Samstag, 17. März 2018

Mobbing in der Schule (ganztags?).



Bereits am 4. 5. 2014 hat in der Frankfurter Sonntagszeitung über eine überra- schende Studie zweier amerikanischer Soziologen über Mobbing an den Schulen berichtet. Die allgemeine Erwartung ist, hauptsächlich schwache, unbeliebte und isolierte Schüler würden zu Opfern.

Zwei amerikanische Soziologen haben jetzt in einer aufwendigen Studie zu Aggressionen in Schulen das Gegenteil festgestellt. Oder um es genauer zu sagen, sie haben festgestellt, dass es zwei ganz unterschied- liche Opfergruppen von schulischer Gewalt gibt: die Schwachen und die Starken.

Zunächst zu den Tätern. Dass es unter Jugendlichen nicht die Marginalisierten sind, nicht die sozial Benachteiligten, die gewalttätig gegen andere vorgehen, ist in der Forschung seit langem bekannt. Die Aggression kommt, was die Herkunft und den Status der Angreifer angeht, nicht vom gesellschaftlichen Rand.

Motivation Statuszugewinn

Angriffe auf Mitschüler erfolgen also typischerweise nicht, um häusliche Nachteile zu kompensieren. Ihr Ziel ist vielmehr in der Regel ein weiterer Statuszugewinn. Es geht um Führerschaft in Kleingruppen. Wenn die Angreifer in der Klassenhierarchie aufsteigen, nimmt ihre Gewalttätigkeit nicht ab, sondern so lange zu, bis sie unumstritten die Chefs sind.

Darin liegt bereits ein Hinweis, dass es nicht nur Schwache sein können, die im Verlauf solcher Mobbing-Karrieren attackiert werden. Die Autoren unterscheiden zwischen Opfern, die aus normativen Gründen gewählt werden, und solchen, die aus instrumentellen Gründen in den Blick der Angreifer kommen. Wehrlose, so lautet ihr Argument, werden nicht nur deshalb zum Ziel von Angriffen, weil bei ihnen der Ausgang des Konflikts sicher ist.

Die Starken stürzen sich auf die Schwachen auch, um ohne großes Risiko Standards dafür zu etablieren, was an Gewalt möglich ist. Dieses „normative targeting“ ist eine Opferwahl, die ausprobiert, wobei man als Starker auf Unterstützung durch die Gruppe rechnen kann.

Beliebte Schüler werden häufig Mobbing-Opfer

Doch wenn ein Fünftel aller amerikanischen Schüler berichtet, im Verlauf der Schulkarriere schon einmal einer gewalttätigen Attacke ausgesetzt gewesen zu sein, kann es sich bei den Opfern nicht nur um Stigmatisierte handeln. Hier setzt das Konzept der „instrumentellen Opferwahl“ an. Danach exponiert nicht nur Schwäche, sondern auch hoher Status für Angriffe. Auf Schulhöfen kommt es leicht zu einem enthemmten Kampf um Anerkennung. Kleine Beleidigungen oder Streitereien um unbeträchtliche Ressourcen genügen oft, um eine Gewaltspirale in Gang zu setzen.

Wenn ein solcher Streit strategisch eingesetzt wird, werden die Opfer eher unter den beliebten Schülern gewählt. Denn es geht dann darum, den Status von jemand anderem zu attackieren. Das kann durchaus wechselseitig erfolgen, so dass die Opfer zugleich Täter sind. Das kann sich aber auch auf konkurrierende Statusnormen beziehen, wenn Personen, deren Beliebtheit auf freundlichem Umgang beruht, von solchen attackiert werden, die demonstrieren wollen, dass das im Konfliktfall gar nicht zählt.

Mehr Attacken auf Mädchen

So haben die Forscher in ihrer Untersuchung sozialer Netzwerke von achttausend Schülern an neunzehn Schulen festgestellt, dass beispielsweise die Opfer von Denunziationen auf Facebook oft Schülerinnen sind, die sich großer Beliebtheit erfreuen. Sie bloßzustellen oder zu verleumden bringt für die Täter persönlich gar keinen besonders großen Nutzen.

Entscheidend ist vielmehr der große Schaden, der bei den Mitkonkurrenten ums Ansehen entsteht. Bemerkenswert ist dabei, dass an Schulen, in denen die Freundschaftsnetzwerke jeweils stark homogen männlich und weiblich sind, jene Schüler, die Freundschaften zu beiden Gruppen unterhalten, weniger Attacken ausgesetzt sind. Das Mobbing hat also neben der Status- auch eine Geschlechtsqualität.

Mädchen sind physischen Attacken [durch Mädchen, versteht sich!] insgesamt stärker ausgesetzt als Jungen. Das gilt besonders für Mädchen, die wechselnde Intimbeziehungen eingehen. Hier kommt ebenfalls jene Rivalität ins Spiel, die sich, wie Neid, auf „sozial zentrale“ Personen bezieht, nicht auf Außenseiter. Wer dagegen angehen will, so die Forscher, muss vor allem dafür sorgen, dass das Publikum solcher Statuskämpfe nicht dem Sieger applaudiert.

Robert Faris und Diane Felmlee: „Casualties of Social Combat: School Networks of Peer Victimization“, American Journals of Sociology, 79 (2), 2014.


Nota. - Die Schule ist ein Ort, der Kinder in einer so großen Anzahl zusammenballt und vom Rest der Welt isoliert, wie sich von alleine niemals zusammentun würden. Der Pausenhof ist ein Ort, wo man einander nicht aus dem Weg gehen kann - es sei denn, man sucht sich ein Versteck. Dort entstehen soziale Regeln, die in jeder Hinsicht künstlich sind und die sie später in keiner Weise nutzen können - es sei denn in schädlicher. Er ist ein Ort - man muss es mal aussprechen - der Desozialisierung.

Wenn die Schule ein einstweilig unvermeidliches Übel ist, dann der Pausenhof erst recht. Je länger der Schultag, umso mehr Pausenhof. Die Schlussfolgerung ergibt sich von selbst: Im Interesse der "Einübung sozialer Verhaltensweisen" sollte der Schultag so kurz gehalten werden, wie didaktisch irgend vertretbar.
JE 

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