Sehr
geehrter Herr Professor W.,
... Richtig
gefreut hat mich aber, dass Sie meine Argumentation romantisch und idealistisch
nennen: Das ist sie im strengen Wortsinn. Mein wissenslogischer Bezugspunkt ist
unverkennbar die Wissenschaftslehre von Fichte, und die hat ebenso den
Idealismus begründet wie die Romantik.
Nichts
liegt mir ferner, als eine Tätigkeit für sündhaft zu halten, nur weil sie nicht
wissenschaftlich* wäre. Kano- nisches Fichte-Wort: "Man kann leben, ohne zu
philosophieren." Und ich bin ja selber kein Wissenschaftler, sondern 'ausübender'
Pädagoge, obwohl ich Pädagogik nicht für eine Wissenschaft halte (oder besser:
weil; denn wenn sie es wäre, würde ich sie nicht ausüben wollen, das wär mir zu
trocken.) Allerdings kann man über das, was alltäglich 'Erziehung' genannt
wird, durchaus wissenschaftlich reden, das tu ich ja selbst. 'Alles kann Gegenstand
der Wissenschaften werden, sonst verdienten sie nicht diesen Namen.'
Nichts spräche dagegen, ein interdisziplinäres Institut zu bilden, an dem eine Gruppe von historischen Erscheinungen in aller Welt ihrer "Familienähnlichkeit" halber (Wittgenstein dixit) zu forschungspraktischen Zwecken unter dem Namen Pädagogik zusammengefasst würde. Das bräuchte sich nicht mal auf - psychologische oder soziologische - Empirie zu beschränken: Die je vertretenen Rechtfertigungsdiskurse gehörten auch dazu. Das wär das, was ich mit "Pädagogologie" bezeichnet habe; ein historisch-kritisches Geschäft. Sowas ist sogar sehr nützlich, da haben Sie Recht, weil es den Erwerbspädagogen die Augen öffnet über die (sachliche und ideelle) Bedingtheit ihres Tuns und Lassens. Jedoch: 'Darum kann noch lange nicht alles eine Wissenschaft auch begründen.' Worum es mir nämlich geht, ist dies: ob dieses Fach aus sich heraus zu Ergebnissen kommen kann, die normative Geltung beanspruche dürfen.
Nichts spräche dagegen, ein interdisziplinäres Institut zu bilden, an dem eine Gruppe von historischen Erscheinungen in aller Welt ihrer "Familienähnlichkeit" halber (Wittgenstein dixit) zu forschungspraktischen Zwecken unter dem Namen Pädagogik zusammengefasst würde. Das bräuchte sich nicht mal auf - psychologische oder soziologische - Empirie zu beschränken: Die je vertretenen Rechtfertigungsdiskurse gehörten auch dazu. Das wär das, was ich mit "Pädagogologie" bezeichnet habe; ein historisch-kritisches Geschäft. Sowas ist sogar sehr nützlich, da haben Sie Recht, weil es den Erwerbspädagogen die Augen öffnet über die (sachliche und ideelle) Bedingtheit ihres Tuns und Lassens. Jedoch: 'Darum kann noch lange nicht alles eine Wissenschaft auch begründen.' Worum es mir nämlich geht, ist dies: ob dieses Fach aus sich heraus zu Ergebnissen kommen kann, die normative Geltung beanspruche dürfen.
Ich
bin nicht einer von diesen Praktikern, die die Ansprüche der Wissenschaft von
sich weisen, um sich in ihrer "Erfahrung" zu baden. Ich habe, wie Sie ja
feststellen,* eine hohe Meinung von der Wissenschaft, denn 'Anschauung ohne Begriffe
ist blind'. Ich will die gegenseitige Augenwischerei beider Seiten aufdecken -
der 'Theoretiker' wie der 'Praktiker'. Seit Herbart tun nämlich die erwerbsmäßigen
Pädagogen so, als verfügten sie (damals in H'.s Assoziationspsychologie) über
eine begründete Wissenschaft, auf die sie bei Bedarf nur noch zurückgreifen dürften
- und wären ipso facto von vornherein gerechtfertigt. Und seit Schleiermacher
die spezifische Erwerbstätigkeit der Pädagogen mit dem Abrakadabra-Namen "Praxis"
umschleiert hat, dürfen die Theoretiker so tun, als wäre ihnen ein fix und
fertiger Gegenstand gegeben, der sich durch sich selbst rechtfertigt. Jene
wechselseitige Mystifikation hat diesen gemeinsamen Nenner: Die pädagogische
Erwerbsweise floriert.
Störend
ist das Wuchern der sogenannten Erziehungswissenschaften nicht an sich selbst -
das wäre nur ein universitätsinternes (und vielleicht fiskalisches) Problem. Störend,
nein: katastrophal ist, dass die Fiktion einer Wissenschaft, die "die Praxis
begründet", den Beruf des Erziehers radikal entwertet, indem sie seine
personale Verantwortung an ein Drittes delegiert - eine anonyme Instanz, einen
Wörterberg, den man dreht und wendet wie man will, weil er sich nicht wehren
kann. Doch was er zu tun und zu lassen hat, muss der Erzieher selber wissen.
Ja, Sie haben recht: Die Pädagogik, die ich in meinem Landschulheim begründen
will, ist romantisch und idealistisch. Aber - Ironie der Geschichte - das ist
heute das einzig Realistische.
Darum
rede ich statt von Erziehung lieber von Bildung im klassischen deutschen Verständnis
- und von "lernen" schon gar nicht. 'Zwar gibt es im Beruf des Lehrers einen
operationalisierbaren Anteil: die Übertragung von Kenntnissen.' Aber der hat
mit Kindern (und ergo mit Pädagogik) nur zufällig zu tun. Und vor allem: Selbst
in der Schule nimmt dieser Anteil künftig einen immer kleineren Platz ein. So
haben empirische Erkenntnisse aus dem Bereich der Kognitionspsychologie immer
ihre sozusagen technologische Bedeutung für den Schulunterricht; aber Schule
und Unterricht sind nicht die ganze Pädagogik, und selbst dort werden die
Techniken des Wissenserwerbs hinter das Versuchen der produktiven
Einbildungskraft (Fichte) zurückzutreten haben. ...
Mit freundlichen Grüßen,
JE
*) Der Korrespondent hatte sarkastisch bemerkt, einen so erhabenen Begriff von WISSENSCHAFT wie ich habe er gar nicht, um ihn der Pädagogik absprechen zu müssen.
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