Dienstag, 26. August 2014

Seine nachaltige Kindlichkeit verdankt der Mensch dem Kopf.

http://ebmeierjochen.files.wordpress.com/2010/11/gemito-fiociniere1.jpgVincenzo Gemito
aus Der Standard, Wien, 27. 8. 2914

Warum wir so lange Kinder bleiben
Biologie. In den ersten Jahren wachsen Menschen langsam, zumindest was den gesamten Körper angeht. Dafür wächst in ihnen etwas mit Höchstgeschwindigkeit, das Gehirn, es verbraucht den Großteil der Ressourcen.

 

Wenn wir auf die Welt kommen, sind wir relativ groß, aber dann geht es langsam voran. Bis wir ausgewachsen sind und geschlechtsreif, vergehen an die 18 Jahre. Eine solche Art, das Leben anzulegen – „life history“ –, haben sonst noch Reptilien, bei Säugetieren geht es rasch, bei Primaten auch, nur Schimpansen bremsen etwas, aber was ein Vergleich zeigt: Sie werden 32 Wochen lang ausgetragen, bei uns sind es 38 bis 40, dann wachsen sie in einem Zug, mit vier Jahren versorgen sie sich selbst, mit zwölf sind sie fertig!

Warum sind wir solche Lahmfüße? Es gibt vor allem zwei Hypothesen, sie schließen einander nicht aus: Die eine setzt darauf, dass wir so viel lernen müssen/dürfen, das brauchte schon bei unseren Ahnen Zeit, die über Jahrtausende als Jäger und Sammler unterwegs waren. Die andere sieht den Schlüssel in dem Organ, das bei uns im Erwachsenenalter etwa drei Mal so groß ist wie bei den Schimpansen, im Gehirn, unseres hat um die 1200 Kubikzentimeter Volumen, ihres um die 450, es schwankt bei beiden individuell stark. Und unseres wächst, solange es geht, im Uterus.

Irgendwann muss es hinaus, im letzten Moment, wenn der Schädel gerade noch durch den Geburtskanal passt. Dann bringt das Gehirn ein Viertel des Körpergewichts auf die Waage, aber es hat erst 30Prozent seiner erwachsenen Größe, bei Schimpansen sind es 40. Also muss unseres wachsen, und zwar nicht nur gleich nach der Geburt, sondern bis zur Pubertät. Das braucht Energie, das Gehirn ist extrem hungrig.

Gehirn ist ein extrem teures Gewebe

Woher nehmen? 1995 entwickelte Leslie Aiolli (University College London) die „expensive tissue hypothesis“: Der Paläoanthropologin war aufgefallen, dass unser Magen-Darm-Trakt nur 60Prozent der Größe hat, die er bei einem so großen Primaten haben müsste. Dort wird bei uns gespart, möglich wurde das durch energiereiche Nahrung – Fleisch, Fisch –, möglich wurde es auch durch die Domestizierung des Feuers: Kochen und Braten holen mehr Energie aus der Nahrung und machen sie unserer Verdauung leichter zugänglich.

Energie kann auch anderswo gespart werden, etwa durch Hinauszögern des Reifens, damit erklärt die zweite Hypothese unser gemächliches Wachstum: Es mag nur Eltern so vorkommen, dass Kinder in die Höhe schießen, in Wahrheit geht es vor allem mit vier, fünf Jahren so gemächlich, dass man nicht aus der Körpergröße auf das Alter schließen kann, sondern auf das Reden hören und das Verhalten im Auge behalten muss.

Und dort, im Alter von vier, fünf Jahren, wird extrem viel Energie in das Gehirn investiert, Christopher Kuzawa (Evanston) hat es durch das Zusammenführen älterer Daten über Größe und Energiebedarf des Gehirns gezeigt: In diesem Alter nimmt es 66Prozent der Energie, die der ganze Körper braucht, wenn er ruht; bewegt er sich, liegt der Anteil des Hirns immer noch bei 40Prozent (Pnas, 25.8.). „Das Körperwachstum kommt fast zum Stillstand, wenn die Gehirnentwicklung mit Lichtgeschwindigkeit geht, weil das Gehirn die verfügbaren Ressourcen aufsaugt“, erklärt Kuzawa. Erst wenn es endlich genug hat, um die Pubertät herum, kann endlich der Körper in die Länge schießen.

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