierung wollen die Leistungen der Schüler vergleichbar machen. Am Ende einer Schulkarriere soll künftigen Arbeitgebern und Universitäten klar sein, was die Absolventen können. "Warum muss man alle vergleichbar machen? Das ist Unsinn", sagt Künzli dazu. "Es geht um die Entwicklung der Schüler, ihr Lernverhalten und ihre Neugier. Wir wollen keine kompetenten Roboter, sondern kreative junge Menschen."

Ferdinand Eder, Erziehungswissenschaftler an der Universität Salzburg, hält Mindestanforderungen an die Schüler für sinnvoll. In Österreich habe man sich aber dagegen entschieden, einige wenige Mindeststandards zu entwickeln. Jetzt würden allgemeine Standards abgeprüft, die für den gesamten Unterricht in Deutsch und Mathematik gelten. "Das war keine gute Entscheidung. Die ursprüngliche Idee war, dass man sich darauf einigt, was alle können sollen."

Verhältnis zum Lehrplan ungeklärt

Ein Problem sieht Eder darin, dass das Verhältnis zwischen Bildungsstandards, Zentralmatura und den Lehrplänen ungeklärt ist. "Das ist etwas merkwürdig." Auch Hopmann fehlt eine Abstimmung zwischen Lehrplan und Kompetenzen. Derzeit finden sich die Kompetenzen nicht im Lehrplan wieder. Für Kurt Nekula, Sektionsleiter im Unterrichtsministerium, ist das kein Widerspruch. "Die Kompetenzen leiten sich aus den Inhalten des Lehrplans ab", sagt er im Gespräch mit derStandard.at.

In der Schweiz wird derzeit der Lehrplan der deutschschweizer Kantone reformiert. Bei dem Projekt "Lehrplan 21" steht die Kompetenzorientierung im Vordergrund. Pädagoge Künzli lehnt das ab. Er würde Lehrpläne generell so reformieren, dass die Schule darin nur mehr zu einem gesamtgesellschaftlichen Auftrag verpflichtet wird. "Das wäre relativ offen, auch für Veränderungen", erklärt er. Über das gemeinsame Verständnis, was genau unterrichtet werden soll, würde dann erst am Schulstandort entschieden.


Nota. - Die Absicht ist ja löblich. Statt wie bisher mit Fleiß Daten zu speichern, sollen nun Fähigkeiten entwickelt werden. Die Crux ist nur - ob das gelang, lässt sich nicht prüfen, weil es sich nicht quantifizieren lässt. Und das geht nicht, weil es sich nicht... operationalisieren ließ. Mit andern Worten: Fähigkeiten lassen sich nicht lehren. Das System Schule ist nicht das Feld, wo sich Begabungen zu Fähigkeiten kultivieren können. Na ja, im günstigen Fall können sie es schon. Nur ist im System Schule der günstige Fall nicht die Regel, sondern die Ausnahme; nämlich wenn der Lehrer richtig gut ist. 

Das System Schule favorisiert aber nicht die richtig guten Lehrer, sondern den Durchschnitt, und der wird gerade mal den Schülern gerecht, die selber Durchschnitt sind. Das ist ihnen ja nicht vorzuwerfen, aber es geht auf Kosten all der andern. Und daran wird sich nichts ändern, solange Schulen Schulen sind.
JE
 

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