aus Der Standard, Wien, 21. Dezember 2014, 09:00
Das soziale Umfeld wirkt sich auf Größe und Gewicht der Kinder aus - das hat ein Wiener Forscher herausgefunden
von Peter Mayr
Soziale Herkunft schlägt sich in Größe und Gewicht von Kindern nieder. So lautet die Kernbotschaft einer Studie von Stefan Riedl, Kinderarzt und Hormonspezialist am St.-Anna-Kinderspital und an der Kinderklinik des AKH in Wien. Der Wissenschafter hat die Daten von tausenden Kindern sortiert, Körpergröße und Gewicht analysiert, sozioökonomische Einflüsse mit eingerechnet - und verglichen, verglichen, verglichen. Riedl interessierte vor allem eines: Gibt es einen Zusammenhang zwischen Körpermaßen und Bildungsstand? Oder anders ausgedrückt: Braucht es nur einen Blick auf ein Kind, um zu wissen, welchen Schultyp es besucht? Bei aller Vorsicht vor einer zu groben Generalisierung sieht Mediziner Riedl eine deutliche Tendenz in diese Richtung.
Ein Messbus am Weg
Seine Forschungsergebnisse, die demnächst in einem amerikanischen pädiatrischen Fachjournal erscheinen werden, beruhen auf einer Erhebung aus dem Jahr 2010. Damals fuhr ein Messbus der Arbeitsgemeinschaft für Kinder-Endokrinologie quer durch Österreich, erfasst wurden Größe, Gewicht und Sitzhöhe von Schülern und Schülerinnen. Letztere erlaubt Rückschlüsse auf die Proportionen. Ziel war es, aktuelle Wachstumskurven für Österreich zu erstellen. Also wurde die Größe und Gewicht aber auch die Sitzhöhe erhoben. Am Ende waren 15.000 Kinder und Jugendliche aus allen Altersgruppen vermessen - eine große Auswahl, die dementsprechend sehr aussagekräftige Rückschlüsse zulässt.
Schlank bleibt schlank
Der Datensatz erlaubt aber auch eine neue Sicht auf Österreichs Schüler. "Die große Krise", wie es der Endokrinologe nennt, ist das Gewicht. Hier gilt: Schlank bleibt schlank. Immer wieder neu definiert wird hingegen, was als dick oder adipös gilt. "Wir sind schon deutlich über den Wert von vor 25 Jahren gerutscht", sagt Riedl. Waren damals zirka zehn Prozent der Kinder und Jugendlichen definitionsgemäß übergewichtig oder adipös, sind es heute mehr als doppelt so viele. Bei der neuen Studie geht es Riedl "um die Fragestellung, wie sich soziale Faktoren auf den Körper auswirken".
Am leichtesten lassen sich die Unterschiede bei den 11- bis 16-Jährigen zeigen, wo durch die Schulwahl zwangsläufig eine soziale Differenzierung begünstigt wird. Der errechnete Mittelwert bestätigte die Annahme: Haupt- und NMS-Schüler sind tatsächlich kleiner und wiegen mehr als gleichaltrige Gymnasiasten. Wer in die Hauptschule oder Neue Mittelschule geht, hat bei gleicher Größe 1,8 bis 2,7 Kilogramm mehr Gewicht, wobei die Kilogramm speziell bei den 16-Jährigen hochschnellen. "Eine Erklärung für diesen Anstieg ist, dass Jugendliche am Ende der Pflichtschulzeit selbstständiger sind, was sich auf Ernährungs- und Lebensgewohnheiten auswirkt", mutmaßt Riedl.
"Verklärte Sichtweise"
Noch etwas lässt sich aus den Daten ableiten: Das gesunde Landleben sei "eine verklärte Sichtweise". Tendenziell dick sind die Wiener, dann kommen aber schon die Landkinder. Vergleichsweise gut haben es jene Kinder erwischt, die aus mittelgroßen Städten kommen. "Dass Menschen auf dem Land gesund essen, ist eine Mär", sagt der Mediziner. Untersuchungen zeigen, dass sich die Ernährungsgewohnheiten von den Städten längst aufs Land übertragen haben. Warum schneidet Wien schlecht ab? "Der Anteil bildungsferner Schichten ist größer. Das hat Auswirkung auf die Ernährung, aber auch auf Freizeitaktivitäten wie Sport."
Ähnliches wurde schon in der Schweiz ermittelt. Das Sportinstitut an der ETH Zürich hat sportmotorische Daten mit der sozialen Herkunft verknüpft. Das Ergebnis: Die "Rangliste mit den höchsten versteuerten Einkommen sieht jener mit den besten sportmotorischen Resultaten sehr ähnlich", schrieb die Neue Zürcher Zeitung.
Bei der aktuellen österreichischen Messung zeigt sich, dass die Diskrepanz bei der Größe im Vergleich zum Gewicht nicht so stark ausgeprägt ist. Im Durchschnitt sind Hauptschüler um 0,93 Zentimeter kleiner als ihre Altersgenossen im Gymnasium. Bei den Älteren dürfte sich diese Kluft noch verstärken, da Übergewicht die Pubertät früher auslösen kann und dadurch der Wachstumsschub bei AHS-Schülern vergleichsweise später einsetzt. Dass die soziale Schicht die Größe mitbestimmt, wurde auch schon Anfang des 20. Jahrhundert ermessen: Damals waren es drei bis sechs Zentimeter, die sich ein Nicht-Arbeiter von einem Arbeiter abhob. Seit den 1960er-Jahren hat sich dieser Unterschied auf 1,5 Zentimeter reduziert - bislang ist es dabei auch geblieben.
Große verdienen mehr
Riedl verweist auf Studien, welche die Körpergröße in Beziehung zum Einkommen setzen. In einer Studie der University of Florida heißt es: "Die Ergebnisse zeigen, dass großgewachsene Menschen einen Vorteil in vielen wichtigen Bereichen bezüglich Karriere haben" - große Menschen verdienen demnach eher mehr als kleinere. Die gute Nachricht für Kleinergewachsene: Es gibt auch andere Variablen, wie kognitive und soziale Fähigkeiten, die den pekuniären Erfolg beeinflussen. Insofern handelt es sich nicht gleich um irreversible Gesetzmäßigkeiten.
Dass er mit derlei Messdaten Angriffsflächen bietet, ist Riedl bewusst: "Es bringt doch nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Das muss aktiv angegangen werden." Mit "das" meint er Österreichs gegliedertes Schulsystem: "Es sollte nicht sein, dass sich in den Messwerten Gewicht und Größe das Bildungsniveau widerspiegelt." Kurzfristig müsse es in den Risikogruppen Ernährungserziehung geben, sagt der Mediziner. Helfen könnte die Reform des Systems für Grund- und Pflichtschule. Spannend wäre dann zu sehen, sagt Mediziner Riedl, ob sich - neben der besseren Aussicht auf Chancengleichheit bezüglich höherer Bildung, wie viele Experten überzeugt sind - ein "sekundärer, positiver Effekt auf die Übergewichtsepidemie" einstellt.
Es sollte nicht sein, dass sich in den Messwerten Gewicht und Größe das Bildungsniveau widerspiegelt.
Nota. - Ob gegliedert oder ungegliedert oder kuddelmuddel, das kann mir ja wurscht sein (darf man in Österreich jetzt sagen); Hauptsache, sie rühren den freien Nachmittag nicht an. Aber sie, das sind offenbar immer dieselben, und wenn ich lese, was sie aufbieten, um gegen das gegliederte Schulsystem zu mosern, denke ich, an dem muss was dran sein. Aber ob ich sie richtig verstehe, weiß ich nicht: Wollen sie bloß die Dicken mit den Dünnen vermengen, dass man den Unterschied nicht mehr so sieht, oder sollen die Dünnen auch ein bisschen dicker werden?
JE
Nota. - Ob gegliedert oder ungegliedert oder kuddelmuddel, das kann mir ja wurscht sein (darf man in Österreich jetzt sagen); Hauptsache, sie rühren den freien Nachmittag nicht an. Aber sie, das sind offenbar immer dieselben, und wenn ich lese, was sie aufbieten, um gegen das gegliederte Schulsystem zu mosern, denke ich, an dem muss was dran sein. Aber ob ich sie richtig verstehe, weiß ich nicht: Wollen sie bloß die Dicken mit den Dünnen vermengen, dass man den Unterschied nicht mehr so sieht, oder sollen die Dünnen auch ein bisschen dicker werden?
JE
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