aus derStandard.at, 19. Oktober 2018, 08:00
Zwischen Fehlverhalten und Langeweile:
Das Problem schulischer Unterforderung
Kinder
haben unterschiedliche Fähigkeiten. Diese adäquat zu fördern ist in
unserem Schulsystem schwierig. Wie man trotzdem darauf reagieren kann
von s
Lilly
ist elf und geht gern in die Schule. Sie tut sich leicht, ist an vielem
interessiert und macht auch am Nachmittag ihre Aufgaben in Windeseile,
damit sie dann ihren Freizeitaktivitäten – etwa Tanzen und Klavier
spielen – nachgehen kann. Oft findet sie die Schule auch langweilig,
aber eigentlich ist sie zufrieden, weil sie sich kaum anstrengen muss.
Der
13-jährige Valerian hat es zurzeit nicht gerade einfach. Die Schule
findet er total langweilig, und mit seinen Mitschülern kann er recht
wenig anfangen, die sind ihm alle viel zu dumm. Es ärgert ihn, dass er
immer warten muss, bis die anderen verstanden haben, was gerade erklärt
worden ist. Mit den Lehrerinnen und Lehrern in der Schule hat er viele
Konflikte, und oftmals drohen sie ihm, dass er bald von der Schule
fliegt, wenn er sich nicht zu benehmen weiß. Doch eigentlich findet er
das alles ziemlich ungerecht und hat es satt, sich ständig anzupassen. ...
Hochbegabung – ein bekanntes Phänomen
Des Öfteren
hört man von Kindern mit speziellem Talent oder einer Hochbegabung.
Eltern und Bezugspersonen sowie Pädagoginnen und Pädagogen sind in den
letzten Jahren viel hellhöriger geworden und besser informiert, woran
man merken könnte, dass diese Kinder adäquat gefördert werden sollten
oder eventuell ihren speziellen Talenten viel besser nachgehen könnten.
Kinder
sind in der Schule unterfordert, weil die Gesellschaft versucht, alle
Kinder über einen Kamm zu scheren, sodass alle Kinder im selben Alter
die gleichen Aufgaben lösen können sollen.
Aber Kinder entwickeln
sich unterschiedlich und können ganz verschiedene Fertigkeiten haben. Da
kann ein Kind besser mit Zahlen jonglieren als die Klassenkollegen,
während das nächste sich gerne mit anderen Kindern umgibt und spielt und
ein weiteres gerne die Welt in ihren Zusammenhängen entdeckt.
Doch
unterforderte Kinder sind nicht so leicht zu entdecken, denn die
Abgrenzung zur generellen Hochbegabung ist nicht einfach und auch oft
nicht leicht zu bemerken. Auch ist Vorsicht geboten, denn nicht jedes
Kind, das sich in der Schule leichttut, ist grundsätzlich hochbegabt und
unterfordert.
Unterforderung in der Schule kann sich vielfältig zeigen.
Wenn
Kinder ausgeglichen sind und ihren Wissensdurst auf die Freizeit
verschieben können, dann ist hier seitens der Eltern und Bezugspersonen
dahingehend Unterstützung gefragt. Das Ermöglichen von Aktivitäten sowie
den persönlichen Interessen nachgehen zu können sollte einen Ausgleich
für das Kind schaffen. Auch eine anregende und spannende Lernumgebung
können Eltern und Bezugspersonen zu Hause ermöglichen, indem sie Kindern
Bücher, Dokumentationen oder diverse Lernspiele zur Verfügung stellen.
Da können zum Beispiel gemeinsam Knobel- und Denkspiele gelöst oder nach
speziellen Angeboten gesucht werden.
Unzufriedenheit in der Schule
Sind
Kinder mit der Schule unzufrieden und der Meinung, dass sie mal wieder
nichts Neues gelernt haben und es dort außer langweilig nur langweilig
ist, reicht ihnen oft nicht aus, nur am Nachmittag den Ausgleich zu
finden. Kommen Kinder immer wieder frustriert nach Hause, wirkt sich das
über kurz oder lang auf die Motivation der Kinder, ihre Freude an der
Schule und am Lernen und das Familienklima aus. Dann kann es passieren,
dass ein Kind sagt, dass es nicht mehr in die Schule gehen will.
Dann
sind vermutlich auch andere anregende Aufgaben und Beispiele sowie mehr
oder andere Herausforderungen als für die Mitschülerinnen und
Mitschüler notwendig.
Beobachtet man dies an seinem Kind, ist es
notwendig, ein oder mehrere Gespräche mit der Klassenlehrerin/dem
Klassenlehrer zu führen und gemeinsam zu überlegen, wie man dem Kind
helfen kann. Wahrscheinlich ist hier die Differenzierung in der Klasse
eine Möglichkeit, das Kind auf seinem Lernweg besser begleiten zu
können. Dabei sind die Haltung der Erwachsenen, das begleitende Gespräch
und die Bereitschaft, gemeinsam an einem Strang zu ziehen, sehr
wichtig. Auch die Eltern sind hier gefordert, ihrerseits die Förderung
in der Schule zu unterstützen.
Welche Möglichkeiten zur Verfügung
stehen, welche Ressourcen genutzt werden können und ob es überhaupt eine
Differenzierungsmöglichkeit in Anbetracht der jeweiligen Schulsituation
geben kann, wird in solchen Gesprächen auch klarer. Womöglich kann das
Kind andere Lernmaterialien erhalten – oder aber es können einfache
Aufgaben durch komplexere ersetzt werden. Es gibt viele unterschiedliche
Wege, die oftmals nicht einfach zu finden sind, um Kindern in solchen
Situationen zu helfen, mit Unterforderung besser zurechtzukommen.
Verweigerung als Anzeichen für Unterforderung
Manch
ein Kind zeigt aufgrund von Langeweile und Frustration über zu wenig
Gelerntes Verhaltensauffälligkeiten. Da kann es passieren, dass das Kind
wenig Anschluss an die Klassenkollegen haben will oder sich als
Klassenkasperl aufführt, sich über die dummen Mitschüler beschwert und
keine Hausübungen macht, weil "Es eh alles nix Neues ist", "Das
Babyaufgaben sind" und "Das was für die Dummies ist". Dann macht
eventuell ein Wechsel der Schule oder ein Überspringen der Klasse Sinn.
Da
dies aber einen gravierenden Einschnitt in den Alltag des Kindes, der
Eltern und Bezugspersonen bedeutet, sollte dies zusammen mit den
Lehrenden des Kindes und der Schulleitung genau geplant werden.
Hier
ist es von extremer Wichtigkeit, das Kind, so gut es geht, in die Pläne
miteinzubeziehen und ihm den Grund dafür zu erklären, denn es kann
durchaus sein, dass das Kind in den geplanten Wechsel ganz etwas anderes
hineininterpretiert.
Bevor das Kind wirklich in die andere Schule
oder Klasse wechselt, sollte es die Möglichkeit für ein
"Hineinschnuppern" haben, um ihr oder ihm die Sicherheit zu geben, dass
dies erst einmal ausprobiert und auch noch rückgängig gemacht werden
kann. Meist entspannen sich Kinder bei dem Gedanken daran, erstmals
einen Versuch wagen zu können. Auch für Eltern und Bezugspersonen ist es
eine Erleichterung, nicht gleich eine so folgenschwere Entscheidung
treffen zu müssen, sondern mit Ruhe und Bedacht nach genauem Hinsehen zu
einem Entschluss zu gelangen.
Bedeutsam für so einen Schritt ist
es, dass den Eltern und Bezugspersonen und auch dem Kind klar sein
sollte, dass es in der neuen Schule oder Klasse andere Leistungen
bringen wird müssen und sich die Situation mit den guten Noten eventuell
auch ganz schnell wenden kann. Möglicherweise fehlt ein Stoffgebiet,
das erst neu gelernt werden muss. Dies kann dazu führen, dass erstmal
die Leistungen etwas absinken und sich deshalb erneut Frustration
einstellen kann. Es sollte allen Beteiligten klar sein, dass in der
neuen Klasse die Anforderungen anders sind und das Kind sich erst
einfinden muss.
Wenn aber klar ist, dass es nur eine
vorübergehende Zeitspanne dauert, bis der Stoff aufgeholt ist, dann
bedeutet dies durchaus, dass sich die Entscheidung für Kind, Eltern und
Pädagoginnen und Pädagogen gelohnt hat. ...
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