aus Süddeutsche.de, 28. 9. 2015
In der Rubrik Mühen der Erziehung schreibt Michael Neudecker heute in der SZ:
...Eine viel beachtete Studie [über die Langeweile] führten vor drei Jahren die Psychologen Benjamin Baird und Jonathan Schooler von der University of California in Santa Barbara durch. Sie gaben 145 Studenten zwei Minuten Zeit, möglichst viele und möglichst ungewöhnliche Verwendungsmöglichkeiten für Alltags- gegenstände wie Zahnstocher, Kleiderbügel oder Ziegelsteine aufzulisten. Dann wurden die Studenten in vier Gruppen aufgeteilt: Die eine Gruppe machte mit der Liste weiter, die zweite ruhte sich aus, die dritte hatte eine schwierige, die volle Konzentration beanspruchende Aufgabe zu lösen, und die vierte bekam eine eintönige, unterfordernde Aufgabe. Nach zwölf Minuten wurden alle noch einmal vor die gleiche Aufgabe gestellt wie eingangs, nämlich ungewöhnliche Verwendungsmöglichkeiten für Zahnstocher und Co. zu finden - und während in den ersten drei Gruppen kaum Unterschiede festzustellen waren, verbesserte sich die vierte Gruppe um 41 Prozent. Die Studenten also, die mit einer simplen Aufgabe gelangweilt wurden, hatten nebenbei ganz offensichtlich die erste und interessantere Aufgabenstellung unterbewusst und ohne Ergebnisdruck weiter bearbeitet.
Aus Sicht des Mediziners liegt das daran, dass in einer Phase, in der das Gehirn kaum gefordert wird, dennoch Aktivitäten feststellbar sind, die dazu führen, dass das Gehirn danach leistungsfähiger ist als zuvor. Aus Sicht der Philosophen, hier der Existenzialismus-Begründer Sartre und Camus, ist die Lange- weile eine der zentralen Erfahrungen, ohne die der Mensch sein eigenes Sein nicht erkennen kann. Und in Erziehungsratgebersprache formuliert: Ein Kind, das nie gelernt hat, seine Langeweile zu überwinden, weiß auch als Erwachsener nicht, was es mit sich anfangen soll, sondern wird im besten Fall zum Multi- tasking-Mutanten.
Nota I. - Muße und Langeweile sind nicht dasselbe. Aber sie sind Cousins.
Nota II. - Eben erst bemerke ich, dass man das Plädoyer für die Langeweile als ein Argument für die Schule missverstehen könnte. Anregend ist die Langeweile aber nur, weil sie dazu verleitet, unversehens in Betrachtung zu versinken; aber doch nicht während des Unterrichts! Die Langweile in der Schule ist töd-lich, weil sie völlig unfruchtbar ist. Lediglich zum Davonlaufen regt sie an, aber das weiß die Schule zu unterbinden. Nov. '15
Nota III. - Das Gegenteil der Langenweile ist anscheinend die Konzentration. Sich konzentrieren kann man trainieren; so sehr, dass es verkrampft, und dann haben wir eine Langeweile höherer Ordnung - typisch für Schüler im oberen, aber nicht dem obersten Leistunggsegment.
Wenn man annimmt, der Leitende Angestellte sei das Bildungsideal unserer Schulen, dann wäre alles in Ordnung. Hält man den aber für historisch überholt, dann wäre es angezeigt, in die Lehrpläne regelmäßige Entkonzentrationsübungen einzubauen. Sport und Kunst wären gut dafür geeignet, wenn sie nicht, wie alles, was die Schule zu bieten hat, Fächer wären. Als solche geben sie ein zu erreichende Maß vor und gebieten, sich darauf zu... konzentrieren. Weil das langweilig ist, wird das Maß zu oft nicht errreicht. Muße ist, wenn ich ein eigenes Maß suchen und finden kann. Konzentrieren wird man sich dann auch, man siehts auf den Gesichtern. Aber es ist das Paradox eines entspannten Konzentrierens, und trägt meist weiter, als alles Vorgegebene.
JE
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