Elisofon
aus derStandard.at, 24. März 2019,
Zoom-Kindermuseum
"Buben bauen große, Mädchen kleine Dinge"
Kinder, die nicht mit der Schere schneiden können. Eltern, die es mit
der Frühförderung übertreiben. Als Leiterin des Zoom-Kindermuseums hat
Elisabeth Menasse-Wiesbauer Spielen und Lernen im Wandel beobachtet
Interview von Peter Mayr, Karin Riss
STANDARD: Das Wiener Kindermuseum Zoom feiert 25-Jahr-Jubiläum. Wenn Sie
zurückblicken, wie sehr haben sich die Kinder in all diesen Jahren
verändert?
Menasse: Die gesamte Gesellschaft hat sich stark verändert. Beim Start
1994 war von Digitalisierung noch keine Rede. Ein Handy? Gab es kaum,
für Kinder schon gar nicht. Ein Computer? Selten. Außerdem war die
Bevölkerung vergleichsweise homogen und die Schulklassen weniger divers
und bunt. Das hat sehr viel am Selbstverständnis der Kinder geändert.
STANDARD: Wie merken Sie das?
Menasse: Im Unterschied zu Erwachsenen sind Kinder heute viel mehr daran
gewöhnt, mit Menschen unterschiedlicher Herkunft zu tun zu haben. Das
ist für sie mittlerweile völlig normal ...
STANDARD: ... wie auch die neuen Medien. Sind sie mehr Bereicherung oder
nurmehr Konkurrenz?
Menasse: Neue Medien haben den Vorteil, dass sie Kindern Einblicke in
andere Welten bieten. Gleichzeitig ist die analoge Welt sehr viel
wichtiger. Es kommen Kinder zu uns, die manuell ziemlich ungeschickt
sind. Sie wischen ständig über irgendeinen Bildschirm, basteln aber kaum
noch. Auch in der Schule nimmt das ab, weil der Werkunterricht so
eingeschränkt worden ist. Bei uns im Atelier fragen Kinder manchmal:
"Kannst du mir das bitte schneiden? Ich kann das nicht." Da schwingt
auch dieser Servicegedanke mit, dass das jemand anderer für einen
erledigen soll.
STANDARD: Finden Kinder zu wenig Freiräume, wo sie sich ohne Erwachsene
ausprobieren können?
Menasse: Die Freiräume werden immer kleiner. Weil Kinder zunehmend in
institutioneller Betreuung sind, also in Kindergärten, Schulen, Horten.
Dort sind sie ständig unter Aufsicht. Zusätzlich gibt es in Großstädten
kaum Orte, wo sich Kinder frei entfalten und bewegen können.
STANDARD: Das Museum als Großstadtrefugium?
Menasse: Das Kindermuseum bietet sicher gewissen Freiraum. Einmal haben
wir Kinder gefragt, was sie von einer Führung halten würden. Da hieß es
dann nur: Nein! Dann ist es ja wie in der Schule.
STANDARD: Sie sagen: Spielen ist die beste Form des Lernens. Das
bedeutet aber, dass in den Schulen einiges falsch läuft.
Menasse: Spielen ist eine sehr effektive und individuelle Form des
Lernens. Bei 25 Kindern in der Klasse ist das natürlich schwierig.
Mittlerweile haben viele Volksschulen Elemente alternativer
pädagogischer Konzepte übernommen, die auch aufs Spielen setzen. Aber
kaum ist die Volksschule beendet, wird es wieder rigider.
STANDARD: Es gilt, den Lehrstoff unterzubringen.
Menasse: Die Schulreformen der letzten Jahre sind immer mehr in Richtung
Evaluierung und Vergleichbarkeit gegangen, die Lehrkräfte werden mit
Bürokratie auf Trab gehalten. Wenn sie ein Spezialgebiet begeistert,
können sie das den Kindern kaum mehr vermitteln, weil so wahnsinnig viel
Stoff abgehakt werden muss. Das ist eine Art Gleichschaltung und
Entindividualisierung des Unterrichts. Ich kenne viele engagierte
Lehrerinnen und Lehrer, die darunter leiden.
STANDARD: Wie viel Wissen bringen Volksschulkinder heute mit?
Menasse: Die Unterschiede sind wahnsinnig groß. Das macht das Lehrersein
auch so schwer. Es gibt Kinder aus gebildeten Familien mit großem
Spezialwissen. Die kommentieren manchmal mit, als wären sie kleine
Professoren. Und dann gibt es Kinder, die verstehen kaum die Anleitungen
unserer Künstlerinnen und Künstler.
STANDARD: Stichwort Geschlechterrollen und Technik: Gibt es
unterschiedliche Herangehensweisen von Mädchen und Buben?
Menasse: Ja, diese Unterschiede sind noch immer ein Thema – sehr. Ein
Beispiel: Immer wieder stellen wir einen riesigen Tonhaufen in das
Atelier. Daraus formen die Kinder Objekte. Was auffällt: Die Buben bauen
groß – Burgen, Türme. Die Mädchen bauen kleine Dinge, die auch
feinmotorisch viel komplizierter sind – Blumen etwa. Hier versuchen wir
gegenzusteuern und beide Geschlechter für die jeweils andere
Herangehensweise zu interessieren.
STANDARD: Wenn wir uns die Eltern anschauen: Hat sich deren Zugang in
all den Jahren geändert?
Menasse: In der Anfangszeit des Zoom musste man ihnen genau erklären,
dass die Kinder hier im Mittelpunkt stehen und sich alleine durch die
Ausstellung bewegen können. Auch unser spielerischer Zugang war vielen
Eltern fremd. Dann gab es eine lange Phase der Zustimmung zu unserem
Konzept. Jetzt kippt das gerade wieder. Wir haben Eltern, die uns sagen:
"Also ein bisschen mehr Wissen müsste man da schon vermitteln." Der
Bildungsbegriff wird bei manchen wieder enger.
STANDARD: Ist das dem Leistungsgedanken geschuldet?
Menasse: Das hat hundertprozentig damit zu tun. Dass man die Kinder fit
machen möchte fürs Leben. Nur bezieht sich in unserer
Wissensgesellschaft der Leistungsgedanke vor allem darauf, was die
Kinder an Faktenwissen haben. Ob sie geschickt sind oder wie es mit
ihren sozialen Kompetenzen aussieht, das wird dabei leider unwichtiger.
Manche Eltern wollen, dass wir ihren Vierjährigen den Nährstoffkreislauf
erklären – und zwar wissenschaftlich exakt. Das ist dann wirklich
schwierig. Es geht nämlich in dem Alter nicht. Aber Lernen ist ja auch
etwas Intuitives. Kinder lernen auch, indem sie einfach etwas tun.
Elisabeth Menasse-Wiesbauer hat Geschichte, Psychologie und Philosophie
studiert. Seit 2003 ist sie Direktorin des Zoom-Kindermuseums in Wien.
Heuer geht sie in Pension.
Nota. - Ja darf man* sich denn überhaupt so ausdrücken: "Buben bauen große, Mädchen kleine Dinge" - ohne wenigstens nachzuschieben, dass das natürlich ihrer eingeübten Großmannssucht und Selbstbeschei- dung geschuldet ist?! Aber immerhin: Gegensteuern will sie schon.
Spielen sei die beste From des Lernens? Na ja. Da kommt es wohl darauf an, was gelernt werden soll. Und auf alle Fälle ist lernen nicht der tiefere Sinn des Spielens. Spielen ist freie Betätigung der Einbildungskraft, und darum verträgt es sich nicht mit Beaufsichtigung. Es ist ganz falsch, dass im Unterricht mehr gespielt werden müsste. Spielen ist freie Tätigkeit, weil es zweck freie Tätigkeit ist. Das ist lernen nicht, es hat einen Zweck, sei es Wissen, seien es 'Kompetenzen'. Es ist nicht zuviel verlangt, dass Kinder diesen Unterschied kennenlernen.
Bleibt, dass sie zu freier Betätigung der Einbildungskraft heute immer weniger Gelegenheit und schon gar keine Anregung finden. Spielen ist wohl Bildung, aber kein Unterricht. Die Lösung ist daher nicht mehr Spiel in der Schule, sondern weniger Schule.
JE
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