Dienstag, 16. September 2014

Schulen in Berlin.

Ab dem ersten Schultag sollen alle Kinder dieselben Chancen haben, ob das so ist, hängt auch von der Schulpolitik ab.
aus nzz.ch, 16.9.2014, 14:15 Uhr


Schule in Berlin
Am Ziel vorbei



Zu wenig und fachfremde Lehrer, unterforderte Schüler: Im innerdeutschen Vergleich schneidet die Berliner Schulpolitik schlecht ab. Privatschulen in der Hauptstadt boomen. Diese bieten zwar besten Unterricht, doch kann sich das nicht jeder leisten.

Wenn in diesen Tagen die Schulferien auch in Bayern und Baden-Württemberg enden, hat in ganz Deutschland nicht nur für rund 690 000 Schulanfänger ein neuer Lebensabschnitt begonnen. Fast 40 Prozent eines Schülerjahrgangs macht gleichzeitig den Schritt von der Grundschule ins Gymnasium. Diese Durchschnittszahlen verdecken allerdings die grossen Unterschiede in Schulqualität und -politik der einzelnen Bundesländer. Schulgesetzgebung und -verwaltung sind in Deutschland Aufgabe der Länder – und die Schulpolitik ein letzter Hort des bundesdeutschen Föderalismus.

Bitter verteidigen die Länder eine ihrer letzten politischen Bastionen gegen den zunehmenden Zwang politischer und administrativer Zentralisierung durch den Bund. Gleichzeitig ist Schulpolitik immer ein Laboratorium gesellschaftspolitischer Veränderungswünsche und Utopien. Wie soll die künftige Gesellschaft aussehen, auf die wir die jungen Menschen in der Schule vorbereiten? Welche sozialen und kognitiven Fähigkeiten sollen junge Menschen erlernen und welche Bildungsinhalte sollen sie sich dazu aneignen?

 

Egalisierungseifer


Seit den siebziger Jahren sind das die Fragen, welche die deutsche Bildungs- und Gesellschaftspolitik bis heute prägen. «Chancengleichheit» hiess das verheissungsvolle Motto, mit dem Willi Brandt 1972 als Kanzler wiedergewählt wurde. «Chancengleichheit» in der Schulpolitik heisst seitdem, den Zugang zum Gymnasium zu erleichtern, um die Anzahl der Abiturienten beziehungsweise der an einer Universität Studienberechtigten zu erhöhen. Die Abhängigkeit des Bildungswegs des Kindes von dem Bildungshintergrund der Eltern soll damit verringert werden.


Der Wettbewerb um die beste Umsetzung dieser Leitziele führte zu einer hohen Frequenz an Schulpolitikreformen in den Bundesländern. Die erbitterte Diskussion um die Verkürzung der Gymnasialzeit von neun Jahren (G9) auf acht Jahre (G8) ist nur ein Beispiel einer gross verkündeten Reformidee, die alsbald wieder zerplatzt. In fast allen Bundesländern ist G8 übernommen worden; einige lassen auch noch G9 zu – und Niedersachsen kehrt ab 2015 zu G9 zurück.
 





(NZZ)
Dabei gilt auch hier, dass mancher reformerischen Grosstat, die im Gewand besonderer sozialer und pädagogischer Modernität daherkommt, am Ende nicht viel mehr als die schnöde Kürzung von Mitteln des Landeshaushalts für den Schul- und Bildungsbereich zugrunde liegt. Der Egalisierungseifer in der deutschen Schulpolitik geht dahin, unterschiedliche Bildungswege anzugleichen und Schulbildung so weit wie möglich vom Elternhaus weg in die Schule zu verlagern. Auch dies soll die Abhängigkeit der Leistung der Schüler von dem Bildungshintergrund der Eltern verringern.

Die Zusammenfassung von Haupt- und Realschule in eine Integrierte Schule – Ganztagsschulen, in denen die Schüler auch die Hausaufgaben machen, oder die Gemeinschaftsschule, in der die unterschiedlichen Schultypen unter einem Dach zusammengefasst werden –, sie entspringt ursprünglich diesem ideologischen Egalisierungseifer. Heute kommt er auch Erwartungen der Eltern sowie administrativen Sachzwängen entgegen. Die gleichzeitige Berufstätigkeit beider Elternteile macht Ganztagsschulen notwendig; und der demografische Wandel, der den Rückgang von Schülerzahlen zur Folge hat, nötigt die Kommunen in den Flächenstaaten, Schulen zu Gemeinschaftsschulen zusammenzulegen.

Der Pisa-Schock

Es ist dieses föderale schulpolitische Allerlei, das letztlich für den deutschen Pisa-Schock 2000 verantwortlich war. Die Pisa-Studie der OECD hatte die Schulleistung von 34 OECD-Ländern verglichen. Die selbsternannte Bildungsnation Deutschland, als Exportnation besonders abhängig von der Schul- und Ausbildung ihrer Gesellschaft, landete nur auf Platz 21. Das war der Startschuss für die Harmonisierung der so unterschiedlichen Schulgesetze der einzelnen Bundesländer. Mit vereinheitlichten Qualitätsstandards und -massnahmen sollten sich die Leistungsniveaus annähern. 

Dank den Anstrengungen von Bund und Ländern ist Deutschland in der letzten Pisa-Umfrage von 2012 auf Platz 16 (Schweiz: Platz 9) vorgerückt. Die Bundesrepublik hat sich nicht nur in der Förderung der Bildung für alle verbessert, sondern auch in der Förderung von Spitzenleistung – hier war sie unter dem Mantra der «Chancengleichheit» eher schwächer.

Eines blieb hingegen unverändert: Im Vergleich der Schülerleistung und der Schulqualität der einzelnen Bundesländer geben sich Berlin und Bremen in schöner Regelmässigkeit die rote Schlusslaterne in die Hand. Beide Stadtstaaten sind von der SPD regiert. Die von der CDU regierten Länder Sachsen und Thüringen haben indes den Freistaat Bayern vom Spitzenplatz verdrängt (vgl. Abbildung). Das Bildungsbarometer 2013 des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW) zeigt, dass allein im Fach Mathematik die 15-Jährigen aus dem Spitzenreiter Sachsen ihren gleichaltrigen Kollegen aus Berlin zwei Schuljahre voraus sind. Natürlich steht Berlin vor anderen Integrationsanforderungen als Sachsen – dies wird von der Berliner Landesregierung auch gern als Erklärung für das schlechte Abschneiden Berlins vorgeschützt.

Gleichwohl liegt der Schluss nahe, dass dieses konstant schlechte Abschneiden Berlins im Ländervergleich seine Hauptursachen wohl in seiner ideologisierten und schlechten Schulpolitik hat. Die sechsjährige Regelgrundschulzeit etwa ist in Berlin eine «heilige Kuh». Leistungsstärkere Schüler sind in den zwei Schuljahren, die sie im Vergleich mit ihren Kollegen in 13 anderen Ländern in der Grundstufe sind, eher unterfordert. Eine weitere Berliner Besonderheit ist, dass Lehrer «nur» angestellt und nicht verbeamtet werden. Für gute Lehrkräfte ist das nicht sonderlich attraktiv.

Für das nun begonnene Schuljahr fehlten deshalb mehr als 2000 Lehrkräfte. Die Stellen mussten kurzfristig mit Lehrern aus anderen Bundesländern und durch berufsfremde Quereinsteiger besetzt werden. Hauptfächer wie Englisch und Mathematik werden zu einem Grossteil von fachfremden Lehrern unterrichtet, in den Grundschulen werden Mathematik und die Naturwissenschaften in bis zu 70 Prozent von fachfremden Lehrern unterrichtet. Die Beteiligung der CDU in der Berliner Koalition hat darauf bisher keinen Einfluss gehabt. Kritiklos schwenkten die Christlichdemokraten in der Schulpolitik auf den Kurs der SPD mit ein.

Aus diesen Gründen sind die wenigen Gymnasien in Berlin, die ausnahmsweise mit der 5. Klasse beginnen dürfen, bei Eltern und Schülern sehr begehrt. Es sind dies nicht nur staatliche Schulen, sondern auch private, vor allem diejenigen in konfessioneller Trägerschaft. Die Viertklässler müssen sich allerdings anspruchsvollen Aufnahmeprüfungen unterziehen, um dort aufgenommen zu werden. So führt die eigentlich auf Egalisierung ausgelegte Berliner Schulpolitik paradoxerweise gerade zu einer höchst elitären Auslese von leistungsstarken Schülern.

Kurioserweise bietet Berlin aus seiner Geschichte heraus gerade mit diesen Gymnasien Spitzenunterricht an, der in seiner besonderen schulischen Ausrichtung im übrigen Bundesgebiet selten ist. Wenn nun 78 Viertklässler die 5. Klasse auf dem «Lycée Francais» beginnen, werden sie Schüler eines der traditionsreichsten Gymnasien der Stadt. Es wurde 1689 von Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg als erstes öffentliches Gymnasium gegründet, nach dem privaten «Grauen Kloster» der evangelischen Kirche 1574, vor allem um aus Frankreich emigrierende Hugenotten anzuziehen.

Der französische Co-Direktor und 30 Lehrer im französischen Staatsdienst sorgen für eine absolute Bilingualität der Schüler beim Abschluss – durch ein französisches Bac und ein deutsches Abitur. Die deutsche Schulleiterin Frau Jansen sagt, sie sei immer begeistert zu sehen, wie selbstverständlich die deutschen, französischen, arabischen und afrikanischen Schüler hier Multikulturalität gemeinsam erführen und lebten.

Einzig in Deutschland ist auch das mit 450 Schülern kleine jüdische Gymnasium Moses Mendelsohn. In dem früheren Berliner jüdischen Viertel gelegen, geht es auf die Gründungsidee des jüdischen Berliner Aufklärers und Namenspatrons zurück. Aber auch das katholische 1956 gegründete Canisius-Kolleg, eines der drei vom Jesuitenorden getragenen Gymnasien in Deutschland, erfreut sich grosser Beliebtheit. Und die Abgänger des Musikgymnasiums Philipp Emanuel Bach erlangen nach der Musikausbildung einen Studienplatz an den besten deutschen und internationalen Musikhochschulen.

 

Boomende Privatschulen


Die Leistungen von diesen bundesweit besonderen Berliner Gymnasien tauchen in keiner Statistik und keinem Ländervergleich auf – auch weil sie dem offiziösen Anspruch auf «Chancengleichheit» Hohn sprechen. Wenn bundesweit mittlerweile 40,2 Prozent eines Jahrgangs Abitur machen und deutsche Bildungspolitiker stolz verkünden, dass sich damit die Zahl der Abiturienten gegenüber der Elterngeneration verdoppelt habe, ist es kein Wunder, wenn sich leistungsstarke Schüler auf diese Nischen stürzen.

Der Privatschulsektor in Berlin boomt. Wenn das Abitur zur Massenware wird, wollen und müssen sich Schüler zusätzlich qualifizieren. Dazu haben die Kinder mit gutem Bildungshintergrund und aus sozial und finanziell stabilen Verhältnissen bessere Möglichkeiten als die anderen. Was daher einst als grosse bundesdeutsche Bildungsoffensive zur Chancengleichheit begann, hat zu einer erhöhten Chancenungleichheit geführt. Nicht umsonst weist jede Pisa-Studie nach, dass noch immer in keinem anderen Land Europas der Bildungserfolg der Schüler so abhängig vom Bildungshintergrund der Eltern ist wie in Deutschland.


Nota.

Der Autor hat von progressiver Schulpolitik nichts, aber auch gar nichts verstanden. Die Privaten erlauben Ausnahmen von der Gleichmacherei und fördern dadurch den Elitismus? Dann muss man sie eben verbieten, null problemo.
JE

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