Sonntag, 12. Oktober 2014

Verschulung und Massenakademisierung.

aus FAZ,

Buchbesprechung

  
Julian Nida-Rümelin: Der Akademisierungswahn. Zur Krise beruflicher und akademischer Bildung. Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2014. 253 S., br.,. 16,-  Euro.
Konrad Paul Liessmann: Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung. Eine Streitschrift. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2014. 191 S., geb., 17,90 Euro.

...Nida-Rümelin führt den „Bologna-Irrtum“ auf ein falsches Verständnis des amerikanischen Vorbilds zurück.

Dort besucht die große Mehrheit der Studenten lediglich allgemeinbildende Colleges, deren Niveau dem der deutschen Oberstufe, nicht dem der deutschen Universität entspreche. Dem wissenschaftlichen Studium widmen sich in den Vereinigten Staaten weniger als zehn Prozent eines Jahrgangs, weshalb das europäische Ziel, mehr als fünfzig Prozent eines Jahrgangs zum akademischen Studium zu bewegen, auf einer Fehlplanung beruhe. Deren ökonomische und soziale Folgen demonstriert Nida-Rümelin an Statistiken und Schaubildern.

Um die Zielvorgaben der OECD zu erfüllen, leiten und verleiten die Bildungsinstitutionen, so ergeben Nida-Rümelins Berechnungen, doppelt so viele Jugendliche zum Studium, als die Wirtschaft benötigt. Die Folgen werden sichtbar: Fehlende Facharbeiter sind nicht durch Bachelor-Absolventen zu ersetzen; die Quote der Studienabbrecher liegt bei dreißig Prozent, da selbst die verminderten Anforderungen wissenschaftlicher Fächer für eine große Zahl von Abiturienten zu hoch sind. Hätten die Enttäuschten und Getäuschten eine berufliche Ausbildung im dualen System oder an einer Fachhochschule gewählt, so hätte ihr erwachsenes Leben nicht mit einer Niederlage begonnen.
 
Vielleicht steht aber hinter den Empfehlungen der OECD (E bedeutet Economic) eine ökonomische Überlegung: Die Ablösung von Wissen durch Kompetenz, von Sprachbeherrschung durch Präsentationsfähigkeit, von Fachstudium durch Kombination von Modulen schafft einen neuen Typus des Arbeitnehmers. Er muss für schnell wechselnde, unvorhersehbare Zwecke verfügbar und brauchbar sein, wobei das Festhalten an bestimmten, ernsthaft angeeigneten Inhalten, wie es früher die Bildungseinrichtungen forderten, nur hinderlich wäre. In der neuesten Technik des Unterrichts und des Vortrags, der Powerpoint-Präsentation, entdeckt Liessmann die Absicht, das selbständige, stets von Zweifeln begleitete Mitdenken auf die Zustimmung zu autorisierter Information zu reduzieren: „Bilder, Graphiken, Diagramme, Schautafeln tun so, als wäre jede Diskussion darüber hinfällig.“

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