aus Die Presse, Wien, 10. 12. 2015
Online-Kurse machen Bildung nicht gerechter
Kann höhere Bildung auf Mausklick bessere Chancen für alle Schichten schaffen? Wohl kaum, wie eine aktuelle Studie besagt.
Kann man universitäre Bildung für alle ermöglichen? Der Stanford-Professor Sebastian Thrun war ein Vorreiter in dieser Frage: 2011 hat beschloss er, seine Vorlesung „Einführung in die künstliche Intelligenz“ ausschließlich online anzubieten. Dabei stellte sich schnell ein Erfolg ein, er hatte 160.000 virtuelle Zuhörer. Damit machte er die so genannten Massive Open Online Courses, kurz MOOCs, bekannt, viele folgten seinem Beispiel. Die Idee dahinter war, universitäre Bildung zu öffnen, per Mausklick jedem (meist kostenlos) zugänglich zu machen.
Dass diese Form der Bildung trotzdem nicht die erhoffte Öffnung bringt, zeigt eine aktuelle Studie aus den USA. Denn die Kurse werden vor allem von jenen genutzt, die ohnehin schon sehr gebildet sind. MOOCs seien oft als Heilmitttel gegen die Ungleichheiten im Bildungssystem charakterisiert worden, heißt es in der Abhandlung von John D. Hansen und Justin Reich. Doch diese Hoffnung dürfte sich nicht erfüllen.
Die beiden Forscher von der Harvard University und dem rennomierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) nutzen Daten von 68 Kursen. Diese waren von ihren Unis zwischen 2012 und 2014 angeboten worden. Die Erkenntnis ist ernüchternd: Die meisten Kursteilnehmer kommen aus einer Umgebung, die wohlhabender und gebildeter ist als das Umfeld des typischen US-Amerikaners.
Teilnehmer: Mehr Einkommen und Bildung
Bei einem Unterschied von 20.000 US-Dollar im Jahreseinkommen steigt die Wahrscheinlichkeit einer Teilnahme um 27 Prozent. Jedes zusätzliche Ausbildungsjahr der Nachbarschaft im Durchschnitt erhöht die Wahrscheinlichkeit gar um 69 Prozent. Für die Teilnehmer aus besseren Verhältnissen war es wahrscheinlicher, einen Abschluss zu machen.
„Unsere Ergebnisse steigern die Bedenken, dass MOOCS und ähnliche Angebote zum Online-Lernen die Ungleichheiten bei Bildungsergebnissen in Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Status eher verschärfen, als dass sie sie reduzieren“, schreiben die beiden Forscher in ihrer Zusammenfassung zur Studie.
Eine Erklärung könnte die Mediensozialisation sein, erklären die Autoren. Es gehe um mehr als den prinzipiellen Zugang, entscheidend sei wahrscheinlich die Art der Nutzung. Und die sei schon bei sozial schwächeren Kindern eher passiv, bei stärkeren eher aktiv. Daher würden jene, die von vorn herein begünstigt sind, noch mehr profitieren.
In Österreich waren die universitären Online-Kurse bisher noch kein großes Thema. In Wien entsteht derzeit aber ein Filmstudio, das sich der Produktion von MOOCs widmen wird. In Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsuniversität und der TU sollen dort ab Jänner 2016 produziert werden.
Nota. - Institutionell gesteuert werden kann immer nur der Zugang zur Bildung. Ob und von wem der Zugang genutzt wird, ist keine formale Frage, die sich institutionell beantworten ließe, sondern eine sachliche: was auf der einen Seite angeboten und was auf der andern Seite erwartet wird. Das, was angeboten wird, muss die, die es nutzen sollen, zur Nutzung verlocken, verleiten und verführen. Und der, der es anbietet, muss zur Nutzung ... usw.
Wirkt ein Bildschirm mit Tastatur verlockend? Und auf wen?!
Verlocken, verleiten und verführen, das ist die Methode jeglicher Bildung; und jeglicher Erziehung, wenn das Wort irgend einen plausiblen Sinn haben soll.
Aber eins wird sich nicht ändern lassen: Wer sich nicht verlocken lässt und wem bloße Unterhaltung genügt, den kann man auch nicht verführen.
JE
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