aus nzz.ch, 29.4.2015, 05:30 Uhr
Hätte hätte, Würstchenkette
Lebensentscheidungen zu bereuen, ist ein natürlicher Reflex. Doch bringt das Gefühl der Reue überhaupt etwas? Wenn es ums Kinderkriegen geht, wird es zudem delikat. Eine Kolumne von
Milosz Matuschek
Als Thomas Bernhard sich zum Kauf seines berühmten Vierkanthofes entschloss, war er begeistert von dessen «ausgezeichneten Proportionen». Dass sich der Bauernhof im Zustand einer Ruine befand, wurde ihm erst in den nächsten Tagen vollends bewusst, als ihm die sogenannten «Grausbirnen» hochstiegen. Der österreichische Dichter erlebte ein Phänomen, das der Verkaufspsychologie als «Kaufreue» («buyer's remorse») bekannt ist: das Gefühl, die Investition sei letztlich doch falsch und müsse ungeschehen gemacht werden. Die spürbare Dissonanz zwischen Jetzt und Davor («Hätte ich doch bloss!») äussert sich in Form des Abfallproduktes der Reue.
Vor kurzem machte in den Medien unter dem Hashtag #regrettingmotherhood eine nichtrepräsentative israelische Studie die Runde, in der 23 Mütter unterschiedlichen Alters erklärten, dass sie es bereuten, Kinder bekommen zu haben. Schockierend war dabei nicht nur das Phänomen an sich, sondern vor allem die Absolutheit der verbreiteten Aussagen: Von dem Wunsch, «die Zeit zurückdrehen zu können», war die Rede, vom «Albtraum meines Lebens» oder davon, die Kinder, «ohne mit der Wimper zu zucken, aufgeben zu können», oft verbunden mit der scheinbar widersprüchlichen Bekräftigung, dass man seine Kinder ja trotzdem liebe.
Die nun angestossene Debatte gibt Einblick in ein für moderne Zeiten charakteristisches Dilemma: Die Freiheit der Wahl des Lebensentwurfs bringt eine Optionenvielfalt mit sich, durch welche jede Entscheidung stets eine Entscheidung gegen unzählige andere Optionen darstellt. Der Schattenpreis der Freiheit ist die Qual der Wahl. Das Gefühl des Verlusts und der Reue tritt häufiger auf als in Situationen, die sich als alternativlos darstellen. So ist mit dem Kinderkriegen oft der Verzicht auf maximale berufliche Entfaltung verbunden. Eine befragte Mutter beklagte gar, sie habe aus der Geburt des Kindes keinerlei «emotionalen Gewinn» gezogen.
Das wiederum lässt auch die Frage nach übertriebenen Erwartungen an Kinder aufkommen. Kann man Kinder als Investition betrachten, die Lebenszufriedenheit quasi als sichere Dividende auszahlt? Es entspricht dem Zeitgeist, alle Lebensentscheidungen durch die Brille einer Kosten-Nutzen-Rechnung zu betrachten. Ökonomisch gesehen ist die Entscheidung für Kinder dann vermutlich so irrational wie derzeit nur Investitionen in Staatsanleihen mit Negativzinsen. Das Schicksal der Menschheit liegt in den Händen der Unvernünftigen.
Das Gefühl der Reue sei natürlich jedem unbenommen. Doch unabhängig vom konkreten Einzelfall schliesst sich die Frage an, wie rational diese Form von Vergangenheitsaggression überhaupt ist. Die erste Tücke des Gefühls der Reue liegt wohl darin, dass man gedanklich Äpfel mit Birnen vergleicht, nämlich eine reale Ist-Situation mit einer fiktiven Was-wäre-gewesen-wenn-Situation. Diese Asymmetrie bietet ein Einfallstor für die Verzerrung des Optimismus («optimism bias»). Dass das Gras woanders grüner ist, gilt auch für fiktive Vergleichspositionen. Unser Denken hat die Tendenz, Situationen, über die wir wenig Datenmaterial besitzen, als attraktiver zu bewerten. Kein Wunder, dass so manche Mutter die Karriere als bessere Alternative gegenüber dem Kindergeburtstag sieht und Topmanagement interessanter findet als Topfschlagen. Hätte, hätte, Würstchenkette.
Interessant zu wissen, wäre jedenfalls, wie wohl eine Studie mit umgekehrter Fragestellung unter Menschen ausfallen würde, die sich zugunsten der Karriere gegen Kinder entschieden haben. Ist nicht auch das Phänomen #regrettinglifewithoutkids ebenso gut denkbar? Mag sein, dass das Kinderkriegen derzeit im deutschsprachigen Raum nicht sehr hoch im Kurs steht; trotzdem will man sich nicht recht vorstellen, dass jemand auf dem Sterbebett es bereut, nicht noch mehr gearbeitet zu haben. Aus der Feder des amerikanischen Juristen, Schriftstellers und Freimaurers Albert Pike hallt folgender Satz nach: «Was wir nur für uns selbst tun, stirbt mit uns, was wir für andere und die Welt tun, bleibt und ist unsterblich.»
Milosz Matuschek ist Jurist und Publizist. Von Paris und Berlin aus bloggt er zudem als «Dr. Strangelove» für die NZZ.
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