Rolle der künstlerischen Fächer in der Schule
Kunst ist mehr als Musizieren und Malen
Der Kunst- und Musikunterricht wird marginalisiert oder nur als künstlerische Praxis gesehen. UdK-Vizepräsidentin Susanne Fontaine plädiert im Interview für eine umfassende ästhetische Bildung.
Zunehmend problematisch. Das deutsche Schul- und Bildungswesen orientiert sich immer mehr an Fragen der Nützlichkeit und der Messbarkeit des Nutzens. In dieses Schema lassen sich die künstlerischen Fächer jedoch nur schwer einordnen. Wie soll man etwa messen, inwiefern eine ästhetische Erfahrung für einen Jugendlichen nützlich ist? Ein weiteres Problem ist die oft zu einseitige Tendenz innerhalb der künstlerischen Schulfächer zu dem, was dort „Praxis“ genannt wird.
Was ist an einer Praxisorientierung bei künstlerischen Fächern problematisch? Ist es nicht gut, wenn Kinder im Unterricht selbst künstlerisch arbeiten?
Natürlich gehört zum Unterricht in Musik, Kunst und Theater künstlerische Praxis. Doch noch wichtiger ist, dass Schülerinnen und Schüler lernen, über Kunst und über die Beziehung von Kunst und der sie umgebenden Welt zu reflektieren. Das Ziel öffentlichen Schulunterrichts in allgemeinbildenden Fächern – und zu diesen zählen die künstlerischen Fächer – ist schließlich nicht vorrangig, künftige Profis ausfindig zu machen. Zunächst einmal geht es bei öffentlichen Schulen darum, junge Menschen zu mündigen Bürgern zu erziehen.
Welche Rolle können dabei die künstlerischen Fächer spielen?
Künstlerischer Unterricht kann das Selbstbewusstsein des Einzelnen stärken. In Fächern wie Kunst, Musik und Theater können Schülerinnen und Schüler lernen, wie man argumentiert und was Kriterien einer Beurteilung sind. Dadurch, dass sie ständig dazu gezwungen sind, die eigene Position infrage zu stellen und zu begründen, gewinnen sie mit der Zeit Sicherheit über das eigene Können und das eigene Urteilsvermögen.
Was macht guten künstlerischen Unterricht aus?
Lehrkräfte sollten Schülerinnen und Schüler Angebote zur Auseinandersetzung mit Kunst machen. Man sollte sich dabei die Frage stellen, was junge Menschen für ihr eigenes Leben brauchen, um sich als Erwachsene in ihrer Welt zurechtzufinden. Wie diese Angebote dann von den Kindern und Jugendlichen aufgenommen werden, ist ganz unterschiedlich. Aber Lehrkräfte sollten den Jugendlichen vermitteln, was öffentliche Kulturpflege heißt. Egal ob jemand später ins Konzert oder ins Museum geht, jeder sollte wissen, was in diesen Kulturinstitutionen gemacht wird und warum es sich dabei um eine öffentliche Aufgabe handelt, für die man Steuergelder zahlt.
Aus der Informatik-Didaktik wurde gefordert, in der Schule statt Musik lieber digitale Bildung zu unterrichten. Die Begegnung mit Kunst und Kultur gehöre ohnehin in die Familie. Was halten Sie davon?
Gar nichts. Digitalisierung ist ein drängendes Thema. Aber: Künstlerische Fächer in den öffentlichen allgemeinbildenden Schulen sind oft der einzige Kanal, über den Kinder und Jugendliche diese Welt kennenlernen können, wenn Kunst und Kultur in ihren Familien keine Rolle spielt. Würde dies in die private Zuständigkeit verschoben, wäre das eine extreme Schlechterstellung dieser Kinder.
Welchen Problemen sehen sich Lehrkräfte künstlerischer Fächer gegenüber?
Häufig werden Kunst, Musik und Theater von Kollegen und Eltern nicht als vollwertige Fächer gesehen. Das ist kräftezehrend. Hinzu kommt eine unglaubliche Überlastung, auch in sozialer Hinsicht. Musik beispielsweise wird häufig mit nur einer Stunde in der Woche unterrichtet. Wenn man als Lehrkraft aufgrund des Fachlehrermangels nur noch in Musik und nicht mehr in seinem zweiten Fach eingesetzt wird, sieht man in der Woche hunderte Schüler. Und jeden einzelnen soll man individuell fördern – wie soll das funktionieren?
Wie möchten Sie die Lage der künstlerischen Fächer verbessern?
Ich möchte den Kolleginnen und Kollegen im Schuldienst zum einen zeigen, dass sie nicht alleine sind. Dass es gesellschaftliche Unterstützung gibt, zum Beispiel an den Hochschulen und in den Interessenverbänden. Wir müssen da zusammen an einem Strang ziehen. Zum anderen geht es darum, ein öffentliches Bewusstsein über die Funktion der künstlerischen Fächer zu schaffen und dafür, was passiert, wenn man sie vor die Hunde gehen lässt. Wir müssen zeigen, was es für die Gesellschaft bedeutet, wenn man sein Bildungssystem auf Nützlichkeit ausrichtet und eben nicht mehr auf den mündigen Staatsbürger. Es reicht einfach nicht, bloß die flexibel an den Arbeitsmarkt anpassbare Arbeitskraft in seinen Schulen heranzuziehen.
Nota. - Was die ästhetischen Fächer an der Schule am meisten bedroht, ist, dass sie sich von Leut*innen wie Frau Fontaine vertreten lassen. Nachdem sie sich im ersten Halbsatz gegen die Input-Output-Mentalität der Bildungspolitiker ausgesprochen hat, sagt sie im folgenden Halbsatz, der Kunstunterricht solle sich an dem orientieren, "was junge Menschen für ihr eigenes Leben brauchen, um sich als Erwachsene in ihrer Welt zurechtzufinden".
Doch dann werden die Befürworter von Digitaler-Bildung-statt-Kunstunterricht immer das letzte Wort behalten.
Die elementare Bildungsmacht der Kunst gründet darin, dass sie eben nicht und in keiner Weise Teil der Ausbildung fürs wirkliche Leben ist. Die ästhetische Welt ist die Region in unserm Horizont, die schlech- terdings frei von allem Zweck ist.
So etwas gibt es. Das weiß nur einer, der es erfahren hat: Es gibt ein Reich, wo das Erbsenzählen ein Ende hat, wo nicht gemessen und verglichen wird, wo nicht alles bedingt und vermittelt ist und wo nicht eine Hand die andere wäscht und das Hemd näher sitzt als die Hose. Es gibt ein Reich, wo jeder selber wägen und werten muss, und zwar unerachtet allen Vorteils.
Nein, im Kunstunterricht kann auch noch der letzte 'lernen', dass es dieses Reich vielmehr nicht 'gibt' wie Regen und Sonnenschein, sondern dass ein jeder es selber betreten muss, wenn es da sein soll.
Den Nutzen eines solchen Schulfachs kann nicht jeder erkennen?
Das ist ja das Problem, zu dessen Lösung das Fach beitragen soll.
Aber natürlich nur, wenn es nicht Teil des schulischen Pensums ist, sondern sein Gegenpol.
JE
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