Freitag, 21. August 2015

Pubertierende Intelligenz.

aus nzz.ch, 26.10.2011

Strukturelle Veränderungen im Gehirn von pubertierenden Jugendlichen
Wandelbarer Intelligenzquotient
Bisher galt: Intellektuelle Fähigkeiten verändern sich bei Jugendlichen, doch die Intelligenz, sozusagen die geistige Basis, bleibt ein Leben lang gleich. Eine neue Studie stellt diesen alten Lehrsatz in Frage.

von Stephanie Lahrtz

«Mit unserer Intelligenz ist es vielleicht wie mit der körperlichen Fitness: Sie unterliegt Veränderungen, zumindest im Laufe der Pubertät», spekuliert Cathy Price, Professorin für Neuroimaging am University College in London. Denn sie und ihr Team haben soeben in einer Studie mit 33 Jugendlichen im Alter von 12 bis 20 Jahren festgestellt, dass zwei IQ-Tests innert vier Jahren unterschiedliche Resultate lieferten.¹ Dabei kam es sowohl zu grösseren Verbesserungen als auch zu Verschlechterungen bei entweder der sprachlichen oder der sogenannt nonverbalen Intelligenz. Im erstgenannten Bereich werden sprachliche und arithmetische Fähigkeiten, Vokabular und Verständnis erfasst. Der zweite testet, wie schnell und sicher man ein Puzzle legen oder fehlende Elemente in Bildern erkennen kann.

Diese neuen Daten stellen die gängige Lehrmeinung in Frage. Denn es ist zwar unbestritten, dass sich körperliche wie auch intellektuelle Fähigkeiten nicht nur während der Pubertät zum Teil drastisch verändern. Aber Experten gingen bisher davon aus, dass die Intelligenz eines Menschen, sozusagen seine prinzipiellen geistigen Fähigkeiten, gleich bleiben.
Diese Annahme ist auch die Grundlage von IQ-Tests, die in der Regel nur einmal im Leben durchgeführt werden. IQ-Tests trügen bereits der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen dahingehend Rechnung, dass jede Altersgruppe auf ihren Entwicklungsstand zugeschnittene Aufgaben bewältigen müsse, erläutert Ulrich Frischknecht, Leiter der Psychologischen Beratungsstelle für Studierende an der Universität Zürich, welche zur Abklärung bei Problemen unter anderem IQ-Tests anbietet. Für Experten ist es durchaus plausibel, dass Jugendliche sich um einige wenige Punkte im IQ-Test verändern können, weil sie zum Beispiel besser oder schlechter konzentriert sind.
Doch für Sue Ramsden aus Prices Team sind dies nicht die Ursachen der veränderten Testergebnisse der in London untersuchten Jugendlichen. Denn man habe im Rahmen der zwei Testphasen jeweils durch Untersuchungen der Gehirne der Probanden mit bildgebenden Verfahren eindeutige strukturelle Veränderungen gefunden. Diese hätten immer mit den Unterschieden im IQ-Test korreliert.
So habe bei denjenigen Personen, die im zweiten Test eine Verbesserung der sprachlichen Intelligenz aufgewiesen hätten, im linken Motorkortex die Dichte des Nervenzellgewebes zugenommen, sagt Ramsden. Dieses Areal wird beim Sprechen aktiviert. Jugendliche mit weniger IQ-Punkten im sprachlichen Testbereich hätten hingegen dort eine geringere Dichte als beim IQ-Test vier Jahre zuvor besessen. Denselben Zusammenhang habe es auch im Bereich der nonverbalen Intelligenz gegeben. In diesem Fall sei das vordere Kleinhirn betroffen gewesen, welches bei Bewegungen der Hand aktiviert werde.
Offenbar gebe es doch eine viel grössere Variabilität der Intelligenz als angenommen, sagt Peter Klaver, Neuropsychologe an der Universität Zürich. Es sei damit jedoch nicht gezeigt, dass man die grundlegende Intelligenz gezielt trainieren könne. Die neue Studie liefere dafür keine Belege, betonen auch die Londoner Forscher. Derzeit ist auch völlig unklar, warum sich bei den Jugendlichen Veränderungen in den IQ-Tests ergeben hatten und ob es auch bei Erwachsenen noch solche Veränderungen geben könnte. Laut Price müsse man aber vorsichtig sein bei der Beurteilung junger Menschen und ihrer Erfolgsaussichten in Schule und Beruf aufgrund eines einmaligen IQ-Tests.
¹ Nature, Online-Publikation vom 19. Oktober 2011.

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