aus Süddeutsche.de, 17. April 2015, 17:16 Uhr
"Wir brauchen Mütter, die ihre Grenzen kennen"
Manche Mutter reibt sich so lange auf, bis am Ende nur noch der Wunsch bleibt, nie Kinder bekommen zu haben. Ein Gespräch mit Soziologin Christina Mundlos über gesellschaftliche Ansprüche, Selbstversklavung und ein neues Mutterbild.
Nicht jede Mutter empfindet ihre Mutterrolle als Glück. Laut einer Studie bereut manche ihre Entscheidung für Kinder sogar. Diese Frauen sind keine Rabenmütter, sagt Soziologin Christina Mundlos. Im Gegenteil: Viele von ihnen würden ihre eigenen Bedürfnisse derart verdrängen, dass am Ende nichts von ihnen übrigbleibe als der Wunsch, nie Kinder bekommen zu haben. Dabei wäre die Misere zu verhindern, erklärt die zweifache Mutter und Expertin für Geschlechter- und Familienforschung. Die Autorin des Buches "Mütterterror" fordert ein neues Mutterbild, in dem es nicht mehr erwünscht ist, einer "Supermutti" zu entsprechen.
SZ: Laut einer wissenschaftlichen Studie der Universität Tel Aviv bereuen manche Frauen ihre Entscheidung, Kinder bekommen zu haben. Was könnte da passiert sein?
Christina Mundlos: Viele Frauen sehen sich außerstande, die Anforderungen der Mutterrolle von sich zu weisen. Sie sind erschöpft, können irgendwann nicht mehr und kommen an einen Punkt, wo sie sich sagen: "Wenn ich mich so schlecht damit fühle, dann muss ich mich davon lösen."
Viele haben einen Partner, unproblematische Kinder, einen Job, eine gesicherte Existenz - und bereuen es dennoch, Mutter zu sein. Wie ist das zu erklären?
Die Soziologin Elisabeth Gernsheim hat dieses ambivalente Gefühl einmal sinngemäß so beschrieben: "Ich liebe mein Kind und würde mich vor einen LKW werfen, um sein Leben zu retten. Aber ich hasse mein Kind auch, denn es hat mein Leben zerstört."
Wir gehen davon aus, dass gesunde Frauen ihre Mutterrolle als Glück empfinden. Es hat für mich eine tragische Komik, wenn man annimmt, dass mit Müttern, die ihre Mutterschaft ablehnen, gesundheitlich etwas nicht stimme. Wer es auf Dauer nicht schafft, sich Hilfe zu holen und zu entlasten, den macht das natürlich psychisch krank. Die Depression wäre - wenn überhaupt - wohl eher das Ergebnis, das am Ende steht.
Dann müsste der Satz von Soziologin Gernsheim also eigentlich lauten: Ich habe mir mein Leben zerstören lassen?
Wenn man so will: ja. Die Unfähigkeit, seine eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen, ist in der Gesellschaft verbreitet. Erschöpfungszustände und Burn-out beobachten wir auch bei Männern - Frauen sind jedoch besonders anfällig, weil sie bereits in der Kindheit gelernt haben, sich zurückzunehmen.
Als Reaktion auf die Studie beklagen viele, dass sich ihr Leben nur ums Kind drehe. Die Mutter einer Fünfjährigen erzählt, sie müsse wegen der Tochter auf Kaffeepausen, Umzug und Wunschjob verzichten. Das klingt, als wäre sie eine Gefangene.
Die Mütter, von denen Sie sprechen, haben sehr hohe Anforderungen an sich und übernehmen die gesellschaftlichen Erwartungen eins zu eins. Sie können es nicht mit ihrem Selbstbild vereinbaren, ihre auferlegte Rolle abzulehnen und ihre Mutterschaft nach eigenen Bedürfnissen und Kräften auszurichten.
Gab es etwas Vergleichbares wie das Internet-Phänomen #regrettingmotherhood schon früher?
Das Gefühl der Unzufriedenheit an sich ist nicht neu: Bereits in den Siebzigerjahren wurde kritisiert, dass Mütter immer zur Verfügung stehen müssen. Viele waren erschöpft, bekamen vom Arzt Valium verschrieben - in den USA deshalb unter der Bezeichnung "Mother's little helper" bekannt - , um die Belastung durchzustehen. Neu sind jedoch die Erwartungen, von außen und an sich selbst. Heute versuchen immer mehr Frauen, berufstätig und die perfekte Mutter zu sein, machen weder beim Job noch bei den Kindern Abstriche. Im Gegenteil: Die Ansprüche an arbeitende Mütter sind enorm gestiegen - ein Problem, das inzwischen eine breitere Masse betrifft.
Was bewirkt diese Einstellung bei den Betroffenen?
Sie stehen extrem unter Druck - je höher die Ansprüche, desto schneller fühlen sich die Frauen minderwertig und haben das Gefühl, den Erwartungen nicht zu genügen. Und das in einem Umfeld, in dem man seine Not noch nicht einmal verbalisieren kann, weil dies weitere negative Reaktionen nach sich zieht.
"Die Mütter lassen den Gedanken nicht einmal vor sich selbst zu"
Ein großer Teil der Frauen erzählt nicht einmal dem Partner davon.
Das wundert mich nicht. Häufig sind weder die beste Freundin noch der Mann eingeweiht. Weil die Mütter nicht einmal vor sich selbst den Gedanken zulassen, weil das so ein Riesen-Tabu ist. Das merkt man schon an den Reaktionen auf die Studie. Ich bin mir sicher, jede TV-Redaktion würde sofort eine Mutter einladen, die bereit ist, ihre Unzufriedenheit öffentlich zu äußern.
Aber viele bestätigen dieses Reuegefühl und sind froh, dass es mal jemand anspricht.
Der Unterschied ist: Nicht das Empfinden ist exotisch, nur die Bereitschaft, das zu äußern.
Man sagt ja, die unerbittlichsten Kritiker der Mütter seien andere Mütter.
Und genau deshalb sollten sie lernen, ihre Unzufriedenheit anzusprechen und sich fragen: Warum werde ich kritisiert von anderen und wieso kann auch ich kein anderes Erziehungsmodell gelten lassen? Gerade im Freundeskreis kann man über das Thema gezielt aufklären und einen wertschätzenderen Umgang einfordern - die Freunde sind es oft, die einen unter Druck setzen und Zweifel hervorrufen. Eine neue Gesprächskultur muss sich entwickeln, die nicht mehr darauf fixiert ist, immer nur hervorzuheben, was das eigene Kind kann. Sondern lobt, was man an anderen Kindern oder Müttern gut findet. So wertet man die anderen auf, statt sie abzuwerten, damit man selbst besser dasteht. Der älteren Generation sollten Mütter ruhig öfter Paroli bieten und es gezielt ansprechen, wenn verletzende Kommentare kommen. Zu Nörglerinnen, die einem ständig vor Augen führen, welchen Ansprüchen man genügen soll, darf man getrost den Kontakt abbrechen. Auch Elternzeitschriften sollte man mit Vorsicht genießen - weil sie Ansprüche ohne Ende formulieren.
Warum fühlen sich noch immer die Frauen angesprochen von solchen Erwartungen?
Die Verantwortung für die Erziehung wird noch immer in erster Linie bei der Mutter gesehen. Während Männer für ihr familiäres Engagement gelobt werden, ernten Mütter für berufliches Engagement weniger Verständnis. Das merkt man, sobald ein Kind später läuft, spricht oder die Schulleistung abfällt. Da heißt es dann: Die Mutter war doch so häufig auf Dienstreise. Auch Erzieherinnen oder Lehrer fragen häufig noch immer, wann denn die Mutter wieder zu sprechen sei, weil sie nur diese als Ansprechpartnerin wahrnehmen. Das geht bis ins Erwachsenenalter. Sobald jemand kriminell oder psychisch auffällig wird, fragt man nach der Mutter-Kind-Beziehung.
Ist das Phänomen #regrettingmotherhood ein Hinweis darauf, dass sich in der Gesellschaft etwas ändern muss?
Sagen wir mal so: Es sind die gesellschaftlichen Anforderungen, die die Frauen unter Druck setzen und den Leidensdruck auslösen. Aber sie werden von den Frauen auch bereitwillig übernommen. Statt ihre Mutterschaft nach ihren eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen zu leben, unterwerfen sie sich dem Diktat der Gesellschaft, das vorgibt, dass man Kinder stillen soll, dass Taufeinladungen und Schultüten selbstgebastelt sein müssen, dass Mütter täglich für ihre Kinder kochen.
Aber wie können sie sich von dem Druck durch die Gesellschaft befreien?
Am besten, indem sie sich auf andere Bereiche konzentrieren, aus denen sie Anerkennung ziehen können, wie zum Beispiel das berufliche Umfeld, Freunde, Hobbys. Um diese Interessen zu verfolgen, muss man sich aber Freiraum verschaffen. Sie können sich zum Beispiel Anregung von außen holen, mit Leuten sprechen, denen es leichter fällt, sich dem Druck zu entziehen. Sie sollten die Mitarbeit der Väter stärker einfordern. Sich einen Babysitter zulegen, regelmäßig kinderfreie Tage alleine oder mit dem Partner organisieren. Oder sich therapeutische Unterstützung holen - etwa in Form von Psycho- oder Entspannungstherapie.
Als Fazit ließe sich also sagen, am Ende liegt es vor allem an den Frauen selbst?
Absolut. Dass es soweit kommt, dass Frauen ihre Mutterschaft bereuen, wird erst möglich, wenn sie nicht in der Lage sind, die ihnen auferlegte Mutterrolle abzulehnen. Es kommt darauf an, die eigenen Bedürfnisse zu schützen und sich damit selber Anerkennung zu geben. Es gibt immer die Möglichkeit, eine Tasse Kaffee zu trinken. Man muss es sich allerdings wert sein und sich klar machen: Ich habe ein Recht darauf.
Das ist am Ende auch den Kindern gegenüber fairer.
Sicher. Die Anforderungen werden ja nicht von den Kindern an die Mütter gestellt. Die sind sich der Tatsache gar nicht bewusst, wie unglücklich ihre Mütter darüber sind, dass sie nicht duschen oder Kaffee trinken können. Ihnen wird ein Geschlechterbild vorgelebt, in dem die Frau eine Art Dienstleisterin ist. Das wird immer weitergegeben. Wir brauchen ein Mutterbild, das nicht darauf abzielt, eigene Bedürfnisse zu unterdrücken. Wir brauchen Mütter, die wissen, wo ihre Grenzen sind. Das ist verantwortungsvoll.
Nota. - "Weil Frauen schon von Kindheit an gelernt haben, sich zurückzunehmen": wann und wo soll das gewesen sein? In den letzten vierzig Jahren nicht, jedenfalls nicht bei uns.
Nicht was ihre Kinder von ihnen erwarten, ist ihnen zu viel, sondern was ihre Rolle von ihnen erwartet. Und was ist "ihre Rolle"? Das, was die Andern tuscheln - die andern Mütter.
Das gibt es ja gar nicht mehr, dass jemand Mutter wird, ohne es zu wollen. Die Frage ist heute vielmehr: Warum will sie es? Wenn sie es aus Eitelkeit tut, aus Geltungssucht, um sich zu verwirklichen und auszu- dehnen - dann wird sie es bald bereuen und muss sie niemand bemitleiden; wohl aber die Kinder und den Mann. Nicht "in der Gesellschaft muss sich etwas ändern", sondern in manch einer GesellschafterIn.
JE
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