Samstag, 28. April 2018
Lob der Erziehungswissenschaft.
Also erzogen wächst es auf. Die Lehrer tun alle, als ob, was sie ihm sagen, nicht wahr wäre; ihnen ist's auch meistens nicht wahr, denn sie haben's eben so gelernt, und in ihrem Leben nichts davon gespürt und empfunden. So sind Eltern und Lehrer, Kanzeln und Katheder. Das Kind und der Knabe hört überall Geschwätz, Lüge, wo wenig fehlt, daß man nicht mitten in der Rede inne halte und sage, was jener über die Höllenstrafen sagte: »Fürchte dich nicht, liebes Kind, ich muß dir das nur sagen. Glaube nichts davon, denn ich glaube selbst nichts, wie du siehest.« Die große Stimme des Beispiels sagt ihnen dies laut und unaufhörlich.
Erwachsen also unter lauter Wortkrämerei und tätiger Lüge, lernt der Knabe nur eine Wahrheit kennen, die er auch von ganzem Herzen glaubt, nämlich: »Krieche wie die, so vor dir sind, durchs Leben, genieße und schwätze viel, tue aber wenig, alles nur für dich, damit du dir nichts abbrechest, und fröne deinen Lüsten.«
Johann Gottfried Herder
in: Vom Empfinden und Erkennen der menschlichen Seele., 5. Kap.
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