"Wir müssen an die jetzt bestehende Form der
Erziehung unsere Theorie anschließen.”
J. Fr. Herbart hatte seinen Versuch, Pädagogik Wissenschaft werden zu
lassen, auf eine Aufgabe (gr. problêma) gegründet: Was ist die Aufgabe
der Erziehung? Die Antwort: Moralität. Was ist das Mittel zur Beförderung von
Moralität? Die ästhetische Darstellung der Welt.
Das war ein guter Anfang. Nur hätte er bei weiser Durchführung zu dem
Schluss hinleiten müssen, dass sich die Pädagogik zu einer Wissenschaft eben nicht
eignet. Herbart wurde nicht zum Stifter der modernen (pp.) Erziehungswissenschaft.
Deren Begründer wurde, nomen est omen, Schleiermacher. Und zwar
indem er eine Nebelkerze warf:
"Es muss also eine Theorie geben, die von dem Verhältnisse der
älteren Generation zur jüngeren ausgehend die Frage stellt: Was will eigentlich
die ältere Generation mit der jüngeren?"* Damit wurde die Frage nach dem Grund der Pädagogik aufs Nachhaltigste –
jedenfalls bis heute – dem Reich der
faulen Mauldrescherei überant- wortet.
Die bürgerliche Gesellschaft hat sich in 'Erwachsene' und 'Kinder' geschieden,
als der Berufsmensch – "Arbeit ist
der Sinn des Lebens"– zum Leitbild
der westlichen Zivilisation aufstieg. Vor diesem Maßstab erschienen die zum
Berufsleben noch Untauglichen als Zurückgebliebene. Wie es dazu kam, was daraus folgt – das sind lohnende Fragen einer kritischen historischen
Sozialwissenschaft. Wenn man sie so
formuliert. Aber das hatte Schleiermacher nicht im Sinn. Und noch war das
historische Ereignis zu jung, noch war der Abstand nicht groß genug, um die
Fragen so zu formulieren. Vielmehr verallgemeinert Schleiermacher sie bis zur
Unfasslichkeit: eine ältere Generation, eine jüngere Generation, und die eine
will etwas mit der andern (will die andere auch etwas?);* so war es immer und
wird es immer sein.
Wo aber fängt die ältere Generation an, wo hört die jüngere auf?
Verschiebt sich die Grenze alle dreißig Jahre? Alle Jahre? Jeden Tag?!
Und wo ist das Forum, wo die wie auch immer einzugrenzende 'ältere
Generation' sich sammelt, mit sich zu Rate geht, zum wollenden Subjekt
konstituiert und entscheidet: "Dieses
will ich von jenen?“
Man muss die Frage nur aussprechen, damit sie so - das akademische Fach
möge es mir nachsehen: ein besse- res Wort finde ich nicht - dämlich klingt, wie sie ist. Darum ja spricht
sie Schleiermacher natürlich nicht aus, sondern gleitet pastoral lächelnd darüber weg.
Es hakt ja auch keiner nach, denn mit dem Grinsen des Auguren redet er zu
Interessierten, und die rufen froh und hungrig "Hier! Wir sind das
Forum!"
Na schön, räumen sie auf Rückfrage ein, wir 'sind' es nicht ganz wirklich,
aber wir stellen es dar!
Dies ist die Große Pädagogische Mummenschanz: Das Berufscorps der
Erwerbspädagogen wirft an Stelle einer ansonsten gestaltlosen
statistischen Fiktion unterm Etikett "ältere Generation" die Frage
auf: Was wollen wir mit der jüngeren Generation.
Die Antwort war eher da als die Frage: unsern Lebensunterhalt
bestreiten. Und daher kommt Schleiermacher zu dem Schluss: "Wir
müssen an die jetzt bestehende Form der Erziehung unsere Theorie
anschließen."**
*) Friedrich Daniel Schleiermacher,
Grundzüge der Erziehungskunst (Vorlesungen von 1826) in: ders., Texte
zu Pädagogik, Hg. v. Winkler u. Brachmann, Bd. II, Frankfurt/M 2000, S. 9 - Von Matk Twain stammt der Satz, Ergiehung sei die gemeinsame Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.
**) ebd., S. 68
14. 6. 15
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