Mittwoch, 24. Oktober 2018

Right or wrong, die Losung heißt Ganztagsschule.

aus Süddeutsche.de, 23. Oktober 2018, 12:21 Uhr

Die Lösung heißt Ganztagsschule
Ob Kinder gute Noten bekommen, hängt massiv(st) von ihrer Herkunft ab. Um das zu ändern, müssen Schulen und Bildungspolitiker endlich reagieren. 

Kommentar von Matthias Kohlmaier 

Ein aktueller Bericht der OECD enthält für Deutschlands Schulen gute Nachrichten: Die Schere zwischen Kindern aus Akademiker- und Arbeiterfamilien hat sich in den vergangenen Jahren ein wenig geschlossen. Das ändert aber nichts daran, dass schulischer Erfolg noch immer stark von der sozialen Herkunft abhängt. Anders gesagt: Oft entscheidet nicht Begabung über Abitur oder Hauptschulabschluss, sondern die Postleit- zahl.

Reflexhaft rufen nun Lehrkräfte, Elternverbände und Bildungsexperten nach mehr Geld für die Schulen: für mehr Lehrkräfte, eine modernere digitale Ausstattung der Klassenzimmer, kleinere Klassen. Dieser Reflex ist richtig und falsch zugleich. Richtig, weil Investitionen besonders den bisherigen Bildungsverlierern zu- gutekämen und die Politik tatsächlich seit Jahren auf Kosten der Schüler gespart hat. Aber der Ruf nach mehr Geld ist auch falsch, weil er das zentrale Problem verkennt.

Es wird bei der Förderung sozial benachteiligter Schüler wenig helfen, 25 statt 30 Kinder in eine Klasse zu setzen und für ordentliches Wlan an Schulen zu sorgen. Damit jedes Kind den bestmöglichen Schulab- schluss erreichen kann, muss zuerst der Einfluss seines persönlichen Umfeldes auf den Lernerfolg verrin- gert werden. Woher ein Schüler kommt und welchen Job seine Eltern haben, darf nicht länger relevant sein.

Solange Schule aber in weiten Teilen Deutschlands eine Halbtagesveranstaltung bleibt, werden auch die Leistungsunterschiede zwischen Schülern aus unterschiedlichen sozialen Schichten kaum geringer werden. Denn während die einen bei den Hausaufgaben daheim Hilfe von den studierten Eltern bekommen oder von einem kundigen Nachhhilfelehrer, sind die anderen auf sich allein gestellt. Weil die Eltern nicht genug Geld, Wissen, Zeit, Interesse oder Sprachkenntnisse haben, um unterstützen zu können. 

Ein rascherer Ausbau der Plätze im für alle Schüler verpflichtenden Ganztagsschulbetrieb könnte für deut- lich mehr Bildungsgerechtigkeit sorgen. Und zwar dann, wenn man die Ganztagsschule endlich ernst nimmt. Wenn die Nachmittage nicht allein zur Verwahrung der Schüler unter Aufsicht dienen, sondern für individuelle Förderung genutzt werden. So würden alle Kinder gleichermaßen von ausgebildeten Pädago- gen beim Lernen unterstützt. Und die Postleitzahl spielte beim Schulabschluss irgendwann kaum noch eine Rolle.


Nota. - Noch wagt er es nicht auszusprechen, doch was er meint, ist offenbar. Das Problem ist, dass manche Kinder Eltern haben, die gebildet sind, und andere Kinder Eltern haben, die selber nicht viel wissen. Damit alle gleiche Chancen haben, wäre es nötig, Kinder aus ihrem bildungsfernen Milieu zu entfernen und in einer geeigneten Anstalt unterzubringen. Damit das nicht nach Diskriminierung der sozial Schwachen aus- sieht, täte man die Kinder der Gebildeten am besten gleich in dieselbe Anstalt.

Das ist über Nacht nicht durchzusetzen, also begnügen wir uns vorerst mit der Ganztagsschule; dass  Kin- der ihre Nächte in ihren bildungsfernen Familien verschlafen, wird so schlimm schon nicht sein. Hauptsa- che, sie sind ihrem verblödenden Einfluss entzogen.

*

Das war die seichte Spinnerei der domestizierten Post'68er: die Gesellschaft verbessern durch kompensa- torische Erziehung. Das sind inzwischen ganz alte Leute. Da kann einer, der sich mit Bildungsfragen noch nicht beschäftigt hat, heute ruhig seinem kleinen Vorstellungsvermögen freien Lauf lassen und auch noch hoffen, das ginge inzwischen wieder als ein guter Einfall durch. 

Die Schule als normierende Anstalt gesamtgesellschaftlicher Sozialpädagogik; von Bildung und Erziehung ist schon lange nicht mehr die Rede.
JE


Dienstag, 23. Oktober 2018

Durchschnittlich reden, durchschnittlich denken.

Schreiben und Sprechen wollen gelernt und geübt sein.
aus Tagesspiegel.de, 23. 10. 2018

Wie Schule die Sprache verarmt 
Schreiben wird schon in der Schule zu sehr verregelt, analysiert der Autor Markus Franz - zu Lasten von Verständlichkeit und Verständigung. Ein Lesetipp. 



Sprache ist familiäre Verständigung, politisches Kampfwerkzeug und ewige kulturelle Baustelle - nicht erst dieser Tage als verroht und simplifiziert gegeißelt, als Schlüssel für gesellschaftlichen Diskurs umschwärmt und als Unterrichtsinhalt hoch umstritten. Und nun auch das noch: Lehrer können nicht richtig schreiben? Oder gar nicht. Der Titel von Markus Franz' Buch ist gleich eine steile These, samt appellativem Ausrufezeichen: „Lehrer, Ihr müsst schreiben lernen!“ 

Seine Sprachfähigkeit erwirbt der Mensch zunächst zwischen Verwandten, Freunden und Nachbarn. Dann kommen Kita, Schule, Uni - und Vielfalt, Schönheit, Klarheit des Sprechens und Schreibens sind schon wieder futsch? Das ist einer der zentralen Vorwürfe, die Markus Franz dem Bildungssystem macht. Er hat auf einer Tour durch die deutsche Bildungslandschaft untersucht, wo unsere Sprache geprägt wird - und welche Folgen diese Prägung für die Entwicklung der deutschen Sprache in Politik und Gesellschaft hat.


In Gesprächen mit Lehrerinnen und deren Lehrern, mit Bildungswissenschaftlern, -politikern und -verwaltern, Autorinnen und Schülern wird deutlich, wie Sprache systematisiert wird. Sie soll ja schließlich mit den Nachbarskindern (und im Namen des Standorts und seiner Bildungsqualität möglichst auch weltweit) vergleichbar sein, institutionell geprüft und bewertet. Die Benotung von Fantasie, Vielfalt und Genauigkeit ist schwierig - sie gehen dabei leicht verloren. Rechtschreibung, Satzbau, Formen und Formeln, akademischer - oder so wirkender - Stil mit möglichst eindrucksvoller Fachsprache machen ein „richtig“ oder „falsch“ einfacher. So wird Sprache objektivierbar - verregelt und verriegelt, zulasten der Verständlichkeit und Verständigung.

Mit anderen Worten

Franz’ Mission wirkt in der Diagnose oft arg hoffnungslos, in ihrer Konsequenz provozierend. Doch gerade seine als Dialoge notierten Gespräche strotzen vor machbaren Verbesserungsvorschlägen - und Lust darauf: gegen die Macht der Hauptworte etwa, für kurze Sätze, für bildliche Sprache statt Fachchinesisch. Apropos: Franz erinnert nebenbei an die Macht der Schule, der Lehrer (ob sie wollen oder nicht), ihrer Analysten und Bewerter. Das geht nicht nur Lehrer an. Denn „Politik vollzieht sich in Sprache“, wie der SPD-Politiker Erhard Eppler einmal gesagt hat. Politiker rühmen sich auch heute gern der „klaren Kante“ ihrer Reden und Programme, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verlangt mahnend „eine gewisse Disziplin bei der Sprache“ und beklagt ihre „Verrohung“, Grünen-Chef Robert Habeck hat gerade ein ganzes Büchlein veröffentlicht, in dem er sich um politische Sprache und Kommunikation sorgt. 

Tatsächlich rutschen Fakes und Fakten mit Gemeintem durcheinander, Kürze ersetzt Klarheit: alles im Namen des freien Meinungskampfes. Doch das sprechende und schreibende, hörende und lesende Gegenüber im Alltag, auch im politischen Streit, als einmaliges Individuum zu erleben - das fängt bei der Sprache an. Anspruchsvoller zu schreiben, genauer zu lesen, mehr zu denken, Zwischentöne zu suchen und Vielfalt als Genauigkeit zu verstehen, das wäre auch auf Facebook und Twitter ein Gewinn. Worte, überzeugend formuliert und empathisch verstanden, sind Auswege aus Elfenbeintürmen und Meinungs-Blasen. Es müsste uns Dichtern und Denkern nur jemand beibringen. Die Lektüre dieses Buches könnte ein Anfang sein.

Markus Franz: Lehrer, ihr müsst Schreiben lernen!, Correct!v 2017, 252 Seiten, 20 Euro


Samstag, 20. Oktober 2018

Die Kollateralschäden des Durchschnitts.

aus derStandard.at, 19. Oktober 2018, 08:00

Zwischen Fehlverhalten und Langeweile
Das Problem schulischer Unterforderung Kinder haben unterschiedliche Fähigkeiten. Diese adäquat zu fördern ist in unserem Schulsystem schwierig. Wie man trotzdem darauf reagieren kann

von s  

Lilly ist elf und geht gern in die Schule. Sie tut sich leicht, ist an vielem interessiert und macht auch am Nachmittag ihre Aufgaben in Windeseile, damit sie dann ihren Freizeitaktivitäten – etwa Tanzen und Klavier spielen – nachgehen kann. Oft findet sie die Schule auch langweilig, aber eigentlich ist sie zufrieden, weil sie sich kaum anstrengen muss.

Der 13-jährige Valerian hat es zurzeit nicht gerade einfach. Die Schule findet er total langweilig, und mit seinen Mitschülern kann er recht wenig anfangen, die sind ihm alle viel zu dumm. Es ärgert ihn, dass er immer warten muss, bis die anderen verstanden haben, was gerade erklärt worden ist. Mit den Lehrerinnen und Lehrern in der Schule hat er viele Konflikte, und oftmals drohen sie ihm, dass er bald von der Schule fliegt, wenn er sich nicht zu benehmen weiß. Doch eigentlich findet er das alles ziemlich ungerecht und hat es satt, sich ständig anzupassen. ...

Hochbegabung – ein bekanntes Phänomen

Des Öfteren hört man von Kindern mit speziellem Talent oder einer Hochbegabung. Eltern und Bezugspersonen sowie Pädagoginnen und Pädagogen sind in den letzten Jahren viel hellhöriger geworden und besser informiert, woran man merken könnte, dass diese Kinder adäquat gefördert werden sollten oder eventuell ihren speziellen Talenten viel besser nachgehen könnten.


Kinder sind in der Schule unterfordert, weil die Gesellschaft versucht, alle Kinder über einen Kamm zu scheren, sodass alle Kinder im selben Alter die gleichen Aufgaben lösen können sollen.

Aber Kinder entwickeln sich unterschiedlich und können ganz verschiedene Fertigkeiten haben. Da kann ein Kind besser mit Zahlen jonglieren als die Klassenkollegen, während das nächste sich gerne mit anderen Kindern umgibt und spielt und ein weiteres gerne die Welt in ihren Zusammenhängen entdeckt.

Doch unterforderte Kinder sind nicht so leicht zu entdecken, denn die Abgrenzung zur generellen Hochbegabung ist nicht einfach und auch oft nicht leicht zu bemerken. Auch ist Vorsicht geboten, denn nicht jedes Kind, das sich in der Schule leichttut, ist grundsätzlich hochbegabt und unterfordert.
Unterforderung in der Schule kann sich vielfältig zeigen. 

Wenn Kinder ausgeglichen sind und ihren Wissensdurst auf die Freizeit verschieben können, dann ist hier seitens der Eltern und Bezugspersonen dahingehend Unterstützung gefragt. Das Ermöglichen von Aktivitäten sowie den persönlichen Interessen nachgehen zu können sollte einen Ausgleich für das Kind schaffen. Auch eine anregende und spannende Lernumgebung können Eltern und Bezugspersonen zu Hause ermöglichen, indem sie Kindern Bücher, Dokumentationen oder diverse Lernspiele zur Verfügung stellen. Da können zum Beispiel gemeinsam Knobel- und Denkspiele gelöst oder nach speziellen Angeboten gesucht werden.

Unzufriedenheit in der Schule

Sind Kinder mit der Schule unzufrieden und der Meinung, dass sie mal wieder nichts Neues gelernt haben und es dort außer langweilig nur langweilig ist, reicht ihnen oft nicht aus, nur am Nachmittag den Ausgleich zu finden. Kommen Kinder immer wieder frustriert nach Hause, wirkt sich das über kurz oder lang auf die Motivation der Kinder, ihre Freude an der Schule und am Lernen und das Familienklima aus. Dann kann es passieren, dass ein Kind sagt, dass es nicht mehr in die Schule gehen will.

Dann sind vermutlich auch andere anregende Aufgaben und Beispiele sowie mehr oder andere Herausforderungen als für die Mitschülerinnen und Mitschüler notwendig.

Beobachtet man dies an seinem Kind, ist es notwendig, ein oder mehrere Gespräche mit der Klassenlehrerin/dem Klassenlehrer zu führen und gemeinsam zu überlegen, wie man dem Kind helfen kann. Wahrscheinlich ist hier die Differenzierung in der Klasse eine Möglichkeit, das Kind auf seinem Lernweg besser begleiten zu können. Dabei sind die Haltung der Erwachsenen, das begleitende Gespräch und die Bereitschaft, gemeinsam an einem Strang zu ziehen, sehr wichtig. Auch die Eltern sind hier gefordert, ihrerseits die Förderung in der Schule zu unterstützen.

Welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen, welche Ressourcen genutzt werden können und ob es überhaupt eine Differenzierungsmöglichkeit in Anbetracht der jeweiligen Schulsituation geben kann, wird in solchen Gesprächen auch klarer. Womöglich kann das Kind andere Lernmaterialien erhalten – oder aber es können einfache Aufgaben durch komplexere ersetzt werden. Es gibt viele unterschiedliche Wege, die oftmals nicht einfach zu finden sind, um Kindern in solchen Situationen zu helfen, mit Unterforderung besser zurechtzukommen.

Verweigerung als Anzeichen für Unterforderung

Manch ein Kind zeigt aufgrund von Langeweile und Frustration über zu wenig Gelerntes Verhaltensauffälligkeiten. Da kann es passieren, dass das Kind wenig Anschluss an die Klassenkollegen haben will oder sich als Klassenkasperl aufführt, sich über die dummen Mitschüler beschwert und keine Hausübungen macht, weil "Es eh alles nix Neues ist", "Das Babyaufgaben sind" und "Das was für die Dummies ist". Dann macht eventuell ein Wechsel der Schule oder ein Überspringen der Klasse Sinn.

Da dies aber einen gravierenden Einschnitt in den Alltag des Kindes, der Eltern und Bezugspersonen bedeutet, sollte dies zusammen mit den Lehrenden des Kindes und der Schulleitung genau geplant werden.

Hier ist es von extremer Wichtigkeit, das Kind, so gut es geht, in die Pläne miteinzubeziehen und ihm den Grund dafür zu erklären, denn es kann durchaus sein, dass das Kind in den geplanten Wechsel ganz etwas anderes hineininterpretiert.

Bevor das Kind wirklich in die andere Schule oder Klasse wechselt, sollte es die Möglichkeit für ein "Hineinschnuppern" haben, um ihr oder ihm die Sicherheit zu geben, dass dies erst einmal ausprobiert und auch noch rückgängig gemacht werden kann. Meist entspannen sich Kinder bei dem Gedanken daran, erstmals einen Versuch wagen zu können. Auch für Eltern und Bezugspersonen ist es eine Erleichterung, nicht gleich eine so folgenschwere Entscheidung treffen zu müssen, sondern mit Ruhe und Bedacht nach genauem Hinsehen zu einem Entschluss zu gelangen.

Bedeutsam für so einen Schritt ist es, dass den Eltern und Bezugspersonen und auch dem Kind klar sein sollte, dass es in der neuen Schule oder Klasse andere Leistungen bringen wird müssen und sich die Situation mit den guten Noten eventuell auch ganz schnell wenden kann. Möglicherweise fehlt ein Stoffgebiet, das erst neu gelernt werden muss. Dies kann dazu führen, dass erstmal die Leistungen etwas absinken und sich deshalb erneut Frustration einstellen kann. Es sollte allen Beteiligten klar sein, dass in der neuen Klasse die Anforderungen anders sind und das Kind sich erst einfinden muss.

Wenn aber klar ist, dass es nur eine vorübergehende Zeitspanne dauert, bis der Stoff aufgeholt ist, dann bedeutet dies durchaus, dass sich die Entscheidung für Kind, Eltern und Pädagoginnen und Pädagogen gelohnt hat. ...